OGH 6Ob519/91

OGH6Ob519/9111.4.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshof Dr. Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Redl, Dr. Kellner und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei ***** B***** H*****, dieser vertreten durch Dr. ***** Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagte Partei P***** K*****, vertreten durch Dr. ***** Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wegen 123.000 S sA und Feststellung (Streitwert 30.000 S), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgericht Linz als Berufungsgerichtes vom 8. November 1990, GZ 6 R 138/90-35, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 22. Jänner 1990, GZ 4 Cg 3/90-22, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes wiederhergestellt.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 13.960,80 S bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin 2.326,80 S Umsatzsteuer) und die mit 17.471,80 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 1.245,30 Umsatzsteuer und 10.000 S Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 6. August 1988 fuhr der Beklagte mit seinem fünfjährigen Wallach "Angelo" (im folgenden Pferd) zu einem Dressurreitturnier und nahm dabei die damals 14-jährige Klägerin und ihre Freundin, die sich erstmals ein Reitturnier ansehen wollten, mit. Die Klägerin war Mitglied im Reitclub ihrer Heimatgemeinde und hatte damals etwa zwei Jahre Reitpraxis; auf dem Pferd "Angelo" war sie noch nie geritten. Beim Turnierplatz waren keine Stände oder Stallungen zum Einstellen oder Anbinden der Pferde vorgesehen. Der Beklagte stellte seinen Pkw mit dem Pferdeanhänger beim Turnierplatz auf einer Wiese ab, auf der durch immer wieder mit Anhängern zu- und abfahrende Pferdebesitzer reger Betrieb herrschte. Die Zufahrtsstraße zum Reitplatz verlief etwa 50 m vom Abstellplatz des Beklagten entfernt. Zwischen zwei Turnierbewerben stellte der Beklagte angesichts der hochsommerlichen Temperaturen sein Pferd nicht in den Anhänger, was jedenfalls nach Abplanung des Anhängers möglich gewesen wäre, sondern band es mit einem etwa 1 m langen Strick am abgestellten Anhänger fest. Auch die anderen Pferdebesitzer banden ihre Pferde an ihren Anhängern an.

Der Beklagte entfernte sich dann vom Pferd, um sich von der Turnierleitung die Ergebnisliste zu besorgen, ohne der Klägerin und ihrer Freundin, die in der Nähe des Pferdes stehenblieben, Anweisungen zu geben, was sie tun oder unterlassen sollten. Die Klägerin stand seitlich vom Pferd etwa auf Höhe zwischen dessen Vorderbeinen und Bauch, ihre Freundin auf der anderen Seite des Pferdes. Als in unmittelbarer Nähe ein Pkw samt Pferdeanhänger, der beim Durchfahren von Schlaglöchern ziemlich laute Geräusche verursachte, vorbeifuhr, scheute das Pferd, sprang mit dem Hinterteil zur Seite, schlug dann in einem Zug mit beiden Hinterbeinen aus und verletzte dabei die Klägerin am Unterkiefer schwer.

"Angelo" ist ein durchaus ruhiges Pferd. Bis zum Unfall der Klägerin war es erst einmal vorgekommen, daß eine Zuschauerin, die sich vor das Pferd gedrängt hatte, von diesem weggestoßen worden war; es handelte sich dabei aber nicht um ein Scheuen des Pferdes.

Die Klägerin begehrte vom Beklagten - die Klage gegen seinen Haftpflichtversicherer zog sie unter Anspruchsverzicht zurück - die Bezahlung von 125.000 S sA (Schmerzengeld von 120.000 S und Heilungskosten von 5.000 S) sowie die Feststellung, daß ihr der Beklagte auch für künftige Schäden aus dem Vorfall vom 6. August 1988 zu haften habe, und trug dazu im wesentlichen vor, daß der Beklagte nicht für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Pferdes gesorgt und die Klägerin nicht darüber aufgeklärt habe, welche Gefahren von dem Pferd, insbesondere bei einer Irritierung durch Lärm, ausgingen.

Der Beklagte wendete, soweit im Revisionsverfahren relevant, im wesentlichen ein, daß ihn kein Verschulden durch mangelhafte Verwahrung des Pferdes treffe. Anweisungen wegen einer angeblichen Gefahr habe der Beklagte der Klägerin nicht geben können, weil es sich bei "Angelo" um ein sehr ruhiges und diszipliniertes Pferd handle. Angesichts der Umstände sei auch nicht damit zu rechnen gewesen, daß etwas geschehen könnte, wodurch das Pferd aufgeschreckt werde.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit Ausnahme eines rechtskräftig abgewiesenen Teilbetrages von 2.000 S sA für Heilungskosten statt. Es bejahte eine Haftung des Beklagten nach § 1320 ABGB, weil dem Beklagten ein Abstellen seines Pferdes im Anhänger - allenfalls nach dessen Abplanen - zumutbar gewesen wäre, zumal auf der Wiese sehr reges Treiben geherrscht habe und die Zufahrtsstraße zum Reitplatz nur 50 m entfernt gewesen sei. Gerade ständiges Zu- und Abfahren von Fahrzeugen und eine Menge Menschen seien Umstände, die auch ein an sich ruhiges Tier nervös zu machen imstande seien. Nur von untergeordneter Bedeutung sei, daß es sich um ein ruhiges Tier handle und bisher keine derartigen Vorfälle aufgetreten seien, weil allgemein bekannt sei, daß auch von an sich gutmütigen Tieren unter gewissen Umständen eine Gefahr für Leib und Leben ausgehen könne. Die Klägerin treffe kein Mitverschulden, weil sie keine Veranlassung zum Scheuen des Pferdes gegeben und sich im Beweisverfahren kein Anhaltspunkt dafür ergeben habe, daß sie sich dem Pferd von hinten genähert habe; der Umstand allein, daß sie sich in der Nähe des Pferdes aufgehalten habe, könne ihr nicht als Mitverschulden angelastet werden.

Das Berufungsgericht wies über Berufung des Beklagten das Klagebegehren gänzlich ab; die ordentliche Revision ließ es zu. Die zweite Instanz stellte nach Einholung des Gutachtens eines Pferdesachverständigen noch fest, daß das Anbinden der Pferde an den Pferdeanhänger oder Pferdetransporter bei kleineren wie größeren Freilandturnieren, bei denen vom Veranstalter keine Stallungen oder Boxen oder Stände zum Anbinden der Turnierpferde zur Verfügung gestellt werden, bundesweit durchaus üblich, zweckmäßig und pferdegerecht ist. Bei einer derartigen Verwahrung von Turnierpferden ist es durchaus üblich, daß das Pferd in den Turnierpausen vom Reiter oder einer sonst geeigneten Person beaufsichtigt wird; eine derartige Beaufsichtigung des Pferdes hätte im vorliegenden Fall allerdings sehr wahrscheinlich die konkrete Gefahr, nämlich ein spontanes Ausschlagen des Pferdes als Folge eines lauten Geräusches durch einen vorbeifahrenden Pkw und die dadurch bewirkte Irritation des Pferdes, nicht verhindern können.

In rechtlicher Hinsicht ging die zweite Instanz davon aus, daß der Beklagte zwar eine mangelhafte Verwahrung des Pferdes zu vertreten habe, weil er für die Zeit seiner Abwesenheit vom Pferd für die Beaufsichtigung seines Pferdes durch eine geeignete Person hätte Sorge tragen müssen. "Sehr wahrscheinlich" hätte jedoch auch eine Aufsichtsperson das für die Verletzung der Klägerin ursächliche spontane Ausschlagen des Pferdes nicht verhindern können; es handle sich daher um ein unabwendbares Ereignis, für das der Tierhalter nicht einzustehen habe. Ungeachtet, ob man die Tierhalterhaftung als Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast oder als Gefährdungshaftung ansehe, hafte der Beklagte nicht, weil die dem Tierhalter zuzumutenden Vorkehrungen nicht überspannt werden dürften. Eine derartige Überspannung wäre aber der Aufwand für das Abdecken der Plane, wenn die Verwahrung der Tiere, angeleint am Wagen, üblich sei, freilich bei sonstiger gleichzeitiger Beaufsichtigung. Wären aber für eine derartige Beaufsichtigung nach dem Gutachten des Sachverständigen auch jugendliche Personen im Alter der Klägerin in Betracht gekommen, werde damit die Frage, ob der Tierhalter den Nachweis zu erbringen habe, die allgemein ihm zumutbare Beaufsichtigung oder jene Art der Beaufsichtigung vorgenommen zu haben, die gerade den hier konkret in Betracht kommenden Schadenfall abgewehrt hätte, in ihrer Bedeutung wesentlich eingeschränkt. Da eine Schutznorm im technischen Sinn (§ 1311 ABGB) nicht verletzt worden sei, könne es also auch gar nicht zur Prüfung kommen, ob bei objektiv gebotenem (rechtmäßigem) Alternativverhalten der Unfall vermieden worden wäre. Zur Vermeidung des Ausschlagens eines Pferdes gebe es eben kein rechtmäßiges Alternativverhalten. Es sei vielmehr eine Erfahrungstatsache, daß bei angeleinten Pferden die Gefahr eines Ausschlagens umso größer sei, je größere Unruhe herrsche.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Gemäß § 1320 ABGB ist, wenn jemand durch ein Tier beschädigt wird, derjenige dafür verantwortlich, der es .... zu verwahren vernachlässigt hat. Derjenige, der das Tier hält, ist verantwortlich, wenn er nicht beweist, daß er für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung gesorgt hatte. Unbestritten war der Beklagte Halter des Pferdes. Gleichgültig, ob man die Haftung des Tierhalters nach § 1320 ABGB wie die bis zur E EvBl 1982/43 einhellige Rechtsprechung und ein Teil der Lehre als Verschuldenshaftung mit umgekehrter Beweislast (ZVR 1982/325; EvBl 1980/49; SZ 45/126 = ZVR 1974/65 ua; Harrer in Schwimann, § 1320 ABGB Rz 20 f; weitere Nachweise bei Koziol, Österr. Haftpflichtrecht2 II 406 und FN 25) oder wie die E EvBl 1982/43 = JBl 1982, 150 mit zust Anm von Koziol und ein Teil der Lehre (Koziol aaO, 406 f; Reischauer in Rummel, § 1320 ABGB Rz 20 f; Mayrhofer in Ehrenzweig, Schuldrecht3 300 FN 4; weitere Nachweise in der E JBl 1982, 494) als verschuldensunabhängige Gefährdungshaftung deutet, hat der Halter dann nicht für den vom Tier herbeigeführten Schaden einzustehen, wenn ihm der Beweis gelingt, daß er für die nach der erwähnten Gesetzesstelle - nach objektiven Kriterien zu beurteilende

(RZ 1985/28) - "erforderliche" Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt hat (RZ 1985/28; ZVR 1984/234; JBl 1982, 494; Koziol-Welser, Grundriß8 I 454). Hat der Tierhalter für die erforderliche Verwahrung und Beaufsichtigung des Tieres gesorgt, dann mangelt es an dem für seine Haftung objektiven Fehlverhalten iS mangelnder Rechtswidrigkeit (RZ 1985/28; 1 Ob 564/89 ua).

Das Maß der erforderlichen Aufsicht und Verwahrung hat ohne Überspannung der Sorgfaltspflicht (RZ 1985/28; JBl 1982, 494, jeweils mwN ua; Reischauer in Rummel aaO, Rz 12) in elastischer und den Umständen des Einzelfalles Rechnung tragender Weise zu erfolgen. Dabei spielen die Gefährlichkeit des Tieres nach seiner Art und Individualität, die Möglichkeit der Schädigung durch das spezifische Tierverhalten und die Abwägung der Interessen zwischen der Gefährdung der körperlichen Unversehrtheit von Menschen und der Beeinträchtigung der Interessen des Tieres eine Rolle (EvBl 1986/111; JBl 1982, 150; SZ 55/62; 1 Ob 564/89 ua; Reischauer aaO, Rz 12). Gefordert werden jene Maßnahmen, die nach den bekannten oder erkennbaren Eigenschaften eines Tieres erforderlich und nach der Verkehrsauffassung vernünftigerweise geboten sind (EvBl 1986/111; ZVR 1984/123 = RZ 1984/14; SZ 55/62 ua; Reischauer aaO, Rz 12; Harrer aaO, Rz 10). Es ist nicht nur das bisherige Verhalten des Tieres, sondern auch die Möglichkeit und Wahrscheinlichkeit einer Schadenszufügung durch das Tier, inwiefern es eine Gefahrenquelle für seine Umgebung darstellt, zu prüfen (ZVR 1984/123; 1 Ob 564/89; Reischauer aaO, Rz 12).

Bei Anwendung dieser Grundsätze auf den vorliegenden Fall war es im Hinblick auf die gerichtsbekannte furchtsame und leicht erregbare Natur von Pferden als Lauf- und Fluchttiere, die oft schon bei geringfügigen Anlässen panikartige Fluchtreaktionen zeigen (SZ 58/56), für einen besonnenen Tierhalter doch erkennbar, daß ein mit einem nicht unerheblichen Bewegungsspielraum angeleintes Pferd in fremder Umgebung des regen Betriebs auf dem Abstellplatz (Wiese vor dem Turnierplatz) und angesichts des dadurch verursachten Lärms darauf mit Scheuen oder auch Ausschlagen reagieren könnte, weil es seiner Natur gemäß nicht weglaufen konnte, unabhängig davon, ob es zuvor schon einmal so reagiert hatte. Der Beklagte wäre daher bei dem von ihm gewählten Abstellplatz gehalten gewesen, sein Pferd zu beaufsichtigen, wenn er es schon nicht auf dem Pferdewagen verwahren wollte. Die zweite Instanz ist demgemäß auch zutreffend von einer mangelhaften Beaufsichtigung des Pferdes durch den Beklagten während seiner Abwesenheit ausgegangen. Daß auch die anderen Pferdebesitzer ihre Pferde an die Pferdewagen anleinten und daß dies bei Turnieren bundesweit üblich, zweckmäßig und pferdegerecht ist, wie das Berufungsgericht ergänzend feststellte, ändert nichts daran, daß damit ohne entsprechende Beaufsichtigung der beklagte Tierhalter von seiner Haftung noch nicht befreit war (vgl SZ 41/161). Der Tierhalter muß bei den von ihm geforderten Maßnahmen zur Verwahrung und Beaufsichtigung auch mit einer gewissen Sorglosigkeit Dritter rechnen.

Selbst wenn bei einer ordnungsgemäßen Beaufsichtigung des Pferdes dessen Scheuen und Ausschlagen bei Lärm nicht zu verhindern gewesen wäre, hätte eine sachgerechte Beaufsichtigung des Pferdes verhindern können, daß Menschen so nahe an das Pferd herantreten, daß sie bei einem Scheuen und Ausschlagen verletzt werden. Der Beklagte durfte demnach auch sein angeleintes Pferd nicht ohne Beaufsichtigung zurücklassen, weil dies nach dem Gutachten des Sachverständigen zu den Sorgfaltspflichten eines Reiters gehört, zumal für ihn erkennbar war, daß sich die Klägerin und ihre Freundin in unmittelbarer Nähe des Pferdes aufhielten. Konkrete Umstände, warum ihm eine entsprechende Beaufsichtigung seines Pferdes nicht zumutbar gewesen wäre (JBl 1982, 494), hat der Beklagte nicht aufgezeigt.

Ein Mitverschulden der Klägerin ist beim festgestellten Sachverhalt, daß nämlich die Klägerin seitlich des Pferdes stand und nichts zum Scheuen des Tieres beitrug, zu verneinen. Die Höhe des Zahlungsbegehrens war schon im Berufungsverfahren nicht mehr strittig.

Der Revision ist demnach Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Dabei war der Kostenrekurs der Klägerin gegen das erstgerichtliche Urteil zu berücksichtigen. Das Erstgericht hat aber zu Recht die Kosten der pflegschaftsbehördlichen Ermächtigung zur Prozeßführung für die minderjährige Klägerin als unter den Einheitssatz für Nebenleistungen (§ 23 RATG) fallend angesehen (EvBl 1935/397; Feil-Hajek, Rechtsanwaltskosten 49) und nicht gesondert honoriert.

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