OGH 2Ob88/90

OGH2Ob88/9016.1.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Melber, Dr. Zehetner, Dr. Schwarz und Dr. Schinko als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der klagenden Parteien 1.) J* K*, vertreten durch Dr. Gerhard Ochsenhofer, Rechtsanwalt in Oberwart, 2.) L* G* vertreten durch Dr. Elisabeth Hrastnik, Rechtsanwalt in Oberwart, wider die beklagte Partei D* AG*, vertreten durch Dr. Thomas Mader, Rechtsanwalt in Wien, wegen 1) S 860.292,20 s.A. und Feststellung (S 100.000,--) und 2) S 716.500,-- und Feststellung (S 50.000,--) infolge Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 5. September 1990, GZ 17 R 130/90‑17, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Eisenstadt vom 5. April 1990, GZ 1 Cg 3, 20/90-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:1991:0020OB00088.9.0116.000

Rechtsgebiet: Zivilrecht

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Entscheidungsgründe:

Am 31. Jänner 1988 ereignete sich gegen 0,15 Uhr auf der B 50 bei Straßenkilometer 129,81 im Gemeindegebiet von M* ein Verkehrsunfall, bei dem der Kläger J* K* als Beifahrer und die Klägerin L* G* als Insassin des von H* M* gelenkten PKW Opel Ascona mit dem Kennzeichen * verletzt wurden. Halter des bei der Beklagten haftpflichtversicherten PKW war J* K* (Vater des Klägers J* K*).

Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde H* M* mit Urteil des Bezirksgerichtes Oberwart vom 17. März 1989, U 88/88 des Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 und 4 erster Fall StGB schuldig erkannt.

Im Verfahren zu 1 Cg 3/90 des Landesgerichtes Eisenstadt begehrte J* K* von H* M* und der beklagten Versicherung die Zahlung von S 860.292,20 (Schmerzengeld und Ersatz von Sachschäden) sowie die Feststellung, daß die beklagten Parteien, die beklagte Versicherung begrenzt durch die Haftpflichtversicherungssumme, dem Kläger für sämtliche künftigen Schäden aus dem oben angeführten Unfall haften.

Im Verfahren zu 1 Cg 20/90 des Landesgerichtes Eisenstadt begehrte L* G* vom Halter des PKW J* K* und der beklagten Versicherung S 716.500,-- (Schmerzengeld, Sachschäden und Kosten einer Haushaltshilfe) sowie die Feststellung der Haftung für künftige Schäden.

In den Verfahren gegen H* M* und J* K* ist Ruhen eingetreten; die Rechtsstreitigkeiten wurden zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Die beklagte Versicherung wendete im wesentlichen ein, alleiniger Halter des Unfallfahrzeuges sei J* K* gewesen. Der Kläger J* K* hätte das Fahrzeug wohl benützen dürfen, er habe aber seinen Vater, wenn dieser zu Hause war, regelmäßig danach gefragt. Es sei zwischen J* K* und seinem Vater nie darüber gesprochen worden, ob J* K* jemand anderen die Lenkung des Fahrzeuges überlassen dürfe. Hätte der Kläger seinen Vater danach gefragt, so hätte sich dieser die betreffende Person vor Erteilung der Erlaubnis zum Lenken des Fahrzeuges genau angeschaut. H* M* sei nicht berechtigt gewesen, das Fahrzeug zu lenken, sie sei daher für den gegenständlichen Unfall nach den AKHB nicht mitversichert. Da beide Kläger darüber informiert gewesen seien, daß H* M* nicht berechtigt war, das Fahrzeug in Betrieb zu nehmen, stelle die Erhebung von Ansprüchen gegen die beklagte Versicherung eine unzulässige Rechtsausübung dar.

Das Erstgericht schränkte das Verfahren auf den Grund des Anspruches ein und stellte mit Zwischenurteil fest, daß die Forderung der klagenden Parteien gegen die beklagte Partei als Haftpflichtversicherer des PKW Opel Ascona, pol. Kennzeichen * aufgrund des Verkehrsunfalles vom 31. Jänner 1988 auf der B 50 im Gemeindegebiet von M* dem Grunde nach zu Recht bestehe.

Das Erstgericht ging im wesentlichen von folgendem Sachverhalt aus:

Der PKW Opel Ascona * wurde im Jahre 1980 vom Vater des Klägers, dem Zeugen J* K*, neu gekauft. Zu diesem Zeitpunkt besaß der Kläger J* K* bereits einen PKW. Nach Erwerb des neuen Fahrzeuges meldete der Kläger J* K* seinen alten PKW ab. Bis zum Jahre 1985 wurde der PKW des Zeugen J* K* hauptsächlich von seiner Tochter und seinem Sohn verwendet. Seit 1985 fuhr damit fast ausschließlich der Kläger J* K*. Nahezu vor jeder Inbetriebnahme des Fahrzeuges fragte J* K* seinen Vater, wenn dieser anwesend war, um Erlaubnis. Der Kläger J* K* hatte aber vom Halter die generelle Erlaubnis, den PKW zu benutzen; war das Fahrzeug nicht beim Hause, wußte der Zeuge J* K*, daß sein Sohn damit unterwegs war. Sämtliche Aufwendungen für den PKW tätigte der Zeuge J* K*, so insbesondere Serviceleistungen, Reparatur-, Versicherungsleistungen und Benzinkosten. Der Kläger J* K* wohnte bei seinen Eltern und hatte hiefür keine Leistungen zu erbringen. Dem Zeugen J* K* war nicht bekannt, daß sein Sohn dritten Personen gestattete, mit dem PKW zu fahren. Diesbezüglich gab es kein Gespräch zwischen den beiden. Da der Kläger J* K* auf den PKW immer gut aufpaßte und sich um dessen ordnungsgemäßen Zustand kümmerte, vertraute ihm sein Vater. J* K* machte seinem Sohn deshalb auch keine Vorschriften über die Benützung des Fahrzeuges und wäre jedenfalls damit einverstanden gewesen, daß dritte Personen mit dem PKW fahren, wenn sein Sohn diese Personen für verläßlich hielt.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß lediglich J* K* Halter des Fahrzeuges gewesen sei. Wenn der Halter sein Fahrzeug einer Vertrauensperson übergeben habe und diese das Fahrzeug abredewidrig einem Dritten überlasse, treffe den Dritten die Gefährdungshaftung als Schwarzfahrer nach § 6 Abs. 1 EKHG; daneben hafte auch der Halter, da die Schwarzfahrt durch den mit seinem Willen beim Betrieb tätigen Vertrauensmann verschuldet wurde. Im vorliegenden Fall komme es gemäß § 6 Abs. 2 EKHG aber zu einer ausschließlichen Halterhaftung und damit auch zur Haftung der Beklagten gemäß § 1 AKHB, da keine unbefugte Benutzung durch die Lenkerin des Fahrzeuges vorlag. Der Kläger J* K* habe der Lenkerin den PKW nicht abredewidrig überlassen. Der Wille des Verfügungsberechtigten könne ausdrücklich oder schlüssig (§ 863 ABGB) erklärt werden. J* K* habe seinem Sohn so weit vertraut, daß dieser jederzeit den PKW benützen konnte, er habe ihm auch die Weitergabe an Dritte gestattet. Aufgrund der engen familiären Bande und des daraus resultierenden Vertrauensverhältnisses könne davon ausgegangen werden, daß J* K* seinem Sohn die Ermächtigung erteilte, jederzeit das Fahrzeug einer ihm geeignet erscheinenden dritten Person zum Fahren zu übergeben. Es könne daher gegenüber der klagenden Partei nicht unzulässige Rechtsausübung eingewendet werden.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Zwischenurteil der Berufung der Beklagten nicht Folge und sprach aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs. 1 ZPO jeweils zulässig sei. In rechtlicher Hinsicht führte es im wesentlichen aus, daß ohne ausdrückliche Erlaubnis des Halters nicht zu vermuten sei, daß ein bloßer Entlehner des Fahrzeuges berechtigt sei, dieses an einen Dritten weiterzugeben. Im vorliegenden Fall sei aber J* K * insoweit ungebunden gewesen, daß er bei Abwesenheit des Vaters das Fahrzeug auch ohne zu fragen benutzen konnte. Der Halter des Fahrzeuges habe seinem Sohn vertraut und ihm die Nutzung des PKW überlassen. Daß J* K* weitgehende Freiheit bei der Benutzung des Fahrzeuges gelassen wurde, ergebe sich auch daraus, daß J* K* seinem Sohn auch die Beurteilung der Verläßlichkeit eines Dritten bezüglich der Lenkung des Fahrzeuges überließ. Bei diesem Sachverhalt komme es nicht darauf an, ob der Halter ausdrücklich gestatte, das Fahrzeug an dritte Personen weiterzugeben. Aus dem Gesamtverhalten des J* K* sei zu schließen, daß die Benutzung des PKW durch H* M* mit Zustimmung des Halters erfolgte. H* M* sei nach Würdigung aller Umstände als mitversicherte Person anzusehen, sodaß der Einwand des Rechtsmißbrauches ins Leere gehe.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Beklagten aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit und unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung dahingehend abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die klagenden Parteien haben Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt. Der Revisionsgrund nach § 503 Z 2 ZPO liegt nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs. 3 ZPO). In der Rechtsrüge führen die Beklagten aus, aus dem Umstand, daß J* K* seinen Vater üblicherweise fragte, ob er das Fahrzeug benutzen dürfe, sei abzuleiten, daß der Wille des Halters nicht bedeutungslos geworden sei. J* K* sei jedenfalls nicht grundsätzlich und in jedem Fall zur Weitergabe berechtigt gewesen. Da eine Weitergabe an Dritte vor dem Unfall nicht erfolgt sei und darüber auch mit dem Halter keine Gespräche geführt wurden, könne eine Beurteilung des schlüssig erklärten Willens des Halters nicht derart weitgehend erfolgen. Vielmehr müsse für den Anerklärten zweifelsfrei erkennbar sein, daß er über die Zustimmung zur Weitergabe verfüge. Berücksichtige man, daß eine Weitergabe an Dritte vor dem Unfall nicht erfolgte, daß darüber keine Gespräche geführt wurden und eine uneingeschränkte generelle Benützungserlaubnis niemals vorlag, dann könne eine Berechtigung zur Weitergabe des Fahrzeuges nicht angenommen werden.

Diesen Ausführungen kann nicht gefolgt werden.

Die Beklagte hat im vorliegenden Fall ihre Deckungspflicht aufgrund des Versicherungsvertrages an sich nicht bestritten, jedoch eingewendet, es liege unzulässige Rechtsausübung vor, da den Klägern die unbefugte Inbetriebnahme des Kraftfahrzeuges seitens der Lenkerin bekannt war (ZVR 1983/201; ZVR 1979/24). Eine unbefugte Inbetriebnahme liegt nicht erst dann vor, wenn der Halter ein Verbot ausgesprochen hat; die Lenkung muß vielmehr dem Willen des Halters entsprechen. Der Wille des Halters kann auch schlüssig im Sinne des § 863 ABGB aus seinem Verhalten abgeleitet werden, doch ist grundsätzlich ohne ausdrückliche Erlaubnis des Halters nicht zu vermuten, daß ein bloßer Entlehner des Fahrzeuges berechtigt sein sollte, die ihm anvertraute Fahrzeuglenkung an Dritte weiterzugeben, wenn nicht besondere Umstände dafür sprechen (SZ 53/151 = JBl. 1982, 213 = VersRdSch 1985, 184 mwN). Im vorliegenden Fall sind jedoch derartige besondere Umstände gegeben, da der Halter seinem Sohn generell die Erlaubnis erteilte, den PKW zu benutzen. Der Halter machte dem Kläger J* K* keine Vorschriften über die Benutzung des Fahrzeuges und wäre damit einverstanden gewesen, daß dritte Personen mit dem PKW fahren, wenn sein Sohn diese für verläßlich hielt. Der Umstand, daß der Kläger J* K* seinen Vater, wenn dieser anwesend war, danach fragte, ob er das Fahrzeug benutzen dürfe, spricht nicht gegen eine generelle Benutzungsbewilligung, sondern es ist darin lediglich ein Akt der Höflichkeit zu erblicken. Liegt aber eine generelle Benutzungsbewilligung vor, so umfaßt diese in der Regel auch die Überlassung der Lenkung des Fahrzeuges an andere. Ist der Verfügungsberechtigte völlig frei in der Benützung des Wagens, so kommt es auf den Willen des Halters nicht mehr an (Stiefel-Hofmann, Kraftfahrversicherung14, 154; BGH VersR 1963, 771).

Daraus folgt, daß die Lenkerin des Fahrzeuges H* M* den PKW nicht unbefugt in Betrieb genommen hat, sodaß den klagenden Parteien der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung nicht entgegengehalten werden kann.

Der Revision der Beklagten mußte daher ein Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 393 Abs. 4, 52 Abs. 2 ZPO.

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