OGH 4Ob502/92

OGH4Ob502/9214.1.1991

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr.Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.-Prof.Dr.Gamerith, Dr.Kodek, Dr.Niederreiter und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr.Elisabeth M*****, vertreten durch Klaus H*****, dieser vertreten durch Dr.Ernst Schmerschneider und andere Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Christa Z*****, vertreten durch Dr.Markus Freund, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien als Berufungsgericht vom 18. September 1991, GZ 48 R 484/91-14, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 12.April 1991, GZ 47 C 669/89p-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 2.417,28 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 402,88 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen bei Exekution zu zahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist seit 1961 Eigentümerin des Hauses

Wien 7., S*****gasse 14. Die darin gelegene Wohnung Tür Nr. 5 hatte Raimund Z*****, der Vater der Beklagten, mit Vertrag vom 2.11.1938 gemietet; dabei war eine 14tägige Kündigungsfrist vereinbart worden. Raimund Z***** starb - in dieser Wohnung - am 4.4.1989; seine Verlassenschaft wurde mit der in Rechtskraft erwachsenen Einantwortungsurkunde vom 24.7.1989 der Beklagten eingeantwortet.

Mit der Behauptung, daß die Beklagte nicht eintrittsberechtigt sei, kündigte die Klägerin der Beklagten die angeführte Wohnung zum 31.10.1989 auf; der darüber gefaßte Beschluß des Erstgerichtes vom 3.10.1989 wurde der Beklagten am 9.10.1989 zugestellt.

In ihren Einwendungen machte die Beklagte (ua) geltend, daß die Kündigung verspätet zugestellt worden sei, weil die (gesetzliche) Kündigungsfrist einen Monat betrage.

Der Erstrichter hob die Aufkündigung auf und wies das Räumungsbegehren ab. Nach § 1116 a ABGB gelte, auch wenn etwas anderes vereinbart wurde, ausschließlich die gesetzliche Kündigungsfrist. Da diese nach § 560 Abs 1 Z 2 lit d ZPO einen Monat betrage, die Kündigung zum 31.10.1989 aber erst am 9.10.1989 zugestellt wurde, sei die Kündigung schon aus diesem Grund aufzuheben.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Der Meinung der Klägerin, daß § 1116 a ABGB nur dann anzuwenden sei, wenn eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist vereinbart wurde, könne nicht gefolgt werden: Zwar kehre in den dazu ergangenen Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes immer die Formulierung wieder, daß im Fall des Todes des Mieters das Mietverhältnis unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen gelöst werden könne, "auch wenn der Vertrag auf bestimmte längere Dauer geschlossen oder eine längere Kündigungsfrist darin vereinbart worden ist"; diesen Entscheidungen sei aber nicht zu entnehmen, daß unter den vom Gesetz genannten "gesetzlichen Kündigungsfristen" nur solche zu verstehen wären, die kürzer als die vereinbarten Fristen sind. Diese Ansicht finde in § 1116 a, letzter Satz, ABGB keine Deckung. Auch nach dem Zweck der Bestimmung könne nicht gesagt werden, daß es stets im Interesse beider Vertragsteile läge, nur längere vertragliche Fristen durch die kürzeren gesetzlichen zu ersetzen. Gerade der vorliegende Fall mache klar, daß es sehr wohl auch im Interesse des gekündigten Rechtsnachfolgers des verstorbenen Mieters sein könne, daß ihm gegenüber die gesetzliche und nicht die vertraglich vereinbarte kürzere Kündigungsfrist einzuhalten ist. Auf die - nur für die Beurteilung des geltend gemachten Kündigungsgrundes erhebliche - Mängel- und Beweisrüge brauche demnach nicht eingegangen zu werden.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur neuerlichen Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.

Die Beklagte beantragt, die Revision als unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil - soweit überblickbar - in der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes bisher nur solche Fälle behandelt worden sind, bei denen eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist vereinbart worden war; die Revision ist aber nicht berechtigt.

Nach § 1116 a ABGB - welchem durch die Vorschriften des MRG, insbesondere seines § 14 Abs 1, nicht derogiert worden ist (MietSlg 38.197/19) - wird der Bestandvertrag durch den Tod eines der vertragschließenden Teile nicht aufgehoben (Satz 1); Wohnungsmieten können jedoch, wenn der Mieter stirbt, ohne Rücksicht auf die vereinbarte Dauer sowohl von den Erben des Mieters als auch vom Vermieter unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gelöst werden (Satz 2). Diese Bestimmung wurde dem ABGB durch die 3.Teilnovelle (RGBl 1916/69) eingefügt. Der erste Satz des § 1116 a ABGB hat die Rechtslage nicht verändert (Klang in Klang2 V 115). Die Regelung des zweiten Satzes wurde aus der Erwägung getroffen, es sei eine "übermäßige Strenge" des ABGB, daß der Erbe des Bestandnehmers ohne jede Einschränkung an den Bestandvertrag gebunden bleibe; vielmehr sei es ein durchaus billiges Verlangen, auch das persönliche Element des Bestandverhältnisses zu beachten, insbesondere die oft tiefgehende Veränderung in den wirtschaftlichen Verhältnissen, welche der Tod des Familienoberhauptes als Mieters mit sich bringe. Die Gerechtigkeit verlange hier, daß auch der Bestandgeber nicht genötigt bleibe, das Vertragsverhältnis mit den Erben fortzusetzen, wie denn auch neuere Gesetze (Art 270 schwOR; § 569 dBGB) beim Tod des Bestandnehmers beiden Teilen das Recht zur Lösung des Vertrages zubilligten. Die Miete solle demnach, wenngleich früher vertragsmäßig auf längere Zeit gestellt, durch den Tod des Mieters zu einer Miete "auf unbestimmte Dauer" im Sinne des § 1116 ABGB, in den gesetzlichen Terminen und Fristen kündbar werden (HHB zu § 212 des Entwurfes). In SZ 28/217 - wo die beklagte Partei als Erbin nach dem verstorbenen Mieter der Kündigung entgegengehalten hatte, daß der Mietvertrag auf fünf Jahre unkündbar geschlossen worden sei - hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, daß sich der Gesetzgeber der 3. Teilnovelle im Hinblick auf die besondere Bedeutung des persönlichen Vertrauens der Mietvertragsparteien zueinander veranlaßt gesehen habe, "nach dem Vorbild des § 569 dBGB die Vorschrift des § 1116 a ABGB zu schaffen, nach welcher Wohnungsmieten beim Tod des Mieters von beiden Teilen unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gelöst werden können, auch wenn der Vertrag auf bestimmte längere Dauer geschlossen oder eine längere Kündigungsfrist darin vereinbart worden ist". § 1116 a ABGB wolle verhindern, daß ein auf bestimmte Zeit abgeschlossener Mietvertrag beim Tod des Mieters als dauernde Last wirksam wird, und wandle ihn daher in einen solchen auf unbestimmte Zeit um, indem er ihn als mit gesetzlicher Frist kündbar erkläre.

Vorher hatte bereits Klang (in Klang2 V 116) ausgeführt, daß die Wohnungsmiete beim Tod des Mieters von beiden Teilen mit gesetzlicher Frist gekündigt werden könne, "wenn auch der Vertrag auf bestimmte längere Dauer abgeschlossen oder eine längere Kündigungsfrist darin vereinbart ist". In MietSlg 15.106/6 erkannte der Oberste Gerichtshof, daß ein Mietvertrag über eine Wohnung nach dem Tod des Mieters ohne Rücksicht auf die vereinbarte - vierteljährliche - Kündigungsfrist unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist des § 560 Abs 1 Z 2 lit d ZPO (ein Monat) aufgekündigt werden könne. Gerade nach dem Tod des Mieters könne es auch im besonderen Interesse des ruhenden Nachlasses oder der Erben des Mieters gelegen sein, den Bestandvertrag möglichst rasch aufzulösen und nicht noch durch längere Zeit den Bestandzins zahlen zu müssen. Daher bestünden nicht die geringsten Bedenken gegen die Anwendung des § 1116 a ABGB auch (und gerade) dann, wenn mit dem verstorbenen Mieter eine andere als die gesetzliche Kündigungsfrist vereinbart war. Im gleichen Sinn ist auch die Entscheidung MietSlg 15.106/7 ergangen. Würth führt in Rummel, ABGB2 Rz 5 zu § 1116 a ABGB aus, daß (nur) beim Tod des Wohnungsmieters jedem Teil ein besonderes Kündigungsrecht ohne Rücksicht auf entgegenstehende Vereinbarungen zustehe; er äußert sich aber in diesem Zusammenhang nicht zu der Frage, ob nur längere oder auch kürzere vertragliche Fristen durch die gesetzlichen Fristen ersetzt werden. Zu § 1116 ABGB (aaO Rz 23) führt Würth allerdings aus, daß Kündigungen aus besonderem Anlaß ohne Rücksicht auf die vereinbarte (längere) Kündigungsfrist unter Einhaltung der gesetzlichen (oder kürzeren vertraglichen) Frist für wirksam erklärt werden könnten.

§ 569 BGB spricht - wie § 1116 a ABGB - auch nur von der Kündigung "unter Einhaltung der gesetzlichen Frist", ohne zwischen der Vereinbarung längerer oder kürzerer Fristen zu unterscheiden. Gleichwohl vertritt Voelskow im Münchener Kommentar (Rz 2 zu § 569 BGB) - ohne dies durch Hinweise auf Rechtsprechung oder andere Lehrmeinungen zu belegen - die Ansicht, diese Bestimmung habe "somit Bedeutung, wenn ein Mietverhältnis auf bestimmte Zeit vorliegt oder wenn auf Grund Vereinbarung ... eine längere als die gesetzliche Kündigungsfrist gilt". In gleichem Sinne äußert sich auch Schopp in Erman, Handkommentar zum BGB (Rz 3 zu § 569). Andere Kommentatoren verweisen hingegen lediglich auf die "gesetzlichen Fristen", ohne die Auswirkung des § 569 BGB auf vereinbarte längere oder kürzere Fristen zu behandeln, geschweige denn, zwischen diesen beiden Fallgruppen zu unterscheiden (Gelhaar im RGRKomm z BGB12, Rz 7; Sonnenschein in Staudinger12, Rz 17; Kummer in Soergel, Rz 8, je zu § 569). Im Berner Kommentar zu Art 270 des schweizerischen OR - welcher gleichfalls nach dem Tod des Mieters die Kündigung "unter Beobachtung der gesetzlichen Fristen" vorsieht - wird das Verhältnis zu den vertraglichen Fristen nicht behandelt.

Die Klägerin meint nun unter Berufung auf SZ 28/217, Würth in Rummel, ABGB2, Rz 23 zu § 1116, und eine (der Aktenzahl nach unrichtig zitierte) Entscheidung des Obersten Gerichtshofes vom 5. April 1988, welche eine Aufkündigung aus besonderem Anlaß unter Einhaltung der gesetzlichen (oder kürzeren vertraglichen) Frist zulasse, daß es der ratio des § 1116 a ABGB und der sich darauf stützenden Entscheidungen entspreche, beim Tod eines der Vertragsteile eines Bestandvertrages die vereinbarte Kündigungsfrist zu verkürzen, nicht aber sie zu verlängern. Dem kann nicht gefolgt werden:

Der Wortlaut des § 1116 a Satz 2 ABGB stellt nur auf die "gesetzliche Frist" ab, ohne zu unterscheiden, ob die vertragliche Frist länger oder kürzer als die gesetzliche ist. Eine "teleologische Reduktion" (Bydlinski in Rummel, ABGB2, Rz 7 zu § 7 mwN) des § 1116 a Satz 2 ABGB in der Richtung, daß die gesetzlichen Fristen nur an die Stelle längerer, nicht aber auch an die Stelle kürzerer vertraglicher Fristen treten, wäre aber nur dann gerechtfertigt, wenn eine nach dem offenbaren Gesetzeszweck notwendige Ausnahme fehlte. Diese Voraussetzung ist aber hier nicht zu erkennen: Weder aus den Erläuterungen des historischen Gesetzgebers (Bydlinski aaO Rz 19 zu § 6) noch der objektiv erkennbare Zweck der Bestimmung (Bydlinski aaO Rz 20) lassen erkennen, daß der Gesetzgeber mit § 1116 a Satz 2 ABGB nur die Auflösung des Bestandvertrages beschleunigen, also gegebenenfalls die vereinbarten Kündigungsfristen verkürzen wollte. Aus den Materialien ergibt sich vielmehr, daß der Gesetzgeber die Interessen beider Vertragsteile im Auge hatte. Im Interesse eines Mieters - und nicht nur eines solchen, der ein Eintrittsrecht nach § 14 Abs 3 MRG behauptet - kann es aber durchaus liegen, daß die gesetzliche Kündigungsfrist auch an die Stelle einer kürzeren vertraglichen Frist treten soll, kann es doch im Einzelfall schwierig sein, innerhalb einer allzu kurz bemessenen Frist die Wohnung des Erblassers aufzulösen und die erforderlichen Verfügungen über die dort zurückgebliebenen Sachen zu treffen.

Daß der Gesetzgeber mit § 1116 a Satz 2 ABGB ganz bewußt auch kürzere vertragliche Fristen für unbeachtlich erklären wollte, zeigt im übrigen ein Vergleich mit anderen Bestimmungen:

Schon in der ursprünglichen Fassung aus dem Jahre 1914 (RGBl 337) hatte § 23 Abs 1 KO angeordnet, daß dann, wenn der Gemeinschuldner eine Sache in Bestand genommen hatte, der Masseverwalter oder der Bestandgeber ... den Vertrag unter Einhaltung der gesetzlichen oder der vereinbarten kürzeren Kündigungsfrist kündigen könnten (ebenso § 20 c Abs 2 AO idF der Novelle 1934 BGBl II 178.) Hat aber der Gesetzgeber der 3. Teilnovelle bereits im Jahr 1916 in § 1116 a ABGB nur noch von der Einhaltung der gesetzlichen Fristen gesprochen, dann kann ihm nicht unterstellt werden, daß er an den Fall der Vereinbarung kürzerer Fristen nicht gedacht habe.

Der Oberste Gerichtshof hat zwar in einigen

Entscheidungen - offenbar den Ausführungen Klangs folgend - (nur) ausgesprochen, daß eine vereinbarte längere Kündigungsfrist im Fall des § 1118 a ABGB nicht zu beachten sei; daß aber eine vereinbarte kürzere Frist sehr wohl zu gelten habe, hat er damit - zumal ein solcher Fall nicht zu behandeln war - nicht zum Ausdruck gebracht. Soweit Würth (aaO Rz 23 zu § 1116) und die in der Revision erwähnte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes eine vereinbarte kürzere Frist für Aufkündigungen aus besonderem Anlaß für beachtlich erklären, steht das zu der hier vertretenen Auffassung nicht im Widerspruch. Kündigungen aus besonderem Anlaß (also aus wichtigen Gründen) sollen möglichst rasch wirksam werden; auf eine allenfalls vereinbarte Vertragsdauer oder längere Kündigungsfrist braucht daher nicht Bedacht genommen zu werden. Umso weniger besteht aber in einem solchen Fall Anlaß, anstelle der vereinbarten kürzeren die längere gesetzliche Frist zur Kündigung anzuwenden. Die Interessenlage ist daher mit jener des § 1116 a ABGB nicht zu vergleichen.

Diese Erwägungen führen zur Bestätigung des angefochtenen Urteils.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 41, 50 ZPO.

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