Spruch:
Auch ein unter Kündigungsverzicht abgeschlossener Mietvertrag unterliegt im Falle des Todes des Mieters der Kundbarkeit nach § 1116a Satz 2 ABGB.
Den Vertragspartnern steht es frei, die Anwendung des § 1116a ABGB. auszuschließen oder inhaltlich abzuändern.
Entscheidung vom 5. Oktober 1955, 7 Ob 425/55.
I. Instanz: Bezirksgericht für Zivilrechtssachen Graz; II. Instanz:
Landesgericht für Zivilrechtssachen Graz.
Text
Die Klägerin hat als Hälfteeigentümerin und Fruchtnießerin hinsichtlich der anderen Haushälfte die dem verstorbenen Alois K. möbliert vermieten beiden Räume der Hausherrenwohnung unter anderem aus dem Kündigungsgrund des § 1116a ABGB. in Verbindung mit § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. (Tod des Mieters ohne eintrittsberechtigte Erben oder Personen) aufgekundigt.
Das Erstgericht erkannte die Aufkündigung für rechtswirksam. Es nahm mangels eines entsprechenden Naheverhältnisses ein Haupt- und nicht ein Untermietverhältnis an und erklärte daher den Kündigungsgrund nach § 19 Abs. 2 Z. 12 MietG. für nicht gegeben. Hingegen sah es den gesetzlichen Kündigungsgrund nach § 1116a Satz 2 ABGB. für gegeben an, da keine nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG. eintrittsberechtigten Erben vorhanden seien. Selbst wenn nach den Behauptungen der beklagten Partei infolge der Mietzinsvorauszahlung von 24.000 S für die Dauer von fünf Jahren ein unkundbares Mietverhältnis anzunehmen wäre und Alois K. erst nach Ablauf der fünf Jahre eine einmonatige Kündigungsfrist für den Fall des Eigenbedarfes oder Hausverkaufes anerkannt hätte, sei für die beklagte Partei nichts gewonnen, da auch in diesem Fall gemäß § 1116a ABGB. innerhalb der gesetzlichen Kündigungsfrist und nicht nach einer vereinbarten Kündigungsfrist aufgekundigt werden könne. Im Bestandverfahren sei außerdem nicht zu entscheiden, ob und welcher Betrag der nicht verbrauchten Mietzinsvorauszahlung rückzuerstatten sei.
Dieses Urteil hob das Berufungsgericht infolge Berufung der beklagten Partei auf. Es verwies die Rechtssache zur Fortsetzung der Verhandlung und neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Die beklagte Partei habe nicht einen einfachen, sondern einen qualifizierten Bestandvertrag, nämlich einen auf unbestimmte Zeit geschlossenen Vertrag mit fünfjähriger Unkundbarkeit (Verzicht auf das Kündigungsrecht) und nach dieser Zeit mit nur beschränkter Kundbarkeit, behauptet. Eine derartige Vereinbarung sei zulässig und ermögliche zunächst während der ersten fünf Jahre nur eine Auflösung des Bestandverhältnisses nach § 1118 ABGB. (MietSlg. 11.803). Wesentlich sei die Frage, ob eine vereinbarte Unkundbarkeit im Falle des Todes des Mieters dem Vermieter die Kündigung nach § 1116a ABGB. erlaube. § 1116a Satz 2 ABGB. lasse eine von der gesetzlichen Regel abweichende Sondervereinbarung der Vertragsteile offen. Der vereinbarte Kündigungsverzicht stelle einen Vermögenswert dar. Der Erbe übernehme vom Erblasser alle Aktiven und Passiven, also könne der Erbe des Mieters auch die von diesem vereinbarte Unkundbarkeit seines Bestandvertrages für sich in Anspruch nehmen, gerade so wie er einen vom Mieter zu dessen Lebzeiten geschlossenen Räumungsvergleich gegen sich gelten lassen müsse. Dieser Grundsatz könne aber nur dann gelten, wenn die vereinbarte Unkundbarkeit nach dem Willen der Vertragspartner nicht auf die Lebenszeit des Mieters beschränkt sein sollte bzw. nicht in den persönlichen Verhältnissen und dem persönlichen Nahverhältnis der Vertragspartner, wie es ein Bestandverhältnis in der Regel mit sich zu bringen pflege, begrundet sei. In einem solchen Falle könnte die vereinbarte Unkundbarkeit nur für den verstorbenen Mieter verstanden werden, gerade so wie der Gesetzgeber die Kündigungsmöglichkeit nach § 1116a ABGB. nach dem Tode des Mieters dem Vermieter vor allem deshalb eingeräumt wissen wollte, weil dem Vermieter nicht zugemutet werden solle, nach dem Tode des Mieters, außer mit geschützten Personen nach § 19 Abs. 2 Z. 11 MietG., mit jedem beliebigen Erben das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Zufolge des in der Regel bei Wohnungsmieten bestehenden Nahverhältnisses solle eben ein Vermieter gemäß § 1116a ABGB. nach dem Tode des Mieters kundigen können, wobei § 1116a ABGB. nur eine auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geschlossenen Mietvertrag über Wohnräume erwähne, während Verträge, in denen ein Kündigungsverzicht vorgesehen ist, von dieser Gesetzesstelle nicht erfaßt würden. Von dieser Rechtsansicht ausgehend meinte das Berufungsgericht, daß ein Feststellungsmangel vorliege, weil der Inhalt des zwischen der Klägerin und Alois K. abgeschlossenen Mietvertrages nicht festgehalten worden sei. Erst nach dessen Feststellung und nach Feststellung des Verhaltens der klagenden Partei selbst und der äußeren maßgeblichen Umstände werde gesagt werden können, ob die behauptete vereinbarte fünfjährige Unkundbarkeit und die sonach nur beschränkte Kundbarkeit des Mietvertrages als Vermögenswert auf die Erben übergegangen oder mit dem Tode des Alois K. erloschen sei und einer Kündigungsmöglichkeit nach § 1116a ABGB. nicht mehr erfolgreich entgegengesetzt werden könne. In diesem Zusammenhang werde zur Beurteilung, ob die Unkundbarkeit nur für den verstorbenen Mieter gelten sollte oder als Vermögenswert auf die Erben übergegangen sei, allenfalls das Vorbringen der Klägerin in der Kündigung beachtlich sein, wonach sie als Grund für die seinerzeitige Vermietung der Räume an Alois K. angegeben habe, daß sie sich in Wien eine Wohnung beschaffen wollte, wobei ihr in der Folge dieses Vorhaben mißlungen sei, so daß sie wieder genötigt wäre, in ihrer Hausherrenwohnung in Graz, somit auch in den aufgekundigten Räumen, zu wohnen.
Der Oberste Gerichtshof gab dem Rekurs der Klägerin Folge, hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf und beauftragte dieses, über die Berufung der beklagten Partei neuerlich zu entscheiden.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Mietverträge beruhen auf dem persönlichen Vertrauen der Kontrahenten zueinander. Der Tod des Mieters ist ein Ereignis, das eine durchgreifende Änderung in den persönlichen Verhältnissen der Parteien hervorruft und oft genug auch eine einschneidende Veränderung der wirtschaftlichen Verhältnisse zur Folge hat. Das hat den Gesetzgeber der dritten Teilnovelle veranlaßt, nach dem Vorbild des § 569 DBGB. die Vorschrift des § 1116a ABGB. zu schaffen, nach welcher Wohnungsmieten beim Tode des Mieters von beiden Teilen unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist gelöst werden können, auch wenn der Vertrag auf bestimmte längere Dauer geschlossen oder eine längere Kündigungsfrist darin vereinbart worden ist. § 1116a ABGB. will verhindern, daß ein auf bestimmte Zeit abgeschlossener Mietvertrag beim Tode des Mieters als dauernde Last wirksam wird, und wandelt ihn daher in einen solchen auf unbestimmte Zeit um, indem er ihn als mit gesetzlicher Frist kundbar erklärt. Die Annahme, daß unter Kündigungsverzicht abgeschlossene Mietverträge nicht durch § 1116a ABGB. erfaßt werden sollten und daher besser geschützt seien als Mietverträge, die ausdrücklich auf eine bestimmte Zeitdauer abgeschlossen wurden, findet weder in dem Wortlaut noch in der Entstehungsgeschichte dieser Gesetzesbestimmung eine Stütze.
Es ist richtig, daß § 1116a Satz 2 ABGB. nachgiebiges Recht enthält. Es steht daher den den Mietvertrag abschließenden Parteien frei, die Anwendung dieser Vorschrift entweder ganz auszuschließen oder inhaltlich abzuändern. Wird bedacht, daß dem Recht der Erben des Mieters, einen von ihnen als Last empfundenen Mietvertrag aufzulösen, auf der anderen Seite das Recht des Vermieters entspricht, auch von einem Mietvertrag, an dem die Erben gerne festhielten, abzugehen, dann ergibt sich daraus die zwingende Forderung, daß ein Verzicht auf das gesetzliche Kündigungsrecht nach § 1116a ABGB. unzweideutig erklärt sein muß. In dem vertragsmäßig bedungenen Verzicht auf das Kündigungsrecht kommt zweifelsfrei nur zum Ausdruck, daß sich die beiden Vertragspartner des beiderseitigen Kündigungsrechtes auf die im Vertrag bestimmte Dauer begeben haben. Eine solche Vereinbarung kann aber nicht dahin aufgefaßt werden, daß hiedurch auch das Kündigungsrecht nach § 1116a ABGB. ausgeschlossen und die Erben des Mieters an den Vertrag gebunden sein sollten. Wäre dies in der Absicht der Parteien gelegen, so hätte dies durch eine unmißverständliche Willenskundgebung der Parteien im Mietvertrag ausgedrückt werden müssen.
Daß der im vorliegenden Fall zwischen der Klägerin und Alois K. abgeschlossene Mietvertrag eine solche unzweideutige, das Recht nach § 1116a Satz 2 ABGB. ausdrücklich ausschließende Bestimmung enthielte, wurde von der beklagten Partei nicht behauptet. Sie hat lediglich vorgebracht, daß ein unkundbares Mietverhältnis für die Dauer von fünf Jahren vereinbart und erst nach Ablauf der fünf Jahre eine beschränkte Kündigungsmöglichkeit vorgesehen worden sei, und schließlich, daß Alois K. eine Zinsvorauszahlung für fünf Jahre geleistet habe. Dieses Vorbringen rechtfertigt nach dem eben Gesagten aber keinesfalls den Schluß, daß auf die Anwendung der Vorschrift des § 1116a Satz 2 ABGB. verzichtet wurde. Es bedarf daher entgegen der Meinung des Berufungsgerichtes keiner näheren Erforschung des Vertragsinhaltes.
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