OGH 1Ob689/90

OGH1Ob689/9019.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Werner D***, Kaufmann, Wien 13, Versorgungsheimstraße 4, 2. Edith L***, Angestellte, Wien 13, Stadlergasse 4, beide vertreten durch Dr. Johann Fontanesi, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Martha R***-T***, Private, Altaussee, Puchen Nr. 73, vertreten durch Dr. Friedrich Frühwald, Rechtsanwalt in Wien, wegen S 250.000,- sA infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgerichtes vom 14. März 1990, GZ 48 R 8/90-52, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Hietzing vom 11. September 1989, GZ 6 C 19/88d-46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung

Die Beklagte ist Eigentümerin der Liegenschaft EZ 1570 KG Ober St. Veit, die Zweitklägerin Eigentümerin der benachbarten Liegenschaft EZ 3331 KG Ober St. Veit. Mit pflegschaftsbehördlich genehmigtem Mietvertrag vom 16. 3. 1970 vermietete die damals beschränkt entmündigt gewesene Beklagte an die Eltern der Kläger Teile ihrer Liegenschaft bis zum 31. 12. 1989. Sie verpflichtete sich, im Falle des Verkaufes auch nur von Teilen der Liegenschaft, den Eltern der Kläger diese zu denselben Vertragsbedingungen zum Verkauf anzubieten.

Im Jahre 1983 kam es aus mehreren Gründen zu Differenzen zwischen den Streitteilen. Um diese zu bereinigen, richtete der damalige Vertreter der Kläger RA Dr. Peter S*** am 4. 5. 1983 an den Vertreter der nunmehr voll geschäftsfähigen Beklagten RA Dr. Hartmut M*** ein schriftliches Anbot, nach dem unter gewissen Einschränkungen die Liegenschaft EZ 1570 KG Ober St. Veit hätte verbaut werden dürfen, die Kläger aber als Entschädigung für die Aufgabe von Mitmietrechten und zur Abgeltung aller Nachteile aus der Verbauung, insbesondere der sich dadurch ergebenden Wertminderung des Grundstückes der Zweitklägerin, den Betrag von S 250.000,-

erhalten sollten. Punkt 8 dieses Anbotes lautet: "Die gegenständliche Vereinbarung wird rechtswirksam, wenn die vorbehaltslose Annahmeerklärung durch Frau Martha R***-T*** und der R*** GmbH bis längstens 16. 5. 1983 bei mir einlangt und darüber hinaus binnen 14 Tagen der Betrag von S 250.000,- zu meinen Handen bezahlt und das einzutragende Servitut grundbücherlich erstrangig eingetragen ist." Dr. Hartmut M*** antwortete auf dieses Anbot mit Schreiben vom 11. 5. 1983. Er hielt fest, daß er zwar die Beklagte, nicht aber die Firma R*** GmbH, sondern die Firma BAU UND H*** Baumeisterarbeiten Gesellschaft mbH vertrete. Er schlug vor, die in Punkt 8 des Anbotes genannte Frist von 14 Tagen auf zwei Monate zu verlängern. Außerdem müsse die Rechtswirksamkeit der Vereinbarung ua davon abhängig gemacht werden, daß die Baubewilligung im Sinne der Punkte 1 und 2 des Anbotes erteilt werde. Dieses Gegenanbot wurde von Dr. Peter S*** namens der Kläger angenommen. Unbestritten blieb, daß nach dem erklärten Parteiwillen es gleichgültig sein sollte, durch wen die Verbauung erfolgt.

Die Kläger begehren, gestützt auf die Vereinbarung von Mai 1983, den Zuspruch des Betrages von S 250.000,- sA. Die Vereinbarung sei durch die Erteilung der Baugenehmigung bedingt gewesen. Ohne jeden Grund und völlig einseitig sowie ohne Zustimmung der Kläger sei im November 1983 die beantragte Baugenehmigung von der Beklagten und der Firma BAU UND H*** Baumeisterarbeiten Gesellschaft mbH zurückgezogen worden. Damit habe die Beklagte und ihr Bauunternehmen den Eintritt der Bedingung vereitelt und gelte sohin der vereinbarte Vertrag als rechtsgültig im Verhältnis der Streitteile zustandegekommen. Die Beklagte habe im Dezember 1983 die zur Verbauung vorgesehenen Grundstücke an die Firma D*** Bauträgergesellschaft mbH übertragen, dabei aber die zwischen den Streitteilen getroffene Vereinbarung über eine Baubegrenzung und die Zahlung des Ablösebetrages von S 250.000,- verschwiegen. Die Firma D*** weigere sich, den Betrag von S 250.000,- zu bezahlen. Ihr sei in der Zwischenzeit eine Baubewilligung erteilt worden. Die im Vertrag vorgesehene Bedingung für die Zahlung des Betrages von S 250.000,- sei daher eingetreten.

Die Beklagte wendete ein, die Vereinbarung von Mai 1983 sei nie rechtswirksam geworden, weil Voraussetzung ua die Erteilung einer Baubewilligung gewesen sei. Auch sei der Betrag von S 250.000,-

nicht binnen zwei Monaten bezahlt worden.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte fest:

Die damaligen Parteienvertreter hätten die Vereinbarung dahin verstanden, daß die Bezahlung des Betrages von S 250.000,- nicht Bedingung für das Zustandekommen des Vertrages sein sollte. Einzige aufschiebende Bedingung sollte die Erteilung der Baubewilligung sein. Im Rahmen der Beweiswürdigung führte das Erstgericht aus, die Behauptung der Kläger, es sei eine Baubewilligung beantragt und dieser Antrag zurückgezogen worden, sei nicht bestritten worden. Es sei daher davon auszugehen, daß der Antrag aus Willkür zurückgenommen worden sei, jedoch habe dafür kein sachlicher Grund festgestellt werden können. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, es müsse "von unredlicher Vereitelung des Bedingungseintrittes (Zurückziehung des Baubewilligungsantrages ohne sachlichen Grund)" ausgegangen werden.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Die ordentliche Revision erklärte es für nicht zulässig. Es übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes. Durch wen die Baubewilligung zurückgezogen worden sei, sei irrelevant. Auf keinen Fall hätten dies die Kläger veranlaßt. Einzige Bedingung der Wirksamkeit der Vereinbarung sei die Erteilung der Baubewilligung gewesen. Werde der Eintritt einer aufschiebenden Bedingung von einem Vertragsteil wider Treu und Glauben vereitelt, so gelte die Bedingung als eingetreten. In diesem Fall hätten beide Teile das in ihrer Macht Stehende zu unternehmen gehabt, um die behördliche Genehmigung zu erwirken und alles zu unterlassen, was die Erteilung der Genehmigung zu hindern geeignet gewesen sei. Die Beklagte habe es unterlassen, entsprechende Behauptungen, wodurch sie ohne ihr Verschulden an der Erfüllung dieser ihrer vertraglichen Obliegenheit gehindert gewesen wäre, aufzustellen. Zutreffend sei daher schon das Erstgericht davon ausgegangen, daß die Bedingung der Erteilung der Baubewilligung als eingetreten zu gelten habe.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

Unter dem Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs 1 Z 9 ZPO wird allerdings in Wahrheit die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes bekämpft.

Nach dem Spruch 234 = GlUNF 6838 wurde die Fiktion des § 162 Abs 1 BGB ("Wird der Eintritt der Bedingung von der Partei, zu deren Nachteil er gereichen würde, wider Treu und Glauben verhindert, so gilt die Bedingung als eingetreten") auch für den österreichischen Rechtsbereich übernommen. Eine Partei darf demnach auf die Bedingung nicht in einer Weise einwirken, die die andere nach dem Sinn und Zweck des Vertrages redlicherweise nicht erwarten durfte (EvBl 1989/65; 1 Ob 531/84; Knütel in JBl 1976, 619; Rummel2 Rz 7 zu § 897 ABGB). Die Beurteilung, ob der Eintritt der Bedingung zu fingieren ist, stellt sich als ein Sonderfall ergänzender Vertragsauslegung dar (Knütel aaO 616, 619), die an Treu und Glauben sowie an redlicher Verkehrsanschauung orientiert ist (Rummel aaO Rz 17 zu § 914 mwN). Auf dem Boden des zwischen den Parteien abgeschlossenen Vertrages stellt sich damit die Frage, ob die Beklagte den Klägern gegenüber nach dem maßgeblichen wirtschaftlichen Zweck des Vertrages (ImmZ 1990, 90; EvBl 1987/176; JBl 1985, 547 ua) verpflichtet war, überhaupt um eine Baubewilligung anzusuchen, damit die Bedingung für die Bezahlung des Betrages von S 250.000,- erfüllt werde. Eine treuwidrige und vertragswidrige Unterlassung durch die Beklagte, die zur Fiktion des Bedingungseintrittes führte, kann nur dann angenommen werden, wenn eine Rechtspflicht zum Tätigwerden bestanden hat (BGH LM Nr 3 zu § 162 BGB; JW 1927, 657, 658; Soergel-Wolf12 Rz 7 zu § 162 BGB; Dichler in Staudinger12 Rz 5 zu § 162). Nach dem Vertragsinhalt ist der Betrag von S 250.000,- maßgeblich als Abgeltung aller Nachteile aus der beabsichtigten Verbauung einschließlich der sich dadurch ergebenden Wertminderung des Grundstückes der Zweitklägerin zu leisten. Diesem Geschäftszweck entspricht es daher, daß der Betrag nur dann zu bezahlen ist, wenn durch Erteilung einer Baubewilligung die Beeinträchtigung von Rechten und Interessen der Kläger als in naher Zukunft zu befürchten war. Daß die Kläger aber auch dann in den Genuß des nicht unerheblichen Geldbetrages kommen sollten, wenn sich die Beklagte aus welchen Gründen immer entschlossen hätte, mit oder ohne Verkauf von Grundstücken oder Teilen von Grundstücken von einer Verbauung Abstand zu nehmen, läßt sich diesem Vertragszweck nicht entnehmen. In diesem Fall würden die befürchteten und durch den Betrag abzugeltenden wirtschaftlichen Nachteile der Kläger nicht eintreten. Es bestand daher gegenüber den Klägern keine Vertragspflicht der Beklagten, überhaupt ein Ansuchen um Baubewilligung zu erstellen. Die Rückziehung eines solchen Ansuchens von wem immer kann dann aber nicht vertrags- und treuwidrig erfolgt sein. Die Erfüllungsfiktion wurde dadurch nicht ausgelöst. Dies führt aber nicht zur Abweisung des Klagebegehrens. Nach dem unbestritten gebliebenen Sachverhalt war die zwischen den Streitteilen geschlossene Vereinbarung vom Mai 1983 nicht auf die Errichtung eines Baues durch den damaligen Bauinteressenten beschränkt. Die Kläger brachten schon in ihrer Klage vor, der Firma D*** sei die im Vertrag vorgesehene Baubewilligung später ohnedies erteilt worden. Träfe dies zu, wäre die im Vertrag vorgesehene Bedingung für die Bezahlung des Betrages von S 250.000,-

eingetreten. Feststellungen in dieser Richtung wurden von den Vorinstanzen, ausgehend von ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht gebilligten Rechtsansicht nicht getroffen. Dies wird nachzuholen sein.

Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben. Die Rechtssache ist an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.

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