OGH 2Ob638/90

OGH2Ob638/905.12.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei mj. Gebhard P***, geboren am 14.Juli 1970, Pensionist, Bruckwies 1, 5273 Roßbach, vertreten durch Dr. Rudolf Watschinger, Rechtsanwalt in Ried im Innkreis, wider die beklagten Parteien 1) Johann R*** jun., Gärtner, Freiling 16, 4942 Gurten, und

2) V*** DER Ö*** B***

Versicherungs-AG, Praterstraße 1-7, 1020 Wien, beide vertreten durch Dr. Manfred Denkmayr, Rechtsanwalt in Mauerkirchen, wegen S 507.000,-- sA und Feststellung (S 100.000,--), Revisionsstreitwert S 506.500,--, infolge außerordentlicher Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom 12.Juli 1990, GZ 6 R 105/90-28, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis vom 3.Jänner 1990, GZ 3 Cg 137/89-21, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen, die im Umfang der Entscheidung über das Leistungsbegehren bestätigt werden, werden im Umfang des Abspruches über das Feststellungsbegehren dahin abgeändert, daß die Entscheidung in diesem Umfang zu lauten hat:

Es wird festgestellt, daß die beklagten Parteien der klagenden Partei zur ungeteilten Hand im Rahmen der Haftungshöchstbeträge des EKHG in der zur Unfallszeit geltenden Fassung für alle zukünftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 24.8.1987 auf der Oberinnviertler Landesstraße bei Straßenkilometer 18,338 haften.

Das Feststellungsmehrbegehren der klagenden Partei wird abgewiesen.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit S 121.897,76 bestimmten Kosten des Verfahrens in erster Instanz (darin Barauslagen von S 17.528,-- und Umsatzsteuer von S 17.394,96), die mit S 39.301,68 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und des Kostenrekurses (darin Umsatzsteuer von S 6.550,28, keine Barauslagen) und die mit S 21.005,82 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von S 3.500,97, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 24.8.1987 ereignete sich gegen 17,30 Uhr auf der Oberinnviertler Landesstraße bei Straßenkilometer 18,338 (Freilandgebiet) ein Verkehrsunfall, an dem der am 14.7.1970 geborene Kläger (mit Beschluß des Bezirksgerichtes Mauerkirchen vom 16.6.1989, P 34/89-4, wurde seine Minderjährigkeit bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres verlängert) als Radfahrer und der Erstbeklagte als Halter und Lenker des Motorrades mit dem Kennzeichen O-8.440 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer dieses Kraftfahrzeuges. Der mit seinem Fahrrad in Richtung Aspach fahrende Kläger wurde von dem ihn überholenden Motorrad des Erstbeklagten niedergestoßen und schwer verletzt. Beide Fahrzeuge wurden beschädigt. Von der Verfolgung des Klägers wegen dieses Verkehrsunfalles wurde gemäß § 12 Abs 1 JGG abgesehen. Der Erstbeklagte wurde in dem wegen dieses Verkehrsunfalles zu U 163/87 des Bezirksgerichtes Mauerkirchen gegen ihn eingeleiteten Strafverfahren rechtskräftig gemäß § 259 Z 3 StPO freigesprochen.

Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte der Kläger aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 507.000,-- sA; überdies stellte er ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand, der Zweitbeklagten im Rahmen des Haftpflichtversicherungsvertrages, für alle zukünftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren. Dem Grund nach stützte der Kläger sein Begehren darauf, daß den Erstbeklagten das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe. Er sei beim Überholen des Klägers mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren und habe einen zu geringen Seitenabstand eingehalten; deshalb habe er den Kläger gestreift und niedergestoßen. Das Leistungsbegehren des Klägers umfaßt unter anderem ein von ihm verlangtes Schmerzengeld von S 500.000,--. Sein Feststellungsinteresse ist nicht mehr strittig.

Die Beklagten wendeten dem Grund nach im wesentlichen ein, daß das Alleinverschulden an diesem Unfall den Kläger treffe. Der Erstbeklagte sei mit einer Geschwindigkeit von ca. 90 km/h gefahren und habe schon von weitem den unauffällig mit seinem Fahrrad am rechten Fahrbahnrand fahrenden Kläger bemerkt. Er habe so zum Überholen des Klägers angesetzt, daß er beim Überholen einen Seitenabstand von 1,7 m eingehalten hätte. Zu der den Sturz des Klägers auslösenden Streifung sei es deshalb gekommen, weil der Kläger mit seinem Fahrrad plötzlich nach links ausgeschwenkt habe. Das vom Kläger geforderte Schmerzengeld sei überhöht. Schließlich wendeten die Beklagten eine Schadenersatzforderung des Erstbeklagten aus diesem Verkehrsunfall von S 1.000,-- aufrechnungsweise gegen die Klagsforderung ein.

Das Erstgericht entschied, daß die Klagsforderung mit S 406.500,-- zu Recht und mit S 100.500,-- nicht zu Recht besteht und daß die eingewendete Gegenforderung nicht zu Recht besteht. Es verurteilte daher die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von S 406.500,-- sA an den Kläger und wies das auf Zahlung eines weiteren Betrages von S 100.500,-- sA gerichtete Mehrbegehren ab. Dem Feststellungsbegehren des Klägers gab es statt. Das Erstgericht stellte, soweit für die im Revisionsverfahren noch strittigen Fragen von Bedeutung, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Oberinnviertler Landesstraße weist im Unfallsbereich (Freilandgebiet) einen 6 m breiten Rauhasphaltbelag auf und verläuft dort eben und waagrecht. In der Fahrbahnmitte befindet sich eine Leitlinie. Aus Annäherungsrichtung der beiden Beteiligten besteht aus mindestens 500 m Sicht auf die Unfallstelle.

Der Kläger fuhr mit seinem Fahrrad mit einer Geschwindigkeit von ca. 20 km/h in Richtung Aspach, wobei er einen Seitenabstand vom rechten Fahrbahnrand von maximal 1 m einhielt. Ein geringerer Seitenabstand ist nicht feststellbar.

Der Erstbeklagte fuhr mit seinem Motorrad mit einer Geschwindigkeit von ca. 90 bis 100 km/h in der gleichen Richtung. Dabei nahm er den Kläger bereits aus einer Entfernung von ca. 200 m wahr; bei der weiteren Annäherung nahm er kein auffälliges Fehlverhalten des Klägers, wie etwa eine schlingernde Fahrweise oder ein- oder freihändiges Fahren, wahr.

Als sich das Motorrad dem Fahrrad auf eine Entfernung von ca. 100 m genähert hatte, passierte ein aus der Gegenrichtung kommender PKW den Kläger. Vor dem Passieren dieses PKW ließ der Kläger den Lenker seines Fahrrades ganz kurz zum Grüßen des Lenkers des entgegenkommenden PKW durch Handheben aus.

Als dieser entgegenkommende PKW das Motorrad des Erstbeklagten passiert hatte, setzte der Erstbeklagte zum Überholen des Klägers an. Welchen Seitenabstand der Erstbeklagte mit seinem Motorrad bei der Annäherung zum rechten Fahrbahnrand einhielt, ist nicht feststellbar. Als er die Höhe des Kläger erreicht hatte, kam es zu einer Streifung zwischen dem Kläger und dem Motorrad im Bereich des rechten Lenkers, durch die der rechte Rückspiegel des Motorrades gestaucht bzw. verbogen und das Glas des rechten Blinkers beschädigt wurde. Mit welchem Körperteil des Klägers die Beschädigung am Motorrad bzw. der Schlag gegen den rechten Arm des Erstbeklagten im Bereich des Ellbogens verursacht wurde, ist nicht feststellbar. Im Zeitpunkt der Berührung waren die Fahrzeuglängsachsen annähernd fahrbahnparallel. Das Motorrad des Erstbeklagten hatte einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von maximal 3 m; ein geringerer Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand ist nicht auszuschließen. Daß der Kläger das Fahrrad unmittelbar vor der Berührung nach links verlenkte, insbesondere daß er bei einer unmittelbar vor der Streifung durchgeführten Schwenkbewegung einen 1 m übersteigenden Seitenversatz durchführte, ist nicht feststellbar. 2 Sekunden vor der Streifung befand sich der Erstbeklagte bei einer Geschwindigkeitsdifferenz von 80 km/h ca. 45 m vom Fahrrad des Klägers entfernt. Hätte der Erstbeklagte zu diesem Zeitpunkt eine Schwenkbewegung des Klägers nach links wahrgenommen, so hätte er bei einer Fahrgeschwindigkeit von 100 km/h während der letzten 5,5 (richtig 0,5) Sekunden einen Seitenversatz von zumindest 80 cm durchführen können. Der Kläger hielt zum Zeitpunkt der Streifung einen Seitenabstand zum rechten Fahrbahnrand von zumindest 60 cm ein. Ein größerer Seitenabstand ist möglich, jedoch nicht feststellbar.

Sowohl das Motorrad als auch das Fahrrad hatte eine Bedarfsbreite von ca. 80 cm.

Der zur Unfallszeit 17jährige Kläger erlitt bei diesem Unfall ein schweres gedecktes Schädelhirntrauma mindestens II. bis III. Grades, Prellungen im Bereich des linken Augenoberlides und Jochbeines mit Hämatomen und Schwellungen und eine Luxation im linken Ellbogengelenk. Es kam zu frontalen Hirnschädigungen, die links mehr als rechts ausgebildet waren. Es bestand eine rechtsseitige Hemiparese nach einer längeren Bewußtseinsstörung mit organischem Psychosyndrom. Der Kläger befand sich verletzungsbedingt vom 24.8. bis 17.10.1987 stationär im Krankenhaus Braunau und vom 31.5. bis 26.8.1988 und vom 14.3. bis 27.4.1989 im Rehabilitationszentrum Bad Häring.

Der Kläger war bei seiner Einlieferung in das Krankenhaus tief bewußtlos, reagierte aber auf Schmerzreize. Die Ellbogenverrenkung wurde reponiert und mit einer dorsalen Oberarmgipsschiene ruhiggestellt. Nach Erstversorgung und Legen eines Dauerkatheders wurde der Kläger auf die Intensivstation zur Überwachung der klinischen Parameter, zum Monitoring und zur hochkalorischen Infusionstherapie verlegt. Es wurde eine Antibiotikaprophylaxe durchgeführt. Dabei hellte sich die Bewußtseinslage des Klägers nur zögernd auf. Erst am 8. Tag nach der Einlieferung konnte das Monitoring abgebrochen und die Magensonde entfernt werden. Am 26.8.1987 ergab ein craniales Computertomogramm einen Blutungsherd rechts frontal mit begleitendem Ödem. Das Kontroll-Computertomogramm vom 31.8.1987 ergab bifrontale Kontusionsherde von je 1 cm. Am 16.9.1987 waren diese bifrontalen hypodensen Areale nicht mehr sicher differenzierbar; am 7.10.1987 war der Befund unauffällig. Neurologisch bestand jedoch ein schweres organisches Psychosyndrom mit ausgeprägter Sprachstörung. Die Mobilisierung des Klägers erfolgte mittels der Eulenburg-Gehschule. Der Gipsverband am linken Oberarm wurde am 28.9.1987 abgenommen. Auf Drängen der Angehörigen wurde der Kläger am 17.10.1987 aus dem Spital entlassen. Bei der anschließenden ambulanten Behandlung am 11.11.1987 hatte der Kläger kaum Kopfschmerzen und war miningall frei. Es bestand eine Vergeßlichkeit, doch war das Psychosyndrom weitgehend abgeklungen. Der Mutter des Klägers war aufgefallen, daß er die rechte Hand verkrampft hielt. Eine Röntgenkontrolle zeigte keinen auffälligen pathologischen Befund. Es handelte sich wahrscheinlich um eine leichte postkontusionelle Spastizität. Das linke Ellbogengelenk war frei beweglich.

Bei der ambulanten Behandlung am 27.11.1987 wurde der Kläger an den Neurologen Dr. W*** in Ried überwiesen. Der Kläger wirkte damals ataktisch. Der Gang war zeitweilig etwas verunsichert. Auch die Greiffunktion rechts war nach den Angaben der Eltern teilweise verunsichert.

Am 9.12.1987 ist in der Krankengeschichte angeführt, daß der Kläger bei Dr. W*** in Ried zur Vornahme eines EEG war. Es wurde eine ausgedehnte herdförmige Störung über der linken Hemisphäre diagnostiziert. Weiters bestand ein organisches Psychosyndrom mit Störungen der amnestischen Leistungen, mit Antriebsstörungen und rechtsseitigen Halbseitenzeichen im Sinne einer Hemiparese. Weitere Behandlungen erfolgten am 28.1. und 18.2.1988. Dabei bestand weiterhin eine Schwäche der rechten Extremitäten. Der Kläger klagte jedoch nicht mehr über Kopfschmerzen.

Anläßlich der ersten Aufnahme im Rehabilitationszentrum Bad Häring am 31.5.1988 hatte der Kläger subjektiv keine Beschwerden. Er erschien etwas verlangsamt; die Sprache war eher heiser, jedoch gut artikulierbar. Es wurde eine Einzelgymnastik mit Krafttraining, Gehübungen ohne orthopädischen Behelf, Schwimmen, Ergotherapie, Arbeitstherapie und Konzentrations- und Gedächtnistraining durchgeführt und eine Sozialberatung eingeschaltet. Psychologisch wurde ein hochgradiges organisches Psychosyndrom festgestellt, das auf mäßig- bis mittelgradig gebessert werden konnte. Anläßlich der Entlassung gab der Kläger an, daß er das Gefühl habe, daß es vor allem mit dem Merken etwas besser geworden sei. Er fühle sich auch kräftiger und auch die Gehleistung sei besser geworden.

Im EEG wurden links mehr als rechts frontale Hirnschäden festgestellt. Die Intelligenz lag im unteren Normbereich. Die Gedächtnisfunktion zeigte bei unmittelbarem Merken 80 %, die Speicherung 65 %, die Reproduktion von Frischgedächtnisinhalten 75 %. Es wurde eine Störung des Frischgedächtnisses, im Speichervorgang und in der Reproduktionsfähigkeit festgestellt. Der Gedankengang war verlangsamt. Es bestand insgesamt eine Einengung und Umständlichkeit in den Leistungen; teilweise wurden Konfabulationen festgestellt. Das Resultat der Prüfung hinsichtlich Konzentration und Ermüdbarkeit lag weit unter der Norm. Am 14.3.1989 wurde der Kläger neuerlich stationär im Rehabilitationszentrum Bad Häring zum Wiederholungstraining aufgenommen. Er war subjektiv schmerzfrei. Die Ellenverrenkung war ohne Komplikationen abgeheilt.

Es zeigte sich eine Rückbildung des organischen Psychosyndroms, vor allem des Frischgedächtnisses und der sensomotorischen Umstellfähigkeit, sodaß das organische Psychosyndrom mit knapp mäßiggradig quantifiziert wurde. Der Gedankengang war etwas verlangsamt und eingeengt. Anläßlich der Entlassung gab der Kläger an, daß er keine Schmerzen habe, ihn jedoch am meisten sein schlechtes Gedächtnis störe. Weiters gab er Gefühlsstörungen an der rechten Hand und am rechten Unterschenkel an. Ferner gab er an, bei kleinen Bewegungen beeinträchtigt zu sein.

Es bestehen beim Kläger noch rechtsseitige Resthemiparesen im rechten Arm mit Zittern und Kraftminderung und es sind auch Reflexsteigerungen und Spasmen vorhanden. Bezüglich der Arbeitsleistung mit der rechten Hand besteht nach wie vor eine Beeinträchtigung. Dem Kläger ist mit der rechten Hand weder eine Schwerarbeit noch eine besondere Feinarbeit möglich. Es sind auch ataktische bis athetotische ausfahrende Bewegungen vorhanden. Der Kläger ist ungeschickt. Sein Intelligenzquotient ist gut durchschnittlich; er erreichte im Wip-Test einen Intelligenzquotienten von 109 %. Der Kläger zeigt noch Störungen in der Konzentrationsfähigkeit und in der Ermüdbarkeit; allerdings liegen die Werte nur knapp unter dem Durchschnitt. Mit einer leichten Besserung ist noch zu rechnen.

Der Kläger hatte verletzungsbedingt 1 Monat starke Schmerzen, 4 bis 6 Wochen mittelstarke Schmerzen und gerafft etwa ein halbes Jahr leichte Schmerzen.

Spätkomplikationen wie epileptische Anfälle, hirnatrophische Demenz oder sonstige gröbere Störungen sind nicht auszuschließen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß den Erstbeklagten am Zustandekommen des Unfalles entweder dadurch ein Verschulden treffe, daß er infolge Unachtsamkeit während des Überholvorganges bzw. nicht entsprechender Beobachtung des Klägers einen über die bei Fahrradfahrern zu beobachtenden üblichen Schwenkbewegungen hinausgehenden Seitenversatz von mehr als 1 m nicht wahrgenommen und deshalb nicht nach links verlenkt habe oder von vornherein entgegen der Bestimmung des § 15 Abs 4 StVO einen Seitenabstand von weniger als 1 m eingehalten habe, obwohl auf Grund der vom Erstbeklagten eingehaltenen Geschwindigkeit im Sinne des § 15 Abs 4 StVO ein entsprechender Seitenabstand von 1,5 m erforderlich gewesen wäre. Den Erstbeklagten treffe somit in jedem Fall, also auch bei einer zu seinen Gunsten angenommenen Fahrlinie im Bereich der Fahrbahnmitte, ein Verschulden. Der ihm im Sinne des § 9 EKHG obliegende Entlastungsbeweis sei ihm nicht gelungen. Dagegen sei ein Verschulden des Klägers aus den getroffenen Feststellungen nicht ableitbar. Es sei demnach vom Alleinverschulden des Erstbeklagten auszugehen, sodaß die Ansprüche des Klägers dem Grund nach zur Gänze zu Recht bestünden. Das vom Kläger begehrte Schmerzengeld sei der Höhe nach jedoch nur mit S 400.000,-- gerechtfertigt. Diese Entscheidung des Erstgerichtes wurde vom Kläger nur im Kostenpunkt mit Kostenrekurs bekämpft. Die Beklagten bekämpften das Urteil des Erstgerichtes in seinem klagsstattgebenden Teil mit Berufung.

Das Berufungsgericht gab mit dem angefochtenen Urteil der Berufung der Beklagten keine Folge. Dem Kostenrekurs des Klägers gab es teilweise Folge. Es sprach aus, daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 StPO nicht zulässig sei.

Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich und führte rechtlich im wesentlichen aus, es handle sich im vorliegenden Fall nicht um eine Schadensausgleichung nach § 11 Abs 1 EKHG; die Beklagten würden unter anderem auch aus der Halterhaftung des Erstbeklagten (§ 5 EKHG) in Anspruch genommen. Hiebei kämen bezüglich eines allfälligen Mitverschuldens des geschädigten Klägers die Bestimmungen des § 7 EKHG zur Anwendung. Die Ersatzpflicht des Erstbeklagten als Halter des am Unfall beteiligten Motorrades wäre gemäß § 9 Abs 1 EKHG nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht worden wäre. Der Halter habe zu beweisen, daß ein unabwendbares Ereignis vorliege; jede nicht aufklärbare Ungewißheit über wesentliche Einzelheiten des Unfalles gehe zu seinen Lasten. Bei mehreren möglichen Versionen des Unfallgeschehens sei im Zweifel wegen der den Halter treffenden Beweislast von der für den Kläger günstigeren Möglichkeit auszugehen. Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze könne im vorliegenden Fall dem Kläger ein Mitverschulden am Zustandekommen des Unfalles nicht nachgewiesen werden. Daß der Kläger seine Fahrtrichtung plötzlich (durch Linksschwenken) gewechselt habe, sei nämlich ebensowenig erwiesen wie der Umstand, daß er schon ursprünglich gegen das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 2 StVO verstoßen habe. Daß es sich bei dem Unfall um ein für den Erstbeklagten unabwendbares Ereignis gehandelt habe, weil von ihm jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt aufgewendet worden sei, könne nicht gesagt werden. Den Beklagten sei der Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG nicht gelungen. Vielmehr sei ein Verschulden des Erstbeklagten darin zu erblicken, daß er versucht habe, den Kläger mit einem zu geringen Seitenabstand zu überholen oder daß er auf ein Linksschwenken des Klägers verspätet reagiert habe. Das Erstgericht habe daher frei von Rechtsirrtum die Haftung der Beklagten für die Unfallschäden des Klägers bejaht. Auch hinsichtlich der Bemessung des Schmerzengeldes sei dem Erstgericht kein Rechtsirrtum unterlaufen.

Das Schmerzengeld stelle die Genugtuung für alles Ungemach dar, das der Geschädigte infolge seiner Verletzung und ihrer Folgen zu erdulden habe. Es solle den gesamten Komplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, die Schwere der Verletzung und das Maß der physischen und psychischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes abgelten, die durch die Schmerzen entstandenen Unlustgefühle ausgleichen und den Verletzten in die Lage versetzen, sich als Ersatz für die Leiden und anstelle der ihm entzogenen Lebensfreude auf andere Weise gewisse Annehmlichkeiten und Erleichterungen zu verschaffen. Das Schmerzengeld sei daher um so höher zu bemessen, je bedeutender die Körperverletzung, je länger die Dauer der Gesundheitsstörung, je intensiver die mit der Verletzung verbundenen Schmerzen und je empfindlicher die Folgen für das Leben und die Gesundheit des Verletzten seien. Einerseits sei bei der Bemessung des Schmerzengeldes auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, andererseits aber auch zur Vermeidung einer Ungleichmäßigkeit der Rechtsprechung ein objektiver Maßstab abzulegen.

Unter Bedachtnahme auf die festgestellten Umstände des vorliegenden Falles teile das Berufungsgericht die Ansicht des Erstgerichtes, daß ein Betrag von S 400.000,-- ein angemessenes Äquivalent für all das Ungemach darstelle, das der Kläger infolge seiner Verletzungen und Verletzungsfolgen zu erdulden gehabt habe und voraussichtlich zu erdulden haben werde. Das Schmerzengeld sei nicht nach Art eines Tarifes für einzelne Tage oder sonstige Zeiteinheiten auf Grund festgestellter Schmerzperioden zu berechnen, sondern nach einem Gesamtbild zu bemessen. Auch der Zustand der Bewußtlosigkeit schließe einen Schmerzengeldanspruch für die Dauer desselben nicht aus; es sei für den Schmerzengeldanspruch nicht erforderlich, daß der Verletzte seine Schmerzen mit klarem Bewußtsein erlebt und rational verarbeitet habe.

Das Berufungsgericht halte unter Berücksichtigung der speziellen Umstände des vorliegenden Falles, insbesondere der Tatsache, daß der im Unfallszeitpunkt noch nicht ganz 17jährige Kläger durch seine Verletzungen und die damit verbundenen Folgen praktisch aus dem Berufsleben gestoßen worden sei und unter diesen Folgen lebenslänglich zu leiden haben werde, wobei die psychische Komponente als sehr schwerwiegend angesehen werden müsse, das vom Erstgericht mit insgesamt S 400.000,-- zuerkannte Schmerzengeld nicht für überhöht.

Seinen Ausspruch über die Unzulässigkeit der Revision begründete das Berufungsgericht im wesentlichen damit, daß es im vorliegenden Fall um die Fragen der Verschuldensteilung und der Höhe des Schmerzengeldes gehe, die nicht als erhebliche Rechtsfragen im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO anzusehen seien.

Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes richtet sich die außerordentliche Revision der Beklagten. Sie bekämpfen es aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens (wegen Nichtbestandes der Klagsforderung) im Sinne der Abweisung des Klagebegehrens abzuändern; hilfweise stellen sie einen Aufhebungsantrag.

Der Kläger, dem gemäß § 508 a Abs 2 ZPO die Beantwortung der Revision freigestellt wurde, hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO zulässig, weil das Berufungsgericht, wie sich aus den folgenden Rechtsausführungen ergibt, in Wahrheit in der Frage der Beweislastverteilung von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes abgewichen ist; sie ist auch im Ergebnis teilweise berechtigt.

Wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, handelt es sich im vorliegenden Fall nicht um einen nach § 11 Abs 1 EKHG zu beurteilenden Ausgleichsanspruch zwischen Beteiligten, sondern um einen nach § 7 Abs 1 EKHG zu beurteilenden Ersatzanspruch eines unbeteiligten Dritten (siehe dazu MGA EKHG4 § 7 Anm. 1, § 8 Anm. 2 und § 11 Anm. 2).

Auszugehen ist davon, daß nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes beide Streitteile die Behauptungs- und Beweislast für ein die Haftung für die Unfallsfolgen begründendes Verschulden des Gegners trifft; jede in dieser Richtung verbleibende Unklarheit geht zu Lasten dessen, der ein Verschulden des Gegners behauptet. Soweit es sich aber um die Erbringung des Entlastungsbeweises nach § 9 Abs 2 EKHG handelt, trifft die Behauptungs- und Beweislast den Halter und gehen verbliebene Unklarheiten im erhobenen Sachverhaltsbild zu dessen Lasten (ZVR 1984/332 mwN uva).

Berücksichtigt man dies, dann reichen die Feststellungen der Vorinstanzen nicht aus, um dem Kläger oder dem Erstbeklagten ein Verschulden an dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall anzulasten. Wenn die Beklagten in ihrer Revision darzutun versuchen, daß dem Kläger deswegen ein Verschulden anzulasten sei, weil er mit seinem Fahrrad nach links ausgeschwenkt sei und zum rechten Fahrbahnrand einen zu großen Seitenabstand eingehalten habe, ist dem zu entgegnen, daß ersteres von den Vorinstanzen in tatsächlicher Hinsicht nicht festgestellt werden konnte und daß letzteres nach den Feststellungen der Vorinstanzen nicht zutrifft, weil ein im Zeitpunkt des Kontaktes vom Kläger zum rechten Fahrbahnrand eingehaltener Seitenabstand von 60 cm (hier ist im Sinne der dargestellten Beweislastregeln zu Gunsten des Klägers von dem von den Vorinstanzen festgestellten Mindestabstand auszugehen) bei einer Fahrbahnbreite von 6 m auch unter dem Gesichtspunkt des § 7 Abs 2 StVO nicht zu beanständen ist (vgl. ZVR 1989/65 mwN uva). Zuzugeben ist den Revisionsausführungen allerdings, daß die Feststellungen der Vorinstanzen auch für die Annahme eines Verschuldens des Erstbeklagten nicht ausreichen. Ihre Schlußfolgerung, der Erstbeklagte müsse bei seinem Überholmanöver einen zu geringen Seitenabstand eingehalten oder auf einen Linksversatz des Fahrrades zu spät reagiert haben, ist durch die getroffenen Feststellungen nicht gedeckt, nach denen der Unfallshergang keinesfalls in einer diese Schlußfolgerung begründenden Weise geklärt werden konnte. Insbesondere konnte ein größerer Seitenversatz des Fahrrades des Klägers unmittelbar vor der Streifung der beiden Fahrzeuge zwar nicht festgestellt, aber auch nicht ausgeschlossen werden. Unter diesen Umständen ist es aber unter Berücksichtigung der eingangs dargestellten Beweislastregeln auf Grund der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen auch nicht möglich, dem Erstbeklagten eine unfallskausale schuldhafte Verletzung von Verkehrsvorschriften anzulasten.

Damit kann aber noch nicht gesagt werden, daß den Beklagten der ihnen im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG obliegende Entlastungsbeweis gelungen wäre.

Gemäß § 9 Abs 1 EKHG ist die Ersatzpflicht des Halters ausgeschlossen, wenn der Unfall durch ein unabwendbares Ereignis verursacht wurde. Die Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG setzt voraus, daß der Halter und die mit seinem Willen beim Betrieb des Fahrzeuges tätige Person jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet haben. Die Sorgfaltspflicht im Sinne dieser Gesetzesstelle umfaßt nicht die gewöhnliche Verkehrssorgfalt, sondern die äußerste nach den Umständen des Falles mögliche Sorgfalt. Als Maßstab ist die Sorgfalt eines besonders umsichtigen und sachkundigen Kraftfahrers heranzuziehen. Die erhöhte Sorgfaltspflicht im Sinne dieser Gesetzesstelle setzt nicht erst in der Gefahrenlage ein, sondern verlangt, daß auch schon vorher vermieden wird, in eine Situation zu kommen, aus der eine Gefahr entstehen kann. Allerdings darf diese Sorgfaltspflicht auch nicht überspannt werden, soll eine vom Gesetzgeber nicht gewollte Erfolgshaftung vermieden werden (ZVR 1984/332 mwN uva).

Da im vorliegenden Fall auf Grund der Feststellungen der Vorinstanzen in tatsächlicher Hinsicht ungeklärt geblieben ist, ob nicht der Erstbeklagte beim Überholen des Klägers einen ungenügenden Seitenabstand einhielt oder auf ein allfälliges Linksausschwenken des Fahrrades überhaupt nicht oder zu spät reagierte, kann unter Berücksichtigung der eingangs dargestellten Beweislastverteilung keine Rede davon sein, daß die Beklagten den ihnen obliegenden Entlastungsbeweis im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG erbracht hätten. Die Beklagten haben daher für die Unfallsfolgen zwar nicht wegen eines dem Erstbeklagten anzulastenden Verschuldens, wohl aber nach den Bestimmungen des EKHG einzustehen.

Soweit die Beklagten in ihrer Revision allerdings die Angemessenheit des von den Vorinstanzen dem Kläger zugesprochenen Schmerzengeldes bekämpfen und darzutun versuchen, daß dem Kläger nur ein Schmerzengeld von S 210.000,-- gebühre, ist ihnen nicht zu folgen. Die Bemessung des Schmerzengeldes durch die Vorinstanzen ist durchaus zu billigen; in diesem Umfang genügt der Hinweis auf die zutreffende rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes (§ 510 Abs 3 ZPO).

Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im Umfang der Entscheidung über das Leistungsbegehren zu bestätigen; im Umfang des Abspruches über das Feststellungsbegehren waren sie in teilweiser Stattgebung der Revision der Beklagten wie im Spruch ersichtlich abzuändern.

Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz beruht auf § 43 Abs 1 und Abs 2 ZPO, die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens (einschließlich des Verfahrens über den Kostenrekurs des Klägers) und des Revisionsverfahrens auf den §§ 43 Abs 1 und Abs 2, 50 ZPO. Der von den Beklagten im Revisionsverfahren erzielte Erfolg ist als so geringfügig zu werten, daß er weder eine inhaltliche Abänderung der Entscheidung des Berufungsgerichtes über die Kosten des Verfahrens in erster Instanz und die Kosten des Berufungsverfahrens (einschließlich des Verfahrens über den Kostenrekurs des Klägers) noch eine Kürzung der dem Kläger für seine Revisionsbeantwortung zuzusprechenden tarifmäßigen Kosten rechtfertigt (so auch 8 Ob 74/85, teilweise veröffentlicht in ZVR 1987/22).

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