OGH 9ObA270/90

OGH9ObA270/9024.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr.Kuderna als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Gamerith und Dr.Maier sowie die fachkundigen Laienrichter Dr.Elmar Peterlunger und Walter Benesch als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag.Ferdinand E***, ÖBB-Beamter, Wien 2.,

Afrikanergasse 7/1/12, vertreten durch Dr.Axel Friedberg, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Ö*** B***, Wien 1., Elisabethstraße 9, vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen Unwirksamerklärung eines Disziplinarerkenntnisses (Streitwert S 31.000), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 30.Mai 1990, GZ 34 Ra 62/89-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 17.November 1988, GZ 4 Cga 1939/87-14, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird aufgehoben und dem Berufungsgericht eine neuerliche Entscheidung über die Berufung der klagenden Partei aufgetragen.

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

Text

Begründung

Der am 27.Oktober 1942 geborene Kläger trat im Jahre 1957 in die Dienste der Beklagten. Über sein Ansuchen vom 20.Februar 1966 auf Verleihung eines Dienstpostens wurde er mit Schreiben vom 15. Dezember 1966 mit Wirkung vom 1.Juli 1966 definitiv als Beamter der Ö*** B*** angestellt und ihm der Diensttitel "Bundesbahn-Adjunkt" zuerkannt. In diesem Schreiben wurde ihm weiters zur Kenntnis gebracht, "daß auf sein Dienstverhältnis die Dienstordnung (Dienstpragmatik, Erlaß des k.k.Eisenbahnministeriums vom 7.April 1898, Z 16.366) in ihrer letzten Fassung sowie die sonstigen für die Beamten der Ö*** B*** jeweils

geltenden Bestimmungen Anwendung finden". Auf einem weiteren Schreiben der Beklagten vom 15.Dezember 1966 nahm der Kläger zur Kenntnis, daß er im Stellenplan der Ö*** B***

als Verkehrsbeamter V geführt werde und bestätigte die Übernahme des Anstellungsschreibens vom selben Tag. Mit Wirksamkeit vom 1.Jänner 1977 wurde der Kläger gemäß § 21 der BBO 1963, BGBlNr 170, mit dem Dienstposten eines Chefprogrammierers bei der Generaldirektion, Stabstelle Informatik und Kybernetik, mit dem Diensttitel Bundesbahn-Oberrevident betraut.

Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger das Erkenntnis der Disziplinaroberkammer der Beklagten vom 15.September 1987, DisOK 1-14-1987, für rechtsunwirksam zu erklären, in eventu, die darin verhängte Strafe herabzusetzen. Die Disziplinaroberkammer habe ihm nach einem sehr mangelhaften Verfahren zu Unrecht angelastet, durch die Erstattung einer Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft Wien und Übermittlung von Kopien an das Bundeskanzleramt, die Parteileitungen der ÖVP, FPÖ und der Fraktion der Grünen sowie an die Austria Presseagentur (APA) gegen die Bestimmungen des § 26 DO (Verschwiegenheit) und des § 18 DO (Allgemeine Pflichten) verstoßen zu haben.

Abgesehen davon sei die mit einerseitiger Dienstanweisung vom 20. Oktober 1979 in Geltung gesetzte Disziplinarordnung der Beklagten auf sein Dienstverhältnis gar nicht anwendbar. Das Schreiben der Beklagten vom 15.Dezember 1966, in dem ihm seine Definitivstellung mitgeteilt worden sei, enthalte keinen Hinweis auf die erst später erlassene Disziplinarordnung. Eine Generalunterwerfung unter sämtliche, vom Vorstand einseitig erlassenen Bestimmungen sei im Hinblick auf das krasse Mißverhältnis in der Berechtigung der Parteien als sittenwidrig rechtsunwirksam. Der Kläger habe der im Schreiben vom 15.Dezember 1966 enthaltenen Verweisung auf die jeweiligen Bestimmungen des Dienstrechts nie zugestimmt; soweit diese Verweisung als ein Vertragsformblatt anzusehen sei, verstoße sie gegen die §§ 864 a und 879 Abs 3 ABGB.

Die Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe die Anwendung der einschlägigen Dienstrechtsnormen nicht nur anläßlich seiner Anstellung ausdrücklich anerkannt, sondern sich während seines gesamten bisherigen Dienstverhältnisses diesen Normen unterworfen und sich in seinen zahlreichen Eingaben jeweils auf diese Normen bezogen. Er habe sich im Sinne des § 26 DO sohin auch zur Verschwiegenheit verpflichtet. Dennoch habe er ein von ihm als "Sachverhaltsdarstellung" bezeichnetes Schreiben an die Parteizentralen der ÖVP, FPÖ und der Grünen sowie an die APA weitergeleitet. Dieses Schreiben enthalte zahlreiche Angaben und fälschliche Beschuldigungen über dienstliche Angelegenheiten sowie betriebsinterne Vorgänge. Wegen dieser vorsätzlichen Pflichtenverletzung sei er nach einem ordnungsgemäß geführten Disziplinarverfahren mit einer Geldstrafe in Höhe eines Monatsgehalts noch sehr milde bestraft worden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es traf über die Sachverhaltsdarstellungen des Klägers und das abgeführte Disziplinarverfahren umfangreiche Feststellungen, die noch nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens sind, und vertrat die Rechtsauffassung, daß das Disziplinarverfahren ordnungsgemäß durchgeführt worden sei und der Kläger, da er interne Kenntnisse an die Öffentlichkeit gebracht habe, auch zu Recht angemessen bestraft worden sei. Die als Vertragsschablonen anzusehenden dienstrechtlichen Regelungen der Beklagten seien Bestandteil des Einzeldienstvertrages des Klägers geworden. Dieser unterliege daher sowohl der Dienstordnung der Beklagten als auch deren Disziplinarordnung.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, daß es dem Klagebegehren stattgab und aussprach, daß der Wert des Streitgegenstandes S 50.000 übersteige. Es vertrat im wesentlichen die Rechtsauffassung, daß das Schreiben der Beklagten vom 15. Dezember 1966 inhaltlich als Annahme des Antrags des Klägers vom 20. Februar 1966 auf Dienstpostenverleihung und Anstellung anzusehen sei. Der in diesem Schreiben enthaltenen (dynamischen) Verweisung auf die "sonstigen für die Beamten der Ö*** B***

geltenden Bestimmungen" sei nicht zu entnehmen, welche Bestimmungen konkret zur Anwendung kommen sollten. Der Kläger habe zwar den Erhalt des Schreibens bestätigt, dieses aber nicht unterfertigt. Selbst wenn man dieses Schreiben als Grundlage des Einzeldienstvertrages ansehen wollte, könnte sohin nur die ausdrücklich angeführte Dienstordnung, nicht aber die später einseitig eingeführte Disziplinarordnung Vertragsbestandteil geworden sein. Andererseits sei die Unterwerfung unter eine Disziplinarordnung im privatrechtlichen Bereich eine derartig bedeutsame Maßnahme, daß sie in eindeutiger Form erfolgen und vereinbart sein müsse. Da sich die Beklagte hinsichtlich der vom Kläger bekämpften Maßnahme weder auf Gesetz, Kollektivvertrag, Betriebsvereinbarung noch auf den Dienstvertrag berufen könne, sei die verhängte Disziplinarstrafe unwirksam und zu beseitigen. Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision der Beklagten mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im Sinne der Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes abzuändern. Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Sinne eines vom Abänderungsantrag umfaßten Aufhebungsantrags berechtigt.

Das Dienstrecht der Beklagten beruht auf einer Vielzahl verschiedener Ordnungen, Dienstanweisungen, Durchführungsanweisungen, Ausführungsbestimmungen und sonstiger Dienstvorschriften. Dabei sind als grundlegende Regelungswerke insbesondere die mit Erlaß des k.k.Eisenbahnministeriums vom 7.April 1898, Z 16.366, eingeführte und am 20.Juni 1983 wiederverlautbarte Dienstordnung (Dienstpragmatik), die BB-Besoldungsordnung 1963 mit vielen Novellen, die BB-Pensionsordnung 1966 mit ebenfalls zahlreichen Novellen und die Disziplinarordnung 1979, welche die Dienststrafordnung 1965 ersetzte, hervorzuheben. Während die DO seinerzeit mit Erlaß verlautbart und die BBO und BPO gemäß Art 54 B-VG unter Mitwirkung des Nationalrats entsprechend dem B-VG vom 13. April 1920 erlassen und im Bundesgesetzblatt kundgemacht worden sind, wurde die Disziplinarordnung nur mit einer Dienstanweisung eingeführt und lediglich im Nachrichtenblatt der Generaldirektion der Ö*** B*** (13.Stück/1979) veröffentlicht.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist das Dienstverhältnis der Bundesbahnbeamten trotz eines in verschiedenen Punkten (wie etwa Ernennung, Beförderung und Besoldung der Bediensteten) deutlich hervortretenden öffentlich-rechtlichen Einschlags nach der ausdrücklichen Anordnung des § 1 Abs 1 BBO grundsätzlich ein privatrechtliches. Den genannten Dienstvorschriften kommt demnach durchwegs nur der Charakter von Vertragsschablonen zu, die mit dem Abschluß der jeweiligen Einzeldienstverträge rechtlich wirksam werden und die Vertragspartner dann als lex contractus binden (vgl Spielbüchler in Foretta-Spielbüchler-Strasser, Arbeitsrecht8 I, 35 und 67; Jabornegg in ZAS 1986, 102; VGH vom 21.6.1989, B 467/89, ÖJZ 1990, 499; Arb 9.310; 9 Ob A 104/88; 9 Ob A 320/89 ua). Nach herrschender Auffassung bringt der jeweilige Bedienstete seinen Unterwerfungswillen dadurch hinlänglich zum Ausdruck, daß er den im Verleihungsschreiben enthaltenen ausdrücklichen Hinweis, daß "auf das Dienstverhältnis die DO...in ihrer letzten Fassung sowie die sonstigen für die Beamten der Ö*** B*** jeweils

geltenden Bestimmungen Anwendung finden", widerspruchslos zur Kenntnis nimmt. Der jeweilige Bedienstete, von dem die Beklagte nach Treu und Glauben annehmen muß, er werde im Fall der Ablehnung der betreffenden Klausel Widerspruch erheben, unterwirft sich durch sein Schweigen der Vertragsbestimmung (4 Ob 56/68; 14 Ob 91/86; ZAS 1986/15 ÄJaborneggÜ ua). Den vom Berufungsgericht in den Vordergrund gestellten Erwägungen, die Disziplinarordnung 1979 sei lediglich einseitig vom Dienstgeber "verfügt" worden, kann sohin nicht beigepflichtet werden. Die Disziplinarordnung 1979 ersetzte die Dienststrafordnung 1965, die wiederum den VII. Abschnitt (§§ 90 bis 128) der DO ersetzt hatte, so daß keine Rede davon sein kann, die Beklagte hätte eine Disziplinarordnung neu eingeführt. Dem Kläger mußte klar sein, daß die im Zeitpunkt der Ausfolgung des Verleihungsschreibens auf ihn anzuwendenden Disziplinarvorschriften in der Folge auch einer Änderung unterworfen sein können. Ebenso ist das weitere Argument des Berufungsgerichtes nicht haltbar, daß der Kläger den diesbezüglichen Vorschriften nicht unterworfen sei, weil sie ihm nicht ausdrücklich und nachweislich zur Kenntnis gebracht worden seien. Darauf kommt es nicht an. Entscheidend ist, daß die jeweiligen auf ihn anzuwendenden dienstrechtlichen Vorschriften veröffentlicht wurden und er Gelegenheit hat, sich darüber Kenntnis zu verschaffen. Der Einwand, die im Dienstvertrag enthaltene Einbeziehungsvereinbarung enthalte eine unzulässige dynamische Verweisung auf Regelungsbefugnisse am Vertragsabschluß nicht beteiligter Dritter, ist ebensowenig einsichtig (vgl RdW 1989, 71) wie die Behauptung des Klägers, die Disziplinarordnung der Beklagten verstoße gegen die §§ 864 a, 879 Abs 3 ABGB oder sei als solche schon sittenwidrig (vgl Arb 9.175, 9.623, 9.649; 14 Ob 205/86 uva). Die verhängte Disziplinarstrafe ist sohin nicht schon deshalb unwirksam, weil die Disziplinarordnung der Beklagten nicht Bestandteil des Dienstvertrages des Klägers geworden wäre. Das Berufungsgericht wird daher über die Berufung des Klägers neuerlich zu entscheiden haben (SZ 53/119 ua).

Die Kostenentscheidung ist in den §§ 50 und 40 ZPO begründet.

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