Spruch:
Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.
Der Verpflichtete hat die Kosten des Rekurses selbst zu tragen.
Text
Begründung
Das Erstgericht bestimmte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens den Schätzwert der zu versteigernden Liegenschaft mit 127.620 S und forderte die betreibende Partei zur Vorlage der Versteigerungsbedingungen auf. Da der Verpflichtete gegen den angeführten Betrag Einwendungen erhob, trug das Erstgericht dem Sachverständigen die Ergänzung seines Gutachtens auf. Nach Vorliegen des ergänzenden Gutachtens, das den Parteien vorher nicht zur Kenntnis gebracht wurde, stellte das Erstgericht den Schätzwert mit 277.020 S fest und forderte die betreibende Partei neuerlich zur Vorlage der Versteigerungsbedingungen auf. Die betreibende Partei legte innerhalb von 14 Tagen nach Zustellung dieses Beschlusses des Erstgerichtes die Versteigerungsbedingungen vor und brachte zugleich einen Schriftsatz ein, als dessen Gegenstand sie "Einwendungen gegen das ergänzende Gutachten des Sachverständigen" angab. Sie führte aus, daß sie von dem Gutachten erst durch den Beschluß des Erstgerichtes erfahren habe und daß sie gegen den darin festgestellten Schätzwert von 277.020 S "Einwendungen" erhebe. Die Aussicht, daß ein Grundstück als Bauland gewidmet werde, rechtfertige nicht eine über den Preis für Freiland liegende Bewertung. Der Sachverständige sei zu Unrecht von einem Preis ausgegangen, der fast an die Preise für Bauland heranreiche. Die betreibende Partei stellte den Antrag, dem Sachverständigen die Bekanntgabe einer dem § 29 RSchO entsprechenden Bewertungs- und Berechnungsgrundlage aufzutragen und hierüber zu verhandeln.
Rechtliche Beurteilung
Das Rekursgericht hob auf Grund dieses Schriftsatzes den Beschluß des Erstgerichtes auf, soweit damit der Schätzwert bestimmt wurde, verwies die Rechtssache in diesem Umfang zur Verfahrensergänzung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurück und sprach aus, daß der Revisionsrekurs zulässig sei. Die Eingabe der betreibenden Partei sei als Rekurs zu werten. Die damit angefochtene Bestimmung des Schätzwertes sei ohne Anhörung der betreibenden Partei zustande gekommen, was die Nichtigkeit nach § 477 Abs 1 Z 4 ZPO oder zumindest eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens zur Folge habe. Da den Parteien gemäß § 31 Abs 1 RSchO sogar der vorläufig festgesetzte Schätzwert bekanntzugeben sei, müsse umso mehr ein Recht der Parteien auf Anhörung im Verfahren zur endgültigen Festsetzung des Schätzwerts angenommen werden. Der vom Verpflichteten gegen diesen Beschluß des Rekursgerichtes erhobene Rekurs ist zwar gemäß § 78 EO iVm § 527 Abs 2 ZPO idF der WGN 1989 zulässig, jedoch nicht berechtigt.
Das Rekursgericht hat in dem die "Einwendungen" enthaltenen Schriftsatz zu Recht einen Rekurs gegen den Beschluß des Erstgerichtes erblickt, mit dem dieses zum zweiten Mal über den Betrag des Schätzwertes Beschluß gefaßt hatte. Es handelte sich dabei um die "endgültige" Bestimmung des Schätzwertes gemäß § 31 Abs 2 RSchO. Da in dieser Gesetzesstelle Einwendungen bloß gegen die in dem vorliegenden Abs 1 geregelte (erste) Bestimmung des Schätzwertes vorgesehen sind, kann der zweite, auf Grund solcher Einwendungen gefaßte Beschluß über den Schätzwert gemäß § 65 EO nur mit Rekurs angefochten werden (Heller-Berger-Stix II 1158; 3 Ob 76/87). Die betreibende Partei wendet sich in ihrem Schriftsatz zwar in erster Linie gegen das ergänzende Gutachten des Sachverständigen. Betrachtet man den Schriftsatz aber in seiner Gesamtheit, so ergibt sich daraus mit hinreichender Deutlichkeit, daß sie sich damit gegen die Bestimmung des Schätzwertes durch das Erstgericht wenden wollte und daß sie den vom Erstgericht bestimmten Schätzwert als zu hoch ansieht. Sie entsprach daher auch der Forderung, daß im Rekurs gegen die Bestimmung des Schätzwertes anzugeben ist, ob der Rekurswerber sich durch eine zu hohe oder zu niedrige Schätzwertbestimmung beschwert erachtet (EvBl. 1967/332). Ist aber das Begehren deutlich erkennbar, so ist die unrichtige Benennung des Rechtsmittels gemäß § 78 EO iVm § 84 Abs 2 ZPO unerheblich.
Der Oberste Gerichtshof hat zum Verfahren außer Streitsachen schon ausgesprochen (SZ 54/124), daß eine Verletzung des rechtlichen Gehörs vorliegt, wenn einer Entscheidung zusätzliche, für eine Partei nachteilige Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu der sie nicht Stellung nehmen konnte und auch im Rekurs (wegen des Neuerungsverbotes) nicht Stellung nehmen kann. Er hat dies u.a. mit Art. 6 Abs 1 MRK begründet; das darin garantierte rechtliche Gehör werde in einem Zivilverfahren auch dann verletzt, wenn einer gerichtlichen Entscheidung Tatsachen und Beweisergebnisse zugrunde gelegt werden, zu denen sich die Beteiligten nicht äußern konnten. Das Gericht habe daher den Parteien Verfahrensvorgänge, die erkennbar für sie wesentliche Tatsachen betreffen, bekanntzugeben und ihnen die Möglichkeit zu eröffnen, dazu Stellung zu nehmen. Diese Grundsätze müssen auch für das Exekutionsverfahren gelten, weil ein wesentlicher Unterschied in dem hier erörterten Zusammenhang nicht besteht. Es wurde schon gesagt, daß den Parteien gegen die zweite Bestimmung des Schätzwertes nur der Rekurs offensteht; hiefür gilt das Neuerungsverbot (Fasching, ZPR2 Rz 1989; Heller-Berger-Stix I 649 f; RZ 1990/26 ua). Dem Rekursgericht ist daher beizupflichten, daß das Erstgericht der zweiten Bestimmung des Schätzwertes das Ergänzungsgutachten nicht hätte zugrundelegen dürfen, ohne der betreibenden Partei vorher gemäß § 55 Abs 1 EO Gelegenheit zur Äußerung zu geben. Dem steht entgegen der Ansicht des Verpflichteten nicht entgegen, daß gemäß § 31 Abs 1 letzter Satz RSchO die für die (erste) Bestimmung des Schätzwertes erforderlichen Erhebungen mit größter Beschleunigung durchzuführen sind, selbst wenn man diese Regelung auf die zweite Bestimmung des Schätzwertes analog anwendet, schließt sie die Anhörung der Parteien nicht aus. Da sich die Richtigkeit der Ansicht des Rekursgerichtes schon aus den dargestellten Überlegungen ergibt, muß zu seinem aus § 31 Abs 1 RSchO abgeleiteten Argument, das im Rekurs ebenfalls bekämpft wird, nicht Stellung genommen werden.
Das Rekursgericht hat somit dem Erstgericht zutreffend die neue Entscheidung über den Schätzwert aufgetragen, weil die betreibende Partei in dem über die Einwendungen des Verpflichteten durchgeführten Verfahren nicht gehört wurde. Dies wurde in den als Rekurs zu wertenden Einwendungen der betreibenden Partei auch geltend gemacht, weshalb dahingestellt bleiben kann, ob eine Nichtigkeit oder bloß ein sonstiger Verfahrensmangel vorliegt. Der Ausspruch über die Kosten des Rekurses beruht auf § 78 EO iVm den §§ 40 und 50 ZPO.
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