OGH 6N523/90

OGH6N523/9011.10.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Schlosser, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1) Richard B***, Pensionist, 6020 Innsbruck, Fürstenweg 51, 2) Arthur B***, Kaufmann, 6020 Innsbruck, Hallerstraße 125 b, beide vertreten durch Dr. Robert Schuler, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagte Partei Ursula L***, Angestellte, 6020 Innsbruck, Blasius Hueber-Straße 12, vertreten durch Dr. Hans-Peter Ullmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert: 20.000 S), infolge Antrages der Tiroler Landesregierung auf Nichtigerklärung des durchgeführten gerichtlichen Verfahrens in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Antrag der Tiroler Landesregierung, das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 26.Jänner 1990, GZ 2 a R 32/90-10, sowie das diesem Urteil vorangegangene Verfahren als nichtig aufzuheben, wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Kläger sind je zur Hälfte grundbücherliche Eigentümer der Liegenschaft EZ 536, Grundbuch 81121 Mühlau. Das zum Gutsbestand dieser Liegenschaft gehörige Grundstück Nr.219 grenzt im Norden an die öffentliche Wegparzelle Nr 820/1 und südöstlich an die öffentliche Wegparzelle Nr 900 (Richard Berger-Weg). Die Kläger haben das Grundstück Nr 219 im Jahre 1984 asphaltiert. Die gleichfalls asphaltierte Wegparzelle Nr 820/1 und das Grundstück Nr 219 bilden zusammen einen breiten Einmündungstrichter zum Richard Berger-Weg hin. Von dem im Süden an das Grundstück Nr 219 angrenzenden Grundstück Nr 263/1, welches gleichfalls zum Gutsbestand der Liegenschaft EZ 536 gehört, ist diese durch mit Plastikabsperrketten verbundene Metallpflöcke abgegrenzt. Eine Hinweistafel, daß es sich beim Grundstück Nr 219 um eine Privatfläche handelt, ist nicht vorhanden. Die Wegparzelle Nr 820/1 wird als öffentliche Verkehrsfläche befahren. Bei der Abzweigung von oder in den Richard Berger-Weg (Kurve) wird dabei auch das Grundstück Nr 219 mitüberfahren. Es kommt auch immer wieder vor, daß fremde PKW auf dem Grundstück Nr 219 südlich der Wegparzelle Nr 820/1 geparkt werden.

Die Beklagte hat ihren PKW am 2.5.1989 und am 8.5.1989 am Grundstück Nr 219 abgestellt, nachdem sie bereits zuvor mehrfach von den Klägern mündlich und schriftlich darauf aufmerksam gemacht worden war, daß es sich hiebei um ihren Privatgrund handelt. Gestützt auf ihr Eigentum am Grundstück Nr 219, in welches die Beklagte widerrechtlich durch das Abstellen ihres Fahrzeuges eingreife, begehrten die Kläger mit ihrer am 5.6.1989 beim Bezirksgericht Innsbruck zu 12 C 1.400/89p eingebrachten Klage, die Beklagte schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, auf sie zugelassene PKW, insbesondere ihren PKW mit dem behördlichen Kennzeichen T 61386 und andere von ihr allenfalls in Verwendung genommene Fahrzeuge, auf dem Grundstück Nr 219 GB 81121 Mühlau abzustellen beziehungsweise dafür Sorge zu tragen, daß auf sie zugelassene PKW auf diesem Grundstück nicht abgestellt werden. Die Beklagte hielt dem entgegen, daß das Grundstück der Kläger eine Straße mit öffentlichem Verkehr sei, die von jedermann nach den Bestimmungen der Straßenverkehrsordnung unter den gleichen Bedingungen benützt werden könne.

Das Erstgericht erkannte mit Urteil vom 16.11.1989, GZ 12 C 1.400/89p-6, im Sinne des Klagebegehrens. Es meinte, den Klägern als Eigentümern des Grundstückes Nr 219 stehe gemäß § 354 ABGB das Recht zu, dessen Benützung durch andere zu untersagen. Die Straßenverkehrsordnung schaffe keinen Titel zur Benützung von Privatgrundstücken, sie enthalte nur Regelungen über die Art und Weise der Benützung von Straßen mit öffentlichem Verkehr. Das Berufungsgericht wies das Klagebegehren ab. Es sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes 50.000 S nicht übersteige und die Revision nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig sei, und führte aus: Im vorliegenden Fall müsse die Eigentumsfreiheitsklage versagen, weil die Handlungsweise der Beklagten im Sinne ihres Sachvorbringens vom Gemeingebrauch gedeckt sei. Für die Wertung einer Straße als solche mit öffentlichem Verkehr komme es nicht auf die Eigentumsverhältnisse am Straßengrund, sondern auf ihre Benützung an. Maßgeblich sei, ob eine Widmung der Verkehrsfläche zum allgemeinen Gebrauch vorliege oder ob sie zumindest nach dem äußeren Anschein zur allgemeinen Benützung freistehe. Letzteres treffe auf das Grundstück der Kläger zu, weil dieses mangels Abschrankung und auch eines ersichtlichen Benützungsverbotes von jedermann unter den gleichen Bedingungen benützt werden könne und auch benützt werde. Es stehe daher im Gemeingebrauch.

Rechtliche Beurteilung

Nunmehr beantragt die Tiroler Landesregierung, der Oberste Gerichtshof möge gemäß § 42 Abs 2 JN das rechtskräftige Urteil des Berufungsgerichtes als nichtig aufheben, weil die Beurteilung des Gemeingebrauches und die Feststellung, ob eine Grundfläche oder eine Anlage Bestandteil einer öffentlichen Straße sei oder nicht, nach dem Tiroler Straßengesetz, LGBl Nr 13/1989, der Straßenbehörde obliege. Die Gerichte dürften diese in die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde fallende Frage auch nicht als Vorfrage selbständig beurteilen.

Mit dieser Antragstellung wird aber kein Mangel im Sinne des § 42 Abs 1 JN aufgezeigt:

Gemäß § 42 Abs 2 JN hat der Oberste Gerichtshof auf Antrag der Obersten Verwaltungsbehörde die Nichtigkeit eines gerichtlichen Verfahrens auszusprechen, wenn erst nach dessen rechtskräftigem Abschlusse offenbar wird, daß die anhängig gewordene Rechtssache der inländischen Gerichtsbarkeit oder den ordentlichen Gerichten entzogen ist. Der hier vorgesehene Rechtsbehelf (Fasching, Zivilprozeßrecht2, Rz 1669) für das "außerordentliche Nichtigkeitsverfahren" (Neumann, Kommentar zu den Zivilgesetzprozessen4, I, 103) ist daher zwar für die im vorliegenden Fall von der Obersten Verwaltungsbehörde geltend gemachte Verletzung der Kompetenzgrenzen zwischen den beiden Vollzugsbereichen des Staates (Unzulässigkeit des Rechtsweges) zulässig, die Antragstellerin erkennt aber selbst, daß das Berufungsgericht nur auf Grund der auf einen öffentlich-rechtlichen Titel gestützten Einwendung der Beklagten eine Vorfrage geprüft hat, zu deren selbständiger Entscheidung der Zivilrichter nicht berufen wäre. Für die Zulässigkeit des Rechtsweges ist jedoch in erster Linie der Wortlaut des Klagebegehrens und darüber hinaus der Klagesachverhalt (die Klagebehauptungen) maßgebend. Es kommt auf die Natur des erhobenen Anspruches an. Ohne Einfluß ist es hingegen, was der Beklagte einwendet oder ob der behauptete Anspruch begründet ist. Maßgebend ist nur, ob nach dem Inhalt der Klage ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, über den die ordentlichen Gerichte zu entscheiden haben (Fasching, Komm., I, 63; SZ 44/165; SZ 50/18, 65 und 109; SZ 51/159; RZ 1984/18; SZ 58/156 uva). Dies gilt auch dann, wenn dem erhobenen Anspruch eine Einwendung entgegengehalten wird, die sich auf einen öffentlich-rechtlichen Titel stützt (Fasching, aaO; SZ 47/40; SZ 50/18; RZ 1984/18; SZ 58/156 ua).

Im vorliegenden Fall stützten die Kläger ihr Unterlassungsbegehren auf von der Beklagten trotz Abmahnung wiederholt begangene Eingriffe in ihr Eigentumsrecht am Grundstück Nr 219, weil sie dort gegen den Willen der Kläger ihren PKW abstellte. Es liegt daher eine Eigentumsfreiheitsklage vor, mit der aber stets ein privatrechtlicher Anspruch erhoben wird, dessen Beurteilung im ordentlichen Rechtsweg zu erfolgen hat, was immer der Beklagte dagegen einwendet. Beruft er sich - wie hier - auf ein Recht, für dessen Begründung, Inhalt und Umfang öffentlich-rechtliche Vorschriften maßgebend und hierüber Verwaltungsbehörden zur Entscheidung berufen sind, dann ist der Bestand eines derartigen Rechtes als Vorfrage zu prüfen und bei Bejahung des Rechtes die Negatorienklage abzuweisen. Das gilt insbesondere in Ansehung der im vorliegenden Fall von der Beklagten erhobenen Einwendung, das Grundstück der Kläger sei eine Straße mit öffentlichem Verkehr (Bestandteil einer öffentlichen Straße), an der Gemeingebrauch bestehe (Spielbüchler und Petrasch in Rummel, ABGB2, Rz 6 zu § 287 und Rz 2 zu § 523; SZ 9/194; SZ 20/8; JBl 1962, 261; SZ 39/85; SZ 41/48; SZ 53/38; RZ 1984/18). Die Entscheidungsbefugnis des Zivilgerichtes war daher nicht dadurch ausgeschlossen, daß Vorfragen geprüft werden mußten, über die nach § 3 Abs 2 und § 4 Abs 4 Tiroler Straßengesetz die Straßenbehörde zu entscheiden hat. Das Gesetz verwehrt in diesem Zusammenhang den Gerichten keineswegs ausdrücklich auch die Entscheidung über solche Vorfragen. Selbst wenn dies aber der Fall wäre, hätte nur die Entscheidung der zuständigen Behörde eingeholt oder abgewartet werden müssen (Fasching, Komm., I, 62, 64 und 66; derselbe, Zivilprozeßrecht2, Rz 93 und 94; SZ 45/139; RZ 1984/18; SZ 58/156). Auch eine solche Verpflichtung ändert aber an der Zulässigkeit des Rechtsweges nichts. Es ist dann das Verfahren zu unterbrechen, die Entscheidung durch die zuständige Behörde abzuwarten und deren Erkenntnis der Entscheidung - soweit präjudiziell - zugrundezulegen (RZ 1984/18; SZ 58/156).

Da nach dem bisher Gesagten die Tiroler Landesregierung keine nach § 42 Abs 2 JN vom Obersten Gerichtshof auch noch nach Rechtskraft wahrzunehmende Nichtigkeit des durchgeführten gerichtlichen Verfahrens aufzuzeigen vermochte, war ihr Antrag zurückzuweisen. Auf die im Antrag gleichermaßen angeprochene Frage der sachlichen Unrichtigkeit der Entscheidung des Berufungsgerichtes kann in einem Verfahren nach § 42 Abs 2 JN niemals Bedacht genommen werden.

Stichworte