OGH 7Ob575/90

OGH7Ob575/9028.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S*** P***

Ö***, Wien 1, Löwelstraße 18, vertreten durch Dr.Ulrich Polley, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Dr.Jörg H***, Landeshauptmann von Kärnten, Klagenfurt, Lemischgasse 4, vertreten durch Dr.Dieter Böhmdorfer und Dr.Wolfram Demmer, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung, Widerruf und Veröffentlichung des Widerrufs (Streitwert S 370.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 25.Jänner 1990, GZ 3 R 212/89-11, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 29.Juli 1989, GZ 21 Cg 44/89-6, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Untergerichte werden aufgehoben. Die Rechtssache wird zu ergänzenden Verhandlung und neuen Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen, das auf die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gleich weiteren Verfahrenskosten erster Instanz Bedacht zu nehmen haben wird.

Text

Begründung

Im Zuge des Wahlkampfes für die am 12.3.1989 ausgeschriebenen Wahlen zum Kärntner Landtag hat der Beklagte als Angehöriger einer wahlwerbenden Partei im Zuge einer Auseinandersetzung mit dem damaligen Betreiber des Zellstoffwerkes St. Magdalen bei Villach, Ing.Wilhelm P***, als Antwort auf dessen offenen Brief vom 12.2.1989 in der Mutationsausgabe der Neuen Kronen-Zeitung für Kärnten in der Ausgabe vom 15.2.1989 in dieser Zeitung einen offenen Brief veröffentlicht: Darin setzt er sich mit dem Vorwurf der Effekthascherei und der Verpolitisierung durch Ing.P*** auseinander, die die Sanierung dieses Zellstoffwerkes unmöglich gemacht habe. Der Beklagte bedauert die Verhinderung der Veröffentlichung eines Rechnungshofberichtes über die wahrscheinlich betrügerischen Manipulationen des Ing.P*** mit Steuergeldern vor dem Wahltermin durch die sozialistischen Machthaber in Kärnten, um dann wörtlich gegenüber Ing.P*** fortzufahren: "Sie sind mir außerdem die Antwort schuldig geblieben, wieviele der Steuermillionen, die für das Werk Zellstoff-Villach bestimmt waren, durch Sie in die Kassen der Kärntner SPÖ in Form von Parteispenden umgeleitet worden sind".

Die Klägerin fühlt sich durch diese Äußerung, die sie als Verbreitung einer unwahren Tatsache qualifiziert, im wirtschaftlichen Ruf ihrer Landesorganisation in Kärnten beeinträchtigt und begehrt vom Beklagten aus dem Titel des § 1330 Abs 2 ABGB die Unterlassung und den Widerruf dieser Behauptung sowie die Veröffentlichung der Widerrufserklärung in der erwähnten Zeitung in gleicher Aufmachung wie die Erklärung vom 15.2.1989 auf Seite 27.

Der Beklagte bestreitet den Verstoß gegen § 1330 Abs 2 ABGB und wendet ein, die Klägerin sei nicht Briefadressat. Der Beklagte habe mit dieser Frage nie den Erhalt von Steuergeldern durch die Klägerin behauptet, sondern sich nur gegen die Angriffe des Ing.P*** zu wehren versucht.

Das Erstgericht hat das Vorliegen des Tatbestandes nach § 1330 Abs 2 ABGB verneint und das Klagebegehren abgewiesen. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichtes und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes insgesamt S 50.000,-- übersteigt und daß die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist. Die Bestimmung des § 1330 Abs 2 ABGB schütze die wirtschaftlichen Interessen des einzelen, auch die einer politischen Partei, gegenüber Beeinträchtigungen durch die Behauptung unwahrer Tatsachen. Die Behauptung einer Tatsache liege vor, wenn der Inhalt objektiv auf seine Richtigkeit überprüfbar sei. Davon seien Werturteile zu unterscheiden, die erst auf Grund einer Denktätigkeit geboren würden, die nur die subjektive Meinung des Erklärenden wiedergäben und bei denen eine objektive Überprüfung sinnvollerweise nicht in Betracht komme. Der an den Adressaten gerichtete Vorhalt, er habe Gelder als Spende erhalten, die ihm ein Dritter, der Subventionsempfänger, zweckwidrig habe zukommen lassen, sei als eine solche Tatsache zu sehen, deren Unrichtigkeit überprüfbar sei: Es sei darin der an den Adressaten gerichtete Vorwurf enthalten, er habe bewußt mit dem Subventionsempfänger unkorrekt zu Lasten des Subventionsgebers zusammengewirkt. Richte sich die Frage aber an den Subventionsempfänger, wie viele der zweckgewidmeten Subventionsgelder er einem Dritten habe zukommen lassen, dann könne dem Fragesteller nur Unkenntnis der Situation und der Versuch unterstellt werden, mit Hilfe der Antwort des Subventionsempfängers sich Kenntnis über diesen Umstand verschaffen zu wollen. Er habe damit keine unwahre Tatsache verbreitet, die eine Haftung im Sinne dieser Gesetzesbestimmung auslöse. Mit dieser Frage werde dem Adressaten, nicht aber dem allenfalls begünstigten Dritten unterstellt, Steuermittel zweckwidrig in einer in der Öffentlichkeit verpönten Weise verwendet zu haben. Die klagende Partei hätte nur dann einen Unterlassungsanspruch, wenn sich aus der Formulierung ableiten ließe, der Geldfluß sei mit ihrem Wissen und Willen erfolgt, und dieser Umstand entspreche nicht den Tatsachen. Der Vorwurf der verpönten Verfügung über Subventionsgelder richte sich aber nur an den Subventionsempfänger, nicht gegen die klagende Partei. Mache die klagende Partei geltend, daß sich schon aus der Formulierung der Frage unzweifelhaft ergebe, daß ihr der verpönte Empfang von Steuergeldern angelastet werde, und daß der Beklagte, habe er ihr dies nicht unterstellen wollen, die Frage dahin hätte stellen müssen, ob Ing.P*** der Kärntner SPÖ Steuermillionen habe zufließen lassen, so handle es sich hiebei um ein für die Entscheidung nicht relevantes Wortspiel. Das Klagebegehren sei daher nicht berechtigt. Die Revision sei zuzulassen gewesen, weil zu dem zu entscheidenden Sachverhalt keine maßgebende Rechtsprechung vorhanden sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der klagenden Partei ist berechtigt.

Gemäß § 1330 Abs 2, erster Satz, ABGB, muß derjenige, der Tatsachen verbreitet, die den Kredit, den Erwerb oder das Fortkommen eines anderen gefährden und deren Unwahrheit er kannte oder kennen mußte, dem Betroffenen seinen wirklichen Schaden oder Entgang des Gewinns ersetzen. Nach dem zweiten Satz dieser Gesetzesstelle kann auch der Widerruf und dessen Veröffentlichung verlangt werden. Das Revisionsgericht teilt nicht die Meinung der Vorinstanzen, der Tatbestand des § 1330 Abs 2 ABGB sei in dem offenen Brief des Beklagten nicht verwirklicht worden, weil es einerseits an der Verbreitung von Tatsachen fehle, der Beklagte habe vielmehr lediglich eine Frage an Ing.P*** gerichtet, um sich Kenntnis über den Gegenstand der Fragestellung zu verschaffen, und weil andererseits diese Frage nicht die Feststellung einer Beteiligung der klagenden Partei an einer Veruntreuung von Steuermillionen enthalte. Bei der Formulierung der vom Beklagten gestellten Frage - "wieviele Steuermillionen umgeleitet worden sind" oder "ob Steuermillionen umgeleitet worden sind" - handelt es sich entgegen der von der zweiten Instanz vertretenen Ansicht keineswegs um ein für die Entscheidung nicht relevantes Wortspiel. Mit dem Wort "ob ..." hätte der Beklagte eine echte Frage eingeleitet und sich nach einem Umstand erkundigt, über den er Bescheid wissen wolle. Der inkriminierte Satz des offenen Briefes des Beklagten dagegen enthält ganz unmißverständlich die Behauptung, Ing.P*** habe Steuermillionen in die Kassen der Kärntner SPÖ in Form von Parteispenden umgeleitet, die Frage sei nur, um wieviele Millionen Schilling es sich hiebei gehandelt habe. Die Behauptung der Umleitung von Steuermillionen enthält aber auch keineswegs nur den an Ing.P*** gerichteten Vorwurf, er habe Subventionsgelder zweckwidrig der Kärntner SPÖ zukommen lassen, sondern in unübersehbarer Weise auch den Vorwurf an die Landesorganisation Kärnten der klagenden Partei, sie habe diese Gelder in Kenntnis ihrer Herkunft - zumindest aber, ohne sich Gedanken darüber zu machen - entgegengenommen.

Der den Gegenstand des Klagebegehrens bildende Satz enthält, wie auch den Ausführungen der Vorinstanzen zu entnehmen ist, nicht ein - subjektives - Werturteil, sondern eine objektiv überprüfbare Tatsachenbehauptung. Daß die Behauptung des Beklagten das "Fortkommen" der klagenden Partei, ihren wirtschaftlichen Ruf, zu gefährden geeignet ist, ist keine Frage.

Die Ersatzpflicht nach § 1330 Abs 2 ABGB entsteht allerdings nur dann, wenn die Tatsachenbehauptung unrichtig ist, und wenn der Täter die Unwahrheit kannte oder kennen mußte.

Die Behauptungs- und Beweislast bezüglich der Unrichtigkeit der Behauptung trifft entsprechend den allgemeinen Beweisregeln den Geschädigten (Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht2 II 175, Reischauer in Rummel, ABGB, Rz 18 zu § 1330, SZ 37/176, SZ 44/45). Nach Gelingen dieses Beweises und des Beweises der objektiven Sorgfaltsverletzung, der objektiven Vorwerfbarkeit (Reischauer aaO), obliegt dem Täter der Beweis des Fehlens subjektiver Vorwerfbarkeit, der Beweis von Anhaltspunkten für die Wahrheit (Reischauer aaO, Koziol aaO 176 f, SZ 44/45, SZ 37/176).

Die klagende Partei hat die Unwahrheit der Vorwürfe des Beklagten behauptet und hat Beweise hiezu angeboten. Feststellungen darüber, ob die Behauptung des Beklagten unwahr ist und ob der Beklagte die ihn treffende Sorgfaltspflicht verletzt hat, wurden jedoch bisher nicht getroffen. Die Unwahrheit der Behauptung des Beklagten steht entgegen den Revisionsausführungen der klagenden Partei nicht "praktisch" außer Streit: Die Äußerung des Beklagten, er habe nicht die Absicht gehabt, die klagende Partei anzugreifen, kann nicht in diesem Sinn verstanden werden.

Der festgestellte Sachverhalt reicht daher zur rechtlichen Beurteilung der Sache nicht aus.

Im fortgesetzten Verfahren wird das Erstgericht zu prüfen haben, ob der in der "Frage" des Beklagten an Ing.P*** enthaltene Vorwurf, die klagende Partei habe Steuermillionen als Parteispenden angenommen, wahr oder aber unrichtig ist, und im Falle der Unrichtigkeit, ob der Beklagte diese Unrichtigkeit kannte oder doch hätte kennen müssen, ob ihm also eine subjektiv vorwerfbare Sorgfaltsverletzung anzulasten ist oder ob er zumindest ausreichende Anhaltspunkte für die Richtigkeit seiner Behauptungen hatte und sie daher mit Grund als wahr ansehen konnte (SZ 50/86). Der Kostenvorbehalt erfolgte nach § 52 ZPO.

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