OGH 7Ob583/90

OGH7Ob583/907.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Warta, Dr.Egermann, Dr.Niederreiter und Dr.Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wilfriede R***, Hausfrau, Graz, Kressgasse 8, vertreten durch Dr.Bernd Fritsch und Dr.Klaus Kollmann, Rechtsanwälte in Graz, wider die beklagte Partei Ing.Gustav R***, Selbständiger, Graz, Kressgasse 8, vertreten durch Dr.Gerhard Schmidt, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14.November 1989, GZ 1 R 188/89-35, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 30.Juni 1988, GZ 16 Cg 147/85-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.706,20 (darin S 617,70 an USt.) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben am 20.6.1981 die beiderseits erste Ehe geschlossen. Der Ehe entstammt der am 6.1.1982 geborene Peter. Beide Streitteile sind österreichische Staatsbürger; ihren gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt haben sie in Graz.

Mit der am 23.5.1985 eingebrachten Klage begehrt die Klägerin die Scheidung der Ehe gemäß § 49 EheG.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klage, für den Fall der Scheidung der Ehe den Ausspruch des überwiegenden Verschuldens der Klägerin.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem beiderseitigen gleichteiligen Verschulden der Eheleute. Die zweite Instanz gab den von beiden Parteien dagegen erhobenen

Berufungen nicht Folge. Folgender Sachverhalt steht fest:

Die Streitteile lernten einander 1966 kennen und wohnten ab 1973 in einer Lebensgemeinschaft in Graz. Der Beklagte arbeitete als Techniker in der Bundesrepublik Deutschland, die Klägerin war vom Frühjahr bis zum Herbst einen jeden Jahres als Serviererin in der Schweiz beschäftigt. Der Beklagte besuchte die Klägerin zu dieser Zeit fast jedes Wochenende, obwohl die Klägerin durch ihren Dienst gerade an Wochenenden stark beschäftigt war. 1980 wurde dem Beklagten eine finanziell sehr günstige Stellung in Südafrika angeboten, die er im Oktober 1981 hätte antreten sollen. Um der Klägerin die Mitreise zu ermöglichen, wollten die Streitteile vor Antritt der Reise heiraten.

Anfang April 1981 teilte die Klägerin dem Beklagten mit, sie sei schwanger. Da der Beklagte unter diesen Umständen nur allein nach Südafrika hätte einreisen dürfen, lehnte er die Stellung ab. Er machte jedoch in der Folge der Klägerin zum Vorwurf, sie habe keine ausreichenden empfängnisverhütenden Maßnahmen getroffen. Die Heirat der Streitteile erfolgte hauptsächlich wegen des erwarteten Kindes. Der Beklagte akzeptierte das gemeinsame Kind in der Folge und es entwickelte sich ein gutes Vater-Kind-Verhältnis. Der Beklagte war weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland berufstätig. Als sich die von den Parteien benützte Wohnung als zu klein für drei Personen erwies, begab sich der Beklagte auf Wohnungssuche und fand im Sommer 1982 eine größere Wohnung im gleichen Haus.

Inzwischen begann sich das Verhältnis zwischen den Ehegatten merklich abzukühlen. Etwa ein Jahr nach der Geburt des Kindes verkehrten die Streitteile zuletzt geschlechtlich miteinander. Danach wurden zwar beiderseits noch Annäherungsversuche unternommen, doch blieben sie ergebnislos. Versuchte die Klägerin, den Beklagten zum Geschlechtsverkehr zu bewegen, lehnte dieser mit der Behauptung ab, er lese gerade ein interessantes Buch oder er sei zu müde. Wollte der Beklagte geschlechtlich verkehren, erklärte die Klägerin, sie sei zu müde und ähnliches. Kam der Beklagte nach längeren (beruflichen) Auslandsaufenthalten zurück, begrüßte er die Klägerin nicht aus eigenem Antrieb, sondern erst, wenn er von dieser darauf angesprochen wurde.

Im Verlauf der Adaptierungsarbeiten in der neuen Wohnung im Herbst 1982 half der Bruder der Klägerin mit. Die Klägerin war über die beim Abschleifen des Fußbodens entstehende Lärm- und Staubbelästigung sehr ungehalten und lehnte die Zubereitung einer Mahlzeit für ihren Bruder und den Beklagten mit dem Hinweis ab, sie müsse das Kind versorgen. Als der Beklagte daraufhin seinen Schwager zum Essen in ein Gasthaus einlud, nahm die Klägerin dies zum Anlaß, dem Beklagten vorzuwerfen, er wolle ihrem Bruder seinen Willen aufzwingen. Auf die Äußerung des Beklagten, er würde ihr am liebsten "eine reinhauen", nahm die Klägerin einen Besen und erhob ihn gegen den Beklagten. Der Beklagte schlug den Besen weg. Dabei traf der Stiel das Gesicht der Klägerin. Die von der Klägerin herbeigerufene Polizei nahm den Sachverhalt auf. Das Verfahren wurde in der Folge gemäß § 90 StPO eingestellt. Wegen dieses Vorfalls entschuldigte sich der Beklagte später brieflich bei der Klägerin. Seit Mitte 1983 bewohnen die Streitteile getrennte Zimmer, auch deshalb, weil der Beklagte öfters in der Nacht arbeitete.

Bis zu den Weihnachtsfeiertagen des Jahres 1984 wollte die Klägerin versuchen, die Ehe aufrecht zu erhalten.Es kam jedoch zu keiner Versöhnung und die Klägerin war an einer solchen auch nicht mehr interessiert.

Außer einer kurzen Reise nach Amstetten unternahmen die Streitteile keine gemeinsamen Urlaubsfahrten.

Der mündliche Kontakt zwischen den Eheleuten ist schon seit längerer Zeit auf ein Minimum reduziert.

Eine Quelle von Streitigkeiten bildeten Erziehung und Ernäherung des Kindes. Während der Beklagte für "konventionelle" Kost ist, bevorzugt die Klägerin Bio- und Reformkost. In Auseinandersetzungen, die dabei entstanden, gebrauchten beide Teile Schimpfworte. Die Klägerin machte dem Beklagten Vorwürfe, wenn er dem Kind an einem Stand Würstel, die das Kind gerne ißt, kaufte. Sie ist allerdings mit einer "konventionellen" Ernährung des Kindes bei ihren Eltern durchaus einverstanden.

Bisweilen äußerte die Klägerin ihren Unmut darüber, daß der Beklagte ihrer Ansicht nach zu lange mit dem Kind spielte. Am Donnerstag, dem 22.10.1987, wollte der Beklagte den Nachmittag mit dem gemeinsamen Kind verbringen, weil er am nächsten Tag nach Deutschland zurückfahren mußte, wie der Klägerin bekannt war. Die Klägerin wollte jedoch zum Friseur gehen und auch das Kind zum Haareschneiden mitnehmen. Da das Kind lieber mit dem Beklagten spazierengehen wollte, schlug der Beklagte vor, er könne ja auch dabei mit dem Kind zum Friseur gehen. Als die Klägerin dies ablehnte, faßte sie der Beklagte am Arm und schob sie zur Seite. Die Klägerin erlitt hiedurch bläuchlich verfärbte Druckstellen am Arm. Bei der darauffolgenden polizeilichen Vernehmung gab die Klägerin an, sich eine Verletzung des Ellbogengelenks zugezogen zu haben. Eine polizeiärztliche Untersuchung lehnte die Klägerin mit dem Hinweis auf ein Attest ihres Hausarztes ab. Ein Strafverfahren wurde nicht eingeleitet.

Die Klägerin ist übersensibel und reagiert auf belanglose Äußerungen in höchstem Maß beleidigt. Seit dem Jahreswechsel 1987/88 bereitet die Klägerin für den Beklagten kein Essen mehr zu. Sie deckt zumeist nur für sich und das Kind auf, während der Beklagte entweder sich selbst etwas zubereitet oder zusieht. Die Klägerin nahm aus der Tasche des Beklagten seinen Reisepaß und ließ bei der Polizei die Eintragung des Kindes streichen, ohne mit dem Beklagten hierüber Kontakt aufgenommen zu haben. Die Kontakte zwischen den Streitteilen beschränken sich auf ein absolutes Minimum; jeder geht seine eigenen Wege.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Berufungsgericht die Ansicht, beide Teile hätten durch ihr grundlos ablehnendes Verhalten in sexueller Hinsicht schuldhaft zur Zerrüttung der Ehe ab etwa Mitte des Jahres 1982 beigetragen. Die Vorwürfe der Klägerin gegen den Beklagten wegen der Würstel, die dieser dem Kind gegeben habe, stellten eine schwere Eheverfehlung dar, da sie gegen eine gleichartige Kost des Kindes bei ihren Eltern keinen Einwand erhoben habe. Auch das Verhalten vom 22.10.1987 habe sich nicht nur gegen das Kind, sondern auch gegen den Beklagten gerichtet. Die Klägerin habe weder auf das Wohl des Kindes, noch auf eine wünschenswerte Vater-Kind-Beziehung Rücksicht genommen. Die Veranlassung der Streichung des Kindes aus dem Reisepaß des Beklagten ohne dessen Wissen stelle einen Vertrauensbruch dar. Es habe jedoch auch der Beklagte zur weiteren Zerrüttung der Ehe schuldhaft dadurch beigetragen, daß er am 22.10.1987 in unangemessener Weise auf das Verhalten der Klägerin reagiert habe. Das aggressive Verhalten zeige sich auch in der zwar verfristeten, aber gemäß § 59 Abs 2 EheG zu berücksichtigenden Äußerung im Herbst 1982, er wolle ihr (der Klägerin) am liebsten "eine reinhauen". Die Ehe der Streitteile sei aus beiderseitigem Verschulden unheilbar zerrüttet; die Wiederherstellung einer ihrem Wesen entsprechenden Lebensgemeinschaft sei nicht mehr zu erwarten. Es könne nicht gesagt werden, daß das Verschulden eines der beiden Ehegatten fast völlig in den Hintergrund trete; vom Ausspruch des überwiegenden Verschuldens eines Teils sei daher abzusehen gewesen. Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, es dahin abzuändern, daß das Klagebegehren abgewiesen oder die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden der Klägerin geschieden wird.

Die Klägerin beantragt, der Rvision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Streitteile haben seit 1982 keinen geschlechtlichen Kontakt mehr zueinander, sondern lehnen diesen wechselweise unter verschiedenen Vorwänden ab. Sie beschränken seit fast ebenso langer Zeit auch ihre sonstigen Berührungen auf ein absolutes Minimum. Jeder geht seine eigenen Wege. Es kommt wegen des Kindes, aber auch aus anderen, vergleichsweise geringfügigen Anlässen immer wieder zu Streitigkeiten. Seit 1984 ist die Klägerin an einer Versöhnung nicht mehr interessiert.

Jedes Verhalten eines Ehegatten, das mit dem Wesen der Ehe als einer alle Lebensbereiche umfassenden Lebensgemeinschaft unvereinbar ist, stellt eine schwere Eheverfehlung dar (EFSlg 57.082, 46.148). Einzelne Handlungen und Unterlassungen, die für sich allein nicht das Gewicht einer schweren Eheverfehlung haben, können durch die Dauer und Wiederholung in ihrer Gesamtheit schwere Eheverfehlungen darstellen (EFSlg 57.093, 54.358). Bei der Entscheidung, ob schwere Eheverfehlungen gegeben sind, kommt es im wesentlichen auf die Gestaltung der Ehe der Streitteile an, wobei nicht die Vorwürfe im einzelnen beurteilt werden dürfen, sondern das Gesamtverhalten der Eheleute zu beurteilen ist (EFSlg 57.092). Das jahrelange Nebeneinanderherleben der Streitteile, ohne in irgendeiner Form einen positiven Kontakt zueinander zu haben, was sich unter anderem auch darin manifestiert, daß der Beklagte selbst nach wochenlanger berufsbedingter Abwesenheit bei Rückkehr in die Ehewohnung - ebenso wie auch die Klägerin - kein Wort oder Zeichen der Begrüßung findet, die mangelnde Bereitschaft auf beiden Seiten, den Zustand der gegenseitigen Ablehnung und Geringschätzung, ja Mißachtung zu beenden, verstößt gegen die Verpflichtung zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, zur anständigen Begegnung und zum Beistand und gegen das Gebot, die eheliche Lebensgemeinschaft unter Rücksichtnahme aufeinander einvernehmlich zu gestalten. Durch ihr Gesamtverhalten - ohne daß einzelne Vorfälle herauszugreifen wären, da sie sich doch nur aus der Grundeinstellung der Ehegatten zueinander ergeben - haben beide Teile seit Jahren gegen das Wesen der Ehe verstoßen und hiedurch eine schwere Eheverfehlung begangen. Die Feststellungen bieten keinen Anhaltspunkt für die Annahme, daß die Schuld eines der beiden Ehegatten an der Zerrüttung der Ehe - die nach objektiven Maßstäben unzweifelhaft längst eingetreten ist, weil zwischen den Streitteilen eine geistige, seelische und körperliche Gemeinschaft schon seit Jahren nicht mehr besteht (EFSlg 54.384) und schon deshalb gegeben ist, weil die Klägerin bereits 1984 die eheliche Gesinnung verloren hat

(EFSlg 57.130) - augenscheinlich erheblich schwerer ist. Nur dann aber, wenn das Verschulden eines Ehegatten fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg 57.228), ist der Ausspruch eines überwiegenden Verschuldens gerechtfertigt. Subtile Abwägungen über das beiderseitige Verschulden sind nicht vorzunehmen (EFSlg 57.232). Im übrigen aber ist nicht zu übersehen, daß die Entfremdung zwischen den Streitteilen ganz offensichtlich zum Teil noch vor ihrer Eheschließung dadurch ihren Anfang genommen hat, daß der Beklagte der Klägerin deren von ihm nicht gewünschte Schwangerschaft zum Vorwurf machte (vgl. EFSlg 54.460). Warum das Scheidungsbegehren der Klägerin sittlich nicht gerechtfertigt sein soll (§ 49 Satz 2 EheG), wie der Beklagte in der Revision meint, ist nicht zu erkennen. Zweck der Bestimmung des § 49 Satz 2 EheG ist es, zu verhindern, daß derjenige Ehegatte, der durch sein Verhalten die Ehe schon geraume Zeit mißachtet hat, auf Grund seiner Scheidungsklage von der Ehe loskommt, wenn der andere Teil auch Eheverfehlungen begeht, die in ursächlichem Zusammenhang mit den Eheverfehlungen des Klägers stehen oder von diesen bei weitem überwogen werden (EFSlg 54.397). Weder aber wiegen die Eheverfehlungen der Klägerin unverhältnismäßig schwerer als jene des Beklagten, noch auch kann gesagt werden, daß die Verfehlungen des Beklagten erst durch ein schuldhaftes Verhalten der Klägerin hervorgerufen worden wären (EFSlg 57.142).

Die Revision des Beklagten erweist sich damit als unbegründet, so daß ihr ein Erfolg zu versagen war.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 41, 50 ZPO.

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