OGH 7Ob578/90

OGH7Ob578/907.6.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Eva Maria M***, geb. am 8. Februar 1975, infolge Revisionsrekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgericht vom 2. April 1990, GZ 18 R 93/90-102, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Urfahr-Umgebung vom 29. Jänner 1990, GZ P 24/83-93, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung

Über Antrag des zur Durchsetzung der Unterhaltsansprüche der mj. Eva Maria M*** bestellten besonderen Sachwalters des Kindes Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung gewährte das Erstgericht mit Beschluß vom 29. 1. 1990, ON 93, nach § 4 Z 2 UVG einen monatlichen Unterhaltsvorschuß vom 1. 12. 1989 bis 30. 11. 1992 in der dem § 6 Abs 2 Z 3 UVG entsprechenden Höhe. Der Aufenthalt des Vaters des Kindes sei nicht bekannt. Der Unterhaltstitel stamme vom 20. 5. 1975. Eine Erhöhung des Unterhaltsbeitrages sei aus Gründen, die auf Seite des Unterhaltsschuldners lägen, nicht möglich. Das Rekursgericht gab dem vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz erhobenen Rekurs nicht Folge und sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist. Nach der Regierungsvorlage zu § 4 Z 2 UVG solle die Gewährung von Vorschüssen auch dann möglich sein, wenn der Unterhaltspflichtige unbekannten Aufenthaltes sei oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse bestehe. In diesen Fällen könne nämlich der für die Unterhaltsbemessung entscheidungswesentliche Sachverhalt nicht ermittelt werden. Die erfolglose Durchführung eines Titelverfahrens sei bei Gewährung eines Vorschusses nach dieser Gesetzesstelle nicht erforderlich, wenn ein Antrag auf Unterhaltsfestsetzung oder Unterhaltserhöhung schon nach der Aktenlage aussichtslos erscheine. Der Unterhaltsschuldner sei seit 17. 7. 1986 unbekannten Aufenthaltes. Anfragen an den Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger vom 31. 5. 1988 und 26. 3. 1990 und eine Meldeauskunft der Bundespolizeidirektion Linz vom 26. 3. 1990 seien ebenso wie eine Anfrage an die geschiedene Ehefrau des Unterhaltsschuldners ergebnislos geblieben. Weitere Nachforschungen seien vom besonderen Sachwalter und vom Erstgericht nicht zu verlangen. Aus dem Akt ergäben sich keine Hinweise auf eine Arbeitsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Der unbekannte Aufenthalt des Unterhaltspflichtigen behindere Erhebungen zu den nach § 140 Abs 1 ABGB maßgeblichen Einkommens- und Lebensverhältnissen des Unterhaltsschuldners. Diese Umstände seien auch bei der Beantwortung der Frage, ob die von der Rechtsprechung entwickelte Anspannungstheorie angewendet werden könne, maßgeblich. Die Anspannung des Unterhaltsschuldners setze voraus, daß dieser trotz einer ihm zumutbaren konkreten Arbeitsmöglichkeit diese nicht ergreife. Ob dies der Fall sei, könne im vorliegenden Fall allein nach der Aktenlage nicht beurteilt werden. Erst die aktuellen Lebensumstände des Vaters könnten darüber Auskunft geben. Der ordentliche Revisionsrekurs sei für zulässig zu erklären gewesen, weil eine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur vorliegenden Frage fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz ist aus dem vom Revisionsrekurs genannten Grund zulässig (§ 15 Abs 3 UVG idF des Art. III des Revisionsrekurs-Anpassungsgesetzes, § 14 Abs 1 AußStrG idF des Art. II der WGN 1989). Er ist jedoch nicht berechtigt. Nach § 4 Z 2 UVG sind Vorschüsse auch zu gewähren, wenn die Festsetzung des Unterhaltsbetrages überhaupt oder, falls der Exekutionstitel iS des § 3 Z 1 UVG, gerechnet vom Zeitpunkt der Erlassung, älter als drei Jahre ist, die Erhöhung des Unterhaltsbeitrages aus Gründen auf Seite des Unterhaltsschuldners nicht gelingt, außer dieser ist nach seinen Kräften offenbar zu einer Unterhaltsleistung bzw. einer höheren Unterhaltsleistung nicht imstande.

Nach den Ausführungen in der RV 276 BlgNR 15. GP, 9, soll es genügen, daß der Unterhaltsanspruch nicht bemessen bzw. nicht erhöht werden kann ... Daraus ergibt sich, daß Vorschüsse gewährt werden sollen, "wenn der Unterhaltsschuldner unbekannten Aufenthaltes ist oder Ungewißheit über seine Lebensverhältnisse herrscht". Die Vorschußleistung soll nur dann ausgeschlossen sein, wenn der Unterhaltsschuldner "offenbar" zur Unterhaltsleistung bzw. zur Leistung des höheren Unterhalts nicht imstande ist (vgl. Knoll, UVG in ÖA, 5. Lfg. März 1988, Rz 4 zu § 4 Z 2 und 3 UVG). Eine Bevorschussung nach § 4 Z 2 UVG setzt voraus, daß der Unterhaltsschuldner an sich, dem Grund nach, in der Lage ist, Unterhalt zu leisten. Die Leistungsunfähigkeit müßte sich auf der eingeschränkten Beweisgrundlage des § 11 Abs 2 UVG durch einen positiven Beweis ergeben. Ein Beweisdefizit und Zweifel über die Leistungsfähigkeit machen die Unfähigkeit nicht offenbar und stehen daher der Bevorschussung nicht entgegen (Knoll aaO, Rz 6 und 7). Wie das Rekursgericht festgestellt hat, finden sich im Akt keine Hinweise auf eine Arbeitsunfähigkeit des Unterhaltsschuldners. Die Frage, ob ein Vorschußverfahren nach § 4 Z 2 UVG (zwingend) ein versuchtes Unterhaltsfestsetzungsverfahren voraussetzt, wird in der Rechtsprechung der zweiten Instanz (ein Rekurs an den Obersten Gerichtshof war nach der Fassung des UVG vor dem Revisionsrekurs-Anpassungsgesetz nicht zulässig) nicht einheitlich behandelt. Der Oberste Gerichtshof schließt sich der Ansicht an, daß die ergebnislose Durchführung eines Unterhaltsverfahrens nicht unbedingt Voraussetzung für Unterhaltsvorschußgewährung ist (vgl. EFSlg 54.717 und 51.861), und daß ein Unterhaltsfestsetzungsverfahren jedenfalls dann entbehrlich ist, wenn ein solches Verfahren schon nach der Aktenlage - wie hier, wo alle Erhebungen nach dem Aufenthalt des Unterhaltspflichtigen seit fast vier Jahren ergebnislos geblieben sind - aussichtslos erscheint. Dem UVG ist nicht zu unterstellen, daß es zu sinnentleerten Formalakten auffordert. Es ist nicht erkennbar, was für Sinn, Zweck und Notwendigkeit eines vorgeschalteten Unterhaltsfestsetzungsverfahrens sprechen soll, wenn auf der Verfahrensgrundlage des § 11 Abs 2 UVG dargetan werden kann, daß nach den im einzelnen anzunehmenden Umständen eine Unterhaltsfestsetzung bzw. eine Unterhaltserhöhung nicht gelingen kann, zumal bei der vom Gesetz und seinen Materialien immer wieder zum Ausdruck gebrachten Tendenz, rasch Hilfe zu leisten (Knoll aaO, Rz 10).

Es trifft zu, daß nach der Rechtsprechung der Vorinstanzen (vgl. EFSlg 57.470, 54.720, 51.866 ua) Unterhaltsvorschuß, ist die Möglichkeit der Unterhaltsfestsetzung auf Grund der Anspannungstheorie gegeben, nicht zu gewähren ist (iglS Knoll aaO Rz 14), und daß die Anspannungstheorie auch gegen einen abwesenden Unterhaltspflichtigen angewendet werden kann, sofern es sich nicht um eine erstmalige Bemessung handelt (1 Ob 556/80 in ÖA 1980, 23, mit Besprechung von Pichler, in ÖA 1981, 67). Derartige Unterhaltsfestsetzungsverfahren werden im allgemeinen aber nur dann erfolgreich sein, wenn die Abwesenheit bzw der unbekannte Aufenthalt noch nicht von langer Dauer sind oder der Unterhaltsschuldner doch beweismäßig erfaßbare Spuren hinterlassen hat, die auf seine Leistungsfähigkeit schließen lassen (Knoll aaO). Schon allein der seit der bisher einzigen, im vorliegenden Verfahren erfolgten Unterhaltsbemessung verstrichene Zeitraum von 15 Jahren spricht deshalb gegen die Durchführung eines solchen Verfahrens. Das Rekursgericht ist darüber hinaus zum Ergebnis gekommen, daß die aktuellen Lebensumstände des Vaters nach der Aktenlage nicht beurteilt werden können. Eine Anwendung der Anspannungstheorie ist daher nicht möglich.

Dem Revisionsrekurs war aus diesen Gründen ein Erfolg zu versagen.

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