OGH 3Ob549/90

OGH3Ob549/9023.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Pflegschaftssache für den mj. Michael Anton S***, geboren 1. August 1981, wohnhaft bei den Pflegeeltern Maria und Dipl.Ing. Alban B***, Lienz, Brunnenweg 21, infolge Revisionsrekurses des Sachwalters Bezirkshauptmannschaft Lienz, Jugendfürsorge, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 6.März 1990, GZ 1 b R 38/90-35, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Lienz vom 18.Jänner 1990, GZ P 184/81-29, abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der angefochtene Beschluß wird dahin abgeändert, daß der Beschluß des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Text

Begründung

Der mj.Michael Anton S***, geboren am 1.August 1981, ist ein uneheliches Kind der Annemarie B*** und des Santokh S***, dessen Vaterschaft mit Urteil des Bezirksgerichtes Lienz vom 28. Dezember 1983 festgestellt wurde. Nach diesem Urteil ist der Vater zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 350 S monatlich verpflichtet, erfüllt aber diese Verpflichtung nicht. Eine Exekution ist aussichtslos, weil sein Aufenthalt unbekannt ist. Die Mutter wurde mit Beschluß des Erstgerichtes vom 10.Mai 1982 zur Zahlung eines monatlichen Unterhaltsbetrages von 1.000 S verpflichtet, kann aber ihrer Zahlungsverpflichtung seit längerer Zeit wegen krankheitsbedingter Einkommenslosigkeit nicht nachkommen. Das Kind befindet sich seit seinem dritten Lebensmonat in Pflege bei Dipl.Ing.Alban und Marie B***, dies mit Zustimmung der Mutter und Erteilung der Pflegeerlaubnis nach den Bestimmungen des JWG 1954. Nach dem Inkrafttreten des KindRÄG stellten die Pflegeeltern den Antrag, ihnen die Obsorge für das Kind zur Gänze zu übertragen, und die Mutter stimmte dem Antrag zu. Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 14.Dezember 1989 wurde die Obsorge im Sinne des § 186 a ABGB zur Gänze den Pflegeeltern übertragen. Bis zum Jänner 1982 bezahlte die Mutter das Pflegegeld, seither wird das Pflegegeld aus Mitteln der Sozialhilfe abgedeckt. Die Pflegeeltern erteilten die Zustimmung, daß der Jugendwohlfahrtsträger gemäß § 212 Abs 2 ABGB als Sachwalter für die Festsetzung und/oder Durchsetzung der Unterhaltsansprüche tätig werde.

In dieser Eigenschaft beantragte der Jugendwohlfahrtsträger die Gewährung von Unterhaltsvorschuß ab 1.Jänner 1990, wobei er den Standpunkt vertrat, daß das Kind nicht auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht bei der Pflegefamilie untergebracht sei, vielmehr liege ein von der Mutter selbst gewünschtes Pflegeverhältnis vor, auf das § 2 Abs 2 Z 2 UVG nicht anwendbar sei. Das Erstgericht schloß sich der Ansicht des Jugendwohlfahrtsträgers an und gewährte den Unterhaltsvorschuß. Infolge Rekurses des Präsidenten des Oberlandesgerichtes änderte das Gericht zweiter Instanz den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß der Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschuß abgewiesen wurde. Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz war der Ansicht, daß nach der neuen Rechtslage die Kosten einer Unterbringung auf einem Pflegeplatz nicht mehr vom Land auf den Bund überwälzt werden könnten. Sobald für die Kosten der Erziehung die Sozialhilfe oder die Jugendwohlfahrt aufkommen müßten komme daher eine Gewährung von Unterhaltsvorschüssen nicht mehr in Betracht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Sachwalters ist berechtigt. Gemäß § 2 Abs 2 Z 2 UVG idF des KindRÄG besteht ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuß nicht, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe oder der vollen Erziehung nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht in einer Pflegefamilie, in einem Heim, oder in einer sonstigen Einrichtung untergebracht ist.

Vor dem Inkrafttreten des KindRÄG lautete diese Bestimmung dahin, daß ein Anspruch auf Unterhaltsvorschuß nicht bestehe, wenn das Kind auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe in einem Heim oder bei Pflegeeltern untergebracht ist.

Nach den Erläuterungen der Regierungsvorlage zum KindRÄG (172 der Beil 17.GP 24) sollte die neue Fassung des Gesetzes ohne wesentliche inhaltliche Änderung nur eine Anpassung an die geänderte Terminologie des neuen Jugendwohlfahrtsrechtes bringen. Zum Verständnis der neuen Regelung ist daher auch noch die alte Rechtslage mit zu berücksichtigen.

Was unter einer Unterbringung bei Pflegeeltern "auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege" zu verstehen sei, wurde von den Gerichten zweiter Instanz unterschiedlich ausgelegt. Das Landesgericht Innsbruck vertrat die Ansicht, daß die bloße Mitwirkung der Bezirksverwaltungsbehörde bei der Übernahme eines Minderjährigen in fremde Pflege noch keine solche Maßnahme sei (ÖA 1977, 53 = EfSlg 29.769; diese Entscheidung fand allgemeine Zustimmung bei einer Arbeitstagung über aktuelle Fragen der Unterhaltsbevorschussung, siehe ÖA 1978, 91). Das Landesgericht Salzburg behandelte schon die bloße Genehmigung eines Pflegeverhältnisses als eine die Versagung des Unterhaltsvorschusses rechtfertigende Jugendwohlfahrtsmaßnahme (ÖA 1984, 52 = EFSlg 49.050).

Die besseren Argumente hat die erstgenannte Entscheidung für sich. Die mit jeder Unterbringung eines Minderjährigen auf einem Pflegeplatz verbundene behördliche Bewilligungs- und Aufsichtstätigkeit mag zwar durchaus eine Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege sein. Damit ist aber noch nicht das Tatbestandsmerkmal erfüllt, daß die Unterbringung überhaupt erst "auf Grund einer Maßnahme der Jugendwohlfahrtspflege" erfolgt wie dies dann der Fall ist, wenn nicht die Eltern die Unterbringung in fremde Pflege beschließen und den Pflegeplatz auswählen und für die Kosten desselben aufkommen, sondern wenn alles dies der Jugendwohlfahrtsträger aus eigenem zu veranlassen hat (so wohl auch Knoll UVG in ÖA Rz 18 zu § 2).

Nach der neuen Rechtslage kommt dieser Standpunkt im Gegensatz zur Ansicht der zweiten Instanz nicht etwa schwächer, sondern noch viel deutlicher zum Ausdruck: Jetzt schließt nicht mehr jede Maßnahme nach dem öffentlichen Jugendwohlfahrtsrecht, sondern nur eine im Rahmen der "vollen Erziehung" erfolgende Unterbringung den Unterhaltsvorschuß aus. Das neue JWG unterscheidet klar zwischen den Leistungen der Jugendwohlfahrt für Pflegekinder überhaupt und der Gewährung von Hilfen zur Erziehung die noch nicht den Grad der vollen Erziehung erreichen einerseits und eben dieser vollen Erziehung im Sinne des § 28 JWG. Eine solche volle Erziehung wurde aber im vorliegenden Fall nie angeodnet und es erfolgte daher die Unterbringung bei der Pflegefamilie nicht auf Grund einer Maßnahme der vollen Erziehung.

Die seit dem KindRÄG mögliche Übertragung der Obsorge an die Pflegeeltern im Sinne des § 186 a ABGB kann nicht mit einer solchen Maßnahme der vollen Erziehung gleichgesetzt werden. Es liegt aber auch keine Unterbringung bei einer Pflegefamilie auf Grund einer Maßnahme der Sozialhilfe vor. Auch hier geht es nicht darum, ob Sozialhilfeleistungen erbracht werden, sondern ob die Unterbringung selbst auf Grund der gesetzlichen Bestimmungen über die Sozialhilfe angeordnet wurde. Das Tiroler Sozialhilfegesetz LGBl 1973 Nr 105 sieht neben der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes und der Übernahme der Kosten einer einfachen Bestattung auch die Hilfe in besonderen Lebenslagen vor (§ 3), die in verschiedenen Formen geleistet werden kann (§ 5) und daher auch die Unterbringung eines etwa pflegebedürftigen Minderjährigen in einer geeigneten Pflegefamilie beinhalten kann. Eine solche Anordnung einer Unterbringung bei Pflegeeltern durch die zuständige Sozialhilfebehörde ist im vorliegenden Fall nicht erfolgt. Die Regelung des § 2 Abs 2 Z 2 UVG (alte wie neue Fassung) will allerdings nach dem Wunsch des Gesetzgebers sicherstellen, daß die Kosten der Unterbringung des Kindes in einem Heim oder bei Pflegeeltern nicht von den Trägern der Jugendwohlfahrtspflege oder der Sozialhilfe, die diese Kosten nach der geltenden Rechtslage treffen, auf den Bund überwälzt werden (JAB 199 Beil 14.GP, 5). Die Erteilung einer Pflegebewilligung nach § 16 JWG löst aber noch nicht die Pflicht des Jugendwohlfahrtsträgers aus, für das Pflegegeld aufzukommen. Nur wenn der Jugendwohlfahrtsträger als eine von ihm selbst gesetzte Maßnahme eine Unterbringung auf einem Pflegeplatz anordnet, hat er im Sinne des § 32 Abs 1 JWG hiefür zunächst selbst aufzukommen. Hier fehlen also alle Anhaltspunkte für eine Überwälzung der Kosten des Pflegeplatzes vom Land auf den Bund. Weniger klar ist dies bei der Erbringung von Sozialhilfeleistungen. Im Regelfall muß Sozialhilfe immer gewährt werden, wenn die Voraussetzungen für die Gewährung des Unterhaltsvorschusses vorliegen. Sowohl bei der Gewährung der Sozialhilfe als auch bei der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen besteht im allgemeinen auch ein Rückgriffsrecht auf den Unterhaltspflichtigen. Man könnte also immer damit argumentieren, daß das Risiko der Uneinbringlichkeit von den Trägern der Sozialhilfe auf den Bund überwälzt wird. Das UVG enthält aber keinen allgemeinen Rechtssatz, daß Unterhaltsvorschuß immer nur dann gewährt werden kann, wenn die Voraussetzungen der Sozialhilfe nicht vorliegen. Vielmehr gilt umgekehrt das sogenannte Nachrangprinzip der Sozialhilfe, also der Grundsatz, daß die Sozialhilfe nur subsidiär zum Tragen kommt, wenn keine andere Möglichkeit zB der Sicherung des Unterhalts gegeben ist (EvBl 1989/142; SZ 60/71). § 1 Abs 3 des Tiroler Sozialhilfegesetzes sieht ausdrücklich vor, daß eine die Sozialhilfe auslösende Notlage nur vorliegt, wenn die nötigen Mittel nicht von anderen Personen oder Einrichtungen beschafft werden können. Dies spricht dafür, die primäre Kostentragungspflicht des Sozialhilfeträgers nur ausnahmsweise anzunehmen, was wiederum zur oben dargestellten engeren Auslegung des § Abs 2 Z 2 UVG führt. Nur wenn die Unterbringung in einem Heim oder auf einem Pflegeplatz unmittelbar im Rahmen der Sozialhilfe angeordnet wird soll nicht mehr der Bund für die Bevorschussung der dadurch auflaufenden Kosten zuständig sein.

Es war daher der zutreffende Beschluß des Erstgerichtes wiederherzustellen. Frei von Rechtsirrtum ist dabei auch die Anordnung der Auszahlung der Vorschüsse an den Jugendwohlfahrtsträger als Einhebungssachwalter; denn sobald ein Antrag im Sinne des § 17 Abs 2 letzter Halbsatz UVG vorliegt, sind die Vorschüsse nicht mehr den Pflegeeltern auszuzahlen (Knoll aaO Rz 5 zu § 17 UVG).

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