OGH 3Ob584/89 (3Ob585/89)

OGH3Ob584/89 (3Ob585/89)23.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in den verbundenen Rechtssachen der jeweils klagenden Partei Paula J***, Pensionistin, Fohrenburgstraße 17, 6700 Bludenz, vertreten durch Dr. Roland Piccolruaz, Rechtsanwalt in Bludenz, wider die beklagten Parteien 1. Werner J***, Schilehrer, Gurtis 14, 6820 Frastanz, vertreten durch Dr. Ludwig Gaßner, Rechtsanwalt in Bludenz, sowie 2. Irmgard M*** und 3. Johann M***, beide Lehrer, Alte Landstraße 25, 6700 Bludenz, und vertreten durch Dr. Johann Meier, Rechtsanwalt in Bludenz, wegen Feststellung der Wegedienstbarkeit und wegen Entfernung eines Zaunes (Streitwert S 29.000,-- und S 30.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 30.Mai 1989, GZ 1 b R 89,90/89-22, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Bludenz vom 10.Feber 1989, GZ 4 C 397/88i-15, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, an Kosten des Revisionsverfahrens der erstbeklagten Partei S 3.292,80 (darin S 548,80 Umsatzsteuer) sowie der zweit- und der drittbeklagten Partei zusammen S 3.622,08 (darin S 603,68 Umsatzsteuer) binnen vierzehn Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin ist Eigentümerin der zwischen der Fohrenburgstraße und der Dr. Noldinstraße in Bludenz gelegenen Grundstücke der Liegenschaft EZ 863 KG Bludenz mit dem Haus Fohrenburgstraße 17. Früher grenzte etwa im Norden an ihre Grundflächen das Weg-Grundstück Nr 3632/1, das in Verlängerung des Armantinweges eine auf 2,5 Meter Breite befahrbare und begehbare öffentliche Gemeindestraße mit 50 Meter Länge darstellte.

Die Zufahrt zur Liegenschaft der Klägerin wurde nicht erörtert, als der Ehegatte der Klägerin Peter J*** im Jahr 1924 das Wohnhaus und im Jahr 1931 einen Zubau errichten ließ. Das Grundstück, auf dem die Gebäude stehen, grenzte ohnedies an die Fohrenburgstraße und an die öffentliche Gemeindestraße auf dem Grundstück 3632/1, über die seit dem Jahr 1924 eine Zufahrtsmöglichkeit besteht und seit den Zwanzigerjahren bis 1987 unbeanstandet benützt wurde und zwar meist von der Fohrenburgstraße, fallweise auch von der Dr. Noldinstraße her. Von der Fohrenburgstraße kann das Haus zu Fuß seit dem Jahr 1924 über eine Treppe erreicht werden.

Das Grundstück Nr 3632/1 wurde mit der am 1.März 1988 an der Amtstafel angeschlagenen Verordnung der Stadt Bludenz als Gemeindestraße aufgelassen. Am 10.November 1988 teilte die Gemeinde der Klägerin mit, daß ein allfälliges Sondergebrauchsrecht an diesem Teil des Armantinweges als Gemeindestraße widerrufen werde, falls es bestanden haben sollte. Die Klägerin widersprach.

Im Norden des ehemaligen Weggrundstückes 3632/1 grenzen die Liegenschaften der Beklagten an. Der Erstbeklagte erwarb seine Liegenschaft mit Kaufvertrag vom 1.März 1988. Die Zweitbeklagte und der Drittbeklagte erwarben je zur Hälfte mit dem 5.Jänner 1988 eine Teilfläche aus dem Grundstück Nr 3632/1 (ehemals Gemeindestraße). Da das Bauamt der Gemeinde zu dem Ergebnis gekommen war, daß der nur wenige Meter südlich der Alten Landstraße gelegene Verbindungsweg Grundstück Nr 3632/1 entbehrlich, aber eine Verbreiterung der Einmündung der Fohrenburgstraße in die Alte Landstraße geboten sei, kam es zu dem Grundtausch nach Auflassung der Gemeindestraße, weil die angrenzenden Grundstücke ausreichend durch öffentliche Straßen aufgeschlossen waren. Die Voreigentümerin des Erstbeklagten überließ der Gemeinde eine Teilfläche an der Ostgrenze zur Gehsteigherstellung und erwarb eine Teilfläche von rund 71 m2 der aufgelassenen Straße. Die Zweitbeklagte und der Drittbeklagte kauften den an ihr Grundstück im Süden angrenzenden Teil mit einer Fläche von rund 63 m2.

Nach der bücherlichen Durchführung dieser Grundstücksgeschäfte errichteten diese Erwerber quer über den ehemaligen Gemeindeweg einen provisorischen Bretterzaun.

Die Klägerin forderte ihre Nachbarn vergeblich auf, den Zaun zu entfernen und ihr Zufahrtsrecht anzuerkennen.

Am 3.Mai 1988 erhob die Klägerin gegen den Erstbeklagten zu 4 C 397/88i und gegen die Zweitbeklagte und den Drittbeklagten zu 4 C 437/88x des Erstgerichtes die Klagen. Die Verfahren wurden zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden. Dem Erstbeklagten gegenüber begehrt die Klägerin die Feststellung des Bestehens der Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens über den östlichen Teil der ehemaligen öffentlichen Straßenfläche als Zufahrt zu ihrer Liegenschaft. Die Feststellung und überdies die Entfernung des provisorischen Zaunes begehrt die Klägerin auch von den Miteigentümern der zweiten nördlich angrenzenden Liegenschaft. Die Klägerin stützt sich in beiden Prozessen darauf, daß sie und ihre Einzelrechtsvorgänger im Eigentum der Grundstücke 1106 und 637/2 seit mehr als 40 Jahren die als Gemeindestraße aufgelassene Grundfläche als Zugang und Zufahrt benützten und eine Dienstbarkeit ersessen hätten. Diese Dienstbarkeit sei offenkundig gewesen. Den Beklagten fehle der gute Glaube bei Erwerb der Teilflächen von der Stadt Bludenz. Der von der Zweitbeklagten und dem Drittbeklagten errichtete Zaun behindere ihre Zufahrt.

Die Beklagten beantragten, die Klagebegehren abzuweisen. Die Klägerin habe die Gemeindestraße nur im Rahmen des Gemeingebrauches benützt und wie andere Wegbenutzer begangen und befahren. Eine Sondernutzung habe sie nicht beantragt und auch nicht bewilligt erhalten. Privatrechte an öffentlichen Straßen, die nach dem Vorarlberger Landesstraßengesetz nicht neu begründet werden könnten, seien nach § 55 Abs 2 Vorarlberger Straßengesetz aufgehoben. Das Erstgericht wies die Klagebegehren und die auf Duldung des Gehens und Fahrens auf einem 2,5 Meter breiten Grundstreifen im Süden der Grundstücke der Beklagten gerichteten Eventualbegehren ab. Voraussetzung für die Ersitzung einer Dienstbarkeit an einem öffentlichen Weg sei die Benützung außerhalb des Gemeingebrauches. Diese Voraussetzung sei nicht erfüllt, wenn über den öffentlichen Gemeindeweg bloß gegangen und gefahren wurde, um zum eigenen Grundstück zu gelangen. Eine Dienstbarkeit des Privatrechtes sei nicht ersessen. Sollte es sich trotz der Auflassung der Gemeindestraße und der Eigentumsübertragung um eine öffentliche Privatstraße handeln, sei der Schutz des Gemeindegebrauches vor der Verwaltungsbehörde geltend zu machen.

Das Berufungsgericht bestätigte und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes in jeder Rechtssache jeweils S 300.000,-- übersteige. Verfahrensmängel und unrichtige Tatsachenfeststellung lägen nicht vor. Die Feststellungen seien unbedenklich. Zumindest seit dem Jahr 1924 habe das ehemalige Grundstück 3632/1, das mit Teilstücken in das Eigentum der Beklagten übergegangen sei, als Gemeindestraße dem Gemeingebrauch gedient. Eigentümer sei die Gemeinde gewesen. Eine bewilligungspflichtige Sondernutzung wäre nur vorgelegen, wenn sie mit dem Straßenzweck unvereinbar war. Eine Ersitzung von Privatrechten an der in fremdem Eigentum stehenden Liegenschaft käme nur in Betracht, wenn die Benützung in anderer Weise erfolgte als im Rahmen des Gemeingebrauches. Das Zufahren und Abfahren zu und von neben der Straße liegenden Grundstücken sei eine Ausübung des Fahrrechtes im Rahmen des Gemeingebrauches. Es handle sich nicht um einen Sondergebrauch. Ob der Eigentümer (Straßenerhalter) stillschweigend einem Sondergebrauch zustimmte und ob die Zustimmung jederzeit widerruflich sei, könne offen bleiben, wie auch die Frage, ob die Auflassung der Gemeindestraße der Klägerin gegenüber wirksam wurde. Diesen Einwand habe die Klägerin im Verfahren erster Instanz nicht vorgetragen.

Rechtliche Beurteilung

Die zulässige Revision der Klägerin ist nicht berechtigt. Ein Verfahrensmangel liegt nicht vor. In Wahrheit meint die Klägerin auch nur, zur abschließenden rechtlichen Beurteilung sei noch die Feststellung erforderlich, daß sich an ihrer Grundgrenze zu der als Zufahrt benötigten Grundfläche hin Tore befanden. Darauf kommt es aber ebenso wenig an wie auf die Kenntnis der Stadt Bludenz, daß solche Tore errichtet waren und daß die Klägerin dort auf ihr Grundstück zufuhr. Entscheidend ist allein, daß das Grundstück Nr 3632/1 im Eigentum der Stadt Bludenz seit (zumindest) 1924 bis 1987 als öffentliche Gemeindestraße dem Gemeingebrauch zum Gehen und Fahren gewidmet war und die Benützung dieser Grundfläche durch die Klägerin oder ihre Rechtsvorgänger über diesen Gemeingebrauch nicht hinaus ging. Denn auch das Gehen und Fahren zu einer an die Straße angrenzenden Liegenschaft oder von dieser auf die Straße stellt keinen Sondergebrauch dar, wie die Klägerin meint, sondern nichts anderes, als den typischen bestimmungsgemäßen Gebrauch der straße, die nicht nur dem Durchzugsverkehr, sondern auch der Erschließung der entlang der Straße gelegenen Liegenschaften dient. Die rechtliche Beurteilung der Sache durch die Vorinstanzen beruht also auf keinem Rechtsirrtum. Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, sie hätte die Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens auf der ehemaligen Gemeindestraße erworben. Es fehlt an jedem Titel für den Erwerb dieses dinglichen Rechtes. Daß ihr die Dienstbarkeit vertraglich eingeräumt worden sei, hat die Klägerin selbst nicht behauptet. Es fehlt aber auch an der Voraussetzung der geltend gemachten Ersitzung während der langen Ersitzungszeit, weil eine Benützung des öffentlichen Weges außerhalb des Gemeingebrauches nicht erfolgte. An einem öffentlichen Weg kann ein Privatrecht (zB eine Dienstbarkeit) durch Ersitzung nur erworben werden, wenn die Benützung des Weges in anderer Weise ausgeübt wird, als sie von jedermann im Rahmen des Gemeingebrauches erfolgt (SZ 31/71; EvBl. 1961/296; EvBl. 1973/113 ua). Für den Eigentümer der dienstbaren Straßenliegenschaft muß erkennbar sein, daß ein vom Gemeingebrauch verschiedenes Recht in Anspruch genommen wird, und diese Ausübung muß vom Eigentümer wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geduldet werden (Schubert in Rummel, ABGB, Rz 4 zu § 1460; SZ 41/86 ua). Die Rechtsausübung darf nicht bloß im Rahmen des Gemeingebrauches erfolgt sein (Petrasch in Rummel2, Rz 3 zu § 480; SZ 5/56; MietSlg. 29.014; SZ 56/184 ua). Auch den Entscheidungen EvBl. 1961/296 und SZ 41/86, auf die sich die Revisionswerberin beruft, ist nichts Gegenteiliges zu entnehmen. Die Revisionswerberin beruft sich zu Unrecht darauf, daß sie auf dem öffentlichen Weg nicht bloß vorübergefahren, sondern von diesem Weg auch zu ihrer - übrigens an andere Straßen

angrenzenden - Liegenschaft zugegangen und zugefahren und von dieser Liegenschaft weggegangen und weggefahren sei; denn auch dies ist noch nicht eine für den Eigentümer öffentlichen Gutes erkennbare Sondernutzung, sondern lediglich ein Ausfluß des Gemeingebrauches, der sich nicht in der Durchfahrt erschöpft, sondern Zufahrt und Abfahrt zu und von angrenzenden Besitztümern einschließt. Schon deshalb hat die Klägerin keine Dienstbarkeit des Gehens und Fahrens ersessen und sie kann weder aus der Dienstbarkeit noch sonst aus einem Titel gegen die nunmehrigen Eigentümer der an ihre Grundstücke im Norden angrenzenden Liegenschaften einen Anspruch ableiten, deren Grundstücke zu begehen und mit Fahrzeugen aller Art zu befahren.

Auf die von der Revisionswerberin aufgeworfenen Fragen der Aufhebung erworbener Dienstbarkeiten nach § 55 Abs 7 Vorarlberger StraßenG, der Verfassungskonformität dieses Landesgesetzes und der Widerruflichkeit eines Sondergebrauchsrechtes kommt es daher nicht an. Die Entscheidung über die gegen die Erwerber der Teilflächen der nicht mehr benötigten öffentlichen Verkehrsfläche verfolgten Ansprüche auf Feststellung der Dienstbarkeit, Entfernung eines Zaunprovisoriums und auf Duldung des Begehens und Befahrens eines Grundstreifens als privatrechtliche Rechte hängt schließlich auch nicht davon ab, ob die im Verwaltungsverfahren erfolgte Straßenauflassung gesetzmäßig erfolgte, weil die Klägerin im erstgerichtlichen Verfahren dazu (auch) kein Tatsachenvorbringen erstattet hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte