Spruch:
Der Erwerb eines Privatrechtes durch Ersitzung an einem öffentlichen Weg setzt eine Benützung außerhalb des Rahmens des Gemeingebrauches voraus, dies auch dann, wenn die Ausübung in Unkenntnis der Verpflichtung des Gründeigentümers zur Duldung des Gemeingebrauches erfolgte.
Entscheidung vom 30. April 1958, 5 Ob 129/58.
I. Instanz: Bezirksgericht Hietzing; II. Instanz: Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien.
Text
Die Kläger begehrten Fällung des Urteiles a) den Klägern und allen künftigen Eigentümern der Liegenschaft EZ. 870 KG. H. als des herrschenden Gutes stehe die Dienstbarkeit des Wegerechtes gegenüber dem jeweiligen Eigentümer der Liegenschaft EZ. 270 KG. H. als des dienenden Gutes in der Weise zu, daß zur Bewirtschaftung und zum Bewohnen der Liegenschaft EZ. 870 Parzelle 587/7 zu jeder Jahreszeit längs des östlichen Randes der Parzelle 584/1 gegangen werden dürfe,
b) die Beklagten seien schuldig, binnen 14 Tagen bei Exekution zu erklären, daß sie in die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeit in der für das dienende Grundstück bestehenden Grundbuchseinlage, nämlich EZ. 270 des Grundbuches H., willigen.
Das Klagebegehren grundet sich auf die Behauptung, die Kläger hätten, seitdem sie Eigentümer der Liegenschaft EZ. 870 sind, nämlich seit 1923, immer das Wegerecht im Sinne des Klagebegehrens ausgenützt; nun hätten die Beklagten erklärt, in nächster Zeit das weitere Gehen über das Grundstück untersagen zu wollen.
Die Beklagten wendeten ein, das von ihnen im Jahre 1933 käuflich erworbene Grundstück sei vorher öffentliches Gut gewesen; die Gemeinde Wien habe ihnen ausdrücklich erklärt, daß dingliche Rechte daran nicht bestunden, sie aber verpflichtet, den Durchgang bis zur Schaffung eines Ersatzweges zu gestatten. Diese Duldung sei den Beklagten mit Bescheid vom 13. Juni 1934 aufgetragen worden. Der Bescheid sei im Grundbuch eingetragen und überdies den Klägern bekanntgegeben worden. Nach wie vor werde von den Beklagten der Durchgang gestattet. Die Kläger hätten übrigens das Durchgangsrecht nicht ununterbrochen ausgeübt. Der Bescheid vom 13. Juni 1934 wurde von den Beklagten nicht vorgelegt. Ein von ihnen vorgelegter Grundbuchsauszug, in welchem eine Verpflichtung zur Duldung des Durchganges und der Durchfahrt ersichtlich gemacht ist, betrifft eine andere Liegenschaft. Auch ein im Berufungsverfahren infolge Auftrages des Berufungsgerichtes von den Parteien vorgelegter Bescheid vom 13. Juni 1934, betreffend eine Verpflichtung zur Duldung des Durchganges und der Durchfahrt, bezieht sich nicht auf die Beklagten und deren Liegenschaft. Hingegen haben die Beklagten in der Streitverhandlung eine Abschrift des zwischen ihnen und der Gemeinde geschlossenen Vertrages vom 18. August 1933 vorgelegt, deren Richtigkeit von den Klägern anerkannt wurde. In diesem Vertrag übertrug die Gemeinde Wien den Beklagten einen Grundstreifen des Grundstückes 871, öffentliches Gut der KG. H., zur Einbeziehung in das Grundstück 584/1 gegen eine Pauschalentschädigung. Im § 2 des Vertrages bestätigte die Gemeinde Wien als Verwalterin des öffentlichen Gutes, daß an der zu übertragenden Teilfläche dritten Personen keinerlei Rechte zustehen. § 5 des Vertrages hat folgenden Wortlaut: "Die Einbeziehung des im § 1 dieses Vertrages bezeichneten Ergänzungsgrundes in den Bauplatz darf erst nach Schaffung eines Ersatzweges erfolgen. Die Bauwerber sind daher verpflichtet, die bezeichnete Teilfläche bis zur Schaffung dieses Ersatzweges dem öffentlichen Verkehr frei zu lassen."
Das Erstgericht wies das Klagebegehren mit der Begründung ab, daß die Kläger das Gehen nicht als ihr Recht ausgeübt, sondern den Weg als öffentlichen Weg zufolge des Bescheides der Gemeinde Wien benützt hätten.
Das Berufungsgericht hob das Ersturteil unter Rechtskraftvorbehalt auf. Es fehle - so meint das Berufungsgericht - für die Entscheidung des Erstgerichtes die Grundlage, weil weder der vorgelegte Bescheid vom 13. Juni 1934 noch der vorgelegte Grundbuchsauszug die Liegenschaft der Beklagten beträfen. Es seien Feststellungen darüber erforderlich, ob die Kläger beim Begehen des Grundstückes den Willen hatten, ein ihnen zustehendes Privatrecht auszuüben, oder ob sie nicht vielleicht den Weg in Ausübung eines etwa bestehenden Gemeingebrauches benützten. Nur in diesem Falle wäre das Klagebegehren ohne weiteres abzuweisen. Andernfalls hätten die Kläger die stillschweigende Duldung oder ausdrückliche Gestattung ihres Wegerechtes als eines Privatrechtes nicht nur in bezug auf die beklagten Parteien als derzeitige Eigentümer der Liegenschaft EZ. 270, sondern auch in bezug auf die ehemalige Eigentümerin, die Gemeinde Wien, zu beweisen.
Der Oberste Gerichtshof hob den Beschluß des Berufungsgerichtes auf.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
Es ist zwar richtig, daß eine bescheidmäßige Verpflichtung der Beklagten durch die Gemeinde Wien zur Duldung des Durchganges nicht festgestellt ist, weil der vorgelegte Bescheid ebenso eine andere Liegenschaft betrifft wie der vorgelegte Grundbuchsauszug. Wohl aber liegt der zwischen den Beklagten und der Gemeinde Wien geschlossene Vertrag vom 18. August 1933 vor. Die Richtigkeit der vorgelegten Vertragsabschrift ist unbestritten, der Inhalt der von den Vertragspartnern in diesem Vertrage abgegebenen Erklärungen steht somit fest; die Beurteilung der Bedeutung dieser Erklärungen fällt in das Gebiet der rechtlichen Beurteilung. Diese führt zu folgendem Ergebnis:
Der Vertrag ist zwar, soweit darin die Abtretung eines Grundstreifens vereinbart wurde, privatrechtlicher Natur, er enthält aber die von den Beklagten gegenüber der Gemeinde, die zur Verwaltung des öffentlichen Gutes und zu dessen Widmung zu öffentlichen Wegen berufen ist, übernommene öffentlich-rechtliche Verpflichtung, den abgetretenen Grundstreifen bis zur Schaffung eines Ersatzweges dem öffentlichen Verkehre frei zu lassen. Zur Einhaltung dieser Verpflichtung waren die Beklagten auch dann verbunden, wenn eine bescheidmäßige Verpflichtung zur Duldung des Durchganges ihnen gegenüber nicht ausgesprochen wurde. Wenn daher die Beklagten nach Abschluß dieses Vertrages den Durchgang über den abgetretenen Grundstreifen gestatteten, kann dies nicht als Duldung einer Rechtsausübung durch die Kläger, sondern nur als Erfüllung der der Gemeinde Wien gegenüber übernommenen öffentlich-rechtlichen Verpflichtung zur Gestattung des Gemeingebrauches angesehen werden. Damit ist aber dem Klagebegehren der Boden entzogen, weil Voraussetzung der Ersitzung eines Rechtes nach § 1460 ABGB. der Besitz dieses Rechtes ist; der Besitz des Rechtes wird nach §§ 312, 313 ABGB. durch den Gebrauch des Rechtes im eigenen Namen erlangt; von dem Gebrauch eines Rechtes kann aber dann nicht gesprochen werden, wenn der die Ersitzung Behauptende mit der angeblichen Rechtsausübung nur etwas getan hat, was infolge des bestehenden Geeingebrauches jedermann zu tun berechtigt war (GlUNF. 6303, GlU. 12.259, SZ. V 56). Zwar ist auch an einem öffentlichen Weg der Erwerb eines Privatrechtes durch Ersitzung grundsätzlich nicht ausgeschlossen. Voraussetzung eines solchen Erwerbes ist aber, daß der Erwerber die Benützung in anderer Weise ausgeübt hat, als sie durch jedermann im Rahmen des Gemeingebrauches ausgeübt werden konnte (GlU. 12.259). Daß dies geschehen sei, haben die Kläger nicht dargetan, da sie nur behauptet haben, sie seien stets am Ostrande der Parzelle 584/1 gegangen; dazu war aber nach § 5 des zwischen den Beklagten und der Gemeinde Wien geschlossenen Vertrages vom 18. August 1933 jedermann berechtigt. Ob den Klägern diese öffentlichrechtliche Befugnis bekannt war oder ob sie in deren Unkenntnis der Meinung waren, mit dem ständigen Gebrauch des Grundstückes als Gehweg ein nur ihnen zustehendes Recht auszuüben, ist nicht entscheidend. Denn zum Erwerb des Rechtsbesitzes an einem eine Liegenschaft belastenden Recht ist es zwar erforderlich, aber nicht genügend, daß der den Besitz Behauptende den Willen hat, ein Recht auszuüben, das ihm gegen jeden Eigentümer des dienenden Grundstückes zusteht. Hinzutreten muß noch, daß die Leistung oder Duldung durch den Gründeigentümer erkennbar wie die Erfüllung einer Schuldigkeit geschieht, als hätte derjenige, dem geleistet wird oder dessen Handlungen geduldet werden, ein Recht darauf (SZ. XIV 117, Klang 2. Aufl. II 77). Davon kann nicht gesprochen werden, wenn die Beklagten zwar wahrgenommen haben, daß die Kläger über ihren Grund gehen, dies aber gar nicht hindern konnten, weil sie infolge der gegenüber der Gemeinde eingegangenen öffentlichrechtlichen Verpflichtung jedermann den Durchgang durch ihr Grundstück gestatten mußten.
Da demnach die Sache zur Bestätigung des Ersturteiles spruchreif ist, war der angefochtene Beschluß aufzuheben.
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