OGH 1Ob533/90

OGH1Ob533/9021.5.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. Heinz P***, Angestellter, Wien 9., Alserstraße 42, vertreten durch Dr. Christian Prem und Dr. Werner Weidinger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagten Parteien 1) Ing. Wolfgang B***, technischer Kaufmann, Weidling, Gschwend 2b, 2) Ing. Franz S***, technischer Kaufmann, Gießhübel, Hauptstraße 107/9/1, 3) Dipl.Ing.Leopold W***, technischer Kaufmann, Wien 14., Steinböckgasse 63, alle vertreten durch Dr. Rudolf Friedrich Stiehl und Dr. Rudolf Christian Stiehl, Rechtsanwälte in Wien, wegen insgesamt 95.000 S sA, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12.Oktober 1989, GZ 5 R 171/89-32, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom 16.April 1989, GZ 31 Cg 595/87-26, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 5.324,04 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin 887,34 S Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagten waren an der S*** Gesellschaft mbH, Wien, (im folgenden Gesellschaft) beteiligt. Die Geschäfte gingen nicht besonders gut. Man war sich bewußt, daß es zur Etablierung auf dem Markt notwendig sein werde, auch nicht gewinnträchtige Geschäfte hereinzunehmen. Um die Jahreswende 1986/87 wurde der Kläger mit der Unternehmensleitung betraut, um eine günstigere wirtschaftliche Entwicklung zu erzielen. Der Kläger erwarb mit Notariatsakt vom 23. Dezember 1986 von Eleonore F***, die einen voll einbezahlten Geschäftsanteil von 500.000 S hielt, einen Geschäftsanteil von 95.000 S und wurde mit Jahreswechsel 1986/87 zum alleinzeichnungsberechtigten Geschäftsführer der Gesellschaft bestellt. Den Beklagten stand es frei, in der Gesellschaft ein- und auszugehen und in die Firmenunterlagen Einsicht zu nehmen. Es kam auch zu zahlreichen Besprechungen der Beklagten mit dem Kläger über die laufenden Geschäfte und die (wirtschaftliche) Lage des Unternehmens. Weiters erstellte der Kläger periodische schriftliche, auch den Beklagten zugestellte Berichte über den Status des Unternehmens. Bereits etwa im April 1987 kam es zu schwerwiegenden Auseinandersetzungen zwischen den Streitteilen, weil nach Meinung der Beklagten der Kläger eine Mitarbeiterin mit einem viel zu hohen Gehalt angestellt und "Insich-Geschäfte" mit der Gesellschaft geschlossen habe; nach Ansicht der Beklagten habe er sich unberechtigt aus einem Autokauf Vorteile zugewendet, die in keinem Verhältnis zur wirtschaftlichen Lage und den wirtschaftlichen Gegebenheiten der Gesellschaft gestanden seien. Diese später zum Bruch führenden persönlichen Auseinandersetzungen der Streitteile bezogen sich nicht auf Besorgnisse der Beklagten, der Kläger führe die Geschäfte allgemein so schlecht, daß der wirtschaftliche Ruin des Unternehmens zu befürchten sei. Über Rat des Rechtsfreundes der Beklagten beschlossen die Beklagten, sich vom Kläger zu trennen. Der Kläger war damit einverstanden, er wurde deshalb im Juni 1987 als Geschäftsführer abberufen und verkaufte mit Notariatsakt vom 29.Juni 1987 seinen Geschäftsanteil von 95.000 S an die Beklagten, nämlich je 31.666,70 S an den Erst- und den Zweitbeklagten sowie 31.666,60 S an den Drittbeklagten. Der Abtretungspreis von 95.000 S war innerhalb von 30 Tagen ab Vertragserrichtung fällig. Die Beklagten übernahmen die Geschäftsführung und stellten fest, daß das Unternehmen "wesentlich schlechter lag", als sie nach ihrem privaten Wissen und ihren privaten Nachforschungen sowie den offiziellen und inoffiziellen Berichten des Klägers während der Zeit seiner Geschäftsführung annehmen mußten. Über das Vermögen der Gesellschaft wurde im September 1987 der Ausgleich (AZ 6 Sa 33/87 des Handelsgerichtes Wien) und, nachdem Sicherheiten für die Annahme des Ausgleiches nicht zur Verfügung gestellt werden konnten, am 11. Jänner 1988 der Anschlußkonkurs eröffnet (AZ 6 S 1/88 des Handelsgerichtes Wien).

Der Kläger begehrte von den Beklagten den fälligen und trotz Mahnung nicht bezahlten Abtretungspreis für seinen Geschäftsanteil, nämlich vom Erst- und Zweitbeklagten je 31.666,70 S und vom Drittbeklagten 31.666,60 S, jeweils sA.

Die Beklagten beantragten die Abweisung des Klagebegehrens und brachten vor, daß der Kläger für das "Stadium Krida" verantwortlich sei und sie hievon nicht unterrichtet habe. Er habe sie auch vor Unterfertigung des Abtretungsvertrages über den Status der Gesellschaft insoferne in Irrtum geführt, als er dargetan habe, daß es sich um ein "normales lebendes Unternehmen" handle. Der Abtretungsvertrag werde wegen Irrtum angefochten.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und stellte fest: Es sei nicht nachweisbar, daß der Kläger die Beklagten während seiner Geschäftsführung wissentlich falsch über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens informiert oder daß er in Kenntnis der katastrophalen tatsächlichen Lage diese vor den Beklagten verschleiert habe. Er habe das Unternehmen bereits in einem Zustand übernommen, in dem die letztendlich zum wirtschaftlichen Ruin führenden Aufträge großteils bereits abgeschlossen gewesen und durchgeführt worden seien. Er habe das wirtschaftliche System der Führung der Baustellen übernommen, wie es vor seiner Zeit praktiziert worden sei. Der Kläger sei wohl bestrebt gewesen, Mißstände abzustellen, habe aber insbesonderes die tatsächlich drohenden Belastungen nicht überblicken können, weil die vordergründig aufliegenden Daten die tatsächliche wirtschaftliche Situation verschleiert hätten. Parallel dazu habe der Dollarverfall eingesetzt, wobei Geschäfte auf Dollarbasis hätten angenommen werden müssen, was sich zum Nachteil des Unternehmens ausgewirkt habe. Aufträge, die das Unternehmen in die "positiven Zahlen" hätten bringen sollen, habe das Unternehmen gegen die Konkurrenz nicht erlangen können. Die wahre wirtschaftliche Lage der Gesellschaft und die Konkursreife sei auch dem Kläger bis zu seinem Ausscheiden verschlossen geblieben.

In rechtlicher Hinsicht vertrat der Erstrichter im wesentlichen den Standpunkt, die Beklagten hätten lediglich vorgebr cht, sie seien über die wahre wirtschaftliche Lage der Gesellschaft, nicht jedoch über den Wert des Geschäftsanteiles in Irrtum geführt worden. Kaufgegenstand sei jedoch der (Minderheits-)Anteil des Klägers gewesen, nicht die Gesellschaft selbst. Der Minderheitsanteil stelle für sich eine verkehrsfähige Sache dar. Der Irrtum sei nicht in der Kaufsache selbst, dem Geschäftsanteil, sondern nur im Motiv gelegen, warum sich die Beklagten zum Ankauf entschlossen haben. Somit bestehe nur ein unbeachtlicher Motivirrtum. Selbst wenn ein wesentlicher Irrtum der Beklagten iS des § 871 ABGB vorgelegen sei, betreffe der Irrtum den gemeinen Wert (Verkehrswert) einer Sache. Ein derartiger Wertirrtum gehöre aber zum typischen Vertragsrisiko, das der Partei nicht abgenommen werden könne.

Das Gericht zweiter Instanz gab der Berufung der Beklagten nicht Folge; es ließ die Revision zu. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes und billigte im wesentlichen dessen Rechtsauffassung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, obwohl der Kläger von jedem der drei Beklagten lediglich einen 60.000 S nicht übersteigenden Betrag begehrt und die zweite Instanz die Entscheidung des Erstrichters bestätigte. Ob bei einer Anspruchshäufung wie hier für die Frage der Zulässigkeit der Revision die einzelnen Beträge zusammenzurechnen sind, bestimmt sich nach § 55 JN. Gemäß § 55 Abs 1 Z 2 JN aF - § 55 Abs 1 JN idF der WGN 1989 ist nicht anzuwenden, weil die Klage vor dem 31. Juli 1989 bei Gericht angebracht wurde - sind mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche ua dann zusammenzurechnen, wenn sie gegen mehrere Parteien erhoben werden, die Streitgenossen nach § 11 Z 1 ZPO sind. Streitgenossen iS des § 11 Z 1 ZPO (materielle Streitgenossen) sind Personen, die in Ansehung des Streitgegenstands in Rechtsgemeinschaft stehen oder aus demselben tatsächlichen Grund oder solidarisch berechtigt oder verpflichtet sind. Ein tatsächlicher Zusammenhang liegt vor, wenn die Ansprüche aus demselben Klagssachverhalt abzuleiten sind. Dies ist dann er Fall, wenn das für einen Anspruch erforderliche Sachvorbringen ausreicht, auch über die anderen geltend gemachten Ansprüche entscheiden zu können, ohne daß noch ein ergänzendes Sachvorbringen erforderlich wäre (SZ 58/134; Fasching I 344 f und Lehrbuch2 Rz 371). Dies ist hier der Fall. Die Klagsansprüche werden aus einem einzigen Vertrag, nämlich dem Notariatsakt vom 29.Juni 1987 abgeleitet. Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit, womit die Beklagten nur neuerlich die erstgerichtliche Beweiswürdigung bekämpfen, liegt, wie der Oberste Gerichtshof geprüft hat, nicht vor (§ 510 Abs 3 ZPO). Der Geschäftsanteil an einer Gesellschaft mbH ist ein Inbegriff von Rechten und Pflichten des Mitgliedes gegenüber der Gesellschaft (SZ 44/125, SZ 36/155) und eine bewegliche, nicht körperliche Sache (Reich-Rohrwig, Das österr. GmbH-Recht 615 mwN). Nach § 76 Abs 1 GmbHG sind die Geschäftsanteile übertragbar. Die Übertragung eines Anteiles vollzieht sich bei Einhaltung der Vorschrift des § 76 GmbHG unabhängig von der Eintragung im Anteilsbuch (SZ 59/172) nach zessionsrechtlichen Grundsätzen (SZ 44/125).

Für die Anfechtung der rechtsgeschäftlichen Übertragung von Geschäftsanteilen gelten die allgemeinen Grundsätze des Zivilrechts:

Sie kann wegen Irrtums oder arglistiger Täuschung angefochten werden (Reich-Rohrwig aaO, 629; Gellis-Feil aaO, 407; Rowedder, GmbHG, § 15 dGmbHG Rz 7; Winter in Scholz, Kommentar zum GmbH-Gesetz7, § 15 dGmbHG Rz 113; Schilling/Zutt in Hachenburg, GmbHG7, § 15 dGmbHG Rz 10, 11). Die Beklagten behaupteten eine (listige) Irreführung durch den Kläger in der Richtung, daß er sie über die wahre wirtschaftliche Lage des Unternehmens, insbesondere die Konkursreife nicht unterrichtet, vielmehr dargetan habe, daß es sich um ein "normales lebendes Unternehmen" handle. Eine ausdrückliche Erklärung des Klägers über die wirtschaftliche Situation der Gesellschaft ist nicht erwiesen, es steht auch fest, daß dem Kläger selbst die Konkursreife des Unternehmens bis zu seinem Ausscheiden verschlossen geblieben ist, sodaß von einer listigen Irreführung keine Rede sein kann. Im vorliegenden Fall ist aber auch eine Aufklärungspflicht des Klägers zu verneinen.

Von den Beklagten wurde für die marode Gesellschaft eine Person zur Erzielung einer günstigeren wirtschaftlichen Situation gesucht und in der Person des Klägers gefunden, der dann auch einen Geschäftsanteil erwarb. Rund ein halbes Jahr später ging die Initiative zum Erwerb des Geschäftsanteils des Klägers dann ausschließlich von den Beklagten aus, die sich vom Kläger nun wegen persönlicher Differenzen und nicht wegen dessen Geschäftsführung trennen wollten. Nach der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom Erstrichter getroffenen Feststellung wurden die wirtschaftlichen Parameter beim Verkauf des Geschäftsanteils von den Beklagten gesetzt und vom Kläger wegen der Mißstimmung angenommen. Es wäre dann aber ausschließlich Sache der Beklagten gewesen, Erkundigungen darüber zu pflegen, ob sich die schlechte wirtschaftliche Situation der Gesellschaft seit der Übernahme der Geschäftsführung und des Geschäftsanteiles von 95.000 S durch den Kläger rund ein halbes Jahr vorher gebessert oder weiter verschlechtert hat. Damit fehlt es aber an einer, vom Kläger verletzten Aufklärungspflicht und damit auch an einer "Veranlassung" des Irrtums iS des § 871 ABGB durch ihn. Die Revisionswerber führen weiters ins Treffen, daß Geschäftsführer auch den einzelnen Gesellschaftern für den Schaden aus vorsätzlich falschen Darstellungen des Vermögensstandes der Gesellschaft mbH in Versammlungsprotokollen, Jahresabschlüssen, Bilanzen, Geschäftsberichten etc. haften, sie übersehen dabei aber, daß sie eine Gegenforderung aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes nicht geltend gemacht haben und nach den erstgerichtlichen Feststellungen von einer vorsätzlich falschen Darstellung des Klägers keine Rede sein kann.

Der Irrtumseinwand der Beklagten ist aus diesen Erwägungen nicht stichhältig. Es kann dann auf sich beruhen, ob ein allfälliger Irrtum der Beklagten ein Geschäfts- oder aber ein Motivirrtum war und ob, wovon die zweite Instanz ausging, beim Erwerb eines Geschäftsanteiles, der dem Erwerber keine beherrschende oder doch maßgebliche Stellung verschafft, der Irrtum über den Wert des Unternehmens lediglich einen unbeachtlichen Motivirrtum darstellt. Der Revision ist nicht Folge zu geben. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 ZPO.

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