Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Die mj. Chantal P*** entstammt der von Hermann P***, geboren am 8. April 1960, und Ellen Anita V*** D*** D*** (nunmehr verehelichte W***), geboren am 25. Juni 1961, am 22. Oktober 1983 vor dem Standesamt Matrei geschlossenen und mit Beschluß des Erstgerichtes vom 25. Februar 1988 (zu 3 Sch 63/87) geschiedenen Ehe. Im Scheidungsvergleich wurde ua die Obsorge für die mj. Chantal dem Vater übertragen. Die Mj. lebte - wie von Geburt an - weiterhin in Navis, Unterweg Nr 50, allerdings in der Familie ihres Onkels sowie ihrer Tante Josef und Veronika P***. Sie wird in dieser Familie sehr gut gepflegt, hat zu Onkel und Tante eine gute seelische Beziehung und erhält dabei so viel Förderung, wie dies in einer bäuerlichen Familie neben der Arbeit in Haus und Hof möglich ist. Im Haushalt der Ehegatten Josef und Veronika P*** lebt noch ein leiblicher Sohn, Veronika P*** erwartete im November 1989 ein weiteres Kind, das im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz noch nicht geboren war. Zu ihrem Vater der zwar in Innsbruck berufstätig ist, jedoch jeden Tag nach der Arbeit nach Navis kommt, hat die Mj. täglich Kontakt. Er spielt mit ihr und bringt sie auch zu Bett. Auch wenn der Vater an Wochenenden öfters in der Landwirtschaft seines Bruders mithilft, hält er sich viel bei der Mj. auf. Er führt allerdings auch einen eigenen Haushalt (in Innsbruck) in dem er mit einer Frau lebt.
Nachdem die Mutter nach der Trennung von der Familie wegen ihrer Berufstätigkeit nicht in der Lage war, der Mj. eine Betreuung wie in der gewohnten Umgebung in Navis zu bieten, besuchte sie ab Oktober 1987 bis Juli 1988 wöchentlich fünfmal die Mj. in Navis, ohne dort zu nächtigen, ab Juli 1988 sodann viermal wöchentlich. Gegen diese ausgedehnten Besuche erhoben weder die Ehegatten Josef und Veronika P***, noch der Vater Einwände. Im Sommer 1988 ehelichte die Mutter den Alois W***, gründete einen Hausstand und verfügte nunmehr über Möglichkeiten, Kontakte zu ihrer Tochter zu pflegen oder diese zu sich zu nehmen. Zur Zeit ist die Mj. einmal monatlich von Freitag nachmittags bis Sonntag abends in der Familie der Mutter, wo sie sich auch wohl fühlt. Die Beziehung der Mj. zu ihrer Mutter ist ausgezeichnet und intensiv. Auch der Ehegatte der Mutter, Alois W*** ist sehr um die Mj. sowie um eine Klärung und Regelung der Pflege- und Besuchssituation bemüht. Er nahm von sich aus mit dem Vater Kontakt auf und organisierte ein Treffen, bei dem es aber zu einer unliebsamen Auseinandersetzung kam. Der Vater, der über das Wohl der Mj. stets große Gesprächsbereitschaft zeigte, steht sehr unter dem Einfluß seines Bruders Josef P***, der in der Familie immer schon eine Vaterrolle eingenommen hatte. Seit diesem gescheiterten Gespräch wurde von Josef P***, aber auch vom Vater das vorher von der Mutter nahezu täglich ausgeübte Besuchsrecht nicht mehr akzeptiert, seither gibt es drastische Einschränkungen der Besuchszeiten, unter welchen das Kind sehr leidet. Die Mutter ist in ihrer neuen ehelichen Beziehung sehr stabil, die Verhältnisse bei ihr sind geordnet.
Nach der Einschränkung ihrer außergerichtlich geübten Besuchszeiten und dem Scheitern der zwischen den Eltern über eine Obsorgeübertragung auf die Mutter geführten Gespräche beantragte die Mutter eine Besuchsrechtsregelung in der Weise, daß sie das Kind zweimal wöchentlich für einige Stunden in Navis besuchen sowie zweimal monatlich von Freitag nachmittags bis Sonntag abends mit sich nehmen könne. Sowie die Übertragung der Obsorge auf sie, weil sich bei ihr nach der Eheschließung und ihren sonstigen Verhältnissen die Lage soweit gebessert habe, so daß sie nunmehr die Mj. in Pflege und Erziehung übernehmen könne. Dies sei vor allem auch deshalb angebracht, weil die Mj. in der Familie ihres Onkels und ihrer Tante nur als ein fremdes Kind aufwachse, dem noch dazu nach der Geburt eines weiteren Kindes nur wenig Aufmerksamkeit gewidmet würde, sich der Vater um die Pflege und Erziehung seiner Tochter nahezu nicht kümmere, während sie als Hauptbezugsperson der mj. Chantal die Obsorge voll übernehmen könne. Auch seien die Möglichkeiten für die Mj. bei der Kindergarten- und Schulunterbringung in Innsbruck besser als in Navis, einem kleinen Bergdorf.
Der Vater sprach sich gegen die Obsorgeübertragung und damit gegen die Entziehung der Obsorge aus, weil ihn die Mutter seinerzeit mit der Mj. für längere Zeit verlassen, letztlich der Übertragung der Obsorge an ihn im Scheidungsvergleich zugestimmt habe, und Umstände, die eine Entziehung oder Rückübertragung der Obsorge an die Mutter rechtfertigen könnten, nicht vorlägen. Der Mj. gehe es bei ihm bzw seinem Bruder und dessen Gattin sehr gut, von einer Gefährdung des Kindeswohls könne keine Rede sein. Im übrigen sei zwischen Land- und Stadtkindern nicht zu unterscheiden, zumindest derzeit sei die Unterbringung in einem Kindergarten oder in der Familie des Bruders und sodann in einer Grundschule auch in Navis genauso gewährleistet wie in Innsbruck.
Das vom Erstgericht zur Äußerung aufgeforderte Jugendamt der Bezirkshauptmannschaft Innsbruck beurteilte die Pflege- und Erziehungssituation der Minderjährigen sowohl beim derzeitigen Aufenthalt in Navis, als auch beim geplanten Aufenthalt in Innsbruck als günstig und sprach sich letztlich für den Antrag der Mutter auf Obsorgeübertragung aus.
Das Erstgericht entzog dem Vater die Obsorge für die mj. Chantal und übertrug diese auf die Mutter, die es mit ihrem Besuchsrechtsantrag auf diese Entscheidung verwies. In seiner rechtlichen Beurteilung ging es davon aus, daß ein Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse dann vorgenommen werden könne, wenn besonders wichtige Gründe eine Änderung geboten erscheinen ließen. Bloß geringfügige Änderungen in der Interessenlage rechtfertigten es nicht, eine einmal getroffene Regelung oder Entscheidung umzustoßen. Wenn auch im vorliegenden Fall von einer Gefährdung des Wohles der mj. Chantal bei Josef und Veronika P*** auf keinen Fall gesprochen werden könne, die Mj. vielmehr von beiden gut versorgt werde, so hätten sich doch bei der Mutter die Verhältnisse mittlerweile so verändert, daß das Wohl des Kindes im Hinblick auf seine Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten bei der Mutter deutlich besser gewahrt sei. Die Betreuung im gegebenen Rahmen durch Josef und Veronika P*** sei trotz aller Liebe und Sorge doch nur die Betreuung durch eine Pflegefamilie gegenüber welcher die Erziehung durch die leibliche Mutter eindeutig der Vorzug zu geben sei. Darüber hinaus seien die Entwicklungsmöglichkeiten der Mj. bei der Mutter in Innsbruck, die derzeit eben nur ihr Kind zu betreuen hätte, auch im Hinblick auf die Schul- und Ausbildungsmöglichkeiten besser. Die Kontakte des Vaters zur Mj. würden im Vergleich zum bisherigen Zustand nur in geringem Ausmaß eingeschränkt, da er ohnehin in Innsbruck arbeite und ihm daher Besuche der Mj. bei der Mutter leicht möglich seien. Auch sei nicht von der Hand zu weisen, daß eventuell Konfliktsituationen in der "Pflegefamilie" auf Grund der vorhandenen eigenen Kinder entstehen könnten, weil sich Chantal zurückgesetzt fühlen könnte. Im übrigen sei ein Wechsel der Obsorge im derzeitigen Alter der Mj. jedenfalls noch leichter zu akzeptieren, als zu einem späteren Zeitpunkt, in dem sie vielleicht den Kindergarten oder die Schule besuche. Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände sei hier der Wechsel in der Obsorgeberechtigung vom Vater auf die Mutter zu rechtfertigen.
Infolge Rekurses des Vaters änderte das Gericht zweiter Instanz die Entscheidung des Erstgerichtes dahin ab, daß es den Antrag der Mutter auf Obsorgeübertragung abwies und den Ausspruch des Erstgerichtes, daß die Mutter mit ihrem Besuchsrechtsregelungsantrag auf diese Entscheidung hinsichtlich der Obsorge verwiesen werde, ersatzlos behob. Die Änderung der Obsorgeberechtigung und somit der Pflege- und Erziehungsverhältnisse könne nur bei besonders wichtigen Gründen vorgenommen werden, die im Interesse des Kindes dringend eine Änderung geboten erscheinen ließen, wobei ein besonders strenger Maßstab anzulegen sei. Solche besonderen Gründe könnten auch in einer wesentlichen Verbesserung der Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten des Kindes gelegen sein. Im vorliegenden Fall seien besonders wichtige Gründe für eine Änderung der Obsorgezuweisung allerdings nicht vorhanden. Auf rein theoretisch für die Zukunft nicht ausschließbare Möglichkeiten (Verschlechterung der Beziehung der Mj. zur Familie Josef und Veronika P***, geringere Ausbildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten in Navis als in Innsbruck etc) könne bei der Neuzuteilung der Obsorgeberechtigung nicht Bedacht genommen werden. Die gänzliche oder teilweise Entziehung der Obsorge könne nur unter der Voraussetzung des § 176 ABGB erfolgen, wenn der obsorgeberechtigte Elternteil oder die in seinem Namen die Pflege und Erziehung des Kindes ausübenden Personen das Wohl des Kindes gefährdeten. Solches sei im vorliegenden Fall aber nicht festgestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen die Entscheidung der zweiten Instanz von der Mutter erhobene Revisionsrekurs ist nicht berechtigt.
Die Eltern der Mj. haben im Rahmen der einverständlichen Ehescheidung im Sinne des § 177 Abs 1 ABGB vereinbart, daß die Obsorge dem Vater zukommt. Eine Einschränkung der dazu von der Mutter erteilten Zustimmung in der Richtung, daß dies nur eine vorübergehende Maßnahme sein sollte, bis sie selbst nach ihren persönlichen und beruflichen Verhältnissen die Obsorge übernehmen könne, ist den Akten nicht zu entnehmen. Der Vater übte seine aus der Obsorgezuweisung übernommenen Pflege- und Erziehungspflichten (§ 144 ABGB), wie schon vor der Ehescheidung, überwiegend durch seinen Bruder Josef und dessen Ehegattin Veronika P*** aus, bei denen die Mj. von Geburt an aufwuchs. Damit wurde aber dieser Teil der Obsorge noch nicht zu einer Fremdpflege (EFSlg 51.332), sodaß der Pflege und Erziehung durch die leibliche Mutter nicht schon allein deshalb der Vorzug zu geben wäre. Ein Wechsel der Pflege- und Erziehungsverhältnisse ist nur dann vorzunehmen, wenn dies zum Wohl des Kindes aus besonders wichtigen Gründen (etwa wegen Gefährdung des Kindeswohles im Sinne des § 176 ABGB oder wegen wesentlicher Verbesserung seiner Entwicklungs- und Entfaltungsmöglichkeiten) dringend geboten ist (EFSlg 51.313 u.v.a.). Bloß geringfügige, das Kindeswohl betreffende Änderungen der Verhältnisse oder Interessenlagen stehen einer Änderung der Pflege- und Erziehungsverhältnisse bzw der Obsorgezuweisung schon wegen der im Interesse des Kindes zu fordernden Kontinuität der Pflege und Erziehung (EFSlg 51.311 ua) entgegen. Bei der Beurteilung der für eine Änderung der Obsorgezuweisung ins Treffen geführten Gründe ist ein strenger Maßstab anzulegen, so daß nur sichere Prognosen für eine erhebliche Förderung des Kindeswohles eine Änderung gestatten (EFSlg 33.624 ua).
Nach den dargelegten Rechtsgrundsätzen entspricht die angefochtene Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz der Sach- und Rechtslage. Änderungen, die sich auf das Wohl der Mj. auswirken könnten, haben sich hier allein im Bereich der Lebenssituation der Mutter (durch ihre Eheschließung und ihre nunmehrige berufliche Situation) ergeben, nicht aber im Bereich des Vaters und der zum Teil für ihn die Pflege und Erziehung der Mj. ausübenden Ehegatten Josef und Veronika P***. Das Erstgericht hat daher auch festgestellt, daß die Beziehung der Mj. zum Vater sowie zu Onkel und Tante tadellos und die Mj. durch ihren Aufenthalt in Navis nicht gefährdet sei. Daß auch die Beziehung der Mj. zu ihrer Mutter zufolge der intensiven Besuchskontakte ausgezeichnet ist und auch die Mutter derzeit zur Übernahme der Obsorge - im Sinne der positiven Äußerung des Jugendamtes zu ihrem Antrag - in der Lage und geeignet wäre, kann für sich allein die Änderung der Obsorgezuweisung nicht rechtfertigen. Diese Umstände wären allenfalls bei einer Erstzuweisung zu beachten gewesen. Die von der Mutter aus dem Verbleib der Mj. auf dem Bauernhof der Ehegatten Josef und Veronika P*** in Navis befürchteten Nachteile der geringen Förderung ihrer Tochter in der "fremden Familie", im Kindergarten oder in der Schule sind, da derartige Nachteile nicht feststehen oder mit Sicherheit zu erwarten sind, nicht geeignet, den beantragten Obsorgewechsel zu rechtfertigen.
Aus den dargelegten Gründen ist dem Revisionsrekurs der Erfolg zu versagen.
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