OGH 8Ob551/90

OGH8Ob551/9029.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Graf und Dr. Jelinek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der am 29.Oktober 1981 geborenen mj. Ines Maria S***, infolge Revisionsrekurses der Mutter Martina S***, Arbeiterin, 5020 Salzburg, Erzherzog Eugen-Straße 19, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgerichtes vom 21. Dezember 1989, GZ 22 c R 113/89-48, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Saalfelden vom 22.September 1989, GZ P 7/82-42, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Über Antrag der mütterlichen Großeltern Franz und Maria S*** entzog das Erstgericht der Mutter Martina S*** die Obsorge über ihr am 29.10.1981 geborenes mj. Kind Ines Maria S***; es betraute die mütterlichen Großeltern mit dieser Aufgabe. Nach der erstgerichtlichen Entscheidungsbegründung befand sich die außer der Ehe geborene mj. Ines Maria seit der Geburt im Hause der mütterlichen Großeltern und auch die Mutter wohnte - vorübergehend in Lebensgemeinschaft zunächst mit dem Vater des Kindes und dann mit einem Freund - dort, bis sie sich einer Alkoholentwöhnungskur unterzog. Die Versorgung des Kindes erfolgte im wesentlichen durch die Großeltern. Während ihrer Alkoholentwöhnungskur im Sonderkrankenhaus in Salzburg wurde die Mutter auf ihren Wunsch hin von der Minderjährigen mehrmals in Begleitung des Großvaters besucht. Nach Beendigung der Entwöhnungskur erhielt die Mutter über den Sozialdienst eine Wohnung in Salzburg und wollte zunächst das Kind in Pflege übernehmen, sah jedoch wegen der instabilen Verhältnisse, einer Delogierung, häufigen Arbeitsplatzwechsels, fallweise erhöhten Alkoholkonsums und der räumlichen Beengtheit schließlich selbst ein, daß das Kind im Haushalt der Großeltern besser untergebracht sei. Im Juni 1989 zog die Mutter nach tätlichen Auseinandersetzungen mit ihrem damaligen Lebensgefährten, einem Selbstmordversuch und einem Aufenthalt im Frauenhaus zu ihrem nunmehrigen Lebensgefährten Johann G***. Wegen der vorwiegend Diebstahlsdelikte, Körperverletzung und Nötigung betreffenden Vorstrafen Grafs weigerten sich die mütterlichen Großeltern, die mj. Ines Maria der Mutter zum Besuch mitzugeben. Auch wenn die Mutter immer wieder positive Ansätze zeigte, muß sie insgesamt als instabile Persönlichkeit angesehen werden. Zweifelsohne leidet sie unter der Trennung von ihrem Kind, dem sie offenbar zugeneigt ist. Sie kann jedoch auf Grund ihrer eigenen instabilen Lage dem Kind zumindest vorerst kein geordnetes Leben bieten. Die Großeltern befinden sich in geordneten Verhältnissen und haben eine starke emotionale Beziehung zum Enkelkind aufgebaut. Es erfährt bei ihnen eine sehr konsequente Erziehung. Die Mutter meint, sie hätten zu strenge Erziehungsansichten, erklärte jedoch, einer Übertragung des Rechtes auf Pflege und Erziehung und Vermögensverwaltung auf die Großeltern nicht entgegenzutreten, wenn diese ihr bei Ausübung eines Besuchsrechtes keine Probleme mehr bereiteten.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht den Standpunkt, unter den gegebenen Umständen, insbesondere wegen der instabilen Erziehungssituation bei der Mutter, lägen Gründe vor, welche es rechtfertigten, ihr das Recht der Obsorge für das Kind zu entziehen.

Der Rekurs der Mutter hatte keinen Erfolg. Das Rekursgericht verwies ergänzend darauf, daß im Hinblick auf die instabile Gesamtsituation der Mutter anläßlich der dringend erforderlichen Mandeloperation des Kindes die mütterliche Zustimmung nicht zu erreichen war, so daß sie vom Gericht ersetzt werden mußte (ON 37), und daß es zu ähnlichen Schwierigkeiten auch anläßlich einer Augenoperation gekommen war (ON 26). Weiters verwies es darauf, daß die Mutter, als sie selbst noch bei den Eltern wohnte, das Kind nur unregelmäßig und unzureichend versorgt habe und eine solche Vernachlässigung bei Übergabe des Kindes an die Mutter gravierende Folgen haben könnte. Es dürfe auch nicht übersehen werden, daß für ein Kind Vorfälle wie tätliche Auseinandersetzung zwischen Mutter und Lebensgefährten, Suizidversuch der Mutter und eine Quartiernahme im Frauenhaus (vgl. AS 89), massive Belastungen in der seelischen Entwicklung darstellen müßten. Beim insgesamt gegebenen Sachverhalt erscheine es im Sinne der erstgerichtlichen Entscheidung zur Sicherung des Kindeswohls gerechtfertigt, die Obsorge an die mütterlichen Großeltern zu übertragen. Soweit § 176 Abs 2 ABGB auch eine bloß teilweise Entziehung der Obsorge vorsehe, sei nach dem Wortlaut hinsichtlich der gesetzlichen Vertretung offenbar nur an eine alleinige Entziehung dieses Rechtes gedacht, nicht aber an den umgekehrten Fall, daß allein dieses Recht auf gesetzliche Vertretung beim bisherigen Obsorgeberechtigten verbleiben sollte.

Rechtliche Beurteilung

Gegen den rekursgerichtlichen Beschluß erhebt die Mutter Revisionsrekurs mit der Begründung, das Rekursgericht habe den § 176 ABGB unrichtig dahin interpretiert, daß die alleinige Belassung des gesetzlichen Vertretungsrechtes beim bisher obsorgeberechtigten Elternteil nicht möglich sei. Die Mutter habe hier zwar der Übertragung der Teilbereiche Pflege und Erziehung und Vermögensverwaltung und der zu diesen Teilbereichen gehörigen gesetzlichen Vertretung zugestimmt, nicht jedoch auch der Übertragung des gesetzlichen Vertretungsrechtes insgesamt. Es sei auch nicht einzusehen, worin eine Gefährdung des Kindeswohles liege, wenn das Recht der gesetzlichen Vertretung insoweit bei der Mutter verbleibe. Somit werde primär die Abänderung des angefochtenen Beschlusses dahin beantragt, daß zwar die Pflege und Erziehung und Vermögensverwaltung hinsichtlich der mj. Ines den Großeltern übertragen werde, das Recht auf die gesetzliche Vertretung aber bei der Mutter verbleibe. Sollte dem nicht entsprochen werden, würde der Beschluß insgesamt angefochten und dessen Abänderung im Sinne der Belassung der Obsorge für das Kind bei der Mutter beantragt. Die Obsorge könne nur bei Gefährdung des Kindeswohles entzogen werden, dieser Fall sei hier jedoch gar nicht möglich, weil die Mutter ohne Zustimmung des Jugendamtes ohnehin nichts unternehmen könne. Gemäß dem hier noch anzuwendenden § 16 Abs 1 aF AußStrG kann eine den erstgerichtlichen Beschluß bestätigende Entscheidung des Rekursgerichtes vor dem Obersten Gerichtshof nur aus den Beschwerdegründen der offenbaren Gesetzwidrigkeit, der Aktenwidrigkeit und der Nichtigkeit angefochten werden. Solche Beschwerdegründe macht die Mutter nicht geltend. Insbesondere behauptet sie auch keine offenbare Gesetzwidrigkeit, d. i. einen Verstoß gegen eine eindeutige gesetzliche Regelung, sondern nur eine unrichtige rekursgerichtliche Interpretation des § 176 ABGB und damit eine unrichtige rechtliche Beurteilung des Falles im Sinne einer einfachen Rechtswidrigkeit. Da der Oberste Gerichtshof zu 1 Ob 762/83 = EFSlg 43.328 bereits ausgesprochen hat, die Bestimmung des § 176 ABGB sehe nicht vor, dem Elternteil, dem die Pflege und Erziehung und die Vermögensverwaltung aberkannt wurde, allein die gesetzliche Vertretung zu belassen (vgl. auch Pichler in Rummel ABGB2 Rz 6 zu § 176), kann von einer offenbaren Gesetzwidrigkeit der rekursgerichtlichen Anwendung dieser Gesetzesbestimmung aber keinesfalls die Rede sein. Auch die Frage, unter welchen konkreten Umständen im Einzelfall das Wohl des Kindes durch das Verhalten des die Obsorge ausübenden Elternteiles gefährdet ist und die Entziehung dieser Obsorge rechtfertigt, ist im § 176 ABGB nicht ausdrücklich geregelt. Nach der Rechtsprechung ist unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohles nicht geradezu ein Mißbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen, vielmehr genügt es, daß die elterlichen Pflichten (objektiv) nicht erfüllt oder (subjektiv) gröblich vernachlässigt wurden oder daß die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (SZ 53/142; 1 Ob 665/89, 4 Ob 611/89).

Darin, daß das Rekursgericht in Übereinstimmung mit dem Erstgericht in der bei der Mutter weiterhin gegebenen instabilen Erziehungssituation in Zusammenhalt mit ihrem dargestellten Gesamtverhalten eine Gefährdung des Kindeswohles in diesem Sinne erblickte, liegt keinesfalls ein offenbarer Verstoß gegen die Regelung des § 176 ABGB.

Der Revisionsrekurs war daher mangels Vorliegens eines der im § 16 aF AußStrG vorausgesetzten Beschwerdegründe zurückzuweisen.

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