OGH 2Ob25/90

OGH2Ob25/9014.3.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Wolfgang M***-A***, Kaufmann, Larchetweg 24, 6414 Mieming, vertreten durch Dr. Markus Baldauf, Rechtsanwalt in Innsbruck, wider die beklagten Parteien 1.) Leonhard S***, Angestellter, Unterau 8, D-8118 Schlehdorf, 2.) V*** DER V***

Ö***, Schwarzenbergplatz 7, 1031 Wien, beide vertreten durch Dr. Georg Santer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen S 602.150,-- sA und Feststellung infolge Revision der klagenden Partei und der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 23. November 1989, GZ. 4 R 369/89-53, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 25. Juli 1989, GZ. 13 Cg 91/87-44, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision der beklagten Parteien wird nicht, der Revision der klagenden Partei wird hingegen teilweise Folge gegeben. Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie insgesamt zu lauten haben:

1.) Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen zu Handen des Klagevertreters

S 232.150,-- samt 4 % Zinsen aus S 2.150,-- vom 11. Juli 1984 bis 11. März 1987 und aus S 232.150,-- seit 12. März 1987 zu bezahlen. Das Mehrbegehren von S 370.000,-- samt 4 % Zinsen seit 12. März 1987 wird abgewiesen.

2.) Die beklagten Parteien haften der klagenden Partei zur ungeteilten Hand für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 17. Februar 1984 in Innsbruck auf der Kreuzung Anichstraße/Fallmerayerstraße, wobei die Haftung der zweitbeklagten Partei nur bis zur Höhe der in Österreich am 17. Februar 1984 festgesetzten amtlichen Mindestversicherungssumme für einen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherungsvertrag für einen Personenkraftwagen besteht.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, dem Kläger an Kosten des Verfahrens erster Instanz S 50.970,48 (einschließlich S 8.495,08 Umsatzsteuer), an Kosten des Verfahrens zweiter Instanz S 3.177,11 (einschließlich S 529,52 Umsatzsteuer) und an Kosten des Verfahrens dritter Instanz S 2.200,03 (einschließlich S 366,67 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen. Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien S 3.200,-- an Pauschalgebühren für das Berufungsverfahren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 17. Februar 1984 stieß der Erstbeklagte mit seinem PKW TÖL-M 532 (D) in Innsbruck auf der Kreuzung Anichstraße/Fallmerayerstraße gegen den vom Kläger gelenkten PKW, pol. KZ T 111.599. Der Kläger wurde dabei verletzt. Der Erstbeklagte wurde deswegen mit Strafverfügung des Bezirksgerichtes Innsbruck vom 16. Mai 1984, 10 U 351/84-6, wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs. 1 StGB rechtskräftig verurteilt. Der Kläger begehrte von den Beklagten unter Berücksichtigung einer Teilzahlung von S 20.000,--, weitere S 600.000,-- an Schmerzengeld, S 2.150,-- an Schadenersatz wegen Beschädigung des PKWs und beantragte die Feststellung der Haftung der Beklagten für künftige Schäden; das Feststellungsbegehren bewertete er mit S 65.000,--.

Die Beklagten stellten ihre Haftung dem Grunde nach außer Streit. Sie beantragten dennoch die Abweisung des Klagebegehrens, weil die Verletzungen des Klägers mit dem überwiesenen Betrag von S 20.000,-- abgegolten seien und das Feststellungsbegehren wegen der folgenlosen Abheilung der Verletzungen unberechtigt sei. Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit S 452.150,-- sA statt und erkannte auch das Feststellungsbegehren als berechtigt. Das Mehrbegehren von S 150.000,-- wies es ab. Es ging - zusammengefaßt dargestellt - von folgenden Feststellungen aus:

Der Kläger erlitt eine Schleuderverletzung im Bereich der Halswirbelsäule zweiten oder dritten Grades nach Erdmann, verbunden mit Rissen in den Gelenkskapseln und Bändern sowie Bandscheibenrupturen, darüberhinaus eine Hirnverletzung. Er erhielt an der Universitätsklinik für Unfallchirurgie Innsbruck eine Schanzkrawatte, die er etwa 7 1/2 Wochen lang trug. Das lange Tragen dieser immobilisierenden Halsstütze führte zu Insuffizienzerscheinungen der Schulter-Nackenmuskulatur, die erst wieder durch physio-therapeutische Maßnahmen in ihre ursprüngliche Situation versetzt werden mußte. Durch die Folgen seiner Verletzung war der Kläger in der Ausübung seiner Berufstätigkeit in den ersten 4 bis 6 Wochen nach dem Unfall zur Gänze, in der Folgezeit bis zum Ende des ersten Jahres nach dem Unfallsereignis im Ausmaß von 25 %, im zweiten Jahr im Ausmaß von 15 % und danach dauernd im Ausmaß von 10 % eingeschränkt. Aus der Schleuderverletzung bleibt eine Funktionsstörung der Halswirbelsäule als Dauerschade. Die Hirnverletzung verursachte zwar keine morphologischen Schmerzen, führte jedoch zu dauernder Störung der Hirnleistung (visuelle Merkfähigkeit, Vergeßlichkeit) sowie zu Persönlichkeitsstörungen im Emotions- und Affektbereich (zB Angstzustände). Auch bei diesen durch die Hirnverletzung verursachten Störungen handelt es sich um Dauerschädigungen. Insgesamt erlitt der Kläger komprimiert 44 Tage Schmerzen schweren Grades, 83 Tage Schmerzen mittleren Grades und 266 Tage hindurch dauernde Schmerzen leichten Grades.

Rechtlich erachtete das Erstgericht ein Schmerzengeld von insgesamt S 470.000,-- für angemessen und erkannte auch das Feststellungsbegehren für berechtigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten teilweise Folge und änderte das erstgerichtliche Urteil dahin ab, daß es dem Kläger unter Einbeziehung rechtskräftiger Teile S 132.150,-- sA zusprach. Das Mehrbegehren von S 470.000,-- sA wies es ab; den Feststellungsausspruch bestätigte es. Das Gericht zweiter Instanz hielt ein Schmerzengeld von insgesamt S 150.000,-- für angemessen und erachtete auch das Feststellungsbegehren für berechtigt, weil die Möglichkeit künftiger weiterer Schäden nicht ausgeschlossen sei. Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision beider Parteien. Der Kläger stützt sich auf die Anfechtungsgründe des § 503 Z 1 und 4 ZPO und beantragt die Abänderung des angefochtenen Urteils dahin, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt werde; die Beklagten begehren unter dem Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung die Abänderung des angefochtenen Urteiles durch Abweisung eines weiteren Betrages von S 50.000,-- und des Feststellungsbegehrens. Beide stellen auch Aufhebungsanträge.

In den Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien, der Revision der Gegenseite nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

1.) Die Revision des Klägers ist teilweise berechtigt:

Von einer Nichtigkeit des angefochtenen Urteils kann zwar im Gegensatz zu den Ausführungen des Klägers nicht die Rede sein, weil die angefochtene Entscheidung einwandfrei überprüfbar ist; dem Kläger ist aber zuzubilligen, daß das Schmerzengeld zu gering ausgemessen wurde:

Bei der Bemessung des Schmerzengeldes ist der Gesamtkomplex der Schmerzempfindungen unter Bedachtnahme auf die Dauer und die Intensität der Schmerzen nach ihrem Gesamtbild, auf die Schwere der Verletzungen und auf das Maß der psychischen und physischen Beeinträchtigung des Gesundheitszustandes zu berücksichtigen (2 Ob 6/76; 2 Ob 114/89 uza.). Im vorliegenden Fall steht im Vordergrund, daß der Kläger insgesamt 44 Tage Schmerzen schweren Grades, 83 Tage Schmerzen mittleren und 266 Tage Schmerzen leichten Grades zu erdulden hatte. Er bleibt für ständig in seiner Berufsausbildung leicht behindert und hat auf Grund seiner Hirnverletzung mit weiteren Dauerschädigungen - wenn auch leichten Grades - zu rechnen. Aus dem Ersturteil geht überdies hervor, daß sich die festgestellten Schmerzen über 5 Jahre erstreckten (vgl. S 8 des Ersturteiles). Die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß für Verletzungen der festgestellten Art nicht mehr als S 150.000,-- an Schmerzengeld gebühre, trägt dem Umstand nicht ausreichend Rechnung, daß im vorliegenden Fall die Intensität und das Ausmaß der Schmerzen des Klägers sehr gravierend waren und diesen jahrelang hindurch in seinem körperlichen und seelischen Befinden schwer beeinträchtigten. Der Oberste Gerichtshof hält demgemäß ein Schmerzengeld von S 250.000,-- für angemessen.

Der Revision war daher teilweise Folge zu geben und wie im Spruch zu erkennen.

2.) Die Revision der beklagten Parteien ist nicht berechtigt. Sie bekämpfen in unzulässiger Weise die Beweiswürdigung und die Kostenentscheidung des Berufungsgerichtes. Außerdem stellen sie sich auf den Standpunkt, daß das Schmerzengeld lediglich mit S 100.000,-- auszumessen sei. Sie sind damit auf die Ausführungen zur Revision des Klägers zu verweisen.

Auch ihrer Revision war daher der Erfolg zu versagen. Die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen hatte die gänzliche Neuberechnung der Verfahrenskosten zur Folge. Diese stützte sich auf die §§ 41, 43 Abs. 1 und 2, 50 ZPO.

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