OGH 2Ob521/90

OGH2Ob521/9028.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Vogel, Dr. Melber, Dr. Kropfitsch und Dr. Zehetner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Halil G***, geboren am 1. Jänner 1956 in Sandikli, Türkei, Kraftfahrer, pA Firma S*** Gesellschaft mbH, 4722 Peuerbach, vertreten durch Dr. Walter Brandt, Rechtsanwalt in Schärding, wider die beklagte Partei Marianna G***, geboren am 5. August 1936 in Andorf, Hausfrau, Sportplatzstraße 30, 4770 Andorf, vertreten durch Dr. Michael Neumann, Rechtsanwalt in Schärding, wegen Ehescheidung, infolge Revision beider Parteien gegen das Urteil des Kreisgerichtes Ried im Innkreis als Berufungsgerichtes vom 3. Oktober 1989, GZ. R 356/89-23, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Raab vom 29. Mai 1989, GZ. C 293/89 k-13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegenseitig aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben am 17. Oktober 1986 vor dem Standesamt Andorf die kinderlos gebliebene Ehe geschlossen. Es handelte sich bei beiden Ehegatten um die zweite Ehe. Der letzte gemeinsame Wohnsitz der Ehegatten war Andorf. Der Mann ist türkischer Staatsangehöriger und Mohammedaner, die Frau ist Österreicherin und römisch-katholisch. Der Kläger begehrte die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten. Er brachte vor, die Beklagte habe es nur auf sein Geld abgesehen, koche für ihn kein Essen, das er auf Grund seiner Religion essen dürfe und weigere sich seit Oktober 1988, seine Wäsche zu waschen. Die Beklagte habe jedes Interesse am Kläger verloren, besuche Diskotheken und verhalte sich dort ehewidrig. Sie habe sich auch geweigert, den Sohn des Klägers vorübergehend in der Wohnung aufzunehmen. Nach Erhalt der Scheidungsklage habe sie erklärt, sie sei froh, daß sie den Kläger nicht mehr sehe, es gehe ihr nur um den Unterhalt.

Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und stellte für den Fall der Scheidung den Antrag, das Alleinverschulden des Klägers festzustellen. Sie bestritt die ihr angelasteten Verfehlungen und brachte vor, der Kläger habe keine oder nur unzureichende Unterhaltsleistungen erbracht, er verbringe seine Freizeit mit türkischen Freunden und Verwandten und lehne Freizeitaktivitäten mit der Beklagten ab. Er habe auch nicht Deutsch gelernt.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers. Es stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:

Der Kläger, der für vier in der Türkei lebende Kinder aus erster Ehe sorgepflichtig ist, kam 1986 nach Österreich um hier zu arbeiten. Er lernte die Beklagte, die einen Sohn aus erster Ehe und eine in Wien lebende uneheliche Tochter hat, kennen und lebte durch sechs Monate hindurch vor der Eheschließung mit ihr in Lebensgemeinschaft. Die Ehe verlief zunächst harmonisch. Zu ersten Zwistigkeiten kam es cirka ein Jahr nach der Eheschließung, als der Kläger einen neuen, besser bezahlten Posten als Fernfahrer annahm. Der Kläger war auf Grund der mehrwöchigen Fahrten nur mehr selten zu Hause, zumal er ein bis zwei Tage später schon die nächste Tour antrat. Die spärliche Freizeit verbrachte er - in Begleitung seiner Gattin - bei Verwandten in Mauthausen oder bei türkischen Freunden in Gopperding, wohin er seine Frau jedoch nicht mitnahm. Den Urlaub verbrachte der Kläger allein in der Türkei, er kann sich auch nach dreijährigem Aufenthalt in Österreich noch kaum auf deutsch verständigen. Bald kam es auch zu Spannungen in Geldangelegenheiten, weil der Kläger von seinem Monatseinkommen zwischen S 18.000 und S 27.000 der Beklagten nur unregelmäßig ein monatliches Wirtschaftsgeld von S 1.000 bis S 1.500 gab und zusätzlich etwa bis September 1988 noch Lebensmittel im Wert von S 1.000 bis S 2.000 einkaufte. Die Beklagte bezog hingegen bis März 1987 ein monatliches Krankengeld von S 8.000 und anschließend bis April 1989 S 5.000 an Arbeitslosenunterstützung, wovon sie die Rückzahlungen und Betriebskosten für ihre Eigentumswohnung bestritt. Einen weiteren Streitpunkt bildete die Essenszubereitung durch die Beklagte, weil der Kläger türkische Speisen bevorzugte und aus religiösen Gründen kein Schweinefleisch aß. Die Beklagte verwendete zwar kein Schweinefleisch, bemühte sich aber auch nicht um türkische Rezepte, sodaß der Kläger vor allem kalte Speisen zu sich nahm und sich schließlich weigerte, nicht unter seiner Aufsicht eingekaufte und zubereitete Fleischgerichte zu essen. Die Ablehnung der Beklagten, einen Sohn des Klägers in die Ehewohnung aufzunehmen, gründete auf der mangelnden Größe der Wohnung, die nur zwei Zimmer aufwies, zumal sich dort auch der Sohn und fallweise die Tochter der Beklagten aufhielten. Seit Oktober oder November 1988 weigerte sich die Beklagte, dem Kläger die Wäsche zu waschen und verbot ihm auch das Duschen in der Wohnung. Im Jahre 1989 besuchte die Klägerin einige Male, vor allem wenn der Kläger nicht zu Hause war, gemeinsam mit einer Freundin Tanzlokale und nahm an Werbefahrten teil. Nach der Erhebung einer Unterhaltsklage durch die Beklagte im März 1989 zog der Kläger schließlich zu Verwandten nach Mauthausen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, der Kläger sei seiner Unterhaltsverpflichtung nur ungenügend nachgekommen, habe durch seine häufige berufsbedingte Abwesenheit zu wenig Zeit für eine gemeinsame Lebensführung aufgewendet und sei in seiner spärlichen Freizeit überwiegend seinen Interessen nachgegangen. Dadurch sei eine Entfremdung eingetreten. Den Kläger treffe das überwiegende Verschulden, das ehewidrige Verhalten der Beklagten stelle nur eine Reaktion auf die dauernde Abwesenheit des Klägers dar. Da die Beklagte ohnedies kein Schweinefleisch verwendet habe und eine gewisse Toleranz des Klägers für die Gepflogenheiten des Gastlandes vorauszusetzen sei, könne in der Art der Essenszubereitung keine Eheverfehlung erblickt werden. Gleiches gelte im Hinblick auf die ständige Abwesenheit des Klägers auch für die Lokalbesuche der Beklagten und die Teilnahme an Werbefahrten. Die Nichtaufnahme des Sohnes des Beklagten stelle wegen der geringen Größe der Ehewohnung keine Eheverfehlung dar.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers teilweise Folge und änderte das Ersturteil dahin ab, daß die Ehe aus dem Verschulden beider Teile geschieden wurde. Das Gericht zweiter Instanz erachtete die Tatsachenrüge des Klägers als nicht berechtigt und führte in rechtlicher Hinsicht aus, nicht die häufige berufsbedingte Abwesenheit des Klägers an sich, wohl aber dessen Verhalten in der verbliebenen Freizeit (offenkundig mangelndes Interesse an einer gemeinsamen Lebensführung mit der Klägerin, das sich insbesondere in den regelmäßigen Besuchen bei türkischen Freunden ohne Mitnahme der Gattin geäußert habe) sei als schwere Eheverfehlung zu werten. Die zumindest teilweise während der (arbeitsbedingt spärlichen) Anwesenheit durchgeführten Besuche von Tanzveranstaltungen stellten als Ausdruck mangelnden Interesses am Ehepartner neben den bereits vom Erstgericht berücksichtigten Eheverfehlungen der Beklagten (Duschverbot und Weigerung, seine Wäsche zu waschen) nicht völlig außer acht zu lassende Eheverfehlungen dar. Das mangelnde Bemühen der Beklagten um türkische Rezepte, die jedenfalls entsprechend den religiösen Geboten ihres Mannes kein Schweinefleisch verwendete, sei zwar für sich selbst sicherlich nicht als schwere Eheverfehlung zu werten, passe aber in das sich bietende Bild, daß die Beklagte - wie auch der Kläger - nicht bereit gewesen sei, ihre Interessen und Lebensvorstellungen mit denen des Ehepartners auszugleichen und einvernehmlich zu gestalten. Die Ehegatten seien einander zur umfassenden Lebensgemeinschaft verpflichtet, sie sollten ihre eheliche Lebensgemeinschaft unter Rüksicht aufeinander einvernehmlich gestalten. Es sei die Pflicht der Ehegatten, sich um ein Einverständnis zu bemühen. Wer es nicht suche oder am Gestaltungs- oder Entscheidungsvorgang nicht oder ungenügend mitwirke, verletze seine Pflicht. Die Pflicht zur umfassenden ehelichen Lebensgemeinschaft, zur anständigen Begegnung und zum Beistand sei gegenseitig. Ihre Erfüllung setze voraus, daß beide Ehegatten im Rahmen des Zumutbaren auf die Eigenheiten ihres Partners eingehen und so nach Kräften zur Verwirklichung einer dem Wesen der Ehe entsprechenden Lebensgemeinschaft beitragen. Interesselosigkeit gegenüber den Belangen des Partners und das Leben nur für die eigenen Interessen stellten eine schwere Eheverfehlung dar. Bei der gegebenen Sachlage könne das ehewidrige Verhalten der Beklagten entgegen der Ansicht des Erstgerichtes nicht nur als bloße Reaktion auf die Eheverfehlungen des Klägers angesehen werden, sodaß das Verschulden keines der beiden Ehegatten gegenüber demjenigen des anderen fast völlig in den Hintergrund trete.

Beide Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision. Der Kläger macht die Anfechtungsgründe der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß das alleinige, zumindest aber überwiegendes Verschulden der Beklagten festgestellt werde. Hilfsweise stellt der Kläger einen Aufhebungsantrag. Die Beklagte macht den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und stellt den Antrag auf Wiederherstellung des Urteiles des Erstgerichtes.

Die Parteien beantragen jeweils, der Revision der Gegenseite

nicht Folge zu geben.

Beide Revisionen sind nicht berechtigt.

Die vom Kläger gerügten Aktenwidrigkeiten liegen nicht vor (§ 510 Abs. 3 ZPO).

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionsausführungen des Klägers, die Besuche bei Freunden ohne die Beklagte stellten keine Eheverfehlung dar, weil die Beklagte für diese Besuche kein Interesse gehabt habe, gehen nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Es wurde nämlich nicht festgestellt, daß die Beklagte den Kläger bei den Besuchen nicht begleiten wollte. Selbst wenn die Beklagte daran aber kein Interesse gehabt haben sollte, ist dem Kläger der Vorwurf zu machen, daß er nicht eine auch den Wünschen der Beklagten entsprechende Freizeitgestaltung suchte. Soweit der Kläger in der Revision das Zubereiten von Speisen und die Besuche von Tanzlokalen durch die Beklagte anführt, ist darauf hinzuweisen, daß das Berufungsgericht darin ohnedies Eheverfehlungen der Beklagten erblickte. Der in der Revision des Klägers erhobene Vorwurf, die Beklagte habe ihre Pflicht, sich um Einverständnis zu bemühen, verletzt, trifft in gleicher Weise den Kläger.

Die Beklagte weist in ihrer Revision auf die unzureichenden Unterhaltsleistungen des Klägers, seine Besuche bei türkischen Freunden und darauf hin, daß er seine Freizeit allein verbrachte. Alle diese Umstände haben die Vorinstanzen dem Kläger ohnedies als Eheverfehlungen angelastet. Die Beklagte hat im Verfahren erster Instanz nicht vorgebracht, damit nicht einverstanden gewesen zu sein, daß der Kläger den Urlaub allein in der Türkei verbringt und hat ihm derartiges auch nicht als Eheverfehlung angelastet. Die diesbezüglichen Revisionsausführungen sind daher nicht zielführend. Die Beklagte führt in ihrer Revision weiters aus, der Kläger habe keinen Willen zur Anpassung gehabt, ihm hätte als türkischem Staatsbürger islamischen Glaubens bei Eingehen einer Ehe mit einer Österreicherin römisch-katholischen Glaubens klar sein müssen, daß von ihm ein gewisses Maß an Anpassungsbereitschaft zu Recht gefordert werden dürfe. Dem ist entgegenzuhalten, daß bei Eingehen einer Ehe zweier Personen verschiedener Nationalität und verschiedenen Religionsbekenntnissen von beiden Ehepartnern eine Anpassungsbereitschaft verlangt werden muß und daß es auch die Beklagte an einer solchen fehlen ließ. Das ihr als Eheverfehlung angelastete Verhalten kann keinesfalls bloß als Reaktion auf die Handlungsweise des Klägers angesehen werden.

Beiden Ehegatten sind somit schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG anzulasten. Da daran, daß die Ehe unheilbar zerrüttet ist, kein Zweifel besteht, ist die Scheidung aus beiderseitigem Verschulden gerechtfertigt. Bei Prüfung der Frage, ob das Überwiegen des Verschuldens eines der beiden Ehegatten auszusprechen ist, ist davon auszugehen, daß ein derartiger Ausspruch gemäß § 60 Abs. 2 EheG nur zu erfolgen hat, wenn das Verschulden eines Ehegatten erheblich schwerer ist und das Verschulden des anderen fast völlig in den Hintergrund tritt (EFSlg. 57.228 uva.). In der Ehe der Streitteile traten die Streitigkeiten auf, als der Kläger wegen seines Berufswechsels nur mehr selten zu Hause war. Die Beklagte hat gar nicht behauptet, mit dem Berufswechsel des Klägers nicht einverstanden gewesen zu sein, derartiges ist auch ihrer Parteienaussage nicht zu entnehmen. Eine Ehezerrüttung, die durch die häufigen beruflichen Abwesenheiten des Klägers ausgelöst wurde, kann daher dem Kläger nicht als Verschulden angelastet werden. Als Eheverfehlung ist dem Kläger hingegen die Verletzung seiner Unterhaltspflicht anzulasten sowie der Umstand, daß er seine ohnedies nur spärliche Freizeit nicht mit der Beklagten verbrachte. Daß die Beklagte auch dann, wenn der Kläger zu Hause war, Tanzlokale besuchte, bildet aber ebenfalls eine schwere Eheverfehlung, desgleichen ihre Weigerung, dem Kläger die Wäsche zu waschen und ihm zu gestatten, sich zu duschen. Dafür, daß die Ehe bereits unheilbar zerrüttet war, als die Beklagte dieses Verhalten setzte, ergab das Verfahren keinen Anhaltspunkt. Offensichtlich haben sich weder der Kläger noch die Beklagte bemüht, die Probleme, die entstanden, weil die Ehegatten verschiedener Nationalität, Muttersprache und Religion sind, durch entsprechende Anpassung und Rücksichtnahme zu lösen und dadurch eine Zerrüttung der Ehe zu verhindern. Die Voraussetzungen für den Ausspruch, daß das Verschulden eines der Ehegatten überwiege, liegen daher nicht vor.

Aus diesen Gründen war beiden Revisionen ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf § 43 Abs. 1 ZPO.

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