OGH 10ObS43/90

OGH10ObS43/9027.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Ehmayr als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Elmar Peterlunger (Arbeitergeber) und Karl Klein (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Juliane P***, Pensionistin, 2286 Fuchsenbigl 49, vertreten durch Dr. Birgit Roessler-Thaler, Rechtsanwältin in Wien, wider die beklagte Partei

P*** DER A***, 1020 Wien,

Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Alfred Kasamas, Rechtsanwalt in Wien, wegen Hilflosenzuschuß, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 26.Juni 1989, GZ 34 Rs 65/89-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 19. September 1988, GZ 16 Cgs 2067/86-20, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die am 29.12.1912 geborene Klägerin bezieht seit 1.7.1986 die Witwenpension nach ihrem am 4.6.1986 verstorbenen Ehegatten Johann P***. Mit Bescheid vom 2.10.1986 lehnte die beklagte Partei den Antrag der Klägerin auf Gewährung des Hilflosenzuschusses ab. Das Erstgericht erkannte die beklagte Partei schuldig, der Klägerin ab 16.6.1986 (insoweit das Klagebegehren überschreitend) den Hilflosenzuschuß in gesetzlicher Höhe zu gewähren, ohne eine vorläufige Zahlung aufzuerlegen (§ 89 Abs 2 ASGG). Es traf folgende Feststellungen:

Die Klägerin leidet neben altersadäquaten Verbrauchserscheinungen am Gelenk- und Stützapparat an einem labilen diskreten systolischen Bluthochdruck, an einer mit Angina-pectoris-Anfällen einhergehenden koronaren Herzerkrankung und Risikofaktoren in Form einer labilen Hypertonie, einer Hyperlipidämie und eines mäßigen Diabetes mellitus. Sie kann sich ohne fremde Hilfe an- und auskleiden, zu Bett gehen und sich daraus wieder erheben, die Notdurft verrichten und die nötige Körperpflege vornehmen, einfache warme Mahlzeiten selbst zubereiten und Speisen und Getränke ohne fremde Hilfe zu sich nehmen. Sie kann ihre Wohnung oberflächlich aufräumen und instandhalten. Fremder Hilfe bedarf sie zum Füllen des Ölofens (diese Füllung ist während der Heizperiode täglich erforderlich), zur Ganzkörperreinigung, zum Waschen und Trocknen der Leib- und Bettwäsche, für die grobe Hausarbeit und für das Einholen größerer Mengen von Nahrungsmitteln und Haushaltsbedarf. Die Klägerin wohnt allein in einem am Ortsrand von Leopoldsdorf gelegenen Haus in einer ebenerdigen Wohnung, die mit Sanitärräumen, Innenklosett, elektrischem Strom, Wasserleitung und Telefon ausgestattet ist. Die Klägerin muß zum Postamt, Gemeindeamt und zur Bank ca. 4 km zurücklegen, zum praktischen Arzt 7 km. In rechtlicher Hinsichtlich führte das Erstgericht aus, es sei zwar auszuschließen, daß die für die Klägerin erforderlichen notwendigen Dienstleistungen Kosten erforderten, die im Monatsdurchschnitt so hoch seien wie der begehrte Hilflosenzuschuß; ein Unterlassen der täglichen Hilfe für Ganzkörperreinigung und Beheizung der Wohnung hätte aber mit Sicherheit ein Verkommen der Klägerin zur Folge, sodaß im Zusammenhalt mit den in größeren Zeitabständen erforderlichen Hilfeleistungen Hilflosigkeit im Sinne des § 105 a ASVG zu bejahen sei.

Das Berufungsgericht gab der von der beklagten Partei erhobenen Berufung Folge und änderte das Urteil des Erstgerichtes im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Der (in der Berufungsbeantwortung enthaltenen) Tatsachenrüge der Klägerin komme keine Berechtigung zu. Die Kosten der für die Ganzkörperreinigung in der Badewanne erforderlichen Hilfe (die übrige Körperreinigung sei ohne fremde Hilfe zumutbar), die Kosten der Füllung des Ölofens während der Heizperiode, die Kosten der Hilfe für das Wäschewaschen, für die grobe Hausarbeit und für das Einholen größerer Mengen von Lebensmitteln und Haushaltsbedarf seien - für das ganze Jahr - mit einem Betrag zu veranschlagen, der den "mittleren" Hilflosenzuschuß nicht übersteige, sodaß das anspruchsbegründende Maß der Hilflosigkeit noch nicht erreicht werde; es sei nicht anzunehmen, daß die Klägerin der Gefahr des Verkommens ausgesetzt wäre. Gegen dieses Urteil des Berufungsgerichtes wendet sich die wegen Nichtigkeit und Mangelhaftigkeit des Verfahrens erhobene Revision der Klägerin mit einem Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag. Die beklagte Partei beantragte, der Revision keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Der Revisionsgrund der Nichtigkeit des berufungsgerichtlichen Urteils nach § 503 Z 1 ZPO iVm § 477 Abs 1 Z 9 ZPO liegt nicht vor. Demnach ist eine Entscheidung nichtig, wenn die Fassung des Urteils so mangelhaft ist, daß dessen Überprüfung nicht mit Sicherheit vorgenommen werden kann, wenn das Urteil mit sich selbst in Widerspruch steht oder für die Entscheidung keine Gründe angegeben sind. Eine mangelhafte oder lückenhafte Begründung bildet keine Nichtigkeit, sondern allenfalls einen Verfahrensmangel (Fasching, ZPR2 RZ 1760 mwH), der aber hier nicht vorliegt. Die Begründung des berufungsgerichtlichen Urteils ist zwar knapp, aber doch überprüfbar und mit dem Urteilsspruch in Einklang; auf die in der Berufungsbeantwortung enthaltene Bemängelung des Fehlens von Tatsachenfeststellungen brauchte nur im Rahmen der rechtlichen Beurteilung eingangen zu werden. Dem Hinweis der Klägerin auf "regelmäßig anfallende Arztbesuche" ist zu entgegnen, daß die Klägerin selbst aussagte, der Hausarzt besuche sie auch zu Hause (ON 18 AS 56), daß andererseits für gehunfähig erkrankte Versicherte der Ersatz der Kosten für die Inanspruchnahme eines Taxis bzw. privaten Kraftfahrzeuges gewährt werden kann, wenn die medizinische Notwendigkeit eines solchen Transportes ärztlich bescheinigt wird (§ 135 Abs 5 ASVG). Daß die Klägerin beim Heben schwerer Gegenstände der Hilfe bedürfte, braucht nicht eigens festgestellt zu werden, weil sich dieser Umstand bereits darin dokumentiert, daß sie zum Füllen des Ölofens, für grobe Hausarbeit und für das Einholen größerer Mengen von Nahrungsmitteln und Haushaltsbedarf Hilfe braucht. Nicht von erheblicher Bedeutung ist der Umstand, daß die Tochter der Klägerin zu ihrem Wohnhaus eine Wegstrecke von 1,5 km zurücklegen muß. Diese Erwägungen zeigen, daß das Berufungsgericht im Ergebnis zutreffend die "Tatsachenrüge" der Klägerin als nicht berechtigt angesehen hat. Die wegen Nichtigkeit erhobene Revision ist daher unberechtigt.

Soweit die Revisionswerberin Feststellungen über die Höhe der durch notwendige Hilfeleistungen tatsächlich entstehenden Kosten und überhaupt Feststellungen zum Ausmaß der täglichen Fremdhilfe vermißt, macht sie inhaltlich (§ 84 Abs 2 2. Satz ZPO) den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung der Sache (§ 503 Z 4 ZPO) geltend. Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes ist aber zutreffend und entspricht der ständigen höchstgerichtlichen Judikatur (SSV-NF 1/46 uva), an der trotz der vereinzelt erhobenen Kritik (Kuderna, Der Anspruch auf Hilflosenzuschuß im Wandel der Judikatur, DRdA 1988, 293) in der Folge festgehalten wurde (SSV-NF 2/132 = EvBl 1989/91 ua). Demnach besteht ein Anspruch auf Hilflosenzuschuß nur, wenn die für die notwendigen Dienstleistungen üblicherweise aufzuwendenden Kosten so hoch sind wie der begehrte Zuschuß. Daß dies bei der Klägerin nicht annähernd der Fall ist, wurde schon vom Erstgericht zutreffend erkannt. Wer zum Einkaufen von Lebensmitteln, Herbeischaffen des Brennmaterials, Reinigung der Großwäsche und der Wohnung und Duschen oder Baden der Hilfe bedarf, ist - wie der Oberste Gerichtshof bereits ausgesprochen hat (SSV-NF 2/12, 2/21 ua) - nicht hilflos im Sinne des § 105 a ASVG, zumal im vorliegenden Fall der Klägerin nur das Einkaufen größerer Mengen von Lebensmitteln und Bedarfsartikeln nicht möglich ist. An dieser Einschätzung vermag auch der illustrative Hinweis der Revisionswerberin auf die vom Hauptverband der österreichischen Sozialversicherungsträger herausgegebenen Richtlinien für die Koordinierung der Beurteilung der Hilflosigkeit durch die Träger der Pensionsversicherung nichts zu ändern. Daher ist der Revision ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG (SSV-NF 1/19, 2/26, 2/27 uva).

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