OGH 7Ob515/90

OGH7Ob515/9022.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Warta, Dr. Egermann, Dr. Niederreiter und Dr. Schalich als weitere Richter in der Rechtssache der kündigenden Partei Hch. B***, Blechwarenfabrik, Wien 20, Handelskai 100, vertreten durch Dr. Roland Kassowitz, Rechtsanwalt in Wien, wider die gekündigte Partei Marie B***, Pensionistin, Pflegeheim Sopienspital, Wien 7, Apollogasse 19, vertreten durch Dr. Ernst Wukowitz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Aufkündigung, infolge Revisionsrekurses der kündigenden Partei gegen den Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien als Rekursgerichtes vom 24.November 1989, GZ 41 R 596/89-16, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 25.Juli 1989, 43 K 43/89-13, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die kündigende Partei hat die Kosten ihres Rechtsmittels selbst zu tragen.

Text

Begründung

Vor Ablauf der Frist, innerhalb der sie Einwendungen gegen die Aufkündigung des Mietvertrages über die von ihr gemietete Wohnung anzubringen gehabt hätte, beantragte die Gekündigte die Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes.

Das Erstgericht wies diesen Antrag ab. Einem von der Gekündigten dagegen erhobenen Rekurs gab die zweite Instanz nicht Folge. Der Beschluß des Rekursgerichtes wurde dem Vertreter der Gekündigten am 18.5.1989 zugestellt.

Die von der Gekündigten am 30.5.1989 zur Post gegebenen Einwendungen wies das Erstgericht zurück. Die Unterbrechung der Frist zur Erhebung von "Einwendungen" durch einen Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe sei nur in den in § 73 Abs 2 ZPO genannten Fällen vorgesehen. Die Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen die Aufkündigung eines Bestandverhältnisses werde in dieser Bestimmung nicht angeführt. Die Einwendungen der Gekündigten seien daher verspätet.

Das Rekursgericht hob diesen Beschluß auf und trug dem Erstgericht die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über die von der Gekündigten erhobenen Einwendungen gegen die Aufkündigung auf. Es sprach aus, daß der Wert des Beschwerdegegenstandes S 15.000,--, nicht jedoch S 300.000,-- übersteigt, und daß der weitere Rekurs zulässig ist. Zwar enthalte die Zivilprozeßordnung keine Bestimmung, daß durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe auch die Frist zur Erhebung von Einwendungen im Bestandverfahren unterbrochen werde. In Verbindung mit der Bestimmung des § 464 Abs 3 ZPO werde allerdings unter anderem nach § 550 Abs 2 ZPO auch die Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen einen Zahlungsauftrag (die in § 73 Abs 2 ZPO nicht genannt werde) durch den Antrag auf Bewilligung von Verfahrenshilfe unterbrochen. Dies habe die Lehre (Fasching, Lehrbuch, Rz 2150) in ihrer Meinung bestärkt, daß (auch) die Frist zur Erhebung von Einwendungen im Bestandverfahren durch den Antrag auf Beigabe eines Rechtsanwaltes zur Verfahrenshilfe unterbrochen werde. Das Rekursgericht schließe sich dieser Auffassung an. Der Gesetzgeber habe mit Ausnahme der Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen eine Aufkündigung alle Fristen, die durch eine Prozeßhandlung selbst in Lauf gesetzt würden, wie die Rechtsmittelfristen oder andere Präklusivfristen, die ihnen in Wirkung und Bedeutung sehr nahe kämen, der Unterbrechungswirkung des Verfahrenshilfeantrages auf Beigebung eines Rechtsanwaltes ausgesetzt. Dies lasse die Vermutung einer planwidrigen Unvollständigkeit des Gesetzes durch Übersehen der Einwendungsfrist durch den Gesetzgeber zu. Es sei insbesondere die prozessuale Gestaltung des Mandatsverfahrens jener des Bestandverfahrens so ähnlich, daß nicht einzusehen wäre, weshalb das der Verfahrenshilfe beantragenden Partei gegenüber sonst geltende Schutzprinzip für die von der Zustellung einer Aufkündigung betroffene Partei nicht wirken sollte. Der Revisionsrekurs sei zuzulassen gewesen, weil eine Entscheidung des Obersten Gerichtshofes zur vorliegenden Frage fehle.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der kündigenden Partei ist aus dem im angefochtenen Beschluß angeführten Grund zulässig. Er ist jedoch nicht berechtigt.

Wie bereits vom Rekursgericht dargestellt wurde, zählt § 73 Abs 2 ZPO jene Fälle, in denen eine Frist durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe einschließlich der Beigebung eines Rechtsanwaltes unterbrochen wird - Einspruch gegen einen Zahlungsbefehl, Widerspruch gegen ein Versäumungsurteil, Beantwortung der Klage - keineswegs erschöpfend auf. Es finden sich gleichartige Bestimmungen im Verfahren zur Verbesserung von Schriftsätzen, im Rechsmittelverfahren und im Mandatsverfahren. Dies darf bei Beurteilung des Umstandes, ob eine vom Gesetzgeber beabsichtigte oder aber eine planwidrige Lücke vorliegt, nicht übersehen werden. Denn nur vom Gesetzgeber beabsichtigte Lücken rechtfertigen einen Umkehrschluß. Ist dagegen für eine verschiedene Behandlung der Sachverhalte kein Grund zu finden, ist Analogie geboten (SZ 57/194; NZ 1987, 98 mwN). Bei der Gesetzesanalogie ist zu prüfen, ob nach der im Gesetz zum Ausdruck kommenden Wertung angenommen werden muß, daß der geregelte und der ungeregelte Fall in den maßgeblichen Voraussetzungen des Tatbestandes übereinstimmen, so daß die vom Gesetzgeber an den geregelten Tatbestand geknüpfte Rechtsfolge auch beim ungeregelten Tatbestand eintreten soll (SZ 52/148). Selbst eine taxative Aufzählung würde das Vorliegen einer unechten Gesetzeslücke nicht unter allen Umständen ausschließen. Analogie wäre vielmehr auch in diesem Fall möglich und geboten, wenn der nicht besonders angeführte Fall alle motivierenden Merkmale der geregelten Fälle enthält und das Prinzip der Norm auch in einem ihrem Tatbestand ähnlichen Fall Beachtung fordert (SZ 60/172).

Wegen der Gleichartigkeit der Interessenlage ist davon auszugehen, daß die Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen die Aufkündigung eines Bestandvertrages durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe und Beigabe eines Rechtsanwaltes ebenso unterbrochen wird wie die in § 73 Abs 2 ZPO genannten Fristen, die Rechtsmittelfristen und die Frist zur Erhebung von Einwendungen gegen einen Zahlungsauftrag (ebenso Fasching Lehrbuch, Rz 2150). Mit Recht hat deshalb das Rekursgericht den die Einwendungen der Gekündigten zurückweisenden Beschluß des Erstgerichtes aufgehoben und dem Erstgericht die Durchführung des gesetzlichen Verfahrens über diese Einwendungen aufgetragen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach den §§ 40, 50 ZPO.

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