OGH 3Ob605/89

OGH3Ob605/897.2.1990

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hule, Dr. Klinger, Dr. Angst und Dr. Schalich als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach Wolfgang Josef B***, Landwirt, wohnhaft gewesen in St. Ulrich am Pillersee Nr. 42, verstorben am 27. Juli 1985, infolge Revisionsrekurses der Erbansprecherin mj. Doris O***, geboren 31. Oktober 1984, St. Johann i.T., Oberhofenweg Nr. 37, vertreten durch Dr. Albert Feichtner, Rechtsanwalt in Kitzbühel als Verfahrenshelfer, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Innsbruck als Rekursgericht vom 2. Juni 1989, GZ 3 b R 95/89-100, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 10. April 1989, GZ A 262/85-96, teilweise abgeändert wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt den

A n t r a g,

der Verfassungsgerichtshof wolle gemäß Art 140 Abs 1 B-VG den § 754 Abs 2 Satz 3, zweiter Halbsatz ABGB in der noch geltenden Fassung (vor dem ErbRÄG 1989): "in diesem Falle genügt es, daß die Klage auf Feststellung spätestens zum Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Vaters erhoben worden ist", als verfassungswidrig aufzuheben.

Text

Begründung

Am 27. Juli 1985 starb der unverehelichte Wolfgang Josef B***. Strittig ist, ob die minderjährige Doris O***, geboren 31. Oktober 1984, als uneheliches Kind des Erblassers berechtigt ist, eine Erbserklärung abzugeben, oder ob dieses Recht wegen Versäumung der Jahresfrist des § 754 Abs.2 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 nicht gegeben ist, wobei von folgendem Sachverhalt auszugehen ist:

Die minderjährige Doris O*** galt bei ihrer Geburt als eheliches Kind des Ägidius und der Magdalena K***. Am 12. Oktober 1985 teilte Magdalena K*** dem Gerichtskommissär fernmündlich mit, daß ihr Kind nicht von ihrem Ehemann, sondern vom Erblasser gezeugt worden sei. Dieser sei immer zum Kind gestanden. Eine offizielle Vaterschaftsanerkennung liege nicht vor. Ihr Ehemann wisse davon, habe aber nichts unternommen. Am 15. Oktober 1985 ergänzte sie vor dem Gerichtskommissär, daß der Erblasser freiwillig und regelmäßig Alimente gezahlt habe. Sie rechne nicht damit, daß ihr Ehemann innerhalb der noch offenen Jahresfrist des § 156 Abs.1 ABGB die Ehelichkeitsbestreitungsklage einbringen werde. Sie ersuche, den Akt der Staatsanwaltschaft zur Erbringung einer Klage im Sinne des § 158 ABGB zu übermitteln.

Der von der Staatsanwaltschaft noch im Jahre 1985 eingebrachten Klage wurde stattgegeben und mit Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 23. Juli 1986, GZ 1 E 19/85, festgestellt, daß die minderjährige Doris O***, die damals noch den Familiennamen K*** trug, kein eheliches Kind des Ägidius K*** aus dessen Ehe mit Magdalena K*** ist. Aus dem vom Obersten Gerichtshof eingeholten Akt ergibt sich, daß die Zustellung des Urteils am 30. Juli 1986 erfolgte. Rechtsmittel wurden gegen das Urteil nicht erhoben.

Am 10. September 1986 teilte das Bezirksjugendamt Kitzbühel dem Gerichtskommissär fernmündlich mit, daß jetzt zwar das Verfahren über die Bestreitung der Ehelichkeit abgeschlossen sei, nunmehr aber eine Klage auf Feststellung der Vaterschaft des Erblassers eingebracht werden müsse. Diese Klage wurde am 16. September 1986 beim zuständigen Bezirksgericht eingebracht. Mit Urteil des Bezirksgerichtes Kitzbühel vom 4. Jänner 1989, GZ 1 C 15/87 (vormals 1 C 15/86) wurde der Erblasser als unehelicher Vater der minderjährigen Doris O*** festgestellt. Auch dieses Urteil wurde unangefochten rechtskräftig.

Am 5. April 1989 gab die Bezirkshauptmannschaft Kitzbühel-Jugendamt vor dem Gerichtskommissär für die minderjährige Doris O*** auf Grund des Gesetzes zum gesamten Nachlaß die bedingte Erbserklärung vorbehaltlich nachträglicher Zustimmung durch das Vormundschaftsgericht ab und ersuchte um Annahme dieser Erbserklärung.

Die Mutter des Erblassers und seine Geschwister, deren Erbserklärungen schon früher angenommen worden waren, beantragten unter Hinweis auf die versäumte materiellrechtliche Frist des § 754 Abs.2 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 die Zurückweisung dieser Erbserklärung. Der Vertreter der Minderjährigen erklärte dazu, daß die frühere Einbringung der Vaterschafts-Feststellungsklage nicht möglich gewesen sei, weil vorher der Ehelichkeitsbestreitungsprozeß geführt werden mußte.

Das Erstgericht nahm die Erbserklärung der minderjährigen Doris O*** verlaßgerichtlich an.

Es vertrat die Ansicht, daß gemäß § 122 AußStrG jede in der vorgeschriebenen Form ausgestellte Erbserklärung angenommen werden müsse. Eine Zurückweisung könne nur erfolgen, wenn von vorneherein feststehe, daß es zu keiner Einantwortung kommen könne. Da die minderjährige Doris O*** erst seit dem Urteil vom 23. Juli 1986 als unehelich anzusehen sei, stehe nicht fest, ob auf sie die Jahresfrist des § 754 Abs.2 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 anzuwenden sei. Zumindest könne diese Frage mit den Mitteln des Außerstreitverfahrens nicht gelöst werden.

Das Gericht zweiter Instanz änderte den Beschluß des Erstgerichtes dahin ab, daß die Erbserklärung verlaßgerichtlich zurückgewiesen wurde.

Das Gericht zweiter Instanz war der Ansicht, die Jahresfrist des § 754 Abs.2 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 sei eine materiellrechtliche Frist. Diese Bestimmung lasse keine andere Auslegung zu, als daß nach Fristversäumung auch das Erbrecht verwirkt sei. Aus welchen Gründen die Vaterschaftsfeststellungsklage nicht innerhalb eines Jahres nach dem Tod des Erblassers eingebracht wurde, sei unerheblich.

Gegen den Beschluß des Gerichtes zweiter Instanz wendet sich der Revisionsrekurs der mj. Doris O***.

Rechtliche Beurteilung

Die Erledigung dieses Rechtsmittels erfordert aus folgenden Gründen eine Anwendung der Bestimmung des § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989:

Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, daß die Zurückweisung einer Erbserklärung nur in Betracht kommt, dann aber auch auszusprechen ist, wenn von vorneherein zweifelsfrei feststeht, daß ein Erbrecht des Bewerbers nicht besteht (SZ 60/7 mwN). Die Ansicht des Erstgerichtes, die Annahme einer Erbserklärung könne schon dann nicht abgelehnt werden, wenn der Bestand eines solchen Erbrechtes von der Beurteilung einer Rechtsfrage abhängt, steht mit dieser Rechtsprechung nicht im Einklang.

Gemäß § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 steht einem minderjährigen unehelichen Kind zum Nachlaß seines Vaters ein gesetzliches Erbrecht nur zu, wenn die Vaterschaft vor dem Tode des Vaters festgestellt wurde oder die Klage auf Feststellung spätestens bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tode des Vaters erhoben worden ist.

Diese Jahresfrist wäre entgegen der Argumentation des Erstgerichtes mangels eines gesetzlichen Ausnahmstatbestandes auch auf ein Kind anzuwenden, das im Zeitpunkt des Todes des Erblassers noch als eheliches Kind eines anderen Mannes galt, tatsächlich aber ein uneheliches Kind des Erblassers ist und erst später als solches festgestellt wird. Auch ein solches Kind muß daher bei Geltendmachung des gesetzlichen Erbrechtes die Kriterien des § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 erfüllen. Es gibt auch keine Bestimmung, die eine Hemmung oder Verlängerung dieser Klagefrist vorsehen würde, wie dies etwa für die Klagefrist des § 156 Abs.1 ABGB nach dessen Abs.3 und nach § 157 Abs.2 ABGB unter bestimmten Voraussetzungen der Fall ist. Aus welchen Gründen immer ein uneheliches Kind die genannte Jahresfrist versäumt hat, es wäre seines Erbrechtes verlustig gegangen. Da § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 ausdrücklich nur von der Klage auf Feststellung (der Vaterschaft) spricht, kann die (vorher notwendige) Einbringung einer Klage auf Bestreitung der ehelichen Geburt den Ablauf der Frist nicht verhindern; denn durch eine solche Klage kann gerade nicht festgestellt werden, daß das Kind ein uneheliches Kind des Erblassers ist (so auch AB 1158 Blg 17. GP 4 zu § 730 Abs.2 ABGB idF des ErbRÄG 1989).

Der erkennende Senat hat jedoch aus folgenden Gründen verfassungsrechtliche Bedenken gegen die anzuwendende Bestimmung des § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989:

Der sog Gleichheitsgrundsatz bindet Vollziehung und Gesetzgebung. Er bezieht sich nicht nur auf die in Art 7 Abs.1 B-VG oder Art 14 MRK angeführten Kriterien (Geburt, Geschlecht usw), sondern ist ein allgemeines Gebot der "Sachlichkeit" von Gesetzen und verpflichtet den Gesetzgeber, an gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen. Differenzierungen sind nur statthaft, wenn sie nach objektiven Unterscheidungsmerkmalen sachlich begründet sind (Walter-Mayer, Bundesverfassungsrecht6, Rz 1346, 1347, 1352). Die Regelung des § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 schafft ohne sachlichen Grund zwei Klassen von unehelichen Kindern, die im Zeitpunkt des Todes ihres Vaters noch minderjährig sind:

Kindern, denen die Einbringung einer Vaterschaftsfeststellungsklage bis zum Ablauf eines Jahres nach dem Tod ihres Vaters gelingt, steht unter den hier nicht zu erörternden sonstigen Voraussetzungen ein gesetzliches Erbrecht zu; Kindern, denen dies nicht gelingt, kommt überhaupt kein Erbrecht zu. Es sind mehrere Fälle denkbar, in denen die Einhaltung der Frist gar nicht möglich ist: So kann der Vater zB erst nach Ablauf der Frist ausgeforscht werden; ein durch künstliche Befruchtung gezeugtes Kind kann erst nach dem Ablauf der Frist geboren werden. Im vorliegenden Fall geht es um ein Kind, dessen gesetzlicher Vertreter nicht auf Feststellung der unehelichen Vaterschaft des Erblassers klagen kann, solange das Kind iSd § 138 Abs.1 ABGB als eheliches Kind eines anderen Mannes gilt. In allen diesen Fällen ist es nicht einsichtig, weshalb solchen Kindern auch bei später erwiesener Vaterschaft ein gesetzliches Erbrecht versagt werden und der Nachlaß stattdessen in die Hände entfernterer Verwandter gelangen soll.

Die als Rechtfertigung der Jahresfrist genannten Beweisschwierigkeiten und die Gefahr einer mißbräuchlichen Geltendmachung der Vaterschaft können beim heutigen Stand der Untersuchung von Blutmerkmalen, zu der nach dem Tod des Erblassers auch dessen Verwandte beitragen können, wie sich im vorliegenden Fall deutlich zeigte, nicht den Ausschlag geben. Sie wären überdies in gleicher Weise auch bei Einbringung der Vaterschaftsklage kurz vor oder binnen einem Jahr nach dem Tod des Vaters gegeben. Das spätere Auftauchen neuer Erben, hier eines unehelichen Kindes, dessen Vaterschaft erst längere Zeit nach dem Tod des Erblassers festgestellt wird, ist für das Verlassenschaftsverfahren auch nichts Ungewöhnliches; man denke etwa an Erben, die sich auf ein später aufgefundenes Testament stützen. Auch der Zeitablauf als solcher kann also eine unterschiedliche Behandlung nicht rechtfertigen. Berücksichtigt man schließlich, daß Minderjährige nach § 21 Abs.1 ABGB unter dem besonderen Schutz der Gesetze stehen, so müßten besonders schwerwiegende Gründe für die Benachteiligung einer bestimmten Gruppe von ihnen sprechen. Solche Gründe sind jedoch nicht erkennbar.

Eine verfassungskonforme Auslegung der angefochtenen Gesetzesbestimmung erscheint nicht möglich, weil der 0ußerste Wortsinn und die Gesetzesmaterialien (AB 155 BlgNR 12. GP 6) gegen eine Zulassung von Ausnahmen sprechen und der heutige Gesetzgeber seine gegenteilige Absicht sogar ausdrücklich erklärt hat (AB zum ErbRÄG 1989 wie oben).

Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit Entscheidung vom 18. November 1986 (NJW 1987, 1007) eine dem § 754 Abs.2 Satz 3 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 ähnliche Bestimmung, nämlich den § 1934 c BGB, als verfassungswidrig erklärt. Auf die auch hier zutreffenden Gründe dieser Entscheidung darf verwiesen werden. Verfassungswidrig ist zwar nach Ansicht des erkennenden Senates auch die Regelung, daß volljährigen unehelichen Kindern ein gesetzliches Erbrecht nach ihrem Vater überhaupt nur zusteht, wenn ihre Vaterschaft noch vor dem Tod des Vaters festgestellt worden ist (selbst wenn etwa der medizinische Beweis der Vaterschaft schon vorliegt). Doch ist dieser Teil der bezogenen Bestimmung für die vorliegende Verlassenschaftssache nicht entscheidungswesentlich. Der Aufhebungsantrag hat sich daher auf den zweiten Halbsatz des letzten Satzes des § 754 Abs.2 ABGB idF vor dem ErbRÄG 1989 zu beschränken.

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