OGH 10ObS10/90

OGH10ObS10/9023.1.1990

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Resch als Vorsitzenden, die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag. Engelmaier und Dr. Angst als weitere Richter und die fachkundigen Laienrichter Dr. Johannes Rudda (AG) und Anton Liedlbauer (AN) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Dzafer V***, Rentner, CH-6440 Brunnen, Föhneneichstraße 3 (früher 7), vertreten durch Dr. Peter Ringhofer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei P*** DER A***

(Landesstelle Wien), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 12.Mai 1989, GZ 32 Rs 97/89-13, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichtes Wien vom 25.November 1988, GZ 22 Cgs 183/88-7, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Oberste Gerichtshof stellt nach Art. 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den

A n t r a g ,

die Wortfolge "aus dem Versicherungsfall des Alters" im § 234 Abs 1 Z 3 ASVG nach Art. 140 B-VG als verfassungswidrig aufzuheben.

Text

Begründung

1. Sachverhalt:

Der am 25.8.1987 bei der beklagten Partei eingebrachte Antrag des am 1.8.1953 geborenen Klägers, eines seit 1982 in der Schweiz lebenden jugoslawischen Staatsangehörigen, auf Invaliditätspension wurde von der beklagten Partei mit Bescheid vom 27.5.1988 wegen Nichterfüllung der Wartezeit abgelehnt.

Die dagegen rechtzeitig erhobene Klage richtete sich erkennbar auf die abgelehnte Leistung im gesetzlichen Ausmaß und stützte sich darauf, daß als Stichtag nicht der 1.9.1987, sondern der 4.6.1985 oder der 1.7.1986 anzunehmen sei. Am 4.6.1985 sei der Versicherungsfall eingetreten, seit 1.7.1986 beziehe der Kläger von der Eidgenössischen Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung eine ganze Rente. Die vielen Spitals- und Rehabilitationsaufenthalte hätten den Kläger und seine Frau sehr stark belastet und es ihnen unmöglich gemacht, bei der beklagten Partei einen Pensionsantrag zu stellen. In der Schweiz, in der der Kläger von April 1982 bis April 1987 regelmäßig gearbeitet habe, sei die Anmeldung an die schweizerische Versicherung ohne Zutun des Klägers durch Arzt und Spitäler in die Wege geleitet worden. Der Kläger sei halbseitig gelähmt, erleide zwei- bis dreimal pro Woche einen epileptischen Anfall und leide unter sehr starkem Gedächtnisverlust. Ein ausländischer Arbeitnehmer könne unmöglich über die Sozialversicherungen aller Länder, in denen er arbeite, und die zwischenstaatlichen Abkommen Bescheid wissen. Wäre der Kläger früher darauf aufmerksam gemacht worden, dann hätte er den Pensionsantrag viel früher gestellt und der Stichtag läge vor dem 1.9.1987.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete dagegen ein, daß innerhalb der letzten 120 Kalendermonate vor dem 1.9.1987 nur 53 (österreichische) Versicherungsmonate lägen und bis zum Stichtag nur 115 jugoslawische und österreichische Beitragsmonate erworben worden seien. Allfällige Schweizer Versicherungsmonate könnten nicht berücksichtigt werden, weil der Kläger jugoslawischer Staatsangehöriger sei.

Das Erstgericht wies das erkennbare Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, dem Kläger vom 1.9.1987 an eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß zu gewähren, ab. Nach den in der Berufung nicht wirksam bekämpften erstgerichtlihen Feststellungen liegen in der (nicht durch neutrale Monate verlängerten) Zeit vom 1.9.1977 bis 31.8.1987 (nur) 53 österreichische Versicherungsmonate. Von Juli 1974 bis März 1982 wurden in der österreichischen Pensionsversicherung 87 Beitrags- und vier Ersatzmonate erworben. Dazu kommen noch (vor diesen österreichischen Versicherungszeiten liegende) 28 jugoslawische Versicherungsmonate.

Nach der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts liege am durch den Antrag vom 25.8.1987 ausgelösten Stichtag (1.9.1987), für dessen "Verlegung" eine gesetzliche Voraussetzung fehle, die nach § 236 Abs 1 Z 1 lit a, Abs 2 Z 1 und Abs 4 ASVG iVm Art. IV Abs 4 der

40. ASVGNov. für die Erfüllung der Wartezeit erforderliche Mindestanzahl von Versicherungsmonaten nicht vor, weshalb diese allgemeine Voraussetzung des behaupteten Leistungsanspruchs fehle. Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers, deren Schwerpunkt in der Rechtsrüge lag, nicht Folge, weil das Erstgericht den Sachverhalt nach der verfassungsrechtlich unbedenklichen Rechtslage richtig beurteilt habe.

Dagegen richtet sich die nicht beantwortete Revision des Klägers wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung (der Sache) mit dem Antrag, die Urteile der Vorinstanzen im klagestattgebenden Sinne abzuändern.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässig. Der erkennende Senat kann jedoch über die Revision noch nicht entscheiden, weil er gegen die Anwendung des § 234 Abs 1 Z 3 ASVG aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken und daher den Antrag auf Aufhebung (einer Wortfolge) dieser Gesetzesstelle beim Verfassungsgerichtshof zu stellen hat (Art. 89 Abs 2 und Abs 5 B-VG und § 62 Abs 3 VfGG).

2. Antragsvoraussetzungen:

(Ohne Gesetzesangabe zit. Paragraphen sind solche des ASVG.)

Nach § 361 Abs 1 Z 1 sind die Leistungsansprüche in der Pensionsversicherung von den Versicherungsträgern im Rahmen ihrer örtlichen und sachlichen Zuständigkeit (nur) auf Antrag festzustellen, zu dessen Stellung nach Abs 2 leg.cit. grundsätzlich der Anspruchswerber selbst oder sein gesetzlicher Vertreter berechtigt ist.

Das bedeutet, daß die Leistungen der Pensionsversicherung nur dann festzustellen und zu gewähren sind, wenn neben den materiellen Leistungsvoraussetzungen auch die formelle Leistungsvoraussetzung, nämlich der Leistungsantrag, erfüllt ist (Schrammel in Tomandl, SV-System 3. ErgLfg. 135, 145 f; Oberndorfer, ebendort 677 f; jeweils mwN; SSV-NF 2/52).

Mit dem auf eine bestimmte Leistung der Pensionsversicherung zu richtenden Antrag meldet der Anspruchswerber seinen diesbezüglichen Anspruch, also den behaupteten Eintritt des Versicherungsfalles, von dem der Träger der Pensionsversicherung vorher üblicherweise keine Kenntnis hat, an. Der Pensionsantrag bildet daher eine notwendige Voraussetzung für die Einleitung des Verfahrens zur Feststellung des angemeldeten Leistungsanspruchs durch den örtlich und sachlich zuständigen Träger der Pensionsversicherung iS des 1. Unterabschnitts des das Verfahren in Leistungssachen regelnden Abschnittes II des Siebenten Teils des ASVG (so zB auch Schrammel aaO 146; Brackmann, Handbuch der SV IV 67. Nachtrag 666u). Dieses Antragsprinzip für Leistungen der Pensionsversicherung galt übrigens schon vor dem Wirksamkeitsbeginn des ASVG. So bestimmte zB § 116 Abs 1 GSVG 1938, daß die Ansprüche auf Leistungen aus der in diesem Gesetze geregelten Versicherung auf dem Gebiete der Unfallversicherung von Amts wegen wahrzunehmen, im übrigen aber auf Antrag festzustellen waren.

Wenn feststellbar wäre, daß die dauernde Invalidität des Klägers schon am 4.6.1985, oder zu einem bestimmten späteren Zeitpunkt vor dem 25.8.1987 eingetreten wäre, würde dieser Versicherungsfall nach § 223 Abs 1 Z 2 lit a als vor der und nicht erst mit der Antragstellung am 25.8.1987 eingetreten gelten. Stichtag für die Feststellung, ob ..... dem Kläger eine Invaliditätspension gebührt, wäre aber nach § 223 Abs 2 weder der auf einen Monatsersten fallende Eintritt des Versicherungsfalles oder der dem Eintritt desselben folgende Monatserste (S 1 des zit. Abs ), sondern wegen der dem Eintritt des Versicherungsfalles nachfolgenden Antragstellung am 25.8.1987 der 1.9.1987 (S 2 des zit.Abs ). Nach der in MGA ASVG 35. ErgLfg 1079 FN 7 wiedergegebenen Begründung der RV zu § 223 Abs 2 "soll es dem Versicherten nicht verwehrt werden, einen Leistungsanspruch aus einem Versicherungsfall des Alters, der geminderten Arbeitsfähigkeit oder (bis 28.2.1969) der Eheschließung nicht gleichzeitig mit dem Eintritt des Versicherungsfalles, sondern erst später geltend zu machen, sei es, weil er in dem erstangeführten Zeitpunkt noch nicht die Wartezeit erfüllt hat oder weil er zur Verbesserung der Rente (heute: Pension) noch Versicherungszeiten erwerben will oder dgl. Für diese Fälle muß der erwähnte Stichtag, um eine solche Absicht nicht zu vereiteln, auf den Zeitpunkt der Stellung des Antrages auf die Leistung bzw, wenn er nicht auf einen Monatsersten fällt, auf den nachfolgenden Monatsersten verschoben werden".

Ein Versicherter, der das Anfallsalter für eine Alterspension erreicht hat oder mit einem feststellbaren bestimmten Zeitpunkt invalid, berufs- oder dienstunfähig geworden ist, kann daher durch den von ihm gewählten Antragstag zwar nicht den Eintritt des Versicherungsfalles, wohl aber den - in diesen Fällen - vom Zeitpunkt der Antragstellung abhängigen Stichtag bestimmen. Der erkennende Senat hält diese allen Versicherten eingeräumte Möglichkeit der Stichtagswahl für verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie ermöglicht es einem Versicherten, der beim Eintritt eines Versicherungsfalles des Alters oder der geminderten Arbeitsfähigkeit die Wartezeit noch nicht erfüllt hat oder eine höhere Alterspension oder Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit beziehen möchte, die erwähnte allgemeine Leistungsvoraussetzung oder die Voraussetzungen für eine höhere Leistung bis zum hinausgeschobenen Stichtag zu erfüllen. Daß ein Versicherter, dem bei früherer Antragstellung eine Leistung der Pensionsversicherung wegen geminderter Arbeitsfähigkeit gebührt hätte, den Leistungsanspruch insbesondere dadurch verlieren kann, daß am durch die spätere Antragstellung ausgelösten Stichtag die Wartezeit nicht mehr erfüllt ist, macht diese Stichtagsregelung nicht verfassungswidrig. Auf die verfassungsrechtlichen Bedenken hinsichtlich des § 234 Abs 1 Z 3 wird später einzugehen sein. Vor allem kann in diesem Zusammenhang von keinem Eingriff in einen "wohlerworbenen Anspruch" des Versicherten auf eine Pensionsanwartschaft oder -leistung gesprochen werden, weil der Anspruch auf jede der im § 222 Abs 1 und 2 angeführten Leistungen mit Ausnahme der Abfindung nach § 269 Abs 1 Z 1 nach § 235 Abs 1 und 2 ua an die allgemeine Voraussetzung geknüpft ist, daß die Wartezeit durch zu berücksichtigende Versicherungsmonate erfüllt ist. Diese sekundäre Leistungsvoraussetzung soll sicherstellen, daß nur solche Leistungswerber in den Genuß von Leistungen kommen, die der Versichertengemeinschaft bereits eine bestimmte Zeit angehört und durch ihre Beiträge zur Finanzierung der Leistungsverpflichtungen dieser Gemeinschaft beigetragen haben (Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 373). Die Wartezeit entfällt nach Abs 3 leg.cit. für eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder des Todes nur unter den in diesem Absatz genannten Voraussetzungen, auf deren Zutreffen im vorliegenden Fall weder die Behauptungen noch der sonstige Inhalt der Akten hinweisen. In diesen Ausnahmefällen bilden die sonst verlangten Vorleistungen gegenüber der Versichertengemeinschaft wegen der besonderen Schutzbedürftigkeit des Versicherten keine Voraussetzung seines Leistungsanspruches. Die Wartezeit wäre daher nur erfüllt, wenn am durch die dem Eintritt des Versicherungsfalles der Invalidität nachfolgende Antragstellung vom 25.8.1987 ausgelösten unverrückbaren Stichtag, dem 1.9.1987, mindestens 60 zu berücksichtigende Versicherungsmonate vorlägen, die innerhalb der letzten nicht neutralen 120 Kalendermonate vor dem Stichtag liegen müßten (§ 236 Abs 1 Z 1 lit a, Abs 2 Z 1 1. HS und Abs 3), oder wenn bis zum genannten Stichtag mindestens 180 Beitragsmonate erworben wären (Abs 4 leg.cit.). Die genannte Rahmenfrist soll gewährleisten, daß nur solche Leistungswerber anspruchsberechtigt sind, die im Zeitpunkt der Antragstellung in einem Naheverhältnis zur Versichertengemeinschaft stehen (Teschner aaO 373 bis 375). Der erkennende Senat hat auch gegen die sekundäre Leistungsvoraussetzung der Wartezeit keine verfassungsrechtlichen Bedenken.

Der Kläger hat zunächst Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften der Sozialistischen Förderativen Republik Jugoslawien, dann Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften der Republik Österreich und schließlich vermutlich noch Versicherungszeiten nach den Rechtsvorschriften der Schweizerischen Eidgenossenschaft zurückgelegt.

Die jugoslawischen und die österreichischen Versicherungszeiten sind nach Art. 18 Abs 1 des Abkommens zwischen der Republik Österreich und der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien über Soziale Sicherheit vom 19.11.1965, BGBl. 1966/289, ua für den Erwerb des Leistungsanspruches, also auch für die Wartezeit, zusammenzurechnen.

Die allenfalls nach den Rechtsvorschriften der Schweizer Eidgenossenschaft zurückgelegten Versicherungszeiten können für den Erwerb des eingeklagten österreichischen Leistungsanspruches nicht hinzugerechnet werden, weil das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über Soziale Sicherheit vom 15.11.1967, BGBl. 1969/4, nach seinem Art. 3 - mit einer hier nicht zutreffenden Ausnahme - nur für die Staatsangehörigen der Vertragsstaaten sowie für ihre Angehörigen und Hinterbliebenen soweit diese ihre Rechte von einem Staatsangehörigen ableiten, gilt. Der Kläger war aber immer jugoslawischer Staatsangehöriger. Weil das Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland, dem Fürstentum Liechtenstein, der Republik Österreich und der Schweizerischen Eidgenossenschaft im Bereich der Sozialen Sicherheit vom 9.12.1977, BGBl. 1980/464, nach seinem Art. 3 und das Europäische Abkommen über Soziale Sicherheit vom 14.12.1972, BGBl. 1977/428, nach seinem Art. 4 für Staatsangehörige eines Nichtvertragsstaates nicht gelten und Jugoslawien nicht zu den Vertragsstaaten dieser multilateralen Abkommen gehört, gelten sie auch nicht für den Kläger.

Von den zusammenzurechnenden 28 jugoslawischen und 91 österreichischen, insgesamt also 119 Versicherungsmonaten liegen nach den Feststellungen nur 53 österreichische Versicherungsmonate innerhalb des die letzten 120 Kalendermonate vor dem 1.9.1987 umfassenden Zeitraumes vom 1.9.1977 bis 31.8.1987.

In diesen Zeitraum fallen keine neutralen Monate iS des § 234, weshalb sich nach der geltenden Gesetzeslage der Rahmenzeitraum des § 236 Abs 2 Z 1 nicht gemäß Abs 3 dieser Gesetzesstelle um solche Monate verlängert.

Umstände, die eine Wertung als neutrale Zeiten iS des § 234 Abs 1 Z 2 bis 11 rechtfertigen würden, ergeben sich weder aus den Behauptungen noch aus dem sonstigen Akteninhalt. Entgegen der Meinung des Klägers bezieht sich die völlig eindeutige Z 1 leg.cit., wenn der Antrag auf eine Leistung nach § 223 Abs 1 Z 1 oder 2 - wie im vorliegennen Fall - erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wurde, nur auf die Zeit zwischen dem Zeitpunkt der Antragstellung und dem Stichtag, hier also zwischen dem 25.8. und dem 1.9.1987. § 234 Abs 1 Z 1 steht im engsten Zusammenhang mit der durch § 223 Abs 2 angeordneten Verschiebung des Stichtages auf den der nicht an einem Monatsersten vorgenommenen Antragstellung folgenden Monatsersten. Er soll eine mögliche Schädigung des Versicherten durch diese Verschiebung, die höchstens 29 Kalendertage betragen kann, vermeiden (so auch die in MGA ASVG 35. ErgLfg 1079 FN 7 wiedergegebene Begründung der RV; MGA ASVG 45. ErgLfg 1163 FN 2). Die Zeit, die zwischen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch und der Antragstellung auf die Leistung liegt, ist, soweit sie keine Versicherungszeit ist, nach der geltenden Gesetzeslage nur bei einer Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters als neutral anzusehen (§ 234 Abs 1 Z 3; MGA ASVG 42. ErgLfg 1165 FN 4).

Nach der dargestellten österreichischen Rechtslage einschließlich des zit. AbkSozSi zwischen Österreich und Jugoslawien hat der Kläger in diesen beiden Staaten bis zum Stichtag nur 115 Beitragsmonate erworben, durch die die Wartezeit des § 236 Abs 4 (sog. "ewige Anwartschaft") nicht erfüllt ist. Da von den in diesen beiden Staaten bis zum maßgeblichen Stichtag (1.9.1987) insgesamt erworbenen 119 Versicherungsmonaten nur 53 im Rahmenzeitraum nach Abs 2 Z 1 und Abs 3 leg.cit. liegen, wäre der eingeklagte Anspruch nach der geltenden Gesetzeslage wegen Nichterfüllung der allgemeinen Voraussetzung der Wartezeit zu verneinen.

Der erkennende Senat hat jedoch gegen die Anwendung des im § 236 Abs 3 bezogenen § 234, und zwar gegen dessen Abs 1 Z 3, aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken.

Die letztgenannte Gesetzesstelle wurde aus der RV zum ASVG 599 BlgNR 7.GP 60 unverändert in das Stammgesetz BGBl 1955/189 übernommen und nie novelliert. Sie hat folgenden Wortlaut:

"Als neutral sind folgende Zeiten anzusehen, die nicht Versicherungszeiten sind: 3. die Zeit, die zwischen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung aus dem Versicherungsfall des Alters und der Antragstellung auf die Leistung liegt;"

Derselbe Wortlaut findet sich im § 121 Z 7 GSVG und im § 112 Z 5

BSVG.

Nach den EB der zit RV zu § 234 (S 76) soll die (gegenüber der bisherigen Rechtslage des 1. Sozialversicherungs-NeuregelungsG 3.4.1952 BGBl 86 (1. SV-NG) neue Z 3 "vorbeugen, daß in gewissen Grenzfällen durch Verspätung der Antragstellung auf die Altersrente kein Nachteil eintreten kann".

Neutrale Monate (§ 234) blieben nach Abs 3 des die Anrechenbarkeit der Versicherungsmonate regelnden § 233 des Stammgesetzes bei Anwendung des Abs 1 dieser Bestimmung außer Betracht. Sie waren nach § 237 Abs 1 und 2 des Stammgesetzes aus den für die Dritteldeckung bzw Dreivierteldeckung erforderlichen Zeiten auszuschalten. Dadurch wurden die Anrechenbarkeit der Versicherungsmonate und die damalige zweite allgemeine Voraussetzung der Leistungsansprüche, nämlich die Dritteldeckung, erleichtert. Tomandl, Grundriß des österreichischen Sozialrechts4 Rz 65 führt zu den neutralen Zeiten aus, der Gesetzgeber habe sich bei einigen vom Versicherten nicht beeinflußbaren Unterbrechungen zwar nicht zur Anerkennung als Versicherungszeit bereitgefunden, wohl aber angeordnet, daß diese Zeiten zugunsten des Versicherten nicht als schädliche Unterbrechung angesehen werden sollten. Neutrale Zeiten würden bei der Ermittlung der Wartezeit, aber auch bei der Berechnung der Pensionshöhe ausgeschieden.

Nach Teschner in Tomandl, SV-System 4. ErgLfg 378 sind die neutralen Zeiten keine Versicherungszeiten und daher nicht leistungswirksam. Der Gesetzgeber habe solche Zeiten anerkannt, wenn dafür berücksichtigungswürdige Gründe vorgelegen hätten, die nicht so gravierend erschienen seien, daß eine Zuordnung zu den Ersatzzeiten erforderlich gewesen wäre. Als neutral erklärte Zeiten verlängerten insbesondere den Rahmenzeitraum, innerhalb dessen die Wartezeit erfüllt sein müsse, und erleichterten damit die Erfüllung dieser Voraussetzung.

Daraus, daß § 234 Abs 1 Z 3 von der Zeit zwischen der Erfüllung der Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung und der Antragstellung auf die Leistung spricht, ergibt sich, daß unter den erstgenannten Voraussetzungen nur die materiellen Leistungsvoraussetzungen, nicht aber auch die formelle Leistungsvoraussetzung des Leistungsantrages zu verstehen sind. Daß als neutral iS der zit Gesetzesstelle nur die Zeit anzusehen ist, die zwischen der Erfüllung der (dh aller, also sowohl der allgemeinen als auch der besonderen materiellen) Voraussetzungen für den Anspruch und der Antragstellung liegt, bedeutet, daß eine solche neutrale Zeit zwischen dem Entstehen des Leistungsanspruches und der Antragstellung liegen muß.

Die Ansprüche auf die Leistungen aus der Pensionsversicherung entstehen nach § 85 nämlich in dem Zeitpunkt, in dem die im Vierten Teil des ASVG hierfür vorgesehenen Voraussetzungen, zu denen der im Siebenten Teil dieses Bundesgesetzes geregelte Leistungsantrag nicht zählt, erüfllt sind (zB Teschner-Fürböck in MGA ASVG 46. ErgLfg 516 FN 1).

Wären die Monate zwischen der Erfüllung der materiellen Voraussetzungen für den Anspruch auf eine Leistung und der Antragstellung auf die(se) Leistung nicht als neutral anzusehen, dann könnte das, wenn der Antrag auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen des Alters oder geminderter Arbeitsfähigkeit erst nach Eintritt des Versicherungsfalles gestellt wird (§ 223 Abs 2 Satz 2) dazu führen, daß der beim Eintritt des Versicherungsfalles entstandene Leistungsanspruch am durch die spätere Antragstellung ausgelösten Stichtag nicht mehr besteht, weil dann die Wartezeit nicht mehr erfüllt sein könnte.

In einem solchen Fall würden die Pensionen aus den Versicherungsfällen des Alters und der geminderten Arbeitsfähigkeit, die nicht binnen einem Monat nach Erfüllung der materiellen Anspruchsvoraussetzungen beantragt wurden, nicht nur erst mit dem späteren Stichtag anfallen (§ 86 Abs 3 Z 2), sondern der Versicherte würde durch die verspätete Antragstellung seinen bereits entstandenen, also erworbenen Pensionsanspruch wieder verlieren. Einen solchen schwerwiegenden Nachteil wollte der Gesetzgeber durch § 234 Abs 1 Z 3 - allerdings nur beim Versicherungsfall des Alters - verhindern (so auch OLG Wien 28.4.1976 SVSlg 23.234 und 4.11.1983 SVSlg 29.294).

Diese Einschränkung auf den Versicherungsfall des Alters erscheint dem erkennenden Senat verfassungsrechtlich bedenklich, weil das Gesetz hier wesentlich Gleiches ohne ausreichenden sachlichen Grund ungleich behandelt.

Der Gesetzgeber ist nämlich durch den Grundsatz der Gleichheit vor dem Gesetz verpflichtet, an (im wesentlichen) gleiche Tatbestände gleiche Rechtsfolgen zu knüpfen (VfSlg 2956, 5727). Er darf Gruppen von Normadressaten nicht verschieden behandeln, wenn zwischen ihnen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, die eine ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Unterschiedliche Regelungen, die nicht durch entsprechende Unterschiede im Tatsächlichen begründet sind, sind daher verfassungswidrig (VfSlg 7947, 8600).

Versicherte, die ihren einmal entstandenen Anspruch auf eine Leistung aus den Versicherungsfällen der geminderten Arbeitsfähigkeit verlieren würden, weil wegen der verspäteten Antragstellung die Wartezeit nicht mehr erfüllt wäre, erscheinen insoweit nicht weniger schutzwürdig wie vergleichbare Versicherte mit einem schon entstandenen Anspruch auf eine Alterspension. Der erkennende Senat hatte daher nach Art 89 Abs 2 B-VG beim Verfassungsgerichtshof den Antrag zu stellen, gemäß Art 140 B-VG auszusprechen, daß die Wortfolge "aus dem Versicherungsfall des Alters" im § 234 Abs 1 Z 3 ASVG als verfassungswidrig aufgehoben wird.

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