OGH 7Ob40/89 (7Ob41/89)

OGH7Ob40/89 (7Ob41/89)21.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in den zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Rechtssachen der klagenden Partei Josef S***, Schilehrer, Elsbethen, Halleiner Landesstraße 8 b, vertreten durch Dr. Wolf Schuler, Rechtsanwalt in Salzburg, wider die beklagte Partei W*** S*** Wechselseitige Versicherungsanstalt, Wien 1., Ringturm, vertreten durch Dr. Heinz Paradeiser und Dr. Raimund Danner, Rechtsanwälte in Salzburg, wegen S 21.291,-- s. A. und Feststellung (Streitwert S 20.000,--), infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Berufungsgerichtes vom 27.Juli 1989, GZ 21 R 158, 159/89-29, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichtes Salzburg vom 30.Dezember 1988, GZ 18 C 324/86-24, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß es zu lauten hat:

"Die beklagte Partei ist dem Kläger für die am 17.8.1985 beim Schifahren in Thredbo in Australien erlittenen Verletzungen im Rahmen des Versicherungsvertrages Polizze Nr. 07 H 234.088-5 deckungspflichtig.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 34.413,79 bestimmten Verfahrenskosten aller drei Instanzen (darin enthalten S 6.982,50 Barauslagen und S 3.092,59 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu bezahlen."

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hat mit der beklagten Partei eine Unfallversicherung abgeschlossen, der die Allgemeinen Bedingungen für die Unfall- und Fluggastunfallversicherung (U/Flug 1975) zugrundeliegen. Nach dessen Art. 8 II.1. ist, wenn sich innerhalb eines Jahres, vom Unfalltage an gerechnet, ergibt, daß eine dauernde Invalidität zurückbleibt,

a) entweder aus der hiefür versicherten Summe die dem Grade der Invalidität entsprechende Versicherungsleistung zu erbringen oder lit b) ist der Versicherer berechtigt, den Grad der Invalidität, soweit er nicht nach Art. 10, Punkt 1, eindeutig feststeht, bis längstens 4 Jahre vom Unfalltage an jährlich neu feststellen zu lassen. Ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität ist nach Art. 8 II.2. innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltage an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes zu begründen. Im Falle von Meinungsverschiedenheiten über Art und Umfang der Unfallsfolgen oder darüber, in welchem Umfange der eingetretene Schaden auf den Versicherungsfall zurückzuführen ist, ferner über die Beeinflussung der Unfallsfolgen durch Krankheit oder Gebrechen entscheidet gemäß Art. 14 1. die Ärztekommission. Der Kläger behauptet, am 17.8.1985 in Thredbo in Australien beim Schifahren einen Unfall erlitten zu haben und erstattete am 3.1.1986 der beklagten Partei unter Verwendung eines von dieser stammenden Vordruckes eine schriftliche Unfallsmeldung. Die darin enthaltenen Angaben über die Unfallsfolgen lassen eine dauernde Invalidität nicht erkennen. Die beklagte Partei lehnte mit dem dem Klagevertreter am 18.6.1986 zugegangenen Schreiben eine Deckungspflicht mit der Begründung ab, daß ein Unfall im Sinne des Art. 2 der U/Flug nicht vorliege, und wies auf die Klagefrist des § 12 Abs 3 VersVG und die mit dem Ablauf der Frist verbundenen Rechtsfolgen hin.

Mit der am 3.7.1986 erhobenen Klage begehrt der Kläger ein Taggeld von S 21.291 s.A. und mit einer weiteren am 17.11.1986 eingebrachten Klage die Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei, letztere gestützt im wesentlichen auf die Behauptung, daß auch eine dauernde Invalidität zurückgeblieben sei. Nach Verbindung der beiden Rechtssachen zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung änderte der Kläger bei der Tagsatzung am 16.11.1988 das Feststellungsbegehren auf Zahlung des dem behaupteten Invaliditätsgrad von 25 % entsprechenden Betrages von S 149.000 s.A. Das Erstgericht ließ die Klagsänderung nicht zu und gab im übrigen beiden Klagebegehren statt. Nach seinen Feststellungen arbeitete der Kläger im Jahre 1985 als Schilehrer in Australien. Am 17.8.1985 wollte er privat an einem Gästerennen teilnehmen. Um hiefür zu trainieren, fuhr er gegen 9 Uhr den bereits ausgesteckten Slalomkurs mit erheblicher Geschwindigkeit ab. Die Piste war eisig und rippig. Da der Lauf bereits seit dem Vortag ausgesteckt war, befanden sich am Kurs schon Wannen. Bereits nach wenigen Schwüngen rutschte der Kläger plötzlich auf einer Eisplatte aus, wurde mit voller Wucht in ein "Schneewandl gestaucht" und in der Folge wieder herauskatapultiert. Im Zuge des Zusammenstauchens verspürte der Kläger einen sehr starken stechenden Schmerz im Bereich der Lendenwirbelsäule. Dadurch verließ ihn die Kraft in den Beinen und er brach nach einer kurzen Fahrstrecke zusammen. Der Kläger erlitt durch das "Hineinstauchen in das Schneewandl" eine traumatische Kompression der Lendenwirbelsäule mit Zerreißung der Bandscheibe zwischen L 4 und L 5 und dadurch bedingtem Bandscheibenaustritt mit nachfolgender Degeneration. Er wies im Unfallszeitpunkt keine über die Altersnorm hinausgehende Bandscheibendegeneration auf. Der Kläger war zunächst konservativ behandelt worden. Da diese Behandlung keine Besserung brachte, wurde er am 18.9.1985 operiert. Hiebei wurden die Bandscheiben L 4 und L 5 entfernt. Der weitere Heilungsverlauf war komplikationslos. Die Lendenwirbelsäule zeigt im unteren Bereich eine etwas vermehrte Streckstellung, wobei der Kläger eine leichte Beweglichkeitseinschränkung im Bereich der Lendenwirbelsäule aufweist. Bei endlagiger Beugung in den Hüftgelenken hat der Kläger Spannungsschmerzen im ehemaligen Verletzungsbereich, welche in die Beugeseite beider Beine ausstrahlen. Der Bandscheibenraum zwischen L 4 und L 5 ist deutlich verschmälert. In diesem Bereich befinden sich sekundäre Verkalkungen und Verknöcherungen. Diese Verletzungsfolgen sind unfallskausale Dauerschäden, der Grad der dadurch eingetretenen dauernden Invalidität beträgt 25 %. Nach der Ansicht des Erstgerichtes handle es sich bei dem Ereignis, das zu den Verletzungen des Klägers geführt habe, um einen Unfall im Sinne des Art. 2.1. der U/Flug. Der Kläger habe daher Anspruch auf das der Dauer seiner vollen Arbeitsunfähigkeit entsprechende Taggeld. Da die beklagte Partei ihre Deckungspflicht bestritten habe, sei dem Kläger auch ein rechtliches Interesse an der Feststellung der Deckungspflicht der beklagten Partei zugekommen. Das Feststellungsinteresse sei aber im Verlaufe des Prozesses weggefallen. Es habe sich ergeben, daß beim Kläger eine Invalidität von 25 % vorliege. Eine Leistungsklage auf Zahlung des dem Grade dieser Invalidität entsprechenden Betrages sei dann möglich gewesen. Dem habe der Kläger auch durch eine Klagsänderung Rechnung getragen. Die Klagsänderung sei aber wegen Überschreitung der bezirksgerichtlichen Zuständigkeit nicht zulässig gewesen. Ungeachtet des Umstandes, daß sich während des Prozesses die Möglichkeit einer Leistungsklage ergeben habe und das Feststellungsinteresse weggefallen sei, sei aus Gründen der Prozeßökonomie dennoch die Zulässigkeit der Feststellungsklage zu bejahen. Das Prinzip der Prozeßökonomie, das die Feststellungsklage ausschließe, wenn die Durchsetzbarkeit aller aus dem strittigen Rechtsverhältnis abgeleiteten Rechtswirkungen durch eine Leistungsklage möglich sei, dürfe nicht aus formalen Gründen in sein Gegenteil verkehrt werden. Im übrigen würden durch eine Leistungsklage nicht alle Rechtswirkungen ausgeschöpft. Das Berufungsgericht änderte das nur in seinem Ausspruch über das Feststellungsbegehren angefochtene Ersturteil im Sinne einer Abweisung dieses Begehrens ab und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000, nicht jedoch S 300.000 übersteigt und die Revision zulässig ist.

Das Berufungsgericht lehnte die auf der Entscheidung SZ 18/165 beruhende Rechtsansicht des Erstgerichtes ab und verneinte daher infolge Wegfalls des rechtlichen Interesses nach Klagseinbringung die Zulässigkeit der Feststellungsklage.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen die Entscheidung der zweiten Instanz erhobene Revision des Klägers ist zulässig, weil von den Vorinstanzen die ständige Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs über die Zulässigkeit der Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers außer acht gelassen wurde.

Die Revision ist auch berechtigt.

Die behauptete Mangelhaftigkeit und Aktenwidrigkeit liegen nicht

vor (§ 510 Abs 3 ZPO).

Das Vorliegen eines Unfalls im Sinne des Art. 2.1. der U/Flug ist im Rechtsmittelverfahren nicht mehr strittig, sodaß auf die Ausführungen des Erstgerichtes und die Entscheidung VersR 1984, 1208, der ein durchaus vergleichbarer Fall zugrundelag, verwiesen werden kann.

Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist eine Klage auf Feststellung der Deckungspflicht des Versicherers immer zulässig, wenn der Versicherer seine Deckungspflicht dem Grunde nach bestreitet, der Schaden nicht außer Streit steht und ein nach den Versicherungsbedingungen vorgesehenes Sachverständigenverfahren noch nicht stattgefunden hat (VersRdSch 1989, 253; VersR 1982, 587; EvBl. 1977/209; ZVR 1974/60, VersR 1971, 1076; JBl. 1970, 380; JBl. 1964, 519; SZ 41/104; SZ 34/171; 7 Ob 42/73 ua). Ein Sachverständigenverfahren ist nach Art. 14 der U/Flug vorgesehen. Die beklagte Partei hat auch unter Berufung darauf mangelnde Fälligkeit eingewendet (ON 20 AS 89). Die unrichtige Zitierung der Versicherungsbedingungen schadet hiebei nicht, weil unstrittig ist, daß dem Versicherungsverhältnis der Streitteile die U/Flug 1975 zugrundeliegen und dessen Art. 14 mit der zifferngleichen Bestimmung der AUVB übereinstimmt (vgl. Petrasch, Obliegenheitsverletzung und Leistungsfreiheit in den Kfz-Versicherungen in ZVR 1985, 67). Ein Sachverständigenverfahren wurde im vorliegenden Fall nicht durchgeführt und der Schaden des Klägers steht auch nicht außer Streit. Es liegen auch keine Anhaltspunkte für einen Verzicht auf ein Sachverständigenverfahren vor (vgl. SZ 38/138).

Fraglich bleibt demnach lediglich, ob nicht ein allfälliger Anspruch des Klägers wegen dauernder Invalidität gemäß Art. 8 II.2. präkludiert ist. Nach dieser mit Art. 8 II.2. der AUVB übereinstimmenden Klausel ist ein Anspruch auf Leistung für dauernde Invalidität innerhalb von 15 Monaten vom Unfalltage an geltend zu machen und unter Vorlage eines ärztlichen Befundberichtes zu begründen. Diese Frist ist nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs eine Ausschlußfrist (VersR 1989, 421; 7 Ob 11/89 uva). Sie endete im vorliegenden Fall am 17.11.1986. Der Kläger hat seinen Anspruch aus dauernder Invalidität innerhalb dieser Frist nicht bei der beklagten Partei geltend gemacht. Die beklagte Partei hat aber bereits mit Schreiben vom 17.6.1986 unter Hinweis auf § 12 Abs 3 VersVG eine Deckungspflicht mangels Vorliegens eines Unfalls überhaupt abgelehnt. Nach Ablehnung der Leistungspflicht dem Grunde nach war nicht zu erwarten, daß die beklagte Partei einen danach geltend gemachten Anspruch auf Invaliditätsentschädigung noch behandelt. Eine allfällige Geltendmachung der beklagten Partei gegenüber hätte dann dem Zweck der Frist kaum mehr dienlich sein können. Hat der Versicherer seine Leistungspflicht dem Grunde nach abgelehnt, genügt es daher, wenn der Versicherungsnehmer innerhalb der Frist des Art. 8 II.2. der U/Flug die Deckungsklage wegen dauernder Invalidität einbringt. Der Kläger hat sowohl innerhalb der Klagefrist des § 12 Abs 3 VersVG als auch innerhalb der Präklusivfrist des Art. 8 II.2. der U/Flug die Deckungsklage mit der Begründung erhoben, daß eine dauernde Invalidität vorliege. Die beklagte Partei kann sich daher nicht darauf berufen, daß die 15-monatige Frist nicht gewahrt worden sei (vgl. Wussow-Pürckhauer AUB5 177).

Demgemäß ist der Revision Folge zu geben.

Die Feststellungsklage kann immer nur auf die Feststellung der Deckungspflicht für einen konkreten Versicherungsfall gerichtet sein (7 Ob 12/89). Daß der Kläger eine solche Feststellung anstrebte, kann nach seinem gesamten Vorbrfingen nicht zweifelhaft sein. Entsprechend dem Wesen der Deckungsklage war dem Urteilsspruch die entsprechende Fassung zu geben (vgl. Fasching III 646). Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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