OGH 6Ob716/89

OGH6Ob716/8921.12.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Schlosser und Dr. Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1.) Günther R***, Angestellter, 2.) Christa R***-S***, Angestellte, beide Erlosenstraße 14, 6850 Dornbirn, vertreten durch Dr. Gottfried Waibel, Rechtsanwalt in Dornbirn, wider die beklagte Partei Herbert D***, Landwirt, 6867 Schwarzenberg 251, vertreten durch Dr. Norbert Margreiter, Rechtsanwalt in Bezau, wegen Duldung einer Dienstbarkeit, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch als Berufungsgerichtes vom 19. September 1989, GZ 1 b R 140/89-10, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Bezirksgerichtes Bezau vom 31. Mai 1989, GZ 2 C 285/89-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß die Entscheidung des Erstgerichtes wiederhergestellt wird.

Die klagenden Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der beklagten Partei binnen 14 Tagen die mit S 6.979,23 bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens (darin enthalten S 1.163,20 Umsatzsteuer) und die mit S 5.122,08 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 603,68 Umsatzsteuer und S 1.500,00 Barauslagen) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Auf einer dem Beklagten gehörigen Liegenschaft ist "die Dienstbarkeit des Fahrweges mit Dünger und Heu sowie das Führen einer einzelnen Kuh von der engen Stelle am nördlichen Ende der Gp. 1878 über die Gp. 10.047 zu Gunsten der Bp. 144 in EZ 197 dieses Hauptbuches einverleibt". Das herrschende Gut steht im Eigentum der Kläger. Die Liegenschaften der Streitteile sind eingezäunt. Die Dienstbarkeit wird seit jedenfalls 35 Jahren derart ausgeübt, daß von einem Weg durch eine 3,9 m breite Zaunöffnung auf die Liegenschaft des Beklagten gefahren wird und dann durch eine 3,10 m breite Öffnung eines Zaunes (der zu dem entlang des Weges verlaufenden Zaun etwa einen rechten Winkel bildet) weitergefahren wird. Der 3,10 m breite Durchlaß wird durch zwei ca 15 cm starke quadratische Holzpfosten gebildet, die durch entfernbare Querbalken verbunden sind. Die Wegtrasse führt von der ersterwähnten Zaunöffnung in einem Winkel von etwa 45o zu dem 3,10 m breiten Durchlaß. Mit den früher verwendeten Fahrzeugen bzw Fuhrwerken konnte der Durchlaß problemlos benützt werden. Die Durchfahrt mit breiten Traktoren oder breiten Schleppern, wie sie heutzutage zur landwirtschaftlichen Bewirtschaftung von Wiesen benützt werden, ist hingegen mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Ein Zu- und Abfahren ist teilweise nur durch Reversieren und bei Gefahr eines Anfahrens an die beiden Pfosten möglich. Wegen dieser Schwierigkeiten hat der Landwirt, der das Grundstück der Kläger in den Jahren 1987 und 1988 bewirtschaftete, eine Weiterbewirtschaftung abgelehnt.

Die Kläger stellten das Begehren, den Beklagten schuldig zu erkennen, die Zaunöffnung so zu erweitern, daß sie zu ihren Grundstücken mit den heute in der Landwirtschaft üblichen Bewirtschaftungsfahrzeugen zufahren können. Mit Eventualbegehren forderten sie eine Verlegung der Zufahrt an eine andere Stelle. Der Beklagte wendete ein, die Breite der Dienstbarkeitstraße sei durch die Zaunöffnung festgelegt und somit gemessen, die Kläger begehrten eine unzulässige Erweiterung der Dienstbarkeit. Es werde auch Freiheitsersitzung geltend gemacht, weil die Kläger den bestehenden Durchgang seit mehr als drei Jahren geduldet hätten. Für eine Verlegung der Zufahrt bestehe kein Anlaß, der Beklagte müsse eine solche nicht dulden.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es vertrat die Ansicht, die Dienstbarkeit sei auf Grund der immer schon in der Natur klar ersichtlichen Durchfahrtsbreite bestimmt, es handle sich daher nicht um eine ungemessene Dienstbarkeit. Aus diesem Grunde stehe den Klägern nicht das Recht zu, die Dienstbarkeit in größerem Ausmaß in Anspruch zu nehmen oder eine Verlegung durchzusetzen. Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß dem Klagebegehren stattgegeben wurde. Das Gericht zweiter Instanz sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes S 15.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei. Es führte aus, bei einer gemessenen Dienstbarkeit sei das Ausmaß durch den Titel eindeutig bestimmt, was hier nicht der Fall sei. Auch wenn der 3,10 m breite Durchlaß bereits bei der Bestellung vorhanden gewesen sein sollte, könnte nicht auf eine gemessene Dienstbarkeit geschlossen werden. Hiefür wäre eine vertragliche Vereinbarung, daß die bestehende Durchfahrtsbreite von 3,10 m die Höchstbreite darstelle, erforderlich. Das Ausmaß der Dienstbarkeit ergebe sich aus dem Inhalt des Titels, bei dessen Auslegung insbesondere Natur und Zweck der Dienstbarkeit zur Zeit ihrer Einräumung zu beachten seien. Es bestehe kein Zweifel, daß nach dem Zweck und der Natur der festgestellten Dienstbarkeit auch die Bewirtschaftung durch übliche landwirtschaftliche Fahrzeuge hätte ermöglicht werden sollen. Der Beklagte sei daher verpflichtet, den Durchlaß zu erweitern. Dadurch werde das dienende Gut nicht erheblich schwerer belastet. Die Ansicht des Beklagten, durch Ersitzung sei die Dienstbarkeit eingeschränkt und "gemessen" worden, werde nicht geteilt. Eine dem Vertrag widersprechende Ersitzung komme schon mangels Gutgläubigkeit nicht in Betracht. Überdies habe in den vergangenen 35 Jahren seitens des Dienstbarkeitsberechtigten kein Bedürfnis bestanden, die Durchfahrt zu erweitern, weil die Durchfahrtsbreite ausgereicht habe. Dies gelte auch zur Frage, ob im Sinne des § 1488 ABGB eine Einschränkung der Dienstbarkeit erfolgt sei. Freiheitsersitzung erfordere nicht nur ein Widersetzen innerhalb von drei Jahren, sondern auch die Redlichkeit des sich der Ausübung der Servitut widersetzenden Störers. Sei der Durchlaß über Jahrzehnte nur 3,10 m breit gewesen, und sei dadurch das Dienstbarkeitsrecht der Kläger nicht behindert worden, könne von einer Widersetzlichkeit nicht gesprochen werden.

Der Beklagte bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt die Wiederherstellung des Ersturteiles.

Die Kläger beantragen, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

Richtig ist, daß eine gemessene Dienstbarkeit nur dann vorliegt, wenn ihr Inhalt durch den Titel unzweifelhaft umschrieben ist (Klang in Klang2, II, 564; Petrasch in Rummel, ABGB, Rz 1 zu § 484; Welser in JBl 1983, 8 und 9). Da dies hier nicht der Fall ist, handelte es sich nach dem Vertrag um eine "ungemessene" Dienstbarkeit. Zu berücksichtigen ist jedoch, daß zumindest seit 35 Jahren auf dem dienenden Grundstück die Zaunöffnung mit einer Breite von 3,10 m vorhanden ist. Die Servitutsberechtigten haben dies hingenommen und die Dienstbarkeit auf eine Art ausgeübt, daß auf der Höhe des Zaunes zur Durchfahrt nicht mehr als 3,10 m in Anspruch genommen wurden. Dadurch wurde die Dienstbarkeit räumlich bestimmt und kann nur innerhalb dieser Grenzen ausgeübt werden. Eine Verpflichtung des Beklagten, die Zaunöffnung zu erweitern - ob das Begehren der Kläger hinreichend bestimmt ist, braucht nicht erörtert zu werden - besteht daher nicht.

Aber auch das Eventualbegehren ist nicht berechtigt, denn der Servitutsberechtigte hat keinen Anspruch darauf, daß ein Wegerecht an eine andere Stelle verlegt wird. Das Recht, eine Verlegung des Weges vorzunehmen, hat unter bestimmten Umständen nur der Belastete (vgl Klang in Klang2 II, 565; Schwimann/Pimmer, ABGB, II, § 484 Rz 27; vgl SZ 38/162).

Aus diesen Gründen war der Revision Folge zu geben und das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen.

Die Entscheidung über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Eingabengebühr für die Revisionsschrift beträgt S 1.500,--.

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