Spruch:
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Klägerin ist schuldig, der Beklagten die mit S 21.157,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin erzeugt und die Beklagte vertreibt (u.a.) Stahlrohrsessel. Die Rechtsvorgängerin der Klägerin hatte mit Lizenzvertrag vom 28.Februar 1978 von dem Architekten Mart S*** das ausschließliche Recht zur Verwertung eines hinterbeinlosen Stahlrohrsessels erworben, den Mart S*** 1925/26 entworfen und der deutsche Werkbund 1927 auf dem Weißenhof ausgestellt hatte. Dieser Sessel wird in einschlägigen Werken der Fachliteratur als "(Mart) StamStuhl" bezeichnet. Er hat folgende Form:
Abbildung nicht darstellbar!
Es handelt sich um ein hinterbeinloses Modell aus einem in einem Zuge verlaufenden Stahlrohrgestell, bei dem von dem U-förmig gebogenen Bodengestell die beiden Rohrteile nach viertelkreisförmiger Biegung senkrecht oder nahezu senkrecht emporsteigen, worauf sie nach weiterer viertelkreisförmiger Biegung die beiden Sitzstangen parallel oder nahezu parallel zu den Außenseiten des Bodengestells bilden und nach weiterer viertelkreisförmiger Biegung als Träger der Rücklehne senkrecht oder annähernd senkrecht ansteigen.
Die Klägerin erzeugt unter anderem die Modelle S 32, einen hinterbeinlosen Stahlrohrstuhl mit Sitz und Rücken aus Korbgeflecht (Beilage B, C, D) und S 33, einen ebensolchen Stahlrohrstuhl mit Sitz und Rücken aus Rindsleder (Beilage H), die folgendes Aussehen haben:
Abbildung nicht darstellbar!
Auch die Beklagte vertreibt Stühle, welche die oben erwähnten Merkmale des "(Mart) Stam-Stuhls" aufweisen; diese bezieht sie von verschiedenen Herstellern. Darunter befinden sich auch Modelle mit Sitz- und Rückenlehnen aus Rohrgeflecht und Leder. Insbesondere handelt es sich dabei um Modelle der Firma V***, Serie 500 und 700, und der Firma G***, Modell Spoleto und Cesca, und (wie im zweiten Rechtsgang zum Teil ergänzt wurde) um Modelle der Unternehmen JOX I***, K*** I***, Gebrüder T*** Vienna GesmbH, MT
Möbel Textilgesellschaft mbH, "Prodomo" Peter T***, M*** Selbstbedienungsgroßhandel Gesellschaft mbH, P*** Sitz- und Büromöbel Industriegesellschaft mbH, D*** & Co GesmbH und F*** Möbel GesmbH.
Die Klägerin behauptet, daß die Beklagte durch den Vertrieb dieser Stühle gegen § 1 UWG verstoße, weil sie diese Stühle trotz Kenntnis, daß die Erzeugerfirmen Stahlrohrstühle der Klägerin bewußt nachgeahmt hätten, weiterhin verbreite; die Beklagte verstoße aber auch gegen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes, weil der "Stam-Stuhl" als Werk des Kunstgewerbes anzusehen sei und auch in Österreich Urheberrechtsschutz genieße.
Die Klägerin begehrt, die Beklagte schuldig zu erkennen,
1. es zu unterlassen, hinterbeinlose Stahlrohrstühle, die - wie im zweiten Rechtsgang eingefügt wurde - "entsprechend dem Modell von Mart S*** laut Urteilsbeilage J" die oben beschriebenen Merkmale aufweisen, insbesondere in einer den T***-Modellen laut Beilage B und H verwechselbar ähnlichen Gestalt, in Verkehr zu bringen;
2. über den Vertrieb dieser Stahlrohrsessel Rechnung zu legen und die Richtigkeit der Rechnung durch einen Sachverständigen überprüfen zu lassen, sowie der Klägerin für den Vertrieb ein angemessenes Entgelt zu zahlen, dessen Höhe dem Ergebnis der Rechnungslegung vorbehalten bleibe.
Ferner stellt die Klägerin ein entsprechendes Veröffentlichungsbegehren.
Die Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens, weil der von Mart S*** geschaffene Stuhl keine eigentümliche geistige Schöpfung im Sinne des § 1 UrhG sei. Mart S*** habe sich althergebrachter Formen bedient und auf bekannte allgemeine technische Prinzipien zurückgegriffen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren im ersten Rechtsgang statt. Der Oberste Gerichtshof bestätigte mit Beschluß vom 10. Juli 1984, 4 Ob 337/84, (ÖBl 1985, 24) = PBl 1985, 113 = GRUR Int 1985, 684) den Aufhebungsbeschluß des Berufungsgerichtes, mit dem die Rechtssache an die erste Instanz zurückverwiesen worden war. Auf diese Entscheidung des Obersten Gerichtshofes wird bezüglich des Verfahrensverlaufes im ersten Rechtsgang verwiesen. Im zweiten Rechtsgang wies das Erstgericht das Klagebegehren ab. Das Original des nach dem Entwurf von Mart S*** gebauten hinterbeinlosen Stuhles existiere nicht mehr; auch eine Werkzeichnung, aus der die genauen Abmessungen des Prototyps entnommen werden könnten, bestehe nicht mehr. Es sei daher nicht möglich, die von der Beklagten vertriebenen hinterbeinlosen Stahlrohrstühle mit kubischer Grundform auf ihre Übereinstimmung mit den charakteristischen künstlerischen Merkmalen des "(Mart) Stam"-Stuhles zu vergleichen. Feststellbar sei nur, daß sich der von Mart S*** geschaffene Stuhl und die von der Beklagten vertriebenen Stühle auf dasselbe technische Prinzip des hinterbeinlosen kubischen Stahlrohrstuhles stützten. Insgesamt bestünden zwischen den Modellen S 32 und S 33 der Klägerin und den Modellen der Beklagten nur geringfügige Abweichungen, die vom Betrachter und Benützer optisch kaum wahrgenommen werden könnten.
Auf Grund dieses Sachverhaltes sei ein Eingriff in das - (vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom 10.Juli 1984
bejahte) - Urheberrecht des Schöpfers des "(Mart) Stam"-Stuhles nicht erwiesen; auch ein Verstoß gegen § 1 UWG liege nicht vor, weil die Klägerin nicht bewiesen habe, daß die Beklagte Kenntnis von einer allfälligen verbotswidrigen Handlungsweise ihrer Lieferanten gehabt habe.
Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, S 300.000 übersteige. Es wiederholte das gesamte Beweisverfahren und traf folgende ergänzende und von den erstgerichtlichen Feststellungen abweichende Tatsachenfeststellungen:
Die Konstruktion eines hinterbeinlosen Stuhls, der frei auskragend die Last einer Person übernimmt, ist grundsätzlich "material technisch" bedingt. Für einen rein funktionstechnischen Gegenstand würde ein unproportioniertes Gerüst oder Gestell mit Flächenelementen als Sitz- und Rückenlehne genügen. Dazu gibt es verschiedene Gestaltungsmöglichkeiten. Die künstlerische Individualität und der ästhetische Wert des von Mart S*** geschaffenen Stuhls liegen im proportionierten Kubus, in der zur Transparenz führenden Linienführung der Bauelemente und im freiauskragenden Sitzen, das zur weiteren optischen Auflösung und Dynamisierung des Objektes "Stuhl/Sessel" führt. Diese Luftigkeit des Objektes im Raum entspricht der künstlerisch-geistigen Ausrichtung der Kunsthochschule "Bauhaus Dessau". Mart S*** legte besonderen Wert auf möglichst kleine Radien bei der Biegung der Eckstellen und auf die streng kubische Form. Er entwickelte zwei Prototypen mit gleichem schwarzen Gestell (Rohrdurchmesser 20 mm):
Einen Stuhl mit geflochtenen Gurten ohne Querbügel und einen mit gelochten Ledergurten, die zwischen den Sitzstangen mit Querbügeln getrennt befestigt sind.
Die von der Beklagten in den Handel gebrachten Stühle der Modelle 101/BDS und CF 33/980 haben ebenso wie die Modelle der Klägerin S 32 und S 33 ein verchromtes Stahlrohrgestell. Das Stahlrohr, an dem die Rückenlehne befestigt ist, ist leicht geschwungen. Über den Vergleich der bildlichen Darstellungen hinaus kann eine Übereinstimmung mit dem von Mart S*** geschaffenen Stuhl (zB in den genauen Abmessungen) nicht mehr festgestellt werden, weil ein solcher Stuhl nicht mehr existiert. Der "(Mart)" Stam"-Stuhl stimmt aber mit den Stühlen der Klägerin und der Beklagten in den drei oben erwähnten Gestaltungsprinzipien - nämlich im proportionierten Würfel, in der zur Transparenz führenden Linie der Bauelemente und im frei auskragenden Sitzen - überein. Ein dem Modell S 32 der Klägerin und dem Modell 101/BDS der Beklagten entsprechender Stahlrohrstuhl wurde schon 1928 von Marcel B*** entwickelt. Den Modellen S 33 der Klägerin und CF 33/980 der Beklagten ähnliche Stühle wurden bereits seit dem Beginn der 30er-Jahre von verschiedenen Herstellern angefertigt. In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Berufungsgericht zunächst darauf, daß es gemäß § 511 Abs 1 ZPO an die vom Obersten Gerichtshof im Beschluß vom 10.Juli 1984 4 Ob 337/84 ausgesprochene Rechtsansicht gebunden sei. Die von der Beklagten vertriebenen Stühle stimmten in ihrer kubischen, aus einem Stahlrohr bestehenden Linienführung mit dem von Mart S*** geschaffenen Stuhl überein. In diesem proportionierten Kubus erblicke der Sachverständige zusammen mit der dadurch gewonnenen Transparenz und dem frei auskragenden Sitzen die charakteristischen künstlerischen Merkmale des "(Mart) Stam"-Stuhls, ohne daß es auf Abmessungen und weitere Einzelheiten in der Ausführung ankäme. Bei diesen Eigenschaften handle es sich aber nur um die künstlerische Form, den Stil und die technische Konzeption derartiger hinterbeinloser Stühle. Diese Merkmale allein seien jedoch nach der Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofes einem Urheberrechtsschutz nicht zugänglich. Eine über die kubische Grundform hinausgehende Übereinstimmung in weiteren charakteristischen künstlerischen Merkmalen habe nicht festgestellt werden können, weil weder das Original des "(Mart) Stam"-Stuhles noch Werkzeichnungen von diesem existierten. Die vom Sachverständigen festgestellte Übereinstimmung beziehe sich auf den Vergleich der Stühle der Klägerin mit denen der Beklagten. Nach den Abbildungen und Beschreibungen in der Fachliteratur seien aber deutliche Unterschiede zwischen dem "(Mart) Stam"-Stuhl und den von der Beklagten vertriebenen Stühlen zu erkennen. Da eine Übereinstimmung zwischen dem urheberrechtlich geschützten "(Mart) Stam"-Stuhl und den Eingriffsgegenständen nur in der technischen Konstruktion des hinterbeinlosen kubischen Stahlrohrstuhls vorliege, darüber hinaus aber nicht feststellbar gewesen sei, sei in das Urheberrecht nicht eingegriffen worden. Ein Händler, der von einem anderen in sittenwidriger sklavischer Nachahmung hergestellte Waren trotz Kenntnis der verbotenen Handlungsweise des Erzeugers weiterbezieht und in seinem Unternehmen absetzt, verstoße gegen die guten Sitten. Voraussetzung der Sittenwidrigkeit sei aber eine bewußte Nachahmung. Sittenwidrigkeit nach § 1 UWG setze voraus, daß der Nachahmende diejenigen Umstände kenne, die sein Verhalten objektiv wettbewerbswidrig erscheinen ließen, oder daß er sich dieser Kenntnis bewußt verschließe. Daß die Erzeuger der von der Beklagten vertriebenen Stühle diese in Kenntnis der Modelle der Klägerin in verwechselbar ähnlicher Form hergestellt hätten, sei aber nicht erwiesen.
Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung und beantragt, es dahin abzuändern, daß dem Klagebegehren stattgegeben werde. Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision der Klägerin nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin wendet sich vor allem dagegen, daß das Berufungsgericht zwar im Einklang mit dem Sachverständigen die künstlerische Individualität und den ästhetischen Wert des von Mart S*** geschaffenen Stuhls "im proportionierten Kubus, in der zur Transparenz führenden Linienführung der Bauelemente und im frei auskragenden Sitzen, das zur optischen Auflösung und Dynamisierung des Objektes 'Stuhl/Sessel' führt", gesehen habe, aber im Widerspruch dazu dennoch zum Ergebnis gelangt sei, daß es sich bei diesen Eigenschaften "nur um die künstlerische Form, den Stil und die technische Konzeption derartiger Stühle" handle und eine Übereinstimmung zwischen dem von Mart S*** geschaffenen Original und den Eingriffsgegenständen, von der kubischen Grundform abgesehen, in weiteren künstlerischen Merkmalen nicht feststellbar sei. Im Ergebnis sind diese Ausführungen nicht berechtigt. Wie der Oberste Gerichtshof in seinem Aufhebungsbeschluß vom 10.Juli 1984, 4 Ob 337/84, dessen rechtliche Beurteilung mangels einer relevanten Sachverhaltsänderung (SZ 50/97; ÖBl 1988, 79; ÖBA 1987, 579 ua) auch ihn selbst bindet (Fasching Komm IV 367; derselbe LB Rz 1957; SZ 24/139; GesRZ 1979, 118; ÖBl 1988, 79 uva), ausgeführt hat, ist es eine vom Gericht zu lösende Rechtsfrage, ob eine Schöpfung
urheberrechtlichen Schutz genießt (seither auch ÖBl 1986, 27 =
SZ 58/201 = MR 1986 H 2,20 ÄWalterÜ ua). Diese Rechtsfrage wurde
schon im ersten Rechtsgang dahin beantwortet, daß der "(Mart) Stam"-Stuhl ein Werk der bildenden Künste im Sinne des § 1 Abs 1, § 3 Abs 1 UrhG ist. Der Oberste Gerichtshof hat aber dazu ausgeführt, daß der "(Mart) Stam"-Stuhl dem Kunstverständnis der Künstler des Dessauer Bauhauses entsprach, die bestrebt waren, ästhetische Formen von Gebrauchsgegenständen unter Vermeidung schmückender Zutaten allein aus deren Verwendungszweck zu entwickeln und die vollkommene Zweckform zu erreichen, die, auch wenn sie "ästhetisch wirkt", nicht zwangsläufig auch als Kunst geschützt werden muß. Beim Streben nach der vollkommenen Zweckform stehe somit naturgemäß die technisch-funktionell bedingte Formgestaltung im Vordergrund. Die sonst zahllosen Möglichkeiten einer besonderen, über die Anwendung technischer Prinzipien hinausgehenden ästhetischen Gestaltung seien bei Werken dieser Richtung wegen der Formstrenge, die sich der Schöpfer bewußt auferlege, sehr eingeengt. Einer Kunstrichtung, die bewußt auf alle nicht funktionell bedingten Gestaltungselemente verzichtet, stünden im ästhetischen Bereich zwangsläufig nur geringe Gestaltungsmöglichkeiten als anderen Kunstrichtungen offen. Je weniger Gestaltungsmöglichkeiten aber zur Verfügung stünden, desto weniger gehe von der Individualität des Schöpfers in das Werk ein; desto schwächer sei sein Schutz. Die - im Sinne des Patentrechtes zweifellos
schöpferische - neuartige technische Lösung eines aus einem Rohrzug hergestellten hinterbeinlosen Stuhls sei urheberrechtlich nicht schutzfähig. Die Frage, ob sich in einem Werk Technik und Kunst verbindet und damit auch ein Kunstwerk im Sinne des Urheberrechtsgesetzes vorliegt, sei nur dadurch zu lösen, daß untersucht werde, wie weit die verwendeten Formelemente technisch bedingt seien und wie weit sie lediglich der Form halber, aus Gründen des Geschmacks, der Schönheit, der Ästhetik, gewählt wurden. Es handle sich also darum, ob die Form dem Techniker oder dem Künstler zuzurechnen ist.
Als schöpferische Bestandteile des Werkes im Sinne des Urheberrechts wurden am "(Mart) Stam"-Stuhl eine Reihe besonderer - nicht technisch bedingter - Gestaltungselemente anerkannt, die Professor Dr.Otto H***, der vom Bundesgerichtshof in einem Vorprozeß herangezogene Gutachter, erwähnt hatte. In diesen vor allem durch Abweichungen von der exakdrn geometrischen Grundform charakterisierten Gestaltungselementen manifestiere sich die in das Werk eingebrachte, für den Schutz als Kunstwerk allein maßgebende Individualität des Schöpfers.
Der Oberste Gerichtshof hat es aber abgelehnt, der heute zum allgemeinen Stilelement gewordenen technischen Konzeption des hinterbeinlosen kubischen Stahlrohrstuhls für sich allein Urheberrechtsschutz zuzubilligen.
Die Rechtssache war im ersten Rechtsgang nur deshalb nicht spruchreif, weil Feststellungen darüber fehlten, ob die Beklagte durch den Vertrieb hinterbeinloser Stahlrohrstühle nicht nur die (freien oder längst freigewordenen) technisch bedingten Gestaltungsmerkmale des "(Mart) Stam"-Stuhls benützt hatte (was schon damals außer Zweifel stand), sondern auch in den aus den aufgezeigten Gründen viel engeren künstlerischen Schutzbereich dieses Werkes eingegriffen hatte, was durch entsprechende Befundaufnahmen (allenfalls unter Vornahme entsprechender Messungen), also durch einen Vergleich zwischen dem Originalstuhl und den Eingriffsgegenständen (aber nicht zwischen den derzeitigen Modellen der Klägerin und den Eingriffsgegenständen!), geklärt werden sollte.
Eine Rechtsfrage ist nicht nur die (bereits im ersten Rechtsgang geklärte) Werkeigenschaft der Schöpfung im Sinne des Urheberrechtsgesetzes, sondern auch ihr Schutzbereich; das ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn in einem Werk geschützte und freie Gestaltungselemente zusammentreffen. Damit ist aber das Gericht an die Ansicht des Sachverständigen, die künstlerische Individualität und der ästhetische Wert des von Mart S*** geschaffenen Stuhls liege "im proportionierten Kubus, in der zur Transparenz führenden Linienführung der Bauelemente und im frei auskragenden Sitzen", ohne daß es auf Abmessungen und weitere Einzelheiten in der Ausführung ankomme, nicht gebunden. Die "Transparenz der Linienführung" ergibt sich schon aus der technischen Konzeption hinterbeinloser kubischer Stahlrohrstühle, ohne daß es auf Einzelheiten der Formung des Rohrzuges ankäme. Die "Transparenz der Linienführung, die zur weiteren optischen Auflösung und Dynamisierung des Objektes 'Stuhl/Sessel' führt", ist daher eine Folge des technischen Bauprinzips. Das gleiche gilt für das "frei auskragende Sitzen". Würde man diesen Eigenschaften und ihren Folgen für die Art des Sitzens schon für sich allein "künstlerische Individualität" und "ästhetischen Wert" zubilligen und nur deswegen den Werkcharakter im Sinne des Urheberrechtsgesetzes bejahen, so wäre damit das (zweifellos schöpferische) technische Konzept eines solchen Erzeugnisses ohne Rücksicht auf besondere künstlerische Ausformungen auch urheberrechtlich geschützt. Diese Auffassung des Sachverständigen Prof.Dr.M*** steht aber im Widerspruch zu der Rechtsansicht, die der Oberste Gerichtshof bereits im ersten Rechtsgang klar ausgesprochen hat.
Auch mit der Frage, ob die künstlerische Individualität im "proportionierten Kubus" liegt, wie der Sachverständige Prof.Dr.M*** meint, hat sich der Oberste Gerichtshof im ersten Rechtsgang insofern schon befaßt, als er die Wahl der kubischen Form allein für die Anerkennung als Kunstwerk nicht ausreichend erachtete, weil die geometrische Form an sich Gemeingut ist. Der Oberste Gerichtshof hat jedoch auf die von Prof.Dr.Otto H*** aufgezeigten Abweichungen des "(Mart) Stam"-Stuhls von der exakten geometrischen Grundform hingewiesen und gerade darin die Individualität dieser Schöpfung als Kunstwerk gesehen.
Gerade zu dieser streitentscheidenden Frage konnten aber die Tatsacheninstanzen im zweiten Rechtsgang keine Feststellungen treffen, weil das Original des "(Mart) Stam"-Stuhls und Konstruktionszeichnungen dazu nicht mehr existieren. Über den Vergleich mit der (erhaltenen) bildlichen Darstellung hinaus konnten daher Übereinstimmungen zwischen dem "(Mart) Stam"-Stuhl und den Eingriffsgegenständen in den künstlerischen Gestaltungsmerkmalen nicht festgestellt werden. Erwiesen ist nur, daß das Original von den behaupteten Eingriffsgegenständen jedenfalls insoweit deutlich abweicht, als Mart S*** besonderen Wert auf möglichst kleine Radien bei der Biegung der Eckstellen legte, was bei den von der Beklagten in den Handel gebrachten Modellen 101/BDS und CF 33/980 nicht zutrifft.
Die weitgehend übereinstimmenden Stuhlmodelle S 33 der Klägerin und CF 33/980 der Beklagten schließen im übrigen eher an den von Mart S*** ab 1935 weiterentwickelten und 1940 herausgebrachten Freischwingerstuhl (siehe Gutachten ON 65 S 50) an. Die ebenfalls weitgehend übereinstimmenden Stuhlmodelle S 32 der Klägerin und 101/BDS der Beklagten sind dem von Marcel B*** bereits 1928 entwickelten Modell viel ähnlicher als dem "(Mart) Stam"-Stuhl. Marcel B*** hat im übrigen das technische Grundkonzept einer hinterbeinlosen Sitzgelegenheit bereits 1925 (also vor Mart S***!) in einem Stahlrohrhocker verwirklicht. Die Entwicklung des freitragenden Stuhls "lag damals in der Luft" (Sachverständigengutachten ON 65 S 48) und führte daher zu unabhängigen ähnlichen Entwicklungen durch mehrere Schöpfer. Die Klägerin hat auch gar nicht behauptet, daß die ähnlichen Schöpfungen Marcel B*** nur Plagiate des ersten "(Mart) Stam"-Stuhls seien. Nach dem Sachverständigengutachten (ON 65 S 50) soll Mart S*** vielmehr seinen Respekt für Marcel B*** selbständige Möbelentwürfe ausgedrückt haben.
Die vom Sachverständigen der künstlerischen Individualität und dem ästhetischen Wert des "(Mart) Stam"-Stuhls zugeschriebenen allgemeinen Eigenschaften treffen auch auf die Schöpfungen Marcel B*** zu. Würde man den Schutzbereich des "(Mart) Stam"-Stuhls so weit ziehen, dann könnte die Klägerin auch Entwicklungen des Freischwingerstuhls für sich monopolisieren, die gar nicht auf Mart S*** zurückgehen. Auch das zeigt deutlich, daß es notwendig war, den Schutzbereich auf die Besonderheiten des historischen Originalmodells (etwa) in seinen damaligen Proportionen zu beschränken. Ein Eingriff in diesen engen Schutzbereich war aber im zweiten Rechtsgang nicht feststellbar.
Damit ist jedoch den breiten Ausführungen der Revision
a) daß die drei (oben) genannten, den individuellkünstlerischen Charakter des Stuhles prägenden Gestaltungselemente in den von den Streitteilen derzeit vertriebenen Modellen verwirklicht seien und schon das für die Gewährung des Urheberrechtsschutzes ausreiche sowie
b) daß die Beklagte damit nicht nur das zum allgemeinen Stilelement gewordene technische Konzept, die künstlerische Form als solche nach dem Stil des "(Mart) Stam"-Stuhls nachgeahmt habe, der Boden entzogen.
Auch ein gegen § 1 UWG verstoßendes sittenwidriges Vorgehen der Beklagten ist nicht erwiesen. Wie der Oberste Gerichtshof im ersten Rechtsgang ausgeführt hat, verstößt auch ein Händler, der von einem anderen in sittenwidriger Nachahmung hergestellte Waren trotz Kenntnis der verbotswidrigen Handlungsweise des Erzeugers weiterbezieht, gegen die guten Sitten, weil er damit vorsätzlich die Pflicht, die geeigneten und ihm zumutbaren Maßnahmen zur Verhütung künftiger Herkunftsverwechslungen zu treffen, verletzt (seither auch ÖBl 1986, 15 = SZ 58/136; ÖBl 1986, 97). Im vorliegenden Fall ist aber nicht erwiesen, daß einer der Erzeuger, von denen die Beklagte bisher hinterbeinlose Stahlrohrstühle bezog, Erzeugnisse, die den Modellen B und H der Klägerin entsprechen, bewußt nachgeahmt hätte, zumal auch nicht feststeht, seit wann diese Erzeuger solche Modelle vertrieben haben. Es konnte auch nicht festgestellt werden, daß die Beklagte von einer allfälligen verbotswidrigen Handlungsweise ihrer Lieferanten Kenntnis hatte (was angesichts der Fülle ähnlicher, seit den 30er-Jahren vertriebener Modelle (siehe die Abbildungen im Gutachten ON 65 S 43, welche schweizerische, holländische, tschechische, dänische und japanische "Freischwinger" zeigen) naheliegt.
Für die von der Klägerin reklamierte Beweislastumkehr (bezüglich der Namhaftmachung der Erzeuger) besteht kein Anlaß. Die Behauptung der Revisionswerberin, daß die Beklagte nicht bekanntgegeben habe, von welchen Erzeugern sie die angeblich nachgeahmten Modelle bezogen hat, ist aktenwidrig, hat doch die Beklagte nicht weniger als neun Lieferanten den Streit verkündet und Lichtbilder der von diesen Lieferanten bezogenen Sessel vorgelegt. Es wäre daher der Klägerin ein Leichtes gewesen, gegen die betreffenden Lieferanten vorzugehen und die Beklagte in der Folge aufzufordern, den weiteren Bezug bestimmter Modelle namentlich genannter Erzeuger zu unterlassen. Der Revision ist daher ein Erfolg zu versagen.
Die Kostenentscheidung stützt sich auf die §§ 41, 50 ZPO.
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