Spruch:
Der Rekurs wird, soweit er sich gegen den bestätigenden Teil des angefochtenen Beschlusses richtet, zurückgewiesen.
Im übrigen wird dem Rekurs nicht Folge gegeben.
Text
Begründung
Über Antrag des Jugendwohlfahrtsamtes der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck sprach das Erstgericht aus, daß während der Wochen des Schuljahres 1989/90, in denen Schultage stattfinden, die Obsorge über die beiden mj. Kinder Christine und Barbara H*** den väterlichen Großeltern Dr. Bruno H*** und Hilde H*** zusteht, und genehmigte den Schulbesuch der Kinder in Steyr sowie ihre Unterbringung während des Tages im dortigen Schülerheim St. Anna (Pkt. I); den Antrag der Mutter Adelheid H***, dem Vater die Überbringung der Kinder nach Steyr zum Zwecke des Schulbesuches mit einstweiliger Verfügung zu verbieten, wies es ab (Pkt. II). Das von der Mutter angerufene Rekursgericht bestätigte den Ausspruch im Punkt II des erstgerichtlichen Beschlusses und änderte jenen in Punkt I wie folgt ab:
"Es wird festgestellt, daß das Recht der Obsorge (§ 144 ABGB) für die mj. Christine und für die mj. Barbara H*** dem Vater Helmut H***, geboren am 17. September 1942, 4870 Pfaffing, Graben 34, bis einschließlich 10. Juni 1990 einstweilen alleine zusteht."
In seiner Entscheidungsbegründung faßte das Rekursgericht die erstgerichtlichen Sachverhaltsfeststellungen folgendermaßen zusammen:
Helmut H***, geboren 1942, und Adelheid H***, geboren 1946, sind die Eltern der ehelichen Kinder Christine, geboren 1980, und Barbara, geboren 1981. Die Wohnung der Eltern befindet sich in Pfaffing, Graben 34. Ab Dezember 1988 führte die Mutter den Haushalt nicht mehr ordnungsgemäß und vernachlässigte ihn ab etwa März 1989 völlig. Sie kochte und putzte nicht mehr, wusch keine Wäsche und ging nicht mehr einkaufen. Die Kinder mußten sich selbst das Frühstück zubereiten und ihre Kleidung war ungepflegt und verschmutzt. Zeitweise fuhr die Mutter mit den Kindern planlos mit der Eisenbahn umher. Ausgelöst wurde dieses Verhalten der Mutter durch eine bei ihr bestehende Psychose mit paranoider Symptomatik, die sich insbesondere darin äußerte, daß sie sich vom Ehegatten verfolgt fühlte und mit den Kindern in der krankheitsbedingten Annahme wegfuhr, sie müsse sie vor dem Vater retten. Über eindringliches Zureden begab sich die Mutter Anfang April 1989 in fachärztliche Behandlung, die einen guten Erfolg zeigte. Ihr Zustandsbild besserte sich, sie wurde auch ruhig und ausgeglichen und zeigte sich hinsichtlich der sich aus ihrer Krankheit ergebenden Probleme einsichtig und therapiewillig. Aus neuropsychiatrischer Sicht wird vom behandelnden Arzt im Hinblick auf den Behandlungserfolg ein längerer Kontakt zu den Kindern begrüßt. Von Ostern 1989 bis zum Ende des Schuljahres 1988/89 waren die Kinder bei den väterlichen Großeltern in Steyr untergebracht; dort steht den Kindern ein Haus mit Garten und ausreichenden Räumlichkeiten zur Verfügung. Die mj. Barbara besuchte die erste Klasse, die mj. Christine die zweite Klasse der Volksschule in St. Anna in Steyr, zu der auch ein Internat gehört, in dem die Kinder von morgens bis abends betreut werden. Abends holt sie der Vater oder dessen Schwester ab. Die Kinder haben sich inzwischen in Steyr gut eingelebt. Die Großeltern werden im Hinblick auf die ganztägige Unterbringung im Halbinternat durch die Betreuung der Kinder während der übrigen Zeit nicht überlastet. Die Kinder hatten allerdings in Vöcklamarkt mehr persönliche Kontakte und mußten solche in Steyr erst neu knüpfen. Insgesamt gefällt ihnen der Schulbesuch in Vöcklamarkt besser. Die Mutter ist nunmehr im Krankenhaus Puchberg bei Traunkirchen beschäftigt. Dort verrichtet sie Turnusdienst und kommt berufsbedingt tagelang nicht nach Hause, hat dann allerdings wieder tagelang frei. Während der Sommermonate betreute in den Zeiten der berufsbedingten Abwesenheit der Mutter die 1970 geborene ältere Schwester Elisabeth, die in Salzburg studiert, ihre Geschwister. Diese Betreuung kann sie aber nur etwa bis zur zweiten Oktoberwoche 1989 fortführen, dann ist ihr dies wegen ihres Studiums nicht mehr möglich. Die Mutter behauptet, bis dahin eine Person für die Betreuung der Kinder zu finden, hat jedoch diesbezügliche Versuche selbst scheitern lassen. Der Vater beabsichtigt, die Kinder auch im Schuljahr 1989/90 in Steyr unterzubringen.
In seiner rechtlichen Beurteilung verwies das Rekursgericht auf die Änderung der Rechtslage betreffend die Beziehungen von Eltern und Kindern zueinander durch die Gesetze BGBl. 1989/162 und 161. Nach § 176 ABGB nF. könne nunmehr das Gericht die zur Sicherung des Wohles der Kinder nötigen Verfügungen auch über Antrag eines Elternteiles treffen, wenn die Eltern kein Einvernehmen erzielten. Nach § 145 ABGB gehe das Recht der Obsorge (§ 144 ABGB) immer auf den anderen Elternteil über, wenn der eine zur Ausübung der Obsorge nicht in der Lage sei. Erst wenn auch der andere Elternteil hiezu nicht imstande sei, komme die Übertragung an ein Großelternpaar in Betracht. Dem Gesetz könne nicht entnommen werden, daß der obsorgeberechtigte Elternteil die Pflege und Betreuung seiner Kinder ständig selbst ausüben müsse, vielmehr sei die Unterbringung der Kinder bei Verwandten ausdrücklich zulässig (§ 176 a ABGB). Nur deshalb, weil der Vater berufsbedingt zur ständigen Betreuung der Kinder nicht in der Lage sei, könne nicht angenommen werden, er sei zur Obsorge überhaupt nicht fähig. Soweit die Obsorge den väterlichen Großeltern übertragen worden sei, widerspreche der angefochtene Beschluß dem Gesetz (§ 145 ABGB) und sei daher in diesem Umfang zu beheben. Wegen der festgestellten Verhinderung der Mutter sei jedoch auszusprechen, daß der Vater vorerst alleine zur Ausübung der Obsorge berufen sei. Demnach obliege es nunmehr ihm, zu entscheiden, bei welchen Verwandten er die Kinder unterbringe und in welchem Ort diese die Pflichtschule besuchen sollten. Daß die von ihm gewünschte und auch getroffene Lösung dem Wohl der Kinder abträglich sei, könne dem Akt nicht entnommen werden. Die gewünschte zeitweise Regelung (einstweilige Maßnahme) sei mit einem konkret bestimmten Zeitpunkt im Sinne des erstgerichtlichen Beschlusses zu begrenzen. Im übrigen ergebe sich aus dem festgestellten Sachverhalt, wonach die Mutter oft mehrtägig auswärts arbeitet und keine konkreten erfolgversprechenden Bemühungen zur Aufnahme einer geeigneten und verläßlichen Hilfskraft unternommen hat, daß ihre Rekursbehauptungen auf einer völligen Fehleinschätzung der Situation beruhten. Bei einem Aufenthalt der Kinder im mütterlichen Haushalt wäre ihr Wohl in offenkundiger Weise gefährdet, weil dort ihre Pflege und Betreuung durch mehrere Tage in keiner Weise sichergestellt sei. Es sei auch nach der Aktenlage auch keinerlei Gewähr dafür gegeben, daß sich Vorfälle wie jene, die zu der nunmehrigen Regelung führten, nicht wiederholten, so daß auch hierin eine nicht zu vernachlässigende Gefahr für die Kinder liege. Soweit die Mutter mit ihrem Rekurs den Verbleib der Kinder in Pfaffing und den Schulbesuch in Vöcklamarkt anstrebe, sei die Entscheidung des Erstgerichtes zu bestätigen.
Gegen die rekursgerichtliche Entscheidung bringt die Mutter in ihrem Revisionsrekurs vor, die rekursgerichtlichen Anordnungen dienten keineswegs dem Wohl der Kinder, denn diese hätten in Vöcklamarkt mehr Kontakte, der Schulbesuch gefalle ihnen dort besser als in Steyr, sie seien auch unglücklich, nicht in der ehelichen Wohnung wohnen zu dürfen, kämen sich in Steyr wie in einem Gefängnis vor und litten unter der gewaltsamen Trennung von der Mutter, so daß ihre seelische Entwicklung gefährdet sei und auch ihre Leistungen in der Schule hätten nachgelassen. Die Mutter habe mit 1. Oktober 1989 ihre Berufstätigkeit aufgegeben, sei derzeit arbeitslos und beabsichtigte, ab 1. Dezember 1989 bei der Stadtgemeinde Salzburg halbstags als Hauskrankenpflegerin zu arbeiten und sich in der schulfreien Tageszeit voll den Kindern zu widmen. Auch der Gesundheitszustand der Mutter habe sich, wie aus dem angefochtenen Beschluß hervorgehe, gebessert. Der Vater kümmere sich um die Kinder überhaupt nicht und den alten Großeltern fehle zufolge schlechten Gesundheitszustandes die Fähigkeit zur entsprechenden Betreuung. Ein Vergleich der Situation zeige, daß es dem Wohl der Kinder entspreche, sie der Obsorge der Mutter zu überlassen; es werde deshalb beantragt, den angefochtenen Beschluß in diesem Sinne, und zwar im bestätigenden Teil wegen offenbarer Gesetzwidrigkeit, abzuändern.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs ist teils unzulässig, teils nicht gerechtfertigt. Gemäß § 10 AußStrG ist es dem Rekurswerber gestattet, in seinem Rechtsmittel neue Umstände und Beweismittel anzuführen. Dies gilt nach der Rechtsprechung auch für den ordentlichen Revisionsrekurs. Die Entscheidung ist in einem solchen Falle aufgrund der Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der erstgerichtlichen Beschlußfassung zu treffen, es sei denn, es handelt sich um die Wahrung der Interessen von Pflegebefohlenen (EFSlg 12.667, 34.969; 3 Ob 557/89 uva). In Fragen des Kindeswohles sind daher spätere Sachverhaltsänderungen auch in dritter Instanz zu berücksichtigen. Bei einem außerordentlichen Revisionsrekurs nach § 16 AußStrG ist eine derartige Bedachtnahme allerdings nur ausnahmsweise möglich, nämlich dann, wenn ein Verfahrensmangel vom Gewichte einer Nichtigkeit vorliegt (3 Ob 3/75, 2 Ob 611/79 ua).
Die demnach grundsätzlich beachtlichen Rechtsmittelausführungen der Mutter enthalten zwar mehrfache Anhaltspunkte dafür, daß sie in Hinkunft geeignet sein könnte, die beiden minderjährigen Kinder so wie früher selbst zu betreuen, und daß eine solche Lösung dem Wohle der Kinder entsprechen könnte. Es ist jedoch offenkundig nicht im Interesse der Kinder gelegen, eine derartige Änderung sofort durchzuführen, weil einerseits ein noch während eines laufenden Schuljahres vorgenommener Schulwechsel erfahrungsgemäß erhebliche Erschwernisse und Beeinträchtigungen für den Schulerfolg zur Folge haben kann und andererseits die persönlichen Verhältnisse der Mutter in gesundheitlicher und beruflicher Hinsicht noch einer gesicherten Stabilisierung bedürfen. Vielmehr erscheint es nach den Gesamtumständen zweckmäßig, die angefochtene, zeitlich begrenzte einstweilige Anordnung, deren Erlassung zwingend notwendig war (vgl. EFSlg 33.648, 33.661; 6 Ob 509/84), aufrecht zu erhalten, das Neuvorbringen der Mutter zum Anlaß für weitere amtswegige Überprüfungen zu nehmen und die diesbezüglichen Ergebnisse bei der Beschlußfassung über die endgültige Zuweisung des Obsorgerechtes über die beiden Minderjährigen zu berücksichtigen.
Dem gegen den abändernden Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung gerichteten Rekurs war daher nicht Folge zu geben; im übrigen war der Rekurs mangels Vorliegens der behaupteten, in einer angeblichen Nichtbeachtung des Wohles der Kinder gelegenen offenbaren Gesetzwidrigkeit und somit wegen Fehlens eines Beschwerdegrundes nach § 16 AußStrG als unzulässig zurückzuweisen.
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