OGH 1Ob663/89

OGH1Ob663/8929.11.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei R*** Kommanditgesellschaft, Bauunternehmung, Ried im Zillertal, vertreten durch Dr. Siegfried Dillersberger und Dr. Helmut Atzl, Rechtsanwälte in Kufstein, wider die beklagte Partei S*** S***,

vertreten durch DDr. Hubert Fuchshuber, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Leistung (Streitwert S 200.000) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom 24.Mai 1989, GZ 3 R 159/89-21, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck vom 14.September 1988, GZ 7 Cg 432/87-12, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß die beklagte Partei schuldig ist, der klagenden Partei bei den von ihr vorgenommenen öffentlichen Ausschreibungen die Ausschreibungsunterlagen gegen Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen bei Exekution auszufolgen. Die beklagte Partei ist ferner schuldig, der klagenden Partei die mit S 88.816,80 bestimmten Kosten des Verfahrens aller drei Instanzen (darin S 7.946,30 Umsatzsteuer und S 23.810,50 Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu bezahlen.

Text

Entscheidungsgründe:

Im Herbst 1987 schrieb die beklagte Stadtgemeinde die Baumeisterarbeiten für das Klärwerk Schwaz öffentlich aus. Als ein Mitarbeiter der klagenden Partei am 27.10.1987 im Büro des mit der Abwicklung der Ausschreibung betrauten Zivilingenieurs Dipl.Ing. Gerhard K*** die Ausschreibungsunterlagen beheben wollte, wurde ihm auf dessen Anordnung deren Überlassung verweigert. Die klagende Partei begehrte, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, ihr bei von dieser vorgenommenen öffentlichen Ausschreibungen die Herausgabe der Ausschreibungsunterlagen trotz Einhaltung der Ausschreibungsbedingungen zu verweigern, und hilfsweise die Feststellung, daß das von der beklagten Partei Ende Oktober/Anfang November 1987 durchgeführte öffentliche Ausschreibungsverfahren über Baumeisterarbeiten für das Klärwerk Schwaz nichtig sei. Die beklagte Partei habe die klagende Partei von den öffentlich ausgeschriebenen Baumeisterarbeiten für das Klärwerk Schwaz rechtswidrig und entgegen den guten Sitten ausgesperrt. Die öffentliche Ausschreibung sei die öffentlich an eine nicht beschränkte Anzahl von Unternehmen gerichtete Aufforderung, Anbote einzureichen. Durch ihr Verhalten habe die beklagte Partei in das Recht der klagenden Partei, ein Anbot für die Baumeisterarbeiten am Klärwerk Schwaz einzureichen, eingegriffen. Angesichts der Erklärung der beklagten Partei, die klagende Partei für die Dauer des zwischen den Streitteilen zu 7 Cg 179/87 des Landesgerichtes Innsbruck anhängigen Rechtsstreits von Ausschreibungen auszusperren, sei auch die Wiederholungsgefahr zu bejahen.

Die beklagte Partei wendete ein, sie bestreite nicht den Anspruch der klagenden Partei auf Herausgabe von Ausschreibungsunterlagen; die Unterlagen seien dieser auch nur infolge eines Mißverständnisses nicht ausgefolgt worden. Die beklagte Partei habe nur beschlossen, die klagende Partei während der Dauer des schon genannten Rechtsstreites bei beschränkten Ausschreibungen nicht zur Anbotserstellung einzuladen. Im vorliegenden Fall sei aber übersehen worden, daß die Bauarbeiten für das Klärwerk Schwaz öffentlich auszuschreiben waren. Die Baumeisterarbeiten seien auch inzwischen neu ausgeschrieben worden, doch habe sich die klagende Partei an dieser Ausschreibung nicht beteiligt und könne sich deshalb auch nicht für beschwert erachten. Das Erstgericht wies das Haupt- und das Eventualbegehren ab und stellte fest:

Vor dem Klagsanlaßfall habe der Bürgermeister der beklagten Stadtgemeinde dem mit Ausschreibungen betrauten Dipl.Ing. Gerhard K*** gesprächsweise mitgeteilt, es bestehe ein Stadtratsbeschluß, wonach die klagende Partei von beschränkten Ausschreibungen für die Dauer des Verfahrens 7 Cg 179/87 des Landesgerichtes Innsbruck auszuschließen sei. Gegenstand dieses Ende Mai 1987 eingeleiteten Rechtsstreites seien Schadenersatzansprüche der klagenden Partei gegen die beklagte Partei wegen behaupteter ungerechtfertigter Übergehung bei einer Auftragsvergabe. Darauf habe der Stadtrat der beklagten Partei beschlossen, die klagende Partei bei beschränkten Ausschreibungen nicht zur Anbotseinreichung einzuladen. Dipl.Ing. Gerhard K*** sei der Meinung gewesen, daß von diesem Beschluß auch die Ausschreibung der Arbeiten am Klärwerk Schwaz betroffen sei, zumal ihm der Bürgermeister der beklagten Stadtgemeinde nicht ausdrücklich mitgeteilt habe, daß die klagende Partei nur von beschränkten Ausschreibungen ausgeschlossen werden sollte. Die Klärwerksarbeiten seien nicht in Form einer beschränkten Ausschreibung, sondern öffentlich ausgeschrieben gewesen. Im Zuge einer Besprechung zwischen den Streitteilen am 9.12.1987 habe die beklagte Partei eine neuerliche Ausschreibung der Arbeiten in Aussicht gestellt, doch sei kein neuer Termin genannt worden. Als die beklagte Partei erkannt habe, daß der klagenden Partei die Herausgabe der Ausschreibungsunterlagen zu Unrecht verweigert worden sei, habe der Gemeinderat beschlossen, die Ausschreibung dieser Arbeiten zu wiederholen. Am 19.12.1987 sei die Ausschreibung neuerlich öffentlich bekannt gemacht und mitgeteilt worden, daß die Unterlagen bis 21.12.1987 abgeholt und Anbote bis 12.1.1988 abgegeben werden könnten. An dieser neuerlichen Ausschreibung habe sich die klagende Partei nicht mehr beteiligt, weil der mit der Ausarbeitung der Anbote befaßte Mitarbeiter der klagenden Partei erst wenige Tage vor dem Abgabetermin von der neuerlichen Ausschreibung Kenntnis erlangt habe.

Rechtlich meinte das Erstgericht, da die beklagte Partei die Ausschreibung noch während des Rechtsstreites wiederholt habe, sei der durch die Weigerung zur Herausgabe der Ausschreibungsunterlagen bewirkte rechtswidrige Zustand beseitigt worden. Die beklagte Partei habe außerdem die sich aus dem Verfahren zur öffentlichen Ausschreibung ergebenden rechtlichen Verpflichtungen nie in Frage gestellt, so daß die für das Unterlassungsbegehren erforderliche Wiederholungsgefahr zu verneinen sei. Die Nichtigerklärung eines öffentlichen Ausschreibungsverfahrens falle in die Kompetenz der Verwaltungsbehörde, so daß dem Eventualbegehren die Unzulässigkeit des Rechtsweges entgegenstehe. Überdies sei die frühere Ausschreibung infolge Wiederholung gegenstandslos, weshalb auch das rechtliche Interesse an dessen Nichtigerklärung fehle. Das Berufungsgericht bestätigte das Ersturteil und sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes zwar S 60.000, nicht aber S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei. Es übernahm die erstinstanzlichen Feststellungen und hielt der Rechtsrüge der klagenden Partei entgegen, nach der gegenwärtigen Rechtslage entbehre der Interessent bei öffentlich ausgeschriebenen Arbeiten eines zivilrechtlich durchsetzbaren Anspruchs auf Beteiligung an der Ausschreibung bzw auf Unterlassung der Ausschließung von Vergabeverfahren. Das Verhältnis zwischen Vergeber und Interessent sei im österreichischen Vergaberecht ebenso wie das Vergeber-Bieter-Verhältnis gesetzlich nicht geregelt. Die Regierungsvorlage eines Vergabegesetzes, die dem Bieter Schadenersatzansprüche zugebilligt habe, sei nicht Gesetz geworden. Das innerstaatlich vollzogene GATT-Übereinkommen sei zwar in der innerstaatlichen Rechtsordnung unmittelbar anwendbar, regle jedoch nicht unmittelbar das Rechtsverhältnis zwischen Vergeber und Bieter. Die ÖNORM A 2050 sehe zwar Regeln für das Vergabeverfahren vor, sei aber gemäß Punkt 1,1 nicht dazu bestimmt, Vertragsbestandteil zu werden. Ihre Anwendung sei auch nicht gesetzlich, sondern nur durch Dienstanweisungen von Bundes- und Landesbehörden vorgeschrieben. Auch die ÖNORM A 2050 könne somit zur Ausdeutung des Vergeber-Bieter-Verhältnisses nicht heangezogen werden. Die genannten Vergabenormen seien "Selbstbindungsnormen", aus welchen keine Ansprüche auf vergaberechtskonformes Verhalten abgeleitet werden könnten. Sie lieferten für den Bieter nur Anhaltspunkte, wie sich die Vergeber verhalten werden. Die Verletzung dieser Selbstbindungsnormen und des Gleichbehandlungsgebotes durch den Vergeber könne daher nur im Rahmen vorvertraglicher Haftung zu Schadenersatzverpflichtungen führen. Das vorvertragliche Schuldverhältnis werde erst durch die Aufnahme rechtsgeschäftlicher Kontakte begründet. Eine solche Kontaktaufnahme entstehe im Bereich des Vergabewesens erst mit der Übergabe der Ausschreibungsunterlagen an den Bewerber. Selbst die Regierungsvorlage eines Vergabegesetzes habe dem übergangenen Bieter bei schuldhafter Verletzung dieses Gesetzes lediglich den Ersatz der Kosten der Anbotsstellung einräumen wollen. Nach der derzeit herrschenden Rechtslage im Vergabewesen bestehe für den Bieter oder gar den Interessenten kein Individualrechtsschutz. Die Bewilligung von Mitteln aus dem Wasserwirtschaftsfonds sei an die Einhaltung der ÖNORM A 2050 und insbesondere an die Durchführung einer öffentlichen Ausschreibung geknüpft. Durch die Weigerung, der klagenden Partei die Ausschreibungsunterlagen auszuhändigen, habe die beklagte Partei gegen das in Punkt 2,71 der ÖNORM A 2050 verankerte Gleichbehandlungsgebot verstoßen. Die Aufsichtsbeschwerde der klagenden Partei habe die neuerliche Ausschreibung der Arbeiten bewirkt. Der von der klagenden Partei geltend gemachte Unterlassungsanspruch entbehre somit der Rechtsgrundlage, so daß die Wiederholungsgefahr nicht mehr zu erörtern sei. Zur Abweisung des Hilfsbegehrens bringe die Berufung nichts vor.

Rechtliche Beurteilung

Die von der klagenden Partei erhobene Revision ist im Ergebnis berechtigt.

Gegenstand des Rechtsstreites ist die Frage, ob und inwieweit Bietinteressenten einen erzwingbaren privatrechtlichen Anspruch auf Beteiligung an öffentlichen Ausschreibungen von Arbeiten durch Gebietskörperschaften haben, die ihren Organisationsvorschriften zufolge verpflichtet sind, Arbeiten und Lieferungen für sie und ihre erwerbswirtschaftlichen Unternehmen durch öffentliche Ausschreibung zu vergeben, wie dies § 80 Abs 1 TirGdO 1966 für die Gemeinden im Land Tirol ausdrücklich vorschreibt.

Der erkennende Senat hat in seiner Entscheidung WBl 1988, 342 unter Berufung auf das Schrifttum ausgesprochen, daß die Grundsätze der Lehre von den vorvertraglichen Sorgfaltspflichten auch im Vergabeverfahren auf das Rechtsverhältnis zwischen Ausschreibendem und Bietern anzuwenden seien. Bei schuldhafter Verletzung solcher Pflichten werde dem Geschädigten zwar grundsätzlich nur der Ersatz des negativen Vertragsinteresses zugebilligt, ausnahmsweise komme aber auch der Ersatz des Erfüllungsinteresses in Betracht, wenn der Vertrag ohne die Pflichtverletzung zustande gekommen wäre. Ähnlich wie bei Vorhandverträgen, die eine dem Vorvertrag vergleichbare vertragliche Bindung schaffen, könne auch bei Ausschreibungen die Annahme einer solchen Bindung gerechtfertigt sein, könne man doch mit Krejci (vgl den Bericht von Schwarzer in Korinek-Krejci, Handbuch des Bau- und Wohnungsrechtes, IV-S-2, 21) in der Ausschreibung Elemente eines Auslobungsverhältnisses erblicken. Diese Erwägung berechtige zur Annahme einer verstärkten Pflichtenbindung des Ausschreibenden. Diese Bindung könnte die tragfähige Grundlage für den Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses durch jenen Bieter, der bei Eröffnung der Anbote Bestbieter war, bilden. Können dem Bestbieter Auslobungsgrundsätzen zufolge sogar Ansprüche auf Ersatz des Erfüllungsinteresses zustehen, liegt es nahe, Bietinteressenten umso mehr einen privatrechtlich erzwingbaren Anspruch auf Beteiligung am Vergabeverfahren, jedenfalls dann, wenn es über eine öffentliche Ausschreibung durchgeführt werden muß, zu gewähren, muß er doch zunächst auch in die Lage versetzt werden, überhaupt ein allenfalls zum Vertragsabschluß führendes Bestangebot einzureichen. Die beklagte Stadtgemeinde ist zwar gemäß § 80 Abs 1 TirGdO 1966 nur grundsätzlich zur Vergabe von Arbeiten und Lieferungen im Wege der öffentlichen Ausschreibung verpflichtet, die klagende Partei begehrt aber auch nur die Beteiligung an solchen Ausschreibungen. Wie Ausschreibungen durchzuführen sind und unter welchen Voraussetzungen der Zuschlag zu erteilen ist, wird in der Tiroler Gemeindeordnung 1966 - etwa im Gegensatz zu § 79 Abs 2 der Allgemeinen Kärntner Gemeindeordnung - zwar nicht näher geregelt, im allgemeinen wird Ausschreibungen jedoch die einschlägige ÖNORM A 2050 "Vergebung von Leistungen" zugrundegelegt (Neuhofer, Handbuch des Gemeinderechtes, 362). Jedenfalls muß die im Punkt 1, 421 dieser ÖNORM enthaltene Definition der öffentlichen Ausschreibung, wenn sie schon im § 80 Abs 1 TirGdO 1966 nicht näher umschrieben ist, als allein dem Wesen einer solchen Ausschreibung entsprechend gelten. Danach ist öffentliche Ausschreibung die öffentlich an eine nicht beschränkte Anzahl von Unternehmern gerichtete Aufforderung, Angebote einzureichen; sie ist in Tageszeitungen, Fachzeitschriften und auf andere entsprechende Weise bekannt zu machen. Daß dem Landesgesetzgeber ohnehin die schon bei Erlassung des Gesetzes allgemein gebräuchliche ÖNORM A 2050 vor Augen stand, läßt sich daraus schließen, daß im Gesetz alle drei im Punkt 1,42 dieser ÖNORM umschriebenen Arten der Vergebung (öffentliche Ausschreibung, beschränkte Ausschreibung und freihändige Vergebung) vorgesehen sind; außerdem knüpft das Gesetz bei der Wahl der Vergebungsart vielfach wörtlich an die im Punkt 1,43 dieser ÖNORM verwendeten Begriffsmerkmale an. Schreibt demnach die Gemeinde Arbeiten und Lieferungen öffentlich zur Vergabe aus, so richtet sich die Aufforderung, Angebote einzureichen, an alle (für deren Erbringung in Betracht kommenden) Unternehmer; liegen die besonderen, im § 80 Abs 2 und 3 TirGdO 1966 näher umschriebenen Voraussetzungen für eine nicht öffentliche Ausschreibung nicht vor, ist die Gemeinde auch gesetzlich verpflichtet, die Unternehmen ohne jede Einschränkung am Wettbewerb zu beteiligen, sofern diese die Bedingungen für die Teilnahme erfüllen.

Zur Frage, ob die Interessenten aus dieser Rechtslage erzwingbare Ansprüche auf Beteiligung an der Ausschreibung ableiten können, führt Aicher (in Korinek-Rill, Zur Reform des Vergaberechtes, 345 ff) aus, auch Selbstbindungsnormen könnten im Verhältnis zwischen Ausschreibendem und Bieter Bedeutung erlangen, selbst wenn sie nicht von vornherein ausdrücklich und schlüssig zur Grundlage des vorvertraglichen rechtsgeschäftlichen Verkehrs erklärt wurden. Die erhöhten Schutz- und Sorgfaltspflichten von zueinander in Kontakt getretenen Partnern würden mit den Erfordernissen eines funktionsfähigen rechtsgeschäftlichen Verkehrs begründet; es wäre daher nicht einzusehen, daß die öffentliche Hand im privatrechtlichen Verkehr mit den Bürgern nicht den gleichen Pflichten unterworfen sein sollte. Gerade die Selbstbindungsnormen stellten im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung einen Katalog von Verhaltenspflichten auf, von welchen schon im Hinblick auf ihre Bekanntmachung jedermann wisse, daß sie von den Verwaltungsorganen einzuhalten seien. Deshalb dürfe der Bietinteressent bzw Bieter darauf vertrauen, daß das Vergabeorgan Selbstbindungsvorschriften selbst dann einhält, wenn in diesen Normen nur interne Anweisungen zum Ausdruck gelangen. Sie lieferten somit jedenfalls Anhaltspunkte für von Dritten erwartete Verhaltensweisen der Vergabeorgane; das Abweichen von den für den rechtsgeschäftlichen Kontakt wichtigen Verhaltensanordnungen störe das für die Aufrechterhaltung eines praktikablen rechtsgeschäftlichen Kontaktes erforderliche Vertrauen. Wenngleich man nicht den gesamten Normenkomplex als Inhalt vorvertraglicher Sorgfaltspflichten ansehen dürfe, so wirkten sich die Vergaberegeln jedenfalls in ihren "Grundlinien und Hauptanliegen" aus. In der Hauptsache gehe es darum, daß dem Bewerber - wie auch allen übrigen Interessenten - überhaupt die Chance zur Teilnahme an dem in der Ausschreibung verkörperten Wettbewerb geboten wird, also ein Wettbewerb überhaupt stattfindet, dem Bewerber ausreichende Informationen zuteil werden bzw die Ausschreibung nicht willkürlich abgebrochen und eingestellt wird. Aus den vorvertraglichen Sorgfaltspflichten ergebe sich jedenfalls in den Fällen öffentlicher Ausschreibung auch die Verpflichtung des Ausschreibenden, die Bewerber gleich zu behandeln, insbesondere also nicht einzelne von ihnen zu diskriminieren. Soweit die öffentliche Hand im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung öffentliche Ausschreibungen vornehme, würden diese Erwägungen auch durch verfassungsrechtliche Überlegungen gestützt. Es sei weitgehend anerkannt, daß der verfassungsrechtliche Gleichheitsgrundsatz auch im Verhältnis der öffentlichen Hand als Träger von Privatrechten zum einzelnen Rechtssubjekt Anwendung finde, soweit dies sachlich überhaupt möglich sei. Bei öffentlichen Ausschreibungen verstehe sich dies geradezu von selbst. Die Gleichbehandlung der Bewerber bestehe darin, daß alle Teilnehmer am Wettbewerb nach gleichen Grundsätzen und Verfahrensweisen behandelt und ihre Angebote gleichartig geprüft würden. Darauf könne jeder Bewerber in gleicher Weise Anspruch erheben.

Diesen Darlegungen ist auch in einem Fall wie dem zur Beurteilung stehenden, in dem die Gebietskörperschaft zwar pflichtgemäß öffentlich ausgeschrieben, einem Bewerber aber die Ausfolgung der für die Teilnahme am Wettbewerb unbedingt erforderlichen Unterlagen aus unsachlichen Motiven verwehrt hat, beizupflichten. Zweck der öffentlichen Ausschreibungen muß es sein, den Wettbewerb der Bieter weitgehend sicherzustellen (vgl Juracka-Kühne-Straube, Kommentar zu den österreichischen Normen betreffend das Vergabe- und Verdingungswesen, Einführung, 3). Dieser Zweck und das gerade öffentlichen Ausschreibungen immanente Gleichbehandlungsgebot rechtfertigen es, dem Bietinteressenten einen Anspruch auf Ausfolgung der Ausschreibungsunterlagen, ohne die er von der Beteiligung am Wettbewerb ausgeschlossen wäre, zuzubilligen, wenn er sich selbst an die Vergabebedingungen hält und vor allem auch die Kosten für die Herstellung der Unterlagen vergütet. Nur die Gewährung eines solchen Anspruches als Ausfluß vorvertraglicher Schutzpflichten der ausschreibenden Gebietskörperschaft ermöglicht es, daß der Bewerber überhaupt am Wettbewerb teilnehmen und damit die Chance, als Bestbieter zum Zug zu gelangen, wahren kann, wogegen dem Ausschreibenden allein aus der bloßen Teilnahme eines bestimmten Bewerbers rechtlich beachtliche Nachteile noch nicht erwachsen können.

Steht demnach der klagenden Partei gegen die beklagte Gebietskörperschaft bei öffentlichen Ausschreibungen ein erzwingbarer privatrechtlicher Anspruch auf Ausfolgung der Ausschreibungsunterlagen zu, stellt sich die weitere Frage, ob dieser Anspruch mit dem von ihr gestellten Hauptbegehren durchgesetzt werden kann. Wie sogar die Revisionsbeantwortung richtig erkennt, begehrt die klagende Partei trotz des Wortlauts ihres Begehrens, "es zu unterlassen,........die Herausgabe der Unterlagen zu verweigern", in Wahrheit, die beklagte Partei schuldig zu erkennen, ihr die näher bezeichneten Unterlagen auszufolgen. Sie erhebt somit eine Klage auf künftige Leistung. Die Frage, ob und inwieweit solche Klagen zulässig sind, wird in Lehre und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Abgesehen von den Fällen, in welchen die Zivilprozeßordnung solche Begehren selbst vorsieht (vgl §§ 406 zweiter Satz und 407 sowie §§ 562 und 567), besteht Einigkeit nur über Fälle, in denen der Beklagte entweder zu einer Dauerleistung oder zu einem dauernden Dulden oder Unterlassen verpflichtet ist; in solchen kann der Kläger die Verurteilung des Beklagten auch für einen künftigen Zeitraum erwirken, wenn dieser seine Pflicht schon vor Schluß der Verhandlung erster Instanz verletzt hat oder - jedenfalls bei Unterlassungspflichten - ein Eingriff des Beklagten droht (vgl die Nachweise bei Burgstaller, Die Klage auf künftige Leistung, JBl 1989, 545 FN 4 bis 6). Dagegen lehnen die Rechtsprechung (SZ 24/168 uva) und Fasching (Zivilprozeßrecht Rz 1066) die Verurteilung zu Leistungen auf Grund von Wiederkehrschuldverhältnissen (etwa Bestandzins, periodische Rentenzahlungen, Ausgleichsraten, Dienstbezüge udgl.) ab, während Holzhammer (Zivilprozeßrecht2 181), Dolinar (Ruhen des Verfahrens und Rechtsschutzbedürfnis, 132 f) und Böhm (Unterlassungsanspruch und Unterlassungsklage, 58 FN 71) die Verurteilung zu künftigen wiederkehrenden Leistungen dann bejahen, wenn diese von keiner Gegenleistung abhängen und der Schuldner seine Pflicht bereits verletzt hat oder doch zu verletzen droht. (Vgl auch § 259 dZPO, wonach Klage auf künftige Leistung dann erhoben werden kann, wenn den Umständen nach die Besorgnis gerechtfertigt ist, daß der Schuldner sich der rechtzeitigen Leistung entziehen werde.) Jüngst hat sich Burgstaller (aaO, insbesondere 548 ff) dafür ausgesprochen, den einzelnen gesetzlichen Bestimmungen (§ 81 UrhG, § 147 PatG und § 21 HalbleiterschutzG) innewohnenden Gedanken, es komme für die Erzwingbarkeit künftigen Verhaltens nicht darauf an, daß die Verpflichtung bereits verletzt wurde, sondern darauf, ob eine Rechtsverletzung drohe, auf jene Fallgruppen auszudehnen, in welchen der Kläger ein (besonderes) schützenswertes Interesse an rechtzeitiger Erfüllung (Leistung oder Unterlassung) und deren Erzwingung durch Vollstreckung hat. Er gelangt deshalb, ohne sich auf Dauer- und Wiederkehrschuldverhältnisse bzw Unterlassungspflichten zu beschränken, zu dem den §§ 259 dZPO vergleichbaren Ergebnis (aaO 552, 554), zur Klage sei berechtigt, wer ein rechtliches Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Entscheidung über sein Recht habe; dieses rechtliche Interesse sei bei einer Klage auf künftige Leistung zu bejahen, wenn der Gläubiger besorgen müsse, daß sich der Schuldner der rechtzeitigen Leistung entziehen werde. Dieser Auffassung ist beizupflichten. Der klagenden Partei muß ein die Erzwingung künftiger Leistungen rechtfertigendes Interesse zugebilligt werden. Nur bei Bestehen eines Exekutionstitels, der die Verurteilung der beklagten Partei zur Ausfolgung der Unterlagen bei von dieser vorgenommenen öffentlichen Ausschreibungen zum Inhalt hat, ist die klagende Partei erst in der Lage, ihren Anspruch auf Beteiligung an künftigen öffentlichen Ausschreibungen der beklagten Partei durchzusetzen, sollte sie ihr wie im Anlaßfall die Aushändigung der Ausschreibungsunterlagen aus sachlich nicht zu rechtfertigenden Motiven verwehren. Müßte die klagende Partei im Wiederholungsfall erst auf Herausgabe klagen, könnte sie sich an der Ausschreibung mangels der erforderlichen Unterlagen (zB das Leistungsverzeichnis) gar nicht beteiligen. Ansprüche auf Ersatz des ihr aus dem rechtswidrigen Verhalten der beklagten Partei erwachsenen Schadens könnte sie aber nicht durchsetzen, weil sie den Beweis, daß sie im Falle der Beteiligung Bestbieterin geworden wäre, nicht antreten könnte.

Auch ein einem entsprechenden Feststellungsbegehren stattgebendes Urteil würde der klagenden Partei nicht helfen; auch dann müßte im Anlaßfall erst auf Leistung geklagt werden, sodaß ihr rechtzeitiger Rechtsschutz versagt bliebe. Allein auf eine einstweilige Verfügung, hielte man eine solche wegen der Gefahr eines unwiederbringlichen Schadens überhaupt für zulässig, dürfte die klagende Partei nicht verwiesen werden. Kann dem Rechtsschutzbedürfnis der klagenden Partei aber nur durch Gewährung einer Klage auf künftige Leistung Genüge getan werden, muß ihr der Rechtsschutz aus den gleichen Erwägungen wie bei Ansprüchen auf Dauerleistung und aus Unterlassungspflichten zuerkannt werden (vgl Koziol-Welser8 I 203; Burgstaller aaO 548). Dieses Rechtsschutzbedürfnis kann für einen Fall wie den vorliegenden, in dem die bloße Ermöglichung der Beteiligung der klagenden Partei am Ausschreibungsverfahren die beklagte Partei nicht belastet und zu nichts verpflichtet, auch durch das Argument, die prozessuale Position des zu künftigen Leistungen verurteilten Beklagten werde angesichts der mit den exekutionsrechtlichen Klagen (§§ 35 und 36 EO) verbundenen Beweislastverschiebung und Eventualmaxime entschieden verschlechtert (so Fasching aaO Rz 1062), nicht entkräftet werden.

Schließlich bleibt noch zu prüfen, ob die klagende Partei überhaupt zu befürchten habe, daß sie die beklagte Partei auch bei weiteren öffentlichen Ausschreibungen von der Beteiligung ausschließen werde, also Wiederholungsgefahr besteht. Eine solche bestreitet die beklagte Partei, weil sie selbst erkannt habe, daß der klagenden Partei ein solcher Anspruch zustehe, und deshalb die Ausschreibung wiederholt habe. Sie hat aber diese Ausschreibung erst am 19.12.1987 mit dem Hinweis bekannt gemacht, daß die Unterlagen bis 21.12.1987 abgeholt werden könnten, und die Einreichung von Angeboten bis 12.1.1988 befristet. Sie hat damit die klagende Partei vor allem im Hinblick auf die arbeitsfreien Tage um den Jahreswechsel, gegenüber jenen Unternehmen, die bereits vorher Angebote eingereicht hatten und diese daher nur zu wiederholen (bzw zu adaptieren) brauchten, so eindeutig benachteiligt, daß geradezu von einer Wiederholung der Ausschaltung der klagenden Partei gesprochen werden kann. Dazu kommt, daß der Beschluß der beklagten Partei, die klagende Partei künftig ganz allgemein von beschränkten Ausschreibungen auszuschließen, nach § 80 Abs 2 TirGdO 1966, wonach eine solche Ausschreibung nur vorgenommen werden darf, wenn zur Ausarbeitung des Anbotes oder zur Durchführung der Arbeiten besondere Sachkenntnisse erforderlich sind oder wegen der Vertrauenswürdigkeit und Leistungsfähigkeit der Bewerber nur eine bestimmte Anzahl zur Anbotserstellung einzuladen ist, der sachlichen Rechtfertigung entbehrt.

Dem Klagebegehren ist mit der Maßgabe stattzugeben, daß die beklagte Partei bei weiteren öffentlichen Ausschreibungen zur Aushändigung der Unterlagen bei Exekution verhalten ist. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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