Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, daß die erstgerichtliche Entscheidung mit der Maßgabe wiederhergestellt wird, daß sie zu lauten hat:
"Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen bei Exekution S 43.374,70 zu zahlen und die mit S 10.347,65 (darin S 1.164,65 USt) bestimmten Verfahrenskosten zu ersetzen.". Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 2.572,20 (darin S 428,70 USt) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit S 3.087 (darin S 514,50 USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war bei der Karl E*** Gesellschaft mbH, Fleisch- und Wurstwarenerzeugung, in Schärding, bei der er vom 27.August 1984 bis 26. August 1987 eine Fleischerlehre absolviert hatte, als Fleischer beschäftigt. Am 15.September 1987 wurde über das Vermögen der Gesellschaft das Konkursverfahren eröffnet. Der Masseverwalter kündigte dem Kläger am 25.September 1987 "zum Ende der dreimonatigen Behaltefrist". Vom 1.Oktober 1987 bis 31.Mai 1988 leistete der Kläger den ordentlichen Präsenzdienst in Salzburg.
Noch vor Antritt seines Präsenzdienstes erhielt er eine Aufstellung des Masseverwalters über die noch offenen Lohnforderungen. Die vom Kläger im Konkursverfahren anhand dieser Aufstellung angemeldete Forderung von S 43.473,70 wurde vom Masseverwalter anerkannt. Der Masseverwalter teilte dem Kläger mit, daß er vom Arbeitsamt Geld bekommen werde. Davon, daß es hiezu einer gesonderten Antragstellung bedürfe, sagte der Masseverwalter nichts. Der Kläger war daher der Meinung, daß er schon auf Grund der vom Masseverwalter erstellten Forderungsanmeldung sein Geld vom Arbeitsamt erhalten werde. Als er nach der Ableistung des Präsenzdienstes wieder beim selben Arbeitgeber zu arbeiten begann, hatte er immer noch kein Insolvenzausfallgeld erhalten. Er stellte am 8.Juni 1988 beim Arbeitsamt Ried im Innkreis einen Antrag auf Insolvenzausfallgeld, der jedoch nach Anhörung des Vermittlungsausschusses mit Bescheid vom 29.Juni 1988 wegen Fristversäumung im Sinne des § 6 Abs 1 IESG abgelehnt wurde. Mit der vorliegenden Klage begehrt der Kläger von der beklagten Partei S 43.374,70 an Insolvenzausfallgeld. Er sei nie über eine Frist zur Antragstellung belehrt und auch nie zur Antragstellung aufgefordert worden. Erst nach Beginn seiner Arbeit beim selben Arbeitgeber sei er von dort auf das Arbeitsamt verwiesen worden. Es lägen sohin berücksichtigungswürdige Gründe vor, die Rechtsfolgen der Fristversäumung nachzusehen.
Die beklagte Partei, die den geltend gemachten Anspruch der Höhe nach außer Streit stellte, beantragte, das Klagebegehren abzuweisen. Der Kläger habe hinreichend Zeit gehabt, die Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld zu beantragen; er sei an der Antragstellung nicht gehindert gewesen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es stellte im wesentlichen noch fest:
Als der Kläger bis Dezember 1987 noch kein Insolvenzausfallgeld erhalten hatte, ersuchte er seine Schwester, sich bei der beklagten Partei zu erkundigen. Diese sprach im Dezember 1987 beim Arbeitsamt vor und teilte mit, daß der Kläger in Salzburg sei und daher Schwierigkeiten mit der Antragstellung habe. Der zuständige Sachbearbeiter riet der Schwester des Klägers, daß sich dieser unverzüglich mit dem Arbeitsamt oder der Arbeiterkammer in Verbindung setzen solle. Die Schwester teilte dem Kläger aber lediglich mit, daß sie selbst am Arbeitsamt "nichts machen" habe können. Zwei Schreiben der Arbeiterkammer kamen dem Kläger nicht zu, da sie dessen Vater nicht weitergegeben hatte.
Das Erstgericht vertrat die Rechtsauffassung, daß die Fristversäumung wegen Vorliegens berücksichtigungswürdiger Gründe nachzusehen sei. Der Kläger habe zwar den Zeitpunkt der Konkurseröffnung und die Höhe seiner Forderung gekannt, aber die Antragsfrist lediglich aus leichter Fahrlässigkeit nicht eingehalten. Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung im Sinne einer Abweisung des Klagebegehrens ab. Es vertrat im Gegensatz zum Erstgericht die Rechtsauffassung, daß dem Kläger keine berücksichtigungswürdigen Gründe für die Fristversäumung im Sinne des § 6 Abs 1 IESG zugute kämen. Der Kläger habe zwar seine Schwester zum Arbeitsamt geschickt, aber nicht darauf reagiert, als sie ihm mitgeteilt habe, daß sie "nichts machen" könne. Er habe weder selbst etwas unternommen, noch von sich aus erneut Erkundigungen beim Arbeitsamt eingeholt. Er habe sich in seinen Belangen viel zu sorglos verhalten.
Gegen dieses Urteil richtet sich die aus dem Grunde der unrichtigen rechtlichen Beurteilung erhobene Revision des Klägers mit dem Antrag auf Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die beklagte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist im Ergebnis berechtigt.
Da der Revisionswerber seine Rechtsrüge gemäß § 503 Abs 1 Z 4 ZPO in Entsprechung der Bestimmung des § 506 Abs 2 ZPO gesetzmäßig ausgeführt hat, besteht keine Beschränkung auf diese Ausführungen. Die rechtliche Beurteilung der Sozialrechtssache ist vielmehr nach jeder Richtung zu überprüfen (Fasching ZPR Rz 1929 mwH). Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kommt es im vorliegenden Fall nicht darauf an, ob zugunsten des Klägers berücksichtigungswürdige Gründe im Sinne des § 6 Abs 1 IESG vorliegen. Die Rechtsbeziehungen des Klägers zu dem die Konkursmasse vertretenden Masseverwalter waren nämlich dadurch gekennzeichnet, daß sich der Kläger nach Absolvierung seiner dreijährigen Fleischerlehre noch in der sogenannten Behaltezeit nach § 18 Abs 1 BAG befand, ihn der Masseverwalter "zum Ende der Behaltefrist kündigte" und der Kläger unmittelbar darauf zur Leistung des Präsenzdienstes einberufen wurde. Es ist daher in erster Linie zu prüfen, ob die viermonatige Antragsfrist des § 6 Abs 1 IESG überhaupt ablaufen konnte. Während ein Lehrverhältnis vom Masseverwalter gemäß § 25 Abs 1 KO überhaupt nicht gekündigt werden kann (vgl Berger-Fida-Gruber, BAG2, 293; Arb.10.056, 10.246), durfte der Masseverwalter das anschließend fortgesetzte Arbeitsverhältnis des Klägers nur unter Bedachtnahme auf die gesetzlichen Kündigungsbeschränkungen aufkündigen (vgl Schwarz-Holler-Holzer, Die Rechte des Arbeitnehmers bei Insolvenz2, 420 ff), zumal sich die Behaltepflicht des Arbeitgebers auf eine einseitig zwingende gesetzliche Regelung zugunsten des ausgelernten Lehrlings gründet. Der Lehrberechtigte ist gemäß § 18 Abs 1 BAG verpflichtet, mit dem ausgelernten Lehrling ein Arbeitsverhältnis einzugehen und diesen während der Behaltezeit tatsächlich in seinem erlernten Beruf zu beschäftigen (vgl Berger aaO 379 ff; Arb.10.511, 10.276 ua). Daß der Masseverwalter den Kläger zum Ende der "dreimonatigen Behaltefrist" kündigte, ist insoweit ohne Belang, da die Einberufung des Klägers zum Präsenzdienst ohnehin innerhalb dieser Kündigungsfrist erfolgte und sich an der rechtlichen Qualifikation dieser Frist nichts ändert. Es kann in diesem Zusammenhang auch dahingestellt bleiben, ob dem Kläger der besondere Kündigungs- und Entlassungsschutz der §§ 6 ff ArbPlSichG zugekommen wäre (vgl Schwarz aaO 426), da sich der Kläger darauf nicht berufen hat, sondern Ansprüche auf Insolvenzausfallgeld geltend macht. Eine allfällige Verletzung der Mitteilungspflicht nach § 4 ArbPlSichG wurde von der beklagten Partei nicht eingewendet. Es ist somit auf der Grundlage des festgestellten Sachverhalts jedenfalls davon auszugehen, daß der Ablauf der im § 18 Abs 1 BAG normierten Behaltezeit gemäß § 14 Abs 2 ArbPlSichG durch die Ableistung des Präsenzdienstes gehemmt wurde. Der in den Präsenzdienst fallende Teil der Behaltezeit lief demnach nach dem Ende des Präsenzdienstes weiter, so daß dem Kläger die Behaltezeit trotz der Einberufung zum Präsenzdienst unverkürzt zur Verfügung stand (vgl Berger aaO, 389, Gruber in DRdA 1980, 163 f; Arb.10.511 ua). Daraus folgt, daß das Arbeitsverhältnis des Klägers zufolge der auf das Ende der Behaltefrist gerichteten Kündigung des Masseverwalters nach der Ableistung des Präsenzdienstes rechtlich noch nicht aufgelöst war.
Gemäß § 6 Abs 1 Z 3 IESG begann daher die viermonatige Antragsfrist ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens mit dem rechtlichen Ende des Arbeitsverhältnisses neuerlich zu laufen. Diese mit § 3 Abs 3 IESG korrespondierende und durch die IESG-Novelle 1986, BGBl.395, eingeführte Bestimmung entzieht der zur früheren Fassung des § 6 Abs 1 IESG vertretenen Rechtsmeinung den Boden, daß die Frist auch dann eingehalten werden mußte, wenn die gesicherten Ansprüche innerhalb derselben noch gar nicht entstanden waren (vgl Holler, Neuerungen im Bereich der Entgeltsicherung bei Insolvenz, ZAS 1987, 147 ff, 152). So sohin selbst eine "dreimonatige Behaltefrist" nach der Ableistung des Präsenzdienstes noch nicht abgelaufen war, kann keine Rede davon sein, daß der Kläger seine Antragsfrist nach § 6 Abs 1 IESG versäumt hätte.
Aus diesen Gründen war das Urteil des Erstgerichtes wiederherzustellen, wobei allerdings der Leistungsausspruch von "zuzuerkennen" auf Zahlung binnen 14 Tagen zu berichtigen war. Es entspricht dem Wesen den streitigen Zweiparteienverfahrens des ASGG, mit welchem die Parteirolle nicht dem Bund, sondern der beklagten Partei zugewiesen wurde (§ 66 ASGG; § 10 IESG), das Arbeitsamt nicht zur weiter nicht erzwingbaren Zuerkennung von Insolvenzausfallgeld zu verpflichten, sondern einen exekutionsfähigen Titel zu schaffen (9 Ob S 3-6/88, 9 Ob S 7/88; 9 Ob S 12/88; 9 Ob S 15/88 ua). Die Kostenentscheidung ist in § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG begründet. Da der Streitwert den Betrag von S 25.000 übersteigt, gebührt dem Klagevertreter allerdings nicht der begehrten Einheitssatz von 60 %, sondern nur ein solcher von 50 % (§ 23 Abs 3 RATG).
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