OGH 7Ob638/89 (7Ob639/89)

OGH7Ob638/89 (7Ob639/89)19.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Wurz, Dr. Warta, Dr. Egermann und Dr. Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden und widerbeklagten Partei Gerhard S***, Versicherungsangestellter, Wien 10., Favoritenstraße 219a/27, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte und widerklagende Partei Elisabeth S***, Haushalt, Wien 10., Favoritenstraße 184/2/19, vertreten durch Dr. Helmut Krenn, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge der Revisionen beider Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 12. April 1989, GZ 18 R 13/89-60, womit infolge der Berufungen beider Parteien das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien vom 4. November 1988, GZ 19 Cg 134/87-52, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Beiden Revisionen wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsverfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile haben am 15.9.1973 die Ehe geschlossen. Der Ehe, die für beide Teile die erste war, entstammt ein Kind, die am 29.10.1975 geborene Barbara. Den gemeinsamen gewÄhnlichen Aufenthalt hatten die Streitteile, die österreichische Staatsbürger sind, in Wien.

Der Kläger und Widerbeklagte (in der Folge nur Kläger genannt) begehrt mit der am 28.11.1985 überreichten Klage die Scheidung seiner Ehe gemäß § 49 EheG. Die Beklagte und Widerklägerin (in der Folge nur Beklagte genannt) habe den Kläger oftmals ordinär beschimpft und herabgesetzt ("Du hast nichts geleistet, du hast das ganze Geld versoffen", "Schleich Dich, verschwind, mir graust vor Dir"). Sie habe ihn mehrmals aus der ehelichen Wohnung ausgesperrt und sei nur aus finanziellen Gründen am Fortbestand der zerrütteten Ehe interessiert.

Die Beklagte widersprach zuerst dem Scheidungsbegehren und stellte keinen Mitschuldantrag, erhob aber am 24.3.1987 Widerklage und machte ständigen Alkoholmißbrauch des Klägers, Mißhandlungen und Beschimpfungen, ehewidrige Beziehungen des Klägers mit Gelegenheitsbekanntschaften sowie Ehebruch im Zuge eines Bordellbesuches, liebloses, herabsetzendes und kränkendes Verhalten sowie dreimalige einseitige Aufhebung der ehelichen Gemeinschaft durch den Kläger geltend. Der Kläger habe auch seine Unterhaltspflicht verletzt und ein Kraftfahrzeug, das er der Beklagten geschenkt habe, ohne ihr Wissen verkauft. Er habe ohne ihr Wissen ein auf ihren Namen lautendes Provisionskonto eingerichtet und den Geschlechtsverkehr verweigert. Einmal habe der Kläger die Beklagte in eine Kontaktsauna mitgenommen und sie dort Belästigungen anderer Männer ausgesetzt, um ihre "Qualitäten als Marktware" zu prüfen, weil er mit ihr als Animierdame selbst eine solche Sauna habe eröffnen wollen.

Der Kläger beantragte die Abweisung der Widerklage und bestritt die darin aufgestellten Behauptungen.

Das Erstgericht schied die Ehe aus dem überwiegenden Verschulden des Klägers und traf folgende Feststellungen:

Der Kläger ist Versicherungsangestellter im Außendienst. Die Beklagte arbeitete in den ersten Ehejahren als medizinisch-technische Assistentin bei einem Zahnarzt. Die Streitteile haben sich von Anfang an nicht recht miteinander vertragen. Der Kläger kam "mehr oder minder berufsbedingt" öfters erst in den späten Abendstunden nach Hause und war dabei wiederholt betrunken. Die Beklagte war eifersüchtig und schrie mit dem Kläger herum, besonders wenn er betrunken nach Hause kam. Im Wortwechsel beschimpften die Eheleute einander gegenseitig. Schon im ersten Ehejahr verließ der Kläger die Beklagte, kam aber über Vermittlung seiner Mutter (kurz darauf) wieder zurück. Nach der Geburt des Kindes gab die Beklagte über Anraten des Klägers ihre Arbeit auf und blieb zu Hause. Auch nach diesem Zeitpunkt kam der Kläger öfters spät und betrunken nach Hause. Die Beklagte begann dann lautstarke Steitereien, oft mitten in der Nacht und ohne Rücksicht auf das Kind. Einmal rief die Nachbarin der Eheleute um 1/2 2 Uhr die Mutter des Klägers an, die Beklagte sei "ganz durcheinander". Der Kläger holte seine Mutter ab, und als sie in die Ehewohnung kamen, stand die Beklagte im Bett und schrie, mit den Händen fuchtelnd, ohne Rücksicht auf das im Schlaf gestörte Kind. Im Sommer 1982 zog der Kläger zum zweiten Mal aus der Ehewohnung aus. Warum, weiß der Kläger nicht mehr. Erst zu Weihnachten 1982 kehrte der Kläger zurück. Es ging dann zunächst etwas besser; bald aber herrschten wieder die selben Zustände wie vorher. 1984 verwehrte der Kläger der Beklagten den Zutritt zu einem Grundstück in Tulbing, das er gekauft hatte und meinte zu einem Vetter der Beklagten, der sich um eine Vermittlung bemühte, Barbara könne auf das Grundstück kommen, die Beklagte könne er aber nicht mehr anschauen, sie interessiere ihn nicht mehr, er sei in seiner Ruhe gestört. Im Winter 1984/85 wollte der Kläger gemeinsam mit einem Freund ein Haus kaufen und darin eine Sauna eröffnen. Die Beklagte sollte in der Sauna als Animierdame mitarbeiten. Um ihr zu zeigen, wie er sich den Betrieb vorstelle, führte der Kläger die Beklagte in eine "Kontaktsauna". Die Beklagte war über diese Zumutung empört. Am 5.7.1985 kam der Kläger erst um 6,45 Uhr nach Hause. Er hatte eine Dienstreise gehabt, sich dabei aber wieder betrunken. Als ihn die Beklagte zur Rede stellte, wo er gewesen sei, antwortete er, er komme aus dem "Puff". Es folgte die "übliche Streiterei" in schreiendem Ton. Die Beklagte schimpfte den Kläger "ein Schwein" und fügte hinzu, es grause ihr vor ihm. Sie warf auch ein Trinkglas nach ihm, ohne ihn allerdings zu treffen und sagte dem durch die Schreierei aufgewachten Kind, der Kläger habe das Glas nach ihr geworfen. Daraufhin zog der Kläger endgültig aus der Ehewohnung aus. In der Folge lernte der Kläger beim Spazierengehen mit seinem Hund Theresia B*** kennen, die zwei Hunde hat und im Haus seiner Mutter wohnt. Er verbringt seine Freizeit größtenteils mit ihr. Es kommt auch zumindest zum Austausch von Zärtlichkeiten.

In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe überwiege, weil er die Beklagte durch seine Trunkenheit herausgefordert und die Zerrüttung der Ehe eingeleitet habe. Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Um Einzelheiten ergänzen zu können und einen persönlichen Eindruck von den Streitteilen zu gewinnen, wiederholte es die Einvernahme der Parteien und stellte ergänzend fest:

Nach dem persönlichen Eindruck war der Kläger von Anfang an dominant. Spielte auch der religiöse Hintergrund der Beklagten für die Beurteilung des Eheverhaltens des Klägers keine besondere Rolle, stellte die Beklagte doch von Beginn der Ehe an höhere Anforderungen an ein ehegerechtes Verhalten als der Kläger. Für den Kläger spielen, mit Grenzen, moralische Gebote keine Rolle. Die Hauptbelastung in der Ehe war, daß der Kläger "immer schon" dem Alkohol zugesprochen hatte und im betrunkenen Zustand "rabiat" wurde und die Beklagte demütigte. Alle Vorfälle, wie sie das Erstgericht feststellte, stehen mit einem Alkoholkonsum des Klägers im Zusammenhang. Schon vor etwa 20 Jahren sowie 1983 wurde dem Kläger der Führerschein wegen Trunkenheit entzogen. Im Sexualbereich hatte der Kläger wesentlich großzügigere Vorstellungen als die Beklagte. Die Empfindlichkeit der Beklagten beim Besuch einer Kontaktsauna war für den Kläger erkennbar. Dennoch demonstrierte er seine moralische Großzügigkeit. Andererseits brachte es die Beklagte - wiewohl sie in die Sauna mitging - nicht zustande, die andere Einstellung des Klägers zu tolerieren oder etwa im Grund harmlose Treffen mit Freunden in Lokalen mit Alkoholgenuß nicht mit Vorhalten und "ewigen Nörgeleien" zu bedenken. Beide Teile waren bis zu ihrer endgültigen Trennung am 5.7.1985 nicht imstande, ihr Verhalten und ihre gegenseitige Toleranz auf ihre grundverschiedenen Charaktereigenschaften abzustimmen. Dies führte auch zu einer ausgeprägten subjektiven Sicht der Vorfälle: Während die Beklagte vieles als demütigend, herabwürdigend und beleidigend empfand, litt der Kläger unter den "ewigen Nörgeleien" der Beklagten. Das einleitende Fehlverhalten des Klägers steht jedoch weit im Vordergrund.

Die zweite Instanz teilte die rechtliche Beurteilung des Erstgerichtes. Die durch die häufige Alkoholisierung hervorgerufene Aggressivität des Klägers, seine betonte Herabsetzung der Beklagten und der Umstand, daß er am 5.7.1985, wie schon früher zweimal, die häusliche Gemeinschaft aufgelöst habe, seine moralische Bedenkenlosigkeit und oft rücksichtslose Durchsetzung gegenüber der Beklagten seien Eheverfehlungen von besonderem Gewicht. Den Kläger treffe daher das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe. Die Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte und ihre mangelnde Bereitschaft, die besonderen Charaktereigenschaften des Klägers zu berücksichtigen, seien jedoch kein zu vernachlässigendes Verschulden. Beide Parteien bekämpfen das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision aus dem Revisionsgrund des § 503 Abs.1 Z 4 ZPO insoweit, als nicht das Verschulden zur Gänze dem anderen Teil angelastet werde.

Rechtliche Beurteilung

Keine der beiden Revisionen ist berechtigt.

Um beiderseitige Eheverfehlungen richtig beurteilen zu können, müssen sie in ihrem Zusammenhang gesehen werden, wobei es nicht nur auf den Grad der Verwerflichkeit der einzelnen Ehewidrigkeiten ankommt, sondern auch darauf, wie weit sie einander bedingten und welchen ursächlichen Anteil sie am Scheitern der Ehe hatten. Bei der Verschuldensabwägung ist maßgebend, wer den ersten Anlaß zur Zerrüttung gegeben hat und wodurch diese in erster Linie zu einer unheilbaren wurde. Hat das schuldhafte Verhalten eines Teilss das des anderen nach sich gezogen, führt dies regelmäßig zur Annahme, daß dem Beitrag des ersteren größeres Gewicht beizumessen ist. Die Vorinstanzen haben völlig zutreffend der häufigen Alkoholisierung des Klägers und der wiederholt betonten Herabsetzung der Beklagten besonderes Gewicht beigemessen. Denn durch dieses Verhalten des Klägers wurden die festgestellten lautstarken Streitigkeiten zwischen den Eheleuten und die Beschimpfungen des Klägers durch die Beklagte erst hervorgerufen. Dies trifft ganz besonders auch auf den Vorfall vom 5.7.1985 zu, als der Kläger die Beklagte endgültig verließ.

Trunksucht und die Neigung zu übermäßigem Alkoholgenuß stellen als Verletzung der Pflicht zur anständigen Begegnung oder als ehrloses und unsittliches Verhalten eine schwere Eheverfehlung dar. Gewißt kommt es dabei sehr wesentlich auf die Umstände des Einzelfalles an. Unerheblich ist es, ob die Neigung des Klägers zu Alkoholmißbrauch der Beklagten bei der Eheschließung bekannt war. Denn jeder Ehegatte darf vom Ehepartner erwarten, daß dieser Neigungen, die ein gedeihliches Zusammenleben stören, soweit wie möglich unterdrückt. Dies aber hat der Kläger keineswegs getan. Er hat vielmehr seine Neigung zum Genuß alkoholischer Getränke in all den Ehejahren niemals unterdrückt, obwohl er wußte, wie sehr die Beklagte dies, das damit verbundene späte Nachhausekommen und sein Verhalten in alkoholisiertem Zustand mißbilligt und welche Reaktionen und Überreaktionen er damit bei der Beklagten provoziert. Auch die Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Ehegatten durch den Kläger ist primär nicht der Beklagten anzulasten, die den Kläger am 5.7.1985 morgens bei seiner Heimkehr gröblichst beschimpfte, sondern dem Kläger, der nach durchzechter Nacht alkoholisiert heimkam und der Beklagten auf ihre Frage mitteilte, er komme aus einem "Puff", mag dies nun der Wahrheit entsprochen haben oder nicht. Daß auch das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der "Kontaktsauna" seiner Verpflichtung zur anständigen Begegnung widersprach, bedarf keiner weiteren Erörterung.

Die Beklagte hat allerdings auf das Verhalten des Klägers zwar mit einer "gewissen Berechtigung", aber in übermäßiger Weise reagiert; ihr Anteil an der Eskalation der Streitigkeiten und der gegenseitigen Beschimpfungen kann keineswegs vernachlässigt werden. Ist auch ein ursächlicher Zusammenhang zwischen den Verfehlungen der Beklagten mit jenen des Klägers nicht zu übersehen, darf doch die Beklagte Verfehlungen des Klägers nicht als Freibrief für eigenes ehewidriges Verhalten benützen.

Rügt der Kläger, es seien verschiedene, von ihm näher bezeichnete, Feststellungen nicht getroffen worden, übersieht er, daß beide Vorinstanzen weitere Feststellungen auf Grund der von ihnen vorgenommenen Beweiswürdigung und nicht etwa auf Grund einer verfehlten rechtlichen Beurteilung unterlassen haben. Daß die Beklagte grundlos eifersüchtig gewesen sei, hat das Erstgericht entgegen den Ausführungen in der Revision des Klägers nicht festgestellt.

Mit Recht haben daher die Vorinstanzen die Ansicht vertreten, daß das Verschulden an der Zerrüttung der Ehe beide Teile trifft, daß aber das Verschulden des Klägers überwiegt. Den Revisionen war deshalb ein Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung erfolgte nach § 43 Abs.1, § 50 ZPO.

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