OGH 7Ob643/89 (7Ob644/89)

OGH7Ob643/89 (7Ob644/89)19.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Flick als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Wurz, Dr.Warta, Dr.Egermann und Dr.Niederreiter als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Renate K***, Hausfrau, Klagenfurt, August-JakschStraße 7, vertreten durch DDr.Eduard Luger, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wider die beklagte Partei Horst Z***, Kaufmann, Klagenfurt, Schilfweg 7, vertreten durch Dr.Franz Müller-Strobl, Rechtsanwalt in Klagenfurt, wegen S 90.335,54 s.A. und Zwischenantrag auf Feststellung (Streitwert S 480.000,--) infolge Rekurses der klagenden Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 11.Mai 1989, GZ 6 R 55/89-22, womit das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 9. Jänner 1989, GZ 6 Cg 57/88-17, aufgehoben wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Rekursverfahrens sind als weitere

Verfahrenskosten zu behandeln.

Text

Begründung

Die am 30.Mai 1913 geborene Klägerin und ihr am 4.Mai 1911 geborener Mann Fritz K***, der am 30.März 1979 verstorben ist, haben am 1.April 1970 mit dem Beklagten eine Vereinbarung abgeschlossen, derzufolge sich der am 9.Jänner 1942 geborene Beklagte verpflichtete, seinen Vertragspartnern auf deren Lebenszeit eine Leibrente von monatlich S 6.000,-- (wertgesichert) und bei Wegfall eines von ihnen dem Überlebenden eine solche von monatlich S 4.000,-- (ebenfalls wertgesichert) zu bezahlen. Seit Juli 1987 hätte demnach der Beklagte der Klägerin unter Bedachtnahme auf die Wertsicherung eine monatliche Rente von S 9.871,-- zu leisten, ist jedoch mit den eingeklagten Beträgen von S 50.581,74 und S 39.753,80, zusammen daher S 90.335,54, im Verzug und weigert sich, der Klägerin weiterhin eine Leibrente zu zahlen.

Die Klägerin verlangt von ihm in den zur gemeinsamen Verhandlung verbundenen Rechtssachen 6 Cg 57 und 201/88 nicht nur die Zahlung dieser Beträge, sondern mit dem im Verfahren 6 Cg 57/88 als dem führenden Rechtsstreit gestellten Zwischenantrag auf Feststellung darüber hinaus die Feststellung, daß die Vereinbarung, auf Grund der der Beklagte ihr auf ihre Lebenszeit die erwähnte Leibrente zu bezahlen habe, zu Recht bestehe.

Der Beklagte beantragt die Abweisung der Klagen und des Zwischenantrages auf Feststellung, weil die Vereinbarung gegen das Verbot der Verletzung über die Hälfte des wahren Wertes verstoße und überdies als sittenwidrig nichtig sei, zumal seine Vertragspartner zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses seinen "Leichtsinn, die Zwangslage und wohl auch die Unerfahrenheit" ausgenützt und sich "für eine Konzessionsniederlegung für die Dauer von sechs Jahren eine Leibrente ausbedungen hätten, die in einem auffallenden Mißverhältnis zum Wert der Eigenleistung" stehe.

Das Erstgericht gab den Klagen und dem Zwischenantrag auf Feststellung statt. Es traf folgende Feststellungen:

Mit Pachtvertrag vom 26.September 1942 hat Paula A*** als Eigentümerin des Hauses Klagenfurt, Paradeisergasse 5, das in diesem Haus betriebene Unternehmen "Gasthof Tigerwirt" an die Schleppe-Brauerei U. G*** in Klagenfurt verpachtet. Dieser Pachtvertrag wurde von den Vertragsparteien in der Folge auf 20 Jahre verlängert und zwar bis 30.April 1976. Die SchleppeBrauerei hat ihrerseits mit Zustimmung der Hauseigentümerin den Gasthof "Tigerwirt" und die diesem Unternehmen gewidmeten Räume an die Klägerin und deren Ehegatten verpachtet. Der Bestandvertrag wurde mit 1.Mai 1956 für die Dauer von 20 Jahren, nämlich bis 30. April 1976, abgeschlossen. Die Klägerin und ihr Mann nahmen den zwischen der Hauseigentümerin und der Schleppe-Brauerei abgeschlossenen Pachtvertrag zur Kenntnis.

Im Jahre 1969 entschlossen sich die Klägerin und ihr Mann, ihre Tätigkeit als Pächter des Gasthofes Tigerwirt aufzugeben und sich auf die Führung ihrer im Sommer 1969 eröffneten Frühstückspension in Bad Kleinkirchheim zurückzuziehen. Sowohl die Schleppe-Brauerei als auch die Hauseigentümerin räumten dem Mann der Klägerin das Recht ein, die Auswahl seines Nachfolgers selbst zu treffen. Als der Beklagte dies im Jahre 1969 erfuhr, interessierte er sich für die Pachtung des Gasthofes Tigerwirt. Er hatte im Sommer 1969 von der Stadtgemeinde Klagenfurt das Restaurant "Maiernigg am Wörthersee", einen Sommersaisonbetrieb, gepachtet und wollte zusätzlich einen Ganzjahresbetrieb pachten, um das ganze Jahr hindurch ausgelastet zu sein. Dazu kam ihm die Möglichkeit einer Pachtung des Gasthofes Tigerwirt sehr gelegen, zumal es sich bei diesem Gasthof um einen guten Betrieb handelte. Der Beklagte nahm deshalb sofort mit dem Mann der Klägerin Verbindung auf, sprach wiederholt bei ihm vor und verhandelte mit ihm.

Dem Beklagten waren die Klägerin und ihr Mann bekannt. Er hatte im Jahre 1956 bei ihnen die Lehre als Koch angetreten und war bei ihnen bis zum Verkauf des damals von ihnen betriebenen Rathausstüberls im Jahr 1957 oder 1958 als Kochlehrling beschäftigt gewesen. Das Verhältnis des Beklagten zur Klägerin und ihrem Mann war sehr gut, es gab zwischen ihnen nie Probleme. Nach dem Verkauf des Rathausstüberls beendete der Beklagte die Lehre als Koch beim neuen Besitzer dieses Lokals; das Lehrverhältnis dauerte bis 1959. Anschließend war der Beklagte in der Bundesrepublik Deutschland bis 1965 unselbständig als Koch in verschiedenen Fremdenverkehrsbetrieben beschäftigt, von 1965 bis 1969 führte er einen Gasthof in Töging am Inn in der Bundesrepublik Deutschland als Pächter. Im Jahre 1969 pachtete er dann den Sommersaisonbetrieb "Restaurant Maiernigg am Wörthersee". Der Beklagte ist seit 1965 verheiratet und hat zwei Kinder. Seine Mutter ist von Beruf Buchhalterin.

Bei den Verhandlungen verlangte der Mann der Klägerin eine Ablöse für das Inventar und das Warenlager sowie eine Ablöse für den Verzicht auf die restliche Bestandzeit bis 30.April 1976 und für die Zurücklegung der Konzession. Es handelte sich dabei insgesamt um einen Betrag von etwa S 1,500.000,-- oder S 2,000.000,--. Der Beklagte sagte, daß er nicht so viel Geld habe.

In der Folge ließ der Mann der Klägerin nach Besprechungen mit seinem Steuerberater und mit seinem Rechtsanwalt und nachdem er sich mit dem Beklagten darüber geeinigt hatte, von seinem Rechtsanwalt eine schriftliche Vereinbarung (Beilage D) errichten, die am 14. Jänner 1970 in der Kanzlei des Rechtsanwaltes DDr. Eduard Luger von den Vertragsparteien unterschrieben werden sollte. Diese Vereinbarung sah insbesondere vor, daß der Beklagte der Klägerin und deren Mann für die Dauer ihrer Lebenszeit ab 1.Jänner 1970 eine wertgesicherte Leibrente von S 6.000,-- monatlich bezahlt, die sich im Fall des Todes der Klägerin oder ihres Mannes auf S 4.000,-- monatlich verringern sollte.

Bei der Besprechung am 14.Jänner 1970 hat DDr.Eduard Luger die Bestimmungen der von ihm vorbereiteten schriftlichen Vereinbarung mit der Klägerin und deren Mann sowie mit dem Beklagten eingehend und genau besprochen und dem Beklagten die Vereinbarung auch vorgelesen. Der Mann der Klägerin teilte bei dieser Gelegenheit dem Beklagten mit, daß sowohl die Schleppe-Brauerei als auch Paula A*** sich bereit erklärt hätten, seinen Pachtvertrag um weitere 10 Jahre, bis 30.April 1986, zu verlängern, daß er aber trotzdem aus gesundheitlichen Gründen den Betrieb übergeben und die Vereinbarung mit dem Beklagten abschließen wolle. DDr.Eduard Luger hat den Beklagten auch gefragt, ob er mit den Leibrentenleistungen einverstanden sei. Der Beklagte erwiderte, er kenne die Klägerin und ihren Mann seit vielen Jahren und wisse, daß es sich bei dem Gasthof "Tigerwirt" um ein renommiertes, gutgehendes und gutgeführtes Unternehmen handelt. Er erachte die vorgesehene Leibrente als angemessen, wolle den Vertrag jedoch vorerst noch nicht unterschreiben, weil er erst abklären müsse, ob die Schleppe-Brauerei den Pachtvertrag mit ihm abschließen werde, und zwar zu ihm genehmen Bedingungen, und ob die Hauseigentümerin die Zustimmung zum Abschluß des von ihm gewünschten Pachtvertrages erteilen werde.

Dem Beklagten gefiel es überdies nicht, daß er nur Unterpächter sein sollte. Er wollte erreichen, daß die Schleppe-Brauerei das Vertragsverhältnis mit der Hauseigentümerin auflöst und, daß er den Pachtvertrag direkt mit der Hauseigentümerin abschließen kann. Der Beklagte sagte dies auch der Klägerin und ihrem Mann sowie deren Vertreter. Gemeinsame Bemühungen des Beklagten sowie der Klägerin und ihres Mannes hatten schließlich den gewünschten Erfolg. Die Schleppe-Brauerei erklärte sich bereit, den Bestandvertrag mit der Hauseigentümerin aufzulösen. Diese war auch bereit, einen Pachtvertrag direkt mit dem Beklagten abzuschließen. DDr.Eduard Luger änderte nun den vorgesehenen Vertrag entsprechend dem Wunsch des Beklagten ab und beraumte eine Besprechung für den 12.März 1970 an, bei der dieser Vertrag unterschrieben werden sollte.

Der Vertrag hat auszugsweise folgenden Inhalt:

"Fritz K*** und Renate K*** verzichten mit Wirkung vom 1. Jänner 1970 zugunsten des Horst Z*** auf die restliche Bestandzeit bis 30.April 1976, so daß Horst Z*** in der Lage ist, mit Wirkung vom 1.Jänner 1970 mit Paula A*** einen entsprechenden Bestandvertrag betreffend den Gasthof "Tigerwirt" abzuschließen.

Die Schleppe-Brauerei hat ihre Zustimmung zu der vorzeitigen Auflösung des Bestandvertrages erteilt. Weiters haben Paula A*** und die Schleppe-Brauerei den zwischen ihnen bestehenden Bestandvertrag hinsichtlich des Gasthofes "Tigerwirt" einvernehmlich mit Wirkung vom 1.Jänner 1970 aufgelöst.

Fritz K*** verpflichtet sich, die ihm für den Standort Klagenfurt, Paradeisergasse 5, verliehene Konzession für das Gast- und Schankgewerbe unter der Bedingung zurückzulegen, daß eine Konzession gleichen Inhaltes und Umfanges für den gleichen Standort der Paula A*** erteilt wird und Paula A*** diese Konzession an Horst Z*** verpachtet. Paula A*** hat auch bereits die Erklärung abgegeben, daß sie bereit ist, die Konzession an Horst Z*** zu verpachten.

Als Gegenleistung verpflichtet sich Horst Z***, den Ehegatten Fritz und Renate K*** für die Dauer ihrer Lebenszeit ab 1. Jänner 1970 eine Leibrente von monatlich S 6.000,-- wertgesichert nach dem Verbraucherpreisindex 1966 zu bezahlen, wobei im Falle des Todes eines Ehegatten die an den überlebenden Ehegatten zu zahlende Leibrente auf monatlich S 4.000,-- verringert wird. Jolanda Z***, die Mutter des Horst Z***, hat sich bereit erklärt, die Haftung als Bürge und Zahler für den auf Lebenszeit der Ehegatten Fritz und Renate K*** zu leistenden Rentenbetrag von S 6.000,-- monatlich bzw. S 4.000,-- monatlich zu übernehmen und die ihr gehörigen Liegenschaften ....... für diese Rentenleistung als Pfand zu bestellen.

Hinsichtlich des den Ehegatten Fritz und Renate K*** gehörigen Inventars des Gasthofes "Tigerwirt" wurde eine gesonderte Vereinbarung zwischen den Eheleuten Fritz und Renate K*** und Horst Z*** abgeschlossen. Das Inventar ist sohin nicht Gegenstand dieses Vertrages."

Bei der Besprechung am 12.März 1970 las DDr.Eduard Luger diese Vereinbarung dem Beklagten vor und besprach mit ihm eingehend und ausführlich die einzelnen Vertragsbestimmungen sowie die finanzielle Lage des Beklagten und die vom Beklagten zu erbringenden Leistungen. Der Beklagte erklärte daraufhin, er sei mit den Vertragsbedingungen grundsätzlich einverstanden, wolle den Vertrag aber erst unterschreiben, wenn er mit Paula A*** hinsichtlich des mit ihr abzuschließenden Bestandvertrages einig sei.

Nachdem der Beklagte sich mit der Hauseigentümerin geeinigt und mit ihr am 26. und 27.März 1970 einen Bestandvertrag abgeschlossen hatte, erschien er - am 1.April 1970 - in der Kanzlei des DDr.Eduard Luger und unterschrieb dort die Vereinbarung.

Der Mann der Klägerin hat die ihm verliehene Konzession vereinbarungsgemäß zurückgelegt.

Der Beklagte hat die Leibrente bis einschließlich Oktober 1987 bezahlt.

Durch den Tod des Mannes der Klägerin verringerte sich die an die Klägerin zu leistende Leibrente entsprechend dem Vertrag vom 1. April 1970. Sie betrug aufgewertet ab Februar 1986 S 9.659,--, ab Juli 1987 S 9.871,--.

Seit Oktober 1987 hat der Beklagte keine Zahlungen mehr geleistet.

Die Klägerin hat bereits mit der am 10.März 1987 eingelangten Klage 6 Cg 59/87 des Landesgerichtes Klagenfurt vom Beklagten die Zahlung rückständiger Leibrentenbeträge für die Zeit von Jänner bis März 1987 begehrt. Der Beklagte hat auch in jenem Verfahren eingewendet, die Vereinbarung vom 1.April 1970 sei sittenwidrig, weil die Klägerin und ihr Mann den Leichtsinn, die Zwangslage und auch die Unerfahrenheit des Beklagten ausgenützt und sich für eine Konzessionsniederlegung für die Dauer von sechs Jahren eine Leibrente ausbedungen hätten, die im auffallenden Mißverhältnis zum Wert der von ihnen übernommenen Leistungen stehe. In der mündlichen Verhandlung vom 8.Mai 1987 hat der Beklagte das Klagebegehren in jenem Verfahren gleichwohl anerkannt, so daß über Antrag der klagenden Partei ein Anerkenntnisurteil gefällt wurde. In seiner rechtlichen Beurteilung vertrat das Erstgericht die Ansicht, bei der Vereinbarung handle es sich um einen Leibrenten- und damit um einen Glücksvertrag, in Ansehung dessen das Rechtsmittel der Verkürzung über die Hälfte des wahren Wertes nicht stattfinde. Wenngleich wohl davon ausgegangen werden müsse, daß zwischen den beiderseits versprochenen Leistungen der Vertragspartner eine Ungleichheit zu Lasten des Beklagten vorliege - die jedoch den Vertrag für sich allein nicht schon sittenwidrig mache, da die österreichische Privatrechtsordnung ein Gebot der Äquivalenz von Leistung und Gegenleistung nicht kenne -, könne doch von einem Leichtsinn, einer Zwangslage oder einer Unerfahrenheit des Beklagten nicht gesprochen werden. Der Tatbestand des Wuchers iS des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB sei daher nicht gegeben. Zwar ermögliche die Bestimmung des § 879 Abs 1 ABGB die Gleichbehandlung verwandter Fälle, die nicht alle Tatbestandsmerkmale der Sonderregelung erfüllen, bei denen aber ein dies ausgleichendes zusätzliches Element der Sittenwidrigkeit hinzukomme; doch liege ein solches zusätzliches Element nicht vor. Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Erstgerichtes unter Rechtskraftvorbehalt auf. Der Beklagte habe mit keinem Wort näher ausgeführt oder durch ein konkretes Sachvorbringen substantiiert, worin er im besonderen Fall seinen eigenen angeblichen Leichtsinn, seine vermeintliche Zwangslage sowie die von ihm behauptete Unerfahrenheit erblicke, die seine Vertragspartner ausgenützt haben sollten, um den Leistungsaustausch herbeizuführen, der durch ein auffallendes Mißverhältnis zu Lasten des Beklagten gekennzeichnet gewesen sein soll. Er habe ebensowenig Tatsachen vorgetragen, aus denen der Schluß auf das Bestehen eines derartigen auffallenden Mißverhältnisses abgeleitet werden könnte. Es wäre daher geboten gewesen, daß das Erstgericht in Erörterung der Einwendungen des Beklagten und im Rahmen seiner Prozeßleitungspflicht darauf gedrungen hätte, den Beklagten zu veranlassen, sein Vorbringen dadurch zu substantiieren, daß er im Detail darlegt, in welchem konkreten Sachverhalt er das Bestehen der Voraussetzungen für die angebliche Nichtigkeit der Vereinbarung erblicke. Das für die Annahme von Wucher unerläßliche subjektive Tatbestandsmerkmal der Unwirtschaftlichkeit des angeblich Bewucherten könne sich bereits aus der Tatsache eines auffallenden Mißverhältnisses zwischen den beiderseitigen Leistungen ergeben, mag sich auch sonst der Beklagte durchaus sinnvoll und vorsichtig verhalten und die Leibrentenleistungen als angemessen angesehen haben. Feststellungen über das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung seien nicht getroffen worden. Es könne daher nicht beurteilt werden, ob ein allenfalls bestehendes Ungleichgewicht der beiderseitigen Leistungen derart schwerwiegend ist, daß es nicht bloß objektiv als auffallendes Mißverhältnis im Sinne einer Äquivalenzstörung anzusehen wäre, sondern auch als Beweis für das Bestehen einer offenkundig unwirtschaftlichen Eigenschaft des Beklagten gewertet werden müßte, die in Verbindung mit einer Kenntnis der Klägerin und ihres Mannes von diesem Ungleichgewicht alle Voraussetzungen für das Vorliegen des Wuchertatbestandes erfüllen könnte. Der Beklagte könne sich auch bei entgeltlichen Glücksverträgen auf Wucher berufen, wenn die Relation zwischen den einander gegenüberstehenden Chancen auffallend unausgewogen sei. Im Verfahren erster Instanz sei demnach eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Rechtssache bisher noch nicht erfolgt. Es sei unerläßlich, dem Beklagten im Rahmen der Prozeßleitungspflicht des Erstgerichtes (§ 182 ZPO) Gelegenheit einzuräumen, sein Vorbringen zu konkretisieren. Ein Rechtskraftvorbehalt sei auszusprechen gewesen, weil die Prozeßleitungspflicht des Prozeßrichters erster Instanz gegenüber dem rechtsfreundlich vertretenen Beklagten auch einer anderen, strengeren Beurteilung dahin zugänglich sein könnte, daß es Sache des Beklagten gewesen wäre, konkrete Tatsachenbehauptungen iS des § 226 Abs 1 ZPO aufzustellen und nicht bloß die verba legalia zu verwenden.

Die Klägerin bekämpft den Beschluß der zweiten Instanz mit Rekurs und beantragt die Wiederherstellung der Entscheidung des Erstgerichtes.

Der Beklagte beantragt, dem Rekurs nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

Die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung ist nach den Ausführungen des Berufungsgerichtes erfolgt, weil im Verfahren erster Instanz eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Rechtssache noch nicht erfolgt sei. Es seien erheblich scheinende Tatsachen nicht erörtert worden, es fehlten demnach auch Feststellungen hiezu. Dem Beklagten sei im Rahmen der Prozeßleitungspflicht des Erstgerichtes iS des § 182 ZPO Gelegenheit zu geben, sein Vorbringen zur Frage des angeblichen Vorliegens von Wucher zu konkretisieren.

Welche Folgen eine Verletzung der Prozeßleitungspflicht hat, ergeben die Umstände. Die Vernachlässigung kann einen wesentlichen Verfahrensmangel begründen. Doch kann auch der Berufungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung vorliegen, wenn der Richter bei Vernachlässigung der ihm nach § 182 ZPO obliegenden Pflicht von einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung des vorgetragenen Sachverhalts ausgegangen ist, nicht auf die für die Entscheidung erheblichen Angaben und das erforderliche Beweisanerbieten gedrungen hat und dem Urteil deshalb Feststellungsmängel anhaften (Fasching II 873 sowie IV 209; GesRZ 1983/221, 2 Ob 275/82 ua). Im gegenständlichen Verfahren ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, daß durch die Vernachlässigung der Prozeßleitungspflicht Tatsachen, die der zweiten Instanz erheblich erschienen, vor dem Erstgericht nicht erörtert wurden (§ 496 Abs 1 Z 3 ZPO), daß also Feststellungsmängel vorliegen (Fasching IV 210).

Das Revisionsgericht pflichtet dieser Ansicht bei (idS auch 6 Ob 599/81). Zum Tatbestand des Wuchers iS des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB sind drei Voraussetzungen erforderlich: 1. ein auffallendes - objektives - Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung zur Zeit des Vertragsabschlusses; 2. unwirtschaftliche Eigenschaften des Bewucherten, welche im Gesetz nur beispielsweise aufgezählt sind und die verhindern, daß er seine Interessen entsprechend wahrnimmt, und 3. die Ausbeutung durch den Wucherer, also die Ausnützung der durch die ersten beiden Voraussetzungen entstandenen, für ihn günstigen und den Partner ungünstigen Lage, ohne daß er zu deren Herbeiführung etwas beigetragen haben müßte (SZ 44/71 mwN). Welcher Fall von Unwirtschaftlichkeit auf Seiten eines Vertragsteils auch in Betracht kommen mag, immer wird es von dem Verhältnis von Leistung und Gegenleistung abhängen, ob ein für die Anwendung des Wucherparagraphen genügender Grad von Unwirtschaftlichkeit anzunehmen ist. Es unterliegt keinem Zweifel, daß jemand die Bestimmung des § 879 ABGB in Anspruch nehmen kann, wenn er, ohne die Absicht, dem anderen etwas zu schenken, für seine Leistung (zum Beispiel) nicht einmal ein Zehntel ihres Wertes erhält und der andere dieses Mißverhältnis gekannt hat. Die Frage des Mißverhältnisses kommt nicht nur als ein selbständiges Erfordernis für die Anwendung des Wucherparagraphen in Betracht, ohne ihre Lösung wird auch das Erfordernis der Unwirtschaftlichkeit nicht verläßlich beurteilt werden können, denn die Größe des Mißverhältnisses läßt Schlüsse auf Leichtsinn, Unerfahrenheit usw. zu (SZ 27/19).

Das Erstgericht ist davon ausgegangen, daß zwar ein Ungleichgewicht zwischen den Leistungen der Klägerin und ihres Mannes einerseits und des Beklagten andererseits vorliege. Trotzdem mache ein derartiges Ungleichgewicht einen Vertrag im Hinblick auf die bestehende Vertragsfreiheit noch nicht sittenwidrig, da die österreichische Privatrechtsordnung ein Gebot der Äquivalenz zwischen Leistung und Gegenleistung nicht kenne. Das Erstgericht hat jedoch keinerlei Feststellungen über das Ausmaß dieses Ungleichgewichts getroffen, wiewohl auch bei entgeltlichen Glücksverträgen wie dem Leibrentenvertrag das Verhältnis zwischen den einander gegenüberstehenden Chancen so auffallend unausgewogen sein kann, daß Wucher vorliegt (Krejci in Rummel, ABGB, Rz 84 zu den §§ 1267 bis 1274). Sittenwidrigkeit liegt auch bei derartigen Verträgen vor, wenn die Hoffnung eines noch ungewissen Vorteils nur ganz einseitig zugunsten eines Vertragsteils gegeben ist (Krejci aaO, Rz 96 zu § 879).

Das Erstgericht hat über das Ausmaß des seiner Ansicht nach bestehenden Ungleichgewichts keinerlei Feststellungen getroffen, ohne darauf Bedacht zu nehmen, daß nach dem Ausmaß dieses Ungleichgewichts Rückschlüsse selbst auf eine Unwirtschaftlichkeit des Beklagten iS des § 879 Abs 2 Z 4 ABGB gezogen werden können. Mit Recht hat das Berufungsgericht darin einen Feststellungsmangel gesehen. Die unterbliebene Anleitung des Beklagten geht daher iS des § 182 ZPO auf eine unrichtige rechtliche Beurteilung der Sache durch das Erstgericht zurück. Mit Recht hat deshalb auch das Berufungsgericht dem Erstgericht die Aufnahme ergänzender Beweise, insbesondere die Einholung entsprechender Sachverständigengutachten aufgetragen (es sei denn, daß dem ergänzenden Vorbringen des Beklagten angesichts der von ihm etwa behaupteten Wertrelationen ein auffallendes Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung nicht entnommen werden könnte) - wobei bemerkt sei, daß der Beklagte die Einholung derartiger Gutachten beantragt und die Nichtzulassung dieses Beweisanbotes unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens gerügt hat, so daß die Entscheidung der zweiten Instanz im Ergebnis auch aus diesem Grund gerechtfertigt war. Der Umstand, daß der Beklagte anwaltlich vertreten ist, hat das Erstgericht der beschriebenen Anleitungspflicht nicht enthoben. Pflicht des Gerichtes ist es, die für die Entscheidung erheblichen Tatsachen ins Klare zu setzen, und zwar auch dann, wenn die Streitteile durch Rechtsanwälte vertreten sind (vgl. SZ 41/58, MietSlg 23.653 ua).

Der Rekurs erweist sich damit als unbegründet.

Der Kostenvorbehalt erfolgte nach dem § 52 ZPO.

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