OGH 4Ob581/89

OGH4Ob581/8917.10.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Gamerith, Dr. Kodek, Dr. Niederreiter und Dr. Redl als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am 4. November 1980 verstorbenen Johann P***, Kaufmann, zuletzt wohnhaft gewesen in Wien 19., Hohe Warte 17, infolge Revisionsrekurses des mj. Hans Christoph L***, Wien 1., Gonzagagasse 2/10, vertreten durch Dr. Oskar Weiss-Tessbach und andere Rechtsanwälte in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 20. Juli 1989, GZ 47 R 476/89-1689, womit der Rekurs des mj. Hans Christoph L*** gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes Döbling vom 17. Mai 1988, GZ 3 A 669/80-1572, und vom 20. Juni 1989, GZ 3 A 669/80-1665, zurückgewiesen wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben; der angefochtene Beschluß wird aufgehoben, und dem Rekursgericht wird aufgetragen, unter Abstandnahme von dem gebrauchten Zurückweisungsgrund eine neue (Sach-)Entscheidung zu fällen.

Text

Begründung

Der am 4. November 1980 verstorbene Kaufmann Johann P*** hat mehrere letztwillige Verfügungen hinterlassen, in welchen er seinen mj. Sohn Hans Christoph L*** zum Alleinerben eingesetzt und dessen Mutter und Vormünderin Anna L*** - neben anderen Personen - mit einem Vermächtnis bedacht hat.

Mit Beschluß des Erstgerichtes vom 19. November 1980 (ON 7) ist Rechtsanwalt Dr. Walter K*** zum Widerstreitsachwalter für Hans Christoph L*** bestellt worden. Die von ihm für den Minderjährigen abgegebene bedingte Erbserklärung wurde vom Erstgericht angenommen und dem Widerstreitsachwalter die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses im Sinne des § 810 ABGB überlassen (ON 9). Mit dem weiteren Beschluß vom 19. November 1980 (ON 13) wurde der Widerstreitsachwalter ermächtigt, beim Handelsgericht Wien hinsichtlich der dem Verstorbenen als Alleininhaber gehörenden Firma Hans P***, Großhandel mit Mineralölen und deren Derivaten sowie der Betrieb von Christophorus-Tankstellen in Wien, eingetragen zu HRA 13.753, ein Vertretungsprovisorium zu beantragen, wodurch während der Dauer der Verlassenschaftsabhandlung das Vertretungsrecht vom Widerstreitsachwalter ausgeübt wird. Mit Beschluß vom 17. Mai 1988 (ON 1572, Band XIX) ermächtigte das Erstgericht den Widerstreitsachwalter, das an KR Horst J. K*** gerichtete, bis 15. Oktober 1989 verbindliche Anbot zum Abschluß von Bestand- bzw. Betriebsführungsverträgen über die der Firma Hans P*** gehörenden (8) Garagenbetriebe zu unterfertigen und an KR Horst J. K*** weiterzuleiten. Der Widerstreitsachwalter hatte um diese Genehmigung angesucht, weil die über diese Garagenbetriebe derzeit bestehenden Verträge am 31. Dezember 1989 auslaufen.

Am 19. Juni 1989 berichtete der Widerstreitsachwalter dem Erstgericht (ON 1664, Band XX), daß KR Horst J. K*** das Anbot hinsichtlich des "Gesamtpaketes der sogenannten P***-Garagen" in offener Frist angenommen habe. Nunmehr seien die einzelnen Verträge über die (jetzt 9) Garagenbetriebe zu unterfertigen, die gegenüber dem Anbot in den Punkten Vertragsdauer und Vertragsbeendigung abgeändert worden seien.

Mit Beschluß vom 20. Juni 1989 (ON 1665, Band XX) genehmigte das Erstgericht die Pachtverträge über 8 Garagenbetriebe und den Betriebsführungsvertrag über eine weitere (Hotel-)Garage. Den Rekurs des rechtsanwaltlich vertretenen mj. Hans Christoph L*** gegen die Beschlüsse ON 1572 und 1665 wies das Rekursgericht mit dem angefochtenen Beschluß zurück. Der Vormünderin des Minderjährigen komme im Abhandlungsverfahren namens des Minderjährigen kein Rekursrecht zu, weil der Wirkungsbereich des Kollisionskurators die Vertretungsbefugnis der Vormünderin verdrängt habe; aus demselben Grund sei aber auch die Vertretung des Minderjährigen durch den von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt unzulässig.

Der gegen diesen Beschluß vom mj. Hans Christoph L*** erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Der mj. Hans Christoph L*** weist in diesem Rechtsmittel darauf hin, daß er die Beschlüsse ON 1572 und ON 1665 selbst angefochten habe, nicht aber seine Mutter und Vormünderin im eigenen oder in seinem Vertretungsnamen; ihm stehe ein selbständiges Rekursrecht gegen Maßnahmen des Pflegschaftsgerichtes zu, so daß er insoweit auch Rechtsanwälte habe bevollmächtigen können. Diesen Ausführungen ist beizupflichten:

Im Rekurs gegen die Beschlüsse ON 1572 und ON 1665 wurde der Minderjährige selbst als Einschreiter bezeichnet. Er führte darin ua aus, daß er die einschreitenden Vertreter selbst bevollmächtigt habe; aus Gründen der Vorsicht trete aber auch die Vormünderin Anna L***, die diese Vollmachtserteilung gebilligt und die einschreitenden Anwälte ebenfalls bevollmächtigt habe, "dem Begehren des Rekurswerbers vollinhaltlich bei". Die Ausführungen im angefochtenen Beschluß, daß der Vormund eines Minderjährigen kein Rechtsmittelrecht habe, wenn die Befugnis, den Minderjährigen im Rahmen eines Abhandlungsverfahrens zu vertreten, auf einen Kollisionskurator übergegangen ist, können daher die Zurückweisung des vom Minderjährigen selbst erhobenen Rekurses nicht begründen. Sollte aber das Rekursgericht der Auffassung gewesen sein, daß die Mutter des Minderjährigen den Rekurs allein in ihrer Eigenschaft als Vormünderin des minderjährigen Hans Christoph L*** erhoben habe, dann wäre diese Annahme aktenwidrig.

Rechtliche Beurteilung

Nach ständiger Rechtsprechung (SZ 23/181; SZ 38/172; SZ 38/216;

JBl 1954, 258; EvBl 1956/69; EvBl 1967/312; EvBl 1970/84;

ÖStA 1971, 92; NZ 1971, 28) steht mündigen Minderjährigen und beschränkt Geschäftsfähigen im Außerstreitverfahren das Recht zu, selbständig Anträge und Rekurse zu erheben, um sich gegen Maßnahmen ihrer gesetzlichen Vertreter oder des Pflegschaftsgerichtes zur Wehr zu setzen; sie können insoweit auch Rechtsanwälte bevollmächtigen (SZ 38/216; EvBl 1956/69; ÖStA 1971, 92; NZ 1971, 28). Diese Voraussetzungen treffen auch hier zu, weil alle im Verlassenschaftsverfahren nach Johann P*** für den mj. Erben vorzunehmenden Vertretungshandlungen aus dem Aufgabenkreis seiner Vormünderin Anna L*** ausgeschieden sind (4 Ob 570-576/81) und sonst niemand zur Wahrnehmung der Kontrolle des Kollisionskurators und des Pflegschaftsgerichtes berufen wäre.

Da der Minderjährige am 22. Jänner 1990 großjährig wird, ist auch davon auszugehen, daß er schon zum Zeitpunkt der Erhebung des Rekurses (5. Juli 1989) die zur Wahrung seiner Rechte und im Interesse des geordneten Verfahrensablaufes notwendige geistige Reife besaß (vgl. dazu EvBl 1967/312).

Der Rekurs des Minderjährigen gegen die Beschlüsse ON 1572 und ON 1664 ist daher entgegen der Ansicht des Rekursgerichtes zulässig; er ist aber auch rechtzeitig: Wer zur Anbringung eines Rekurses berechtigt ist, braucht, wenn ihm - wie hier - die anzufechtende Entscheidung nicht zugestellt wurde, deren Zustellung nicht zu verlangen, sondern er kann den Rekurs anbringen, ohne daß dieser als verspätet zurückgewiesen werden könnte (SZ 28/34; JBl 1977, 99; 4 Ob 374, 375/83).

Dem Revisionsrekurs war daher Folge zu geben, der angefochtene Beschluß aufzuheben und dem Rekursgericht eine neuerliche (Sach-)Entscheidung aufzutragen.

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