OGH 12Os91/89 (12Os92/89)

OGH12Os91/89 (12Os92/89)14.9.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 14.September 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Felzmann, Dr. Massauer und Dr. Rzeszut als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Salat als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerhard G*** wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB über die von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes gegen den Beschluß des Bezirksgerichtes Neunkirchen vom 23. Jänner 1989, GZ U 449/88-17, und gegen den Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 26. April 1989, AZ 7 b Bl 130,131/89, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Beschluß des Bezirksgerichtes Neunkirchen vom 23. Jänner 1989, GZ U 449/88-17, über den Widerruf der bedingten Entlassung des Gerhard G*** aus Freiheitsstrafen und der Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt als Beschwerdegericht vom 26. April 1989, AZ 7 b Bl 130,131/89, über die Beschwerde des Gerhard G*** gegen die erstbezeichnete Entscheidung verletzen das Gesetz in dem im XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung verankerten Grundsatz der materiellen Rechtskraft.

Die Beschlüsse werden aufgehoben und der Antrag des öffentlichen Anklägers auf Widerruf der mit Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 15.Mai 1987, GZ BE 547/87-8, ausgesprochenen bedingten Entlassung des Gerhard G*** nach Verbüßung eines Teiles der in den Verfahren AZ 12 a E Vr 35/87 und AZ 12 a E Vr 1159/86 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt verhängten Freiheitsstrafen wird abgewiesen.

Text

Gründe:

Mit dem rechtskräftigen Beschluß des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 15.Mai 1987, GZ BE 547/87-8, wurde Gerhard G*** nach Verbüßung eines Teils der über ihn in den Strafverfahren AZ 12 a E Vr 35/87 und AZ 12 a E Vr 1159/86 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt verhängten Freiheitsstrafen bedingt entlassen (§ 46 Abs. 1 StGB). Dem Rechtsbrecher wurde ein Strafrest von einem Monat für eine Probezeit von einem Jahr bedingt nachgesehen. Nach dem Ablauf der Probezeit erklärte das Kreisgericht Wiener Neustadt mit rechtskräftigem Beschluß vom 18.Oktober 1988, GZ BE 547/87-14, die bedingte Entlassung des Gerhard G*** für endgültig (§ 48 Abs. 3 StGB).

In Unkenntnis der letztgenannten Entscheidung faßte das Bezirksgericht Neunkirchen im Verfahren AZ U 449/88 am 23. Jänner 1989 anläßlich einer Aburteilung des Gerhard G*** wegen Verletzung der Unterhaltspflicht im Sinn des § 494 a Abs. 1 Z 4 StPO den Beschluß auf Widerruf der bezeichneten bedingten Entlassung (ON 17, S 59 und 69 bis 71).

Der von Gerhard G*** gegen diesen Widerrufsbeschluß erhobenen Beschwerde gab das Kreisgericht Wiener Neustadt mit Beschluß vom 26. April 1989, AZ 7 b Bl 130,131/89, formell teilweise Folge, indem es aussprach, daß sich die widerrufene bedingte Entlassung nicht mehr auf die (gänzlich verbüßte) Freiheitsstrafe aus dem Verfahren AZ 12 a E Vr 35/87 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt beziehe. Im übrigen gelangte das Beschwerdegericht aber im Ergebnis mit Beziehung auf den zur Gänze der Verurteilung aus dem Verfahren AZ 12 a E Vr 1159/86 des Kreisgerichtes Wiener Neustadt zugerechneten Strafrest zu einer Bestätigung des Widerrufs der bedingten Entlassung aus der Freiheitsstrafe.

Rechtliche Beurteilung

Der Widerrufsbeschluß des Bezirksgerichtes Neunkirchen und die Beschwerdeentscheidung des Kreisgerichtes Wiener Neustadt ergingen ersichtlich ohne Prüfung der fristmäßigen Widerrufsvoraussetzungen (§ 56 StGB). Die bezügliche Problematik kann jedoch auf sich beruhen, weil die in Rede stehenden Beschlüsse gegen die Sperrwirkung (res iudicata) des Beschlusses des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 18.Oktober 1988, GZ BE 547/87-14, über die Endgültigkeit der zunächst bedingt erfolgten Entlassung verstoßen und primär schon deshalb mit dem Gesetz nicht im Einklang stehen. Beschlüsse, mit denen gemäß § 48 Abs. 3 StGB die bedingte Nachsicht des Strafrestes für endgültig erklärt wird, entfalten nämlich bereits eine Bindungswirkung, selbst bevor sie noch mit dem Entfall ihrer Anfechtbarkeit im Beschwerdeweg die in der Strafprozeßordnung nicht ausdrücklich geregelte, aber durch die Bestimmungen des XX.Hauptstückes dieses Gesetzes indirekt umschriebene materielle Rechtskraft erlangen. Nach Beschlußfassung über die Endgültigkeit einer bedingten Entlassung ist eine Abänderung dieser Entscheidung nur mehr im Rechtsmittelweg zulässig.

Außerhalb eines solchen Rechtsmittelverfahrens bzw. nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses ist weder das erkennende, noch ein anderes Gericht befugt, die betreffende bedingte Entlassung zu widerrufen. Eine derartige Beseitigung des rechtswirksamen Ausspruchs über die Endgültigkeit der Entlassung ist unzulässig (EvBl. 1989/64; SSt. 56/18; 12 Os 60/89).

Auf Grund der von der Generalprokuratur zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde waren daher die aus den dargelegten Erwägungen (zum Nachteil des Verurteilten) gesetzwidrigen Beschlüsse des Bezirksgerichtes Neunkirchen und des Kreisgerichtes Wiener Neustadt aufzuheben. Der die Rechtskraft der endgültigen Entlassung vernachlässigende Widerrufsantrag des öffentlichen Anklägers war abzuweisen.

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