OGH 13Os65/89

OGH13Os65/8917.8.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 17.August 1989 durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Harbich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hörburger (Berichterstatter), Dr. Felzmann, Dr. Kuch und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Vondrak als Schriftführerin in der Strafsache gegen Martin A*** wegen des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Geschwornengerichts in Jugendstrafsachen beim Kreisgericht Steyr vom 25.April 1989, GZ 10 Vr 432/88-46, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalts Dr. Presslauer, und des Verteidigers Dr. Heigl, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.

Der Berufung wird nicht Folge gegeben.

Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem auf dem Wahrspruch der Geschwornen beruhenden Urteil wurde der am 25.Jänner 1970 geborene Fleischhauergeselle Martin A*** des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB und des Verbrechens der Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen nach §§ 83 Abs 1, 84 Abs 1 und 2 Z. 1, 85 Z. 1 und 3 StGB (2) schuldig erkannt. Darnach hat er am 31.Oktober 1988 in St.Ulrich

1. die Monika K*** durch sechzehn Stiche mit einem Fleischermesser (Klingenlänge 20 cm) gegen die Brust und den Rücken getötet;

2. den Ludwig K*** durch Versetzen eines Stiches mit einem Fleischermesser (Klingenlänge 20 cm) in den Unterbauch am Körper verletzt, wobei die Tat eine länger als 24 Tage dauernde Berufsunfähigkeit und Gesundheitsschädigung infolge einer Blasenöffnung zur Folge hatte, wobei er mit einem solchen Mittel und auf solche Weise gehandelt hat, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist und wobei die Tat für immer oder lange Zeit eine schwere Schädigung an der Fortpflanzungsfähigkeit sowie ein schweres Leiden, nämlich eine Beeinträchtigung der Harnentleerung, nach sich gezogen hat.

Rechtliche Beurteilung

Den Schuldspruch zu Punkt 1 bekämpft der Angeklagte mit einer auf Z. 5 (sachlich Z. 6: SSt. 32/77 u.a.) des § 345 Abs 1 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde. Damit macht er geltend, daß auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen Dr. J*** eine vom Verteidiger beantragte Eventualfrage nach Totschlag (§ 76 StGB) zu stellen gewesen wäre.

Die Rüge geht fehl.

Ausschließliche Voraussetzung (LSK. 1986/101) für die Stellung von Fragen nach §§ 313, 314 StPO ist, daß in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die, wenn sie als erwiesen angenommen werden, die Strafbarkeit ausschließen oder aufheben würden bzw. nach denen statt Vollendung nur Versuch oder statt der einen eine andere Beteiligungsform anzunehmen wäre oder nach denen die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat unter ein anderes Strafgesetz fiele (siehe Wortlaut der §§ 313, 314 StPO). Die allgemein gehaltene, nicht substantiierte Behauptung irgend eines Umstands genügt diesem Erfordernis nicht, weil die Fragestellung nicht dazu dient (siehe oben: "Tatsachen"), einen Wahrspruch über Mutmaßungen einzuholen (vgl. SSt. 44/29, LSK. 1976/324, 12 Os 127/63, 13 Os 161/86).

Ob in der Hauptverhandlung vorgebrachte Tatsachen in rechtlicher Beziehung geeignet sind, die dem Angeklagten zur Last gelegte Tat einem anderen, nicht strengeren als dem in der Anklageschrift angeführten Strafgesetz zu unterziehen und ob darnach eine Eventualfrage an die Geschwornen zu stellen ist (§ 314 Abs 1 StPO) ist vom Schwurgerichtshof zu beurteilen (§ 310 StPO). Geht es wie hier als Alternative zur Mordanklage um dem privilegierten Tatbestand des Totschlags (§ 76 StGB), der voraussetzt, daß sich der Täter zur vorsätzlichen Tötung eines anderen in einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung hinreißen läßt, dann hat der Schwurgerichtshof zu prüfen, ob in der Hauptverhandlung Tatsachen vorgebracht worden sind, die, wenn sie (von den Geschwornen) als erwiesen angenommen werden, den tiefgreifenden Affekt, in welchem sich der Angeklagte hinreißen ließ, allgemein begreiflich erscheinen ließen (Mayerhofer-Rieder StPO2 § 314 ENr. 38).

Die allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung des § 76 StGB ist in zwei Richtungen abzugrenzen: einerseits dahin, daß dieser Gemütszustand im Verhältnis zu seinem Anlaß jedermann verständlich ist, dh daß der Durchschnittsmensch sich vorstellen kann, auch er wäre in der Lage des Täters, genauer: in der psychischen Spannung, welcher der Täter ausgesetzt war, in eine solche Gemütsverfassung geraten; andererseits dahin, daß es darnach jedermann verständlich ist, daß diese Gemütsbewegung, ein dynamischer Vorgang, schließlich (sei es auch innerhalb kürzester Zeit) in eine Endphase mündete, in der sich der Täter zu einer vorsätzlichen Tötung hinreißen ließ. Damit ist nicht die vorsätzliche Tötung als solche, noch weniger deren im Einzelfall abstoßende oder grausame Ausführung, in die allgemeine Begreiflichkeit (in die Verständlichkeit für den Durchschnittsmenschen) einbezogen (EvBl 1982/80).

Der Schwurgerichtshof hat den Antrag auf Stellung der Eventualfrage mit Recht abgelehnt, weil die Annahme eines den angeführten Kriterien entsprechenden Gemütszustands des Angeklagten durch die in der Beschwerde relevierten Verfahrensergebnisse nicht indiziert waren (§ 314 StPO).

Der Verantwortung des Angeklagten in der Hauptverhandlung - worauf es gemäß § 313, 314 StPO ankommt - ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, daß er am 30.Oktober 1988 zum ersten Mal auf den Gedanken kam, Monika K*** zu töten; dies deshalb, weil das Mädchen über ihn und seine Eltern geschimpft hatte und von ihm nichts mehr wissen wollte, was darauf zurückzuführen war, daß der Beschwerdeführer das Mädchen zuvor geschlagen hatte (S. 431 f. und 434 f.); ferner, daß er am Tag der Tat, mit einem Messer bewaffnet, mit seinem Auto zum Tatort fuhr, sich im Keller des Wohnhauses der K*** etwa eine Stunde aufhielt (S. 436), dann in die Wohnung der Eltern des Mordopfers ging und dort Monika K*** durch Messerstiche tötete (S. 437). Er hat dazu angegeben, daß ihm der Entschluß, das Mädchen zu töten, langsam gekommen sei; den endgültigen Tötungsvorsatz habe er gefaßt, als er zur Wohnung gegangen sei (S. 439, 446). An anderer Stelle gab er an, daß er diesen Vorsatz am Morgen des Tattages gefaßt habe (S. 443). Als Motiv gab er Eifersucht und den Umstand an, daß er Angst gehabt habe, das Mädchen werde einen anderen finden; auch um die sexuellen Beziehungen zu ihr sei es ihm gegangen (S. 442). Diese Verantwortung schließt aber die Vorstellung aus, daß ein rechtstreuer Durchschnittsmensch in eine solche Gemütsbewegung geraten kann, auf welche § 76 StGB abstellt.

Das Gutachten des in der Hauptverhandlung beigezogenen Sachverständigen Dr. Klaus J*** ist zwar ein Beweisergebnis, keineswegs aber ein "Tatsachenvorbringen" im Sinn der §§ 313, 314 Abs 1, 316 StPO, weil der Gutachter auf Grund seines Sachverstands Schlüsse zieht. Das Gutachten allein kann daher nicht Grundlage für die Stellung von Zusatz- oder Eventualfragen sein (LSK. 1986/101; 13 Os 161/86). Auch bei Berücksichtigung der Bekundungen des Univ.Prof. Dr. J*** im Zusammenhang mit der Beurteilung der Verantwortung des Beschwerdeführers kann von einer allgemeinen Begreiflichkeit des in der Beschwerde geltend gemachten Affekts keine Rede sein. Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten festgehalten, daß es sich zwar um einen "gemütsmäßigen Erregungszustand" handle, jedoch im Prinzip eine überlegte Tat vorliege; eine allgemein begreifliche heftige Gemütsbewegung schloß er ausdrücklich aus (S. 363). Er hat sein Gutachten in der Hauptverhandlung zwar dahin ergänzt, daß diese Stiche "erfahrungsgemäß für eine Affektentladung sprechen" (S. 463) und daß das "Bild für eine Affekttat" (S. 466) spräche, daß ein "Aufstauen der Affekte" gegeben sei (S. 464) und daß beim Angeklagten eine Zwischenform einer normalen Eifersucht und einer gesteigerten neurotischen Eifersucht vorliege (S. 465). Diesem ergänzten Gutachten ist jedoch nicht zu entnehmen, daß der Sachverständige von seiner Ansicht im schriftlichen Gutachten abgerückt ist, auf das er sich einleitend bezogen hat (S. 461).

Soweit die Beschwerde aus dem Geschehensablauf allein und weitgehend unabhängig von der oben wiedergegebenen Verantwortung des Angeklagten spekulativ die Schlußfolgerung gezogen haben will, daß der Beschwerdeführer in einer dem § 76 StGB entsprechenden Gemütsbewegung gehandelt habe, erschöpft sie sich in Mutmaßungen; dies genügt jedoch - wie oben dargestellt - für eine Fragestellung nicht. Da der Schwurgerichtshof somit die Stellung einer auf Totschlag abzielenden Eventualfrage zutreffend abgelehnt hat, sind gesetzliche Vorschriften über die Fragestellung nicht verletzt worden.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher zu verwerfen.

Das Geschwornengericht verurteilte den Angeklagten nach §§ 28, 75 StGB unter Bedachtnahme auf § 5 Z. 2 lit a JGG 1988 zu dreizehn Jahren Freiheitsstrafe. Dabei wertete es als erschwerend das Zusammentreffen von zwei strafbaren Handlungen verschiedener Art sowie den Umstand, daß das Verbrechen der schweren Körperverletzung in zweifacher Hinsicht schwere Dauerfolgen nach sich gezogen hat; hingegen als mildernd das umfassende Geständnis und den bisher ordentlichen Lebenswandel.

Der Angeklagte vermag in seiner Berufung nichts aufzuzeigen, was eine Herabsetzung der Strafe rechtfertigen könnte; daß er sich gegenüber dem Vater des Mordopfers grundsätzlich bereit erklärt hat, den Schaden gutzumachen, bildet keinen Milderungsgrund (LSK. 1978/276).

Diese - einer "Liquidierung" gleichkommende - Tatbegehung gegenüber einem jungen Mädchen, das nach einer Mißhandlung durch den Angeklagten die Beziehungen zu ihm abbrechen wollte, und die brutale Vorgangsweise gegenüber dessen Vater weisen auf eine gegenüber den rechtlich geschützten Werten negative Einstellung und damit auf einen hohen Verschuldensgrad hin. Auf der Basis der vom Geschwornengericht festgestellten Strafzumessungsgründe wird die über den Angeklagten verhängte Freiheitsstrafe sohin seiner tat- und persönlichkeitsbezogenen Schuld vollauf gerecht. Auch der Berufung war daher ein Erfolg zu versagen.

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