OGH 6Ob625/89

OGH6Ob625/8929.6.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schobel, Dr. Melber, Dr. Redl und Dr. Kellner als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Agnes H***, geboren am 26. April 1982 und Clara H***, geboren am 31. Dezember 1985, infolge des im Namen der beiden Minderjährigen vom Vater Rudolf H***, kaufmännischer Angestellter, unbekannten Aufenthaltes, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger, Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, eingebrachten Revisionsrekurses gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 26. April 1989, GZ 43 R 264/89-28, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien vom 8. März 1989, GZ 4 P 498/88-22, bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung

Die Ehe der Eltern der beiden Minderjährigen ist aufrecht, ein Scheidungsverfahren ist anhängig. Die eheliche Gemeinschaft ist seit Oktober 1988 aufgehoben. Die Mutter hat damals die Wohnung zusammen mit den beiden Minderjährigen verlassen und wohnte bei ihren Eltern. Einvernehmlich wurden die Kinder dem Vater jeweils am Wochenende übergeben. Am 26. November 1988 brachte der Vater die Kinder nicht mehr zurück, sondern übernahm sie in seinen Haushalt. Er stellte den Antrag, ihm die elterlichen Rechte zuzuweisen, und führte aus, er sei zur Pflege und Erziehung der Kinder besser geeignet, die Mutter wolle sich selbst verwirklichen, wobei ihr die Kinder im Wege stünden. Die Kinder seien von der Mutter vernachlässigt worden und seien glücklich, wieder in der gewohnten Umgebung zu sein. Die Mutter beantragte, die elterlichen Rechte ihr zu übertragen. Sie brachte vor, der Vater habe die Kinder nicht mehr in den Kindergarten und in die Schule geschickt, er verhindere den Kontakt der Mutter zu den Kindern. Am 13. Dezember 1988 brachte die Mutter ergänzend vor, der Vater sei seit 7. Dezember 1988 "mit den Kindern verschwunden". Er habe sich telefonisch bei seinen Eltern gemeldet. Die Mutter habe eine Abhängigkeitsanzeige hinsichtlich aller Drei beim Bezirkspolizeikommissariat Innere Stadt Wien erstattet. Der Vater nahm über einen Freund der Familie telefonisch Kontakt auf. Er teilte diesem mit, daß er nur zurückkomme, wenn die Mutter wieder mit ihm zusammenlebe. In der Folge kam es zu einem Telefonat zwischen den Eltern der Minderjährigen, in welchem der Vater der Mutter mitteilte, daß er sich in Lateinamerika aufhalte. Den Aufenthaltsort gab er nicht bekannt. In einem Anruf vom 17. Jänner 1989 beim Erstgericht bestätigte der Vater, daß er sich mit den Kindern im Ausland aufhalte. Er erklärte, es gehe den Kindern gut, den Aufenthaltsort gab er nicht bekannt. Mit einstweiliger Verfügung vom 21. Dezember 1988 teilte das Erstgericht die Elternrechte vorläufig der Mutter zu. Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung.

Mit Beschluß vom 8. März 1989 teilte das Erstgericht die Elternrechte hinsichtlich beider Kinder der Mutter zu, der Antrag des Vaters auf Zuweisung der elterlichen Rechte wurde abgewiesen. Das Erstgericht führte im wesentlichen aus, der Vater sei unbekannten Aufenthaltes und habe jeden Kontakt zwischen der Mutter und den Kindern unterbunden, obwohl die Mutter die Kinder bis zum 26. November 1988 überwiegend betreut habe. Der Vater versuche die Kinder als Druckmittel für die Scheidungsklage bzw für das weitere Verhalten der Frau zu benützen. Darüber hinaus seien die Kinder aus der gewohnten Umgebung herausgerissen und in einen fremden Kultur- und Sprachkreis gebracht worden. Es sei unverantwortlich, der dreijährigen Clara, für die die Mutter zweifellos die Hauptbezugsperson sei, die Mutter seit drei Monaten vorzuenthalten. Schwere psychische Irritationen seien zu befürchten. Die minderjährige Agnes sei schulpflichtig, der Abschluß dieses Schuljahres sei in Frage gestellt. Auch im Hinblick auf die weitere schulische Entwicklung des Kindes zeige die Vorgangsweise des Vaters dessen Verantwortungslosigkeit. Eine Vernachlässigung der Kinder durch die Mutter ergebe sich aus dem Akteninhalt nicht. Die Mutter habe vielmehr zahlreiche schriftliche Bestätigungen von Freunden vorgelegt, wonach sie die Kinder gut betreue.

Das Rekursgericht gab dem gegen diesen Beschluß gerichteten Rekurs nicht Folge. Es führte aus, mit Rücksicht darauf, daß sich der Vater mit den Kindern im Ausland befinde und sich weigere, den Aufenthaltsort bekannt zu geben, gingen sämtliche Rekursbehauptungen darüber, die Kinder seien beim Vater bestens versorgt, besuchten eine fremdsprachige Schule und würden vom Vater in der deutschen Sprache privat unterrichtet etc, als nicht überprüfbar ins Leere. Die im Rekurs behandelte Frage der Qualifikation von schriftlichen Eingaben dritter Personen über die Erziehungstauglichkeit der Mutter trete in den Hintergrund. Selbst wenn diese Schreiben vernachlässigt würden, spräche dies nicht für eine Zuteilung der Elternrechte an den Vater. Es sei nicht ersichtlich, warum das Erstgericht den Angaben der Mutter nicht hätte Glauben schenken sollen. Wesentlich sei, daß sich der Vater seit mehreren Monaten im Ausland aufhalte, seinen Aufenthalt nicht bekannt gebe und daher jeglichen Kontakt der Kinder zu ihrer Mutter unterbinde, obwohl die Mutter die Kinder bis Ende November 1988 überwiegend betreut habe. Der Verdacht, die Kinder würden vom Vater als Druckmittel für die Scheidungsklage benützt, habe sich durch den weiteren Zeitablauf verdichtet. Der Begründung des Erstgerichtes, es sei unverantwortlich, die Kinder der Mutter seit Monaten vorzuenthalten, werde beigetreten. Es ergebe sich ein derartiger Mangel des väterlichen Verantwortungsgefühls, daß das Wohl der Kinder nur durch die vom Erstgericht getroffene Entscheidung gewahrt werden könne.

Rechtliche Beurteilung

Da das Rekursgericht den Beschluß des Erstgerichtes bestätigte, wäre ein Revisionsrekurs gemäß § 16 Abs 1 AußStrG nur im Falle einer offenbaren Gesetz- oder Aktenwidrigkeit der Entscheidung oder einer begangenen Nullität zulässig. Ein auf offenbare Gesetzwidrigkeit gestützter Revisionsrekurs wurde auch erhoben. Als Rekurswerber scheinen die beiden Minderjährigen, vertreten durch ihren Vater, dieser vertreten durch zwei Rechtsanwälte, auf. Darauf, ob der Vater bei der gegebenen Sachlage berechtigt wäre, namens der Kinder ein Rechtsmittel zu erheben, bzw ob er auch selbst Rechtsmittelwerber sein wollte - in diesem Sinne faßte das Rekursgericht den ebenfalls im Namen der Minderjährigen erhobenen Rekurs auf -, braucht nicht eingegangen zu werden, denn der Rekurs ist auf alle Fälle zurückzuweisen, weil keiner der im § 16 Abs 1 AußStrG angeführten Gründe vorliegt.

Da eine offenbare Gesetzwidrigkeit nur Verstöße gegen materiellrechtliche Vorschriften, nicht aber verfahrensrechtliche Unrichtigkeiten betreffen kann (EFSlg. 44.644, 49.936 uva), könnte die Berücksichtigung von schriftlichen Bestätigungen dritter Personen über das Verhalten der Mutter diesen Anfechtungsgrund nicht darstellen. Es liegt aber auch keine Nullität vor, weil im Verfahren außer Streitsachen der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht gilt (EFSlg. 49.665 uva). Überdies sei darauf hingewiesen, daß das Rekursgericht den schriftlichen Bestätigungen ohnedies keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat.

Soweit im Revisionsrekurs gerügt wird, daß der Mutter Glauben geschenkt wurde, handelt es sich um eine unzulässige Bekämpfung der Beweiswürdigung (EFSlg. 55.630 uva).

Den Ausführungen, durch die Entscheidung würde ein Wechsel der Bezugsperson herbeigeführt, ist zu erwidern, daß der Vater die Kinder rechtsmißbräuchlich an sich brachte. Dies muß zwar nicht grundsätzlich dazu führen, daß dem anderen Teil die Elternrechte zuerkannt werden, doch können aus dem rechtswidrigen Verhalten eine Elternteiles Schlüsse auf seine mangelnde Eignung als Erzieher gezogen werden (7 Ob 619/87).

Auch mit den Ausführungen, daß die Berührung mit einem fremden Kulturkreis und das Erlernen einer fremden Sprache für die Kinder förderlich sei, wird keine offenbare Gesetzwidrigkeit aufgezeigt. Nicht zielführend sind schließlich die Ausführungen, beim Vater bestehe eine liebevolle und wohlbehütete Atmosphäre, in welcher sich die Kinder ruhig fortentwickeln könnten. Im Hinblick auf die Weigerung des Vaters, den Aufenthaltsort bekannt zu geben, handelt es sich hiebei nämlich um eine unbewiesen gebliebene Behauptung. Aus diesen Gründen war der Revisionsrekurs zurückzuweisen.

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