Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Urteile der Vorinstanzen, die hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 12. bis 31.12.1986 unberührt bleiben, werden im übrigen aufgehoben.
Insoweit wird die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen. Die Kosten der Berufung und der Revisionsbeantwortung des Klägers sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung
Mit Bescheid vom 15.9.1987 lehnte die beklagte Partei den Antrag des (von einem nach § 273 Abs 3 Z 3 ABGB mit der Besorgung aller Angelegenheiten betrauten Sachwalter vertretenen) Klägers vom 12.12.1986 auf Hilflosenzuschuß (zur seit 1.1.1987 zuerkannten Invaliditätspension) mangels Hilflosigkeit ab.
Die rechtzeitige Klage stützt sich darauf, daß der voll entmündigt gewesene, hochgradig schwachsinnige, im Landessonderkrankenhaus für Psychiatrie und Neurologie in Graz angehaltene Kläger auf sich allein gestellt der Verwahrlosung preisgegeben wäre, weil er vor allem die genaue Geldeinteilung, das Einkaufen und Verarbeiten der Lebensmittel und das Beheizen eines Ofens nicht allein vornehmen könne. Das Klagebegehren richtet sich auf Zahlung eines Hilflosenzuschusses ab Antragstellung. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage und wendete ein, daß der Kläger nicht derart hilflos sei, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedürfe.
Das Erstgericht wies die Klage ab.
Nach den wesentlichen Feststellungen steht der (am 4.4.1933 geborene) Kläger seit 1978 in Behandlung des Landessonderkrankenhauses für Psychiatrie und Neurologie in Graz, in das er vom Landesgericht für Strafsachen Graz gemäß § 21 Abs 1 StGB eingewiesen wurde. Mit seiner Entlassung ist in absehbarer Zeit nicht zu rechnen. Neben einer intellektuellen Abschwächung auf der Stufe der Debilität stehen die Zeichen einer Persönlichkeitsstörung mit eingeschränkter Urteils- und Kritikfähigkeit im Vordergrund. Aus der Anamnese sind abnorme Reaktionen und pyromane Handlungen abzuleiten. Zu deren weitgehenden Unterdrückung bedarf er einer ständigen Neuroleptika-Behandlung, hinsichtlich deren Notwendigkeit bei ihm eine Kritik- und Urteilsschwäche besteht. Deshalb benötigt er in dieser Hinsicht ständig eine Hilfsperson, die insbesondere die regelmäßige Medikamenteneinnahme zu überwachen hat, bei deren Unterbleiben mit einer Verschlechterung seines psychischen Zustandes zu rechnen ist und abnorme Reaktionen und Handlungen nicht ausgeschlossen werden können. Im erwähnten Landessonderkrankenhaus wird der Kläger ständig überwacht. Dort ist die Medikamenteneinnahme garantiert.
Nach der Rechtsansicht des Erstgerichtes könne der Kläger nicht mehr selbst für die notwendige Medikamenteneinnahme sorgen und wäre daher ohne Hilfskraft dem Verkommen ausgesetzt. Weil er sich jedoch schon seit 1978 in einer geschlossenen Anstalt befinde und dort ständig beaufsichtigt und versorgt werde, werde der Hilflosenzuschuß zur Abdeckung (der Kosten) einer Hilfskraft nicht benötigt. Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung des Klägers (teilweise) Folge und änderte das angefochtene Urteil dahin ab, daß es den Anspruch des Klägers auf einen Hilflosenzuschuß zur Invaliditätspension gegenüber der beklagten Partei ab 1.1.1987 dem Grunde nach als zu Recht bestehend erkannte, das Mehrbegehren auf einen Hilflosenzuschuß für die Zeit vom 12. bis 31.12.1986 abwies und der beklagten Partei auftrug, dem Kläger ab 22.3.1988 bis zur Erlassung des die Höhe dieser Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von 3.000 S monatlich zu erbringen, und zwar die bereits fällig gewordenen Beträge binnen 14 Tagen nach Zustellung der Berufungsentscheidung, die künftig fällig werdenden Beträge im vorhinein am Ersten eines jeden Monates. Weil das Berufungsgericht irrtümlich annahm, daß der Kläger zur Gänze unterlegen wäre, legte es der beklagten Partei den Ersatz der Kosten der von einem Rechtsanwalt zur Verfahrenshilfe verfaßten Berufung unter Hinweis auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG nicht auf.
Die rechtliche Beurteilung des Berufungsgerichtes beschränkt sich darauf, es könne davon ausgegangen werden, daß der Kläger der ständigen Wartung und Hilfe bedürfe und daß die für fremde Hilfe erforderlichen Kosten die Höhe des Hilflosenzuschusses bei weitem überstiegen. Das im § 105a Abs 3 ASVG vorgesehene Ruhen des Hilflosenzuschusses ab dem Beginn der fünften Woche der von einem Träger der Sozialversicherung getragenen Pflege in einer Kranken-, Heil- oder Siechenanstalt trete hier nicht ein, weil für der Dauer der Anhaltung der Bund die Pflegegebühren trage. Schon deshalb bestehe kein Grund zur Versagung des Hilflosenzuschusses. Da der Kläger auf Kosten des Bundes im Landessonderkrankenhaus nach § 21 Abs 1 StGB angehalten werde, gehe der Anspruch auf Invaliditätspension einschließlich des Hilflosenzuschusses für die Zeit dieser Pflege bis zur Höhe der Verpflegskosten, höchstens jedoch bis zu 80 vH auf den Bund über (§ 324 Abs 4 iVm Abs 3 ASVG). Gegen den der Klage stattgebenden Teil des Berufungsurteils richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im Sinn einer (gänzlichen) Abweisung der Klage abzuändern oder es zwecks Verhandlung und Entscheidung durch eine Vorinstanz aufzuheben.
Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Nach stRspr des erkennenden Senates (SSV-NF 1/46, SSV-NF 2/44 uva) kann ein Bedürfnis nach ständiger Wartung und Hilfe nur angenommen werden, wenn die für die lebensnotwendigen Dienstleistungen, die etwa in SSV-NF 1/46 beispielsweise aufgezählt sind, üblicherweise aufzuwendenden, überschlagsmäßig festzustellenden Kosten im Monatsdurchschnitt mindestens so hoch sind wie der begehrte Hilflosenzuschuß.
Ein Vollrenten- oder Pensionsbezieher, der zwar körperlich in der Lage wäre, diese lebensnotwendigen Verrichtungen auszuführen, aber wegen seines psychischen Zustandes, zB wegen Kritik- und Antriebslosigkeit, dazu in einem Maß angehalten und/oder überwacht werden muß, daß die dafür üblicherweise aufzuwendenden Kosten die Höhe des Hilflosenzuschusses erreichen, ist hilflos iS des § 105a ASVG. Dies wurde vom erkennenden Senat in einem Fall ausgesprochen, in dem die Pensionistin so antriebslos war, daß sie zwar nicht rund um die Uhr, aber für die Überwachung der täglich dreimal nötigen Medikamenteneinnahme und zur Anleitung bei der Körperpflege und bei den Hausarbeiten einer Pflege(Aufsichts)person bedurfte (SSV-NF 2/32). Daß die Kosten dieser ständigen Wartung damals wahrscheinlich deshalb geringer waren als der begehrten Hilflosenzuschuß, weil es sich bei den Pflegepersonen um die Eltern der Pensionistin handelte, die für ihre Pflegeleistungen wahrscheinlich weniger oder gar nichts verlangten, änderte nach der zit E nichts daran, daß die Hilflosigkeit das im § 105a ASVG umschriebene Ausmaß erreichte. Daß Angehörige zur Betreuung vorhanden sind, ist nämlich für den Anspruch auf einen Hilflosenzuschuß ohne rechtliche Bedeutung (zB SSV-NF 1/46 mwN). Die Pflege in einer Krankenanstalt, Heilanstalt oder Siechenanstalt ist für den Hilflosenzuschuß insoweit von Bedeutung, als er nach § 105a Abs 3 ASVG ab dem Beginn der fünften Woche dieser Pflege ruht, wenn ein Träger der Sozialversicherung die Kosten der Pflege trägt.
Wird ein Renten(Pensions)berechtigter auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einem Alters(Siechen)heim oder Fürsorgeerziehungsheim, einer Heil- und Pflegeanstalt für Nerven- und Geisteskranke, einer Trinkerheilstätte oder einer ähnlichen Einrichtung bzw außerhalb einer dieser Einrichtungen im Rahmen eines Familienverbandes oder auf einer von einem Träger der öffentlichen Wohlfahrtspflege oder von einer kirchlichen oder anderen karitativen Vereinigung geführten Pflegestelle verpflegt, so geht für die Zeit dieser Pflege der Anspruch auf Rente bzw Pension (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) bis zur Höhe der Verpflegskosten, höchstens jedoch bis zu 80 vH,..., auf den Träger der Sozialhilfe über; das gleiche gilt in Fällen, in denen ein Renten(Pensions)berechtigter auf Kosten eines Landes im Rahmen der Behindertenhilfe in einer der genannten Pflegestellen untergebracht wird, mit der Maßgabe, daß der vom Anspruchsübergang erfaßte Teil der Rente (Pension) auf das jeweilige Land übergeht. ... Wenn und soweit die Verpflegskosten durch den vom Anspruchsübergang erfaßten Betrag noch nicht gedeckt sind, geht auch ein allfälliger Anspruch auf Hilflosenzuschuß höchstens bis zu 80 vH auf den Träger der Sozialhilfe über....(§ 324 Abs 3 ASVG).
Dieser Absatz ist nach Abs 4 der zit Gesetzesstelle in den Fällen, in denen ein Renten(Pensions)berechtigter auf Kosten des Bundes in einer Anstalt für abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs 1 StGB untergebracht ist, mit der Maßgabe sinngemäß anzuwenden, daß der vom Anspruchsübergang erfaßte Betrag dem Bund gebührt. Diese Bestimmungen über das Ruhen des Hilflosenzuschusses und über den teilweisen Übergang eines allfälligen Anspruches auf Hilfslosenzuschuß auf den Träger der Sozialhilfe oder auf den Bund ändern jedoch nichts daran, daß der Hilflosenzuschuß nur dann gebührt, wenn der Bezieher einer Vollrente oder Pension derart hilflos ist, daß er ständig der Wartung und Hilfe bedarf. Dies ist unter Bedachtnahme auf die schon zit stRspr des erkennenden Senates zu beurteilen, kann aber aufgrund der bisherigen Feststellungen noch nicht verläßlich beurteilt werden.
Es fehlen nämlich eindeutige Feststellungen darüber, welche der dauernd wiederkehrenden lebensnotwendigen Verrichtungen der Kläger - wegen seines Gesundheitszustandes, nicht aber wegen seiner vom Strafgericht nach § 21 Abs 1 StGB verfügten, nach § 158 Abs 4 und § 167 a StVG durch Aufnahme und Anhaltung in einer öffentlichen Krankenanstalt für Geisteskranke vollzogenen Unterbringung - selbst durchführen könnte und zu welchen dieser Verrichtungen er wegen seines Gesundheitszustandes ständig der Wartung und Hilfe bedarf, die auch in der notwendigen Anleitung, Beaufsichtigung und Kontrolle hinsichtlich dieser Verrichtungen bestehen kann. Dabei dürfen jedoch nur solche Fremdleistungen berücksichtigt werden, bei deren Unterbleiben der Kläger in absehbarer Zeit verkommen oder sterben würde, nicht aber solche, die ausschließlich den Unterbringungszwecken des § 164 Abs 1 StVG dienen, also den Untergebrachten davon abzuhalten, unter dem Einfluß seiner geistigen oder seelischen Abartigkeit mit Strafe bedrohte Handlungen zu begehen und ihn soweit zu bessern, daß von ihm die Begehung solcher Handlungen nicht mehr zu erwarten ist, und ihm zu einer rechtschaffenen und den Erfordernissen des Gemeinschaftslebens angepaßten Lebenseinstellung zu verhelfen.
Nur wenn die Kosten der erstgenannten notwendigen Fremdleistungen, die nicht mit den nach § 167 a Abs 2 StVG vom Bund zu tragenden Pflegegebühren (§ 27 Abs 1 KAG) gleichgesetzt werden dürfen, sondern entsprechend der Qualifikation und des Zeitaufwandes der notwendigen Hilfsperson(en) zu ermitteln sind, die Höhe des begehrten Hilflosenzuschusses erreichen, wird dieser auch gebühren. Die Urteile der Vorinstanzen waren daher im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang mit Beschluß aufzuheben (§§ 496, 499, 510 Abs 1 und § 513 ZPO); insoweit war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen.
Der Vorbehalt der Entscheidung über den Ersatz der Kosten der Berufung und der Revisionsbeantwortung des Klägers beruhen auf § 52 Abs 1 ZPO.
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