OGH 8Ob525/89

OGH8Ob525/8931.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Edmund P***, Pensionist, 2763 Pernitz, Schulstraße 9, vertreten durch Dr. Otmar Franiek, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei S*** K*** P***-W*** Kommanditgesellschaft, 8010 Graz,

Theodor Körnerstraße 59, vertreten durch DDr. Walter Barfuß, DDr. Hellwig Torggler, Dr. Christian Hauer, Dr. Lothar Wiltschek, Dr. Guido Kucsko, Rechtsanwälte in Wien, wegen S 300.000,-- und Feststellung (S 30.000,--) infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 14. November 1988, GZ 4 b R 98/88-48, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Graz vom 29. Juni 1988, GZ 25 Cg 27/87-43, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Der Kläger ist schuldig, der beklagten Partei die mit S 12.364,20 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (einschließlich S 2.060,70 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger war am 22. September 1983 als Forstarbeiter gemeinsam mit einem Arbeitskollegen damit beschäftigt, gefällte Baumstämme über einen Forstweg zu schleifen. Die Stämme wurden mit einer von der beklagten Partei hergestellten und vom Dienstgeber des Klägers bei einem Zwischenhändler gekauften Schwachholzwürgekette (Type KV 82 DSR) und einem ebenfalls von der beklagten Partei hergestellten Seilgleitbügel (Type GB 100) am Seil einer auf einem Traktor montierten Seilwinde befestigt, wobei dem Kläger die Aufgabe zufiel, die Stämme anzuhängen und ihren Transport mit Traktor und Seilwinde zu beobachten. Als auf diese Weise ein 25 bis 30 m langer Fichtenstamm über eine Böschungskante auf den Forstweg hinaufgezogen wurde, riß die Würgekette, der plötzlich entspannte Baumstamm schnellte seitlich aus und traf den Kläger am Kopf. Der Kläger begehrte von der beklagten Kettenfabrik die Bezahlung eines Schmerzengeldes von S 300.000,-- und beantragte die Feststellung der Haftung der beklagten Partei für jeden zukünftigen Schaden aus dem Unfall. Er brachte dazu vor, daß die Würgekette wegen eines Konstruktions- oder Produktions(-material)fehlers bei einer geringeren als der Ö-norm-gemäß zumutbaren Belastung gerissen sei.

Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Sie wendete ein, daß der Unfall nicht durch einen Fehler der Würgekette, sondern durch einen Fehler der bei der Holzbringung beteiligten Personen verursacht worden sei; außerdem sei nach ihren, mit ihrem Abnehmer vereinbarten allgemeinen Geschäftsbedingungen eine Haftung für Fehler nur auf Fälle von Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit beschränkt; schließlich werde bei ihrer industriellen Kettenfertigung jedes Kettenglied geprüft und seien bei ihrer Betriebsorganisation Material- oder Produktionsfehler ausgeschlossen. Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es

traf - zusammengefaßt dargestellt - folgende Feststellungen:

Die beim Unfall gerissene Kette war bei der Firma S*** gekauft worden. Sie war noch ziemlich neu, sogar die Farbe war noch vorhanden. Die "Würgekette VK 82 DSR" hatte eine Stärke von 8,2 mm, eine maximale Zugkraft von 4500 kp und eine Bruchkraft von 9000 kp. Durch den Fertigungsablauf in der Kettenproduktion der beklagten Partei ist gewährleistet, daß keine Kette irrtümlich durchrutschen kann, ohne geprüft zu werden. Dabei wird jedes Kettenglied durch Streckung kalt verformt und seine Längenänderung gemessen. Fehlerhafte Glieder werden dadurch überbeansprucht, stärker als zulässig gedehnt oder überhaupt gebrochen, was zum Abschalten der Kettenfertigung führt. Durch diese Prüfmethode ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dafür vorgesorgt, daß kein schadhaftes Kettenglied die Fertigung verläßt und ausgeliefert wird. Es kann daher mit sehr großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, daß der Bruch des Kettengliedes nicht auf Grund eines Material- oder Fertigungsfehlers, sondern durch eine Belastung über das für die Kette zulässige Maß (Bruchkraft) aufgetreten ist.

Rechtlich war das Erstgericht der Ansicht, daß für die in Anspruch genommene Produkthaftung der Kläger die Mangelhaftigkeit des Produkts und deren Kausalität für den Schaden zu beweisen habe, der Hersteller jedoch i.S. des § 1298 ABGB seine Schuldlosigkeit bzw. die Einhaltung seiner Sorgfaltspflichten durch seine Dienstnehmer. Im vorliegenden Fall sei dem Kläger der von ihm zu leistende Nachweis nicht gelungen, hingegen der beklagten Partei der Entlastungsbeweis geglückt, sodaß das Klagebegehren abzuweisen gewesen sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, zusammen mit dem nicht in einem Geldbetrag bestehenden Teil den Betrag von S 300.000 übersteigt. Das Gericht zweiter Instanz vertrat die Auffassung, daß nach der hier zur Anwendung gelangenden Rechtslage vor Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes für Fehlerfolgeschäden bloß nach dem ABGB und damit nur für verschuldete Schäden gehaftet werde. Die von der Lehre und Rechtsprechung angenommenen Schutzpflichten des Erzeugers gegenüber dem Letztverbraucher verschafften diesem jedoch die Vorteile der Vertragshaftung des Erzeugers (Beweislastumkehr für den Nachweis des Verschuldens nach § 1298 ABGB und Gehilfenhaftung nach § 1313 a ABGB). Dem Erzeuger bleibe aber die Möglichkeit, die Verschuldensvermutung zu widerlegen und damit seine Haftung auszuschließen. Dieser Entlastungsbeweis des Inhalts, daß die beklagte Partei bei der Herstellung von Ketten wie der im vorliegenden Fall verwendeten nicht einmal leicht fahrlässig gehandelt hat, sei der beklagten Partei gelungen: Sie habe nach dem festgestellten Sachverhalt ihre Erzeugung von Ketten so organisiert, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kette mit einem fehlerhaften Glied die Fertigung verlassen und ausgeliefert werden konnte; daher träfe sie auch dann kein Verschulden, wenn dennoch im Bereich des nicht planbaren, verschwindend geringen Rests an Unsicherheit ein fehlerhaftes Stück die Fertigung verlassen habe bzw. ausgeliefert worden sein sollte. Damit fehle es an einer wesentlichen Anspruchsvoraussetzung, so daß weitere Haftungsfragen und damit zusammenhängende Verfahrensrügen des Klägers nicht mehr relevant seien. Das Erstgericht habe das Klagebegehren daher mit Recht abgewiesen.

Gegen die Entscheidung des Gerichtes zweiter Instanz richtet sich die Revision des Klägers aus den Anfechtungsgründen des § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit dem Antrag, das angefochtene Urteil abzuändern und dem Klagebegehren stattzugeben; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die beklagte Partei beantragt in der Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Unter dem Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des berufungsgerichtlichen Verfahrens rügt der Kläger eine Anzahl von angeblichen Verfahrensverstößen des Gerichtes zweiter Instanz. Der geltend gemachte Anfechtungsgrund ist jedoch - wie der Oberste Gerichtshof überprüfte - nicht gegeben (§ 510 Abs 3 ZPO). Den Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung führt der Kläger dahin aus, daß es "denkunmöglich sei", von der Annahme auszugehen, die beklagte Partei hätte ihre Erzeugung von Ketten so organisiert, daß mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine Kette mit einem fehlerhaften Glied die Fertigung verlassen und ausgeliefert werden könne. Die Würgekette sei gegenüber der Seilwinde ausreichend dimensioniert gewesen. Der Sachverständige habe sich mit der Materie nicht richtig befaßt und sei zu unrichtigen Schlüssen gekommen. Der beklagten Partei sei jedenfalls der sie treffende Entlastungsbeweis nicht gelungen. Diese Ausführungen sind nicht stichhältig.

Die Rechtsmeinung des Berufungsgerichtes, daß die Produzentenhaftung außerhalb des Bereiches der deliktischen Haftung im österreichischen Recht vor dem Inkrafttreten des Produkthaftungsgesetzes BGBl. 1988/99 auf der Grundlage der Lehre von den vertraglichen Schutzpflichten zugunsten Dritter zu lösen ist (Bydlinski in Klang2 IV/2, 180 ff; SZ 54/152 mwN), wird vom Revisionswerber nicht in Zweifel gezogen. Richtig ist, daß aus dem Vertrag des Erzeugers mit seinem ersten Abnehmer Schutzpflichten des Erzeugers gegenüber dem Letztabnehmer abgeleitet werden, sodaß auch die Haftung des Erzeugers gegenüber dem Letztabnehmer den §§ 1298 und 1313 a ABGB unterliegt. Vor dem Produkthaftungsgesetz 1988, das hier noch nicht zur Anwendung kommen kann, weil der zu beurteilende Sachverhalt vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes (1. Juli 1988) verwirklicht wurde, war die Rechtslage so, daß zwar nicht der Geschädigte das Verschulden des Herstellers zu beweisen, letzterer aber die Möglichkeit hatte, den Beweis der Schuldlosigkeit zu erbringen. Dem Geschädigten blieb also das Risiko, daß der Erzeuger die Verschuldensvermutung widerlegt. Das wurde besonders beim sogenannten "Ausreißer", also dem bei der industriellen Massenkonstruktion unvermeidbaren Fehler, als unbefriedigend empfunden (vgl. Fitz-Purtscheller-Reindl, Produkthaftung Rz 12 und 13 der Vorbemerkungen); dies ändert aber nichts daran, daß es zum Zeitpunkt des hier zu beurteilenden Sachverhaltes geltendes Recht war, dem Erzeuger die Möglichkeit des Freibeweises im oben dargelegten Sinn zu bieten. Diese Rechtslage durfte weder damals noch darf sie jetzt durch eine andere Gesetzesauslegung gedeutet werden, als sie in den bestehenden gesetzlichen Maßstäben verankert war (§ 7 ABGB - vgl. auch Bydlinski aaO, 181); das damals de lege ferenda aufgestellte Postulat (siehe Bydlinski aaO, 185; Posch, Produkthaftung und Schadenersatzreform, JBl 1980, 287 ua) einer strengeren Haftung des Erzeugers bzw. der differenzierteren Beurteilung gegebener Haftungsausschlüsse mündete zwar in § 8 des Produkthaftungsgesetzes 1988, hat aber auf die Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes noch keine Anwendung zu finden. Werden die Feststellungen der Vorinstanzen der Beurteilung dahin unterzogen, inwieweit die beklagte Partei ein Verschulden für das Reißen der Kette und damit für die Verletzung des Klägers zu verantworten hat, muß der Ansicht der Vorinstanzen zugestimmt werden, daß die auf Grund des Gutachtens des Sachverständigen und der vom Erstrichter selbst vorgenommenen Besichtigung der Fabrikationsanlage der beklagten Partei (vgl. AS 123, 185) getroffene Feststellung, wonach wegen der strengen Prüfungskontrolle mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist, daß kein schadhaftes Kettenglied die Fertigung verläßt, die Eignung als Befreiungsbeweis zukommt. Die beklagte Partei hatte ihre Erzeugung so organisiert, daß - mit Ausnahme eines nicht planbaren, verschwindend geringen Restes an Unsicherheit - kein fehlerhaftes Kettenglied das Werk verlassen konnte. Sie trifft zwar der strenge Haftungsmaßstab nach § 1299 ABGB, doch scheidet die Annahme ihres Verschuldens auf Grund der getroffenen Feststellungen gänzlich aus den hier zur Anwendung kommenden Erwägungen aus, weil von ihr nach der seinerzeitigen Gesetzeslage nicht mehr verlangt werden konnte, als jedes Kettenglied vor seiner Inverkehrsetzung auf das Sorgfältigste zu kontrollieren. Dies hat die beklagte Partei aber nach den getroffenen Feststellungen getan.

Mit Recht sind die Vorinstanzen daher auf weitere vom Kläger aufgeworfene Fragen nicht näher eingegangen, weil die wesentliche Haftungsvoraussetzung der beklagten Partei, ihr Verschulden, nach dem vorliegenden Sachverhaltsbild nicht gegeben war. Der Revision war somit der Erfolg zu versagen.

Der Ausspruch über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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