OGH 12Os153/88

OGH12Os153/8818.5.1989

Der Oberste Gerichtshof hat am 18.Mai 1989 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Müller als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Horak, Dr. Hörburger (Berichterstatter), Dr. Felzmann und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart der Rechtspraktikantin Mag. Ofner als Schriftführerin in der Strafsache gegen Atanas Georgiev P*** wegen Unterbringung in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher gemäß § 21 Abs. 1 StGB über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Betroffenen gegen das Urteil des Landesgerichtes für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1.September 1988, GZ 6 d Vr 7831/87-74, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Bassler, und des Verteidigers Dr. Herle, jedoch in Abwesenheit des Betroffenen, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Aus Anlaß der Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäß § 290 Abs. 1 StPO das angefochtene Urteil aufgehoben und gemäß § 288 Abs. 2 Z 3 StPO in der Sache selbst erkannt:

Der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Unterbringung des Atanas Georgiev P*** in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher nach § 21 Abs. 1 StGB, weil dieser am 21.Juli 1987 in Mödling Margarete S*** dadurch, daß er sie aus dem Fenster eines im ersten Stockwerk des Hauses Mödling, Neusiedlerstraße 37, gelegenen Zimmers stieß, eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versuchte, mithin eine mit einer ein Jahr übersteigenden Freiheitsstrafe bedrohte Tat begangen hat, die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB zuzurechnen gewesen wäre, wird abgewiesen.

Mit seinen Rechtsmitteln wird der Betroffene Atanas Georgiev P*** auf diese Entscheidung verwiesen.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Atanas Georgiev P*** gemäß § 21 Abs. 1 StGB in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen.

Rechtliche Beurteilung

Obwohl in dem gemäß § 430 Abs. 2 StPO ergehenden Urteil die dem Betroffenen zur Last liegende Anlaßtat bei sonstiger Nichtigkeit nach § 281 Abs. 1 Z 3 StPO im Urteilstenor zu bezeichnen ist (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 1 zu § 430 und Leukauf-Steininger Komm.2 § 21 Rz 17), hat es das Erstgericht unterlassen, im Spruch des Urteils anzuführen, welche Anlaßtat dem Betroffenen zur Last gelegt wird. Die solcherart unterlaufene Nichtigkeit wurde allerdings vom Beschwerdeführer nicht gerügt.

Nach dem Inhalt der Entscheidungsgründe erblickte das Schöffengericht - abweichend vom Antrag der Staatsanwaltschaft, in welchem dem Betroffenen angelastet worden war, er habe der Margarete S*** eine schwere Körperverletzung absichtlich zuzufügen versucht und demnach eine Tat begangen, die ihm, wäre er zurechnungsfähig gewesen, als das Verbrechen nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB zuzurechnen gewesen wäre (ON 59) - die dem Atanas Georgiev P*** zur Last liegende (Anlaß-)Tat im Vergehen der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB, indem es davon ausging, der Genannte habe Margarete S*** "auf eine solche Weise am Körper verletzt, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist" (S 413, 414).

Aus Anlaß der von Atanas Georgiev P*** gegen dieses Urteil ergriffenen Nichtigkeitsbeschwerde hat sich der Oberste Gerichtshof davon überzeugt, daß das angefochtene Urteil mit einer materiellrechtlichen Nichtigkeit gemäß § 281 Abs. 1 Z 11 StPO iVm § 433 Abs. 1 StPO behaftet ist, die sich als solche zum Nachteil des Betroffenen auswirkt und darum gemäß § 290 Abs. 1 StPO von Amts wegen wahrzunehmen war.

Nach den wesentlichen Urteilsfeststellungen zur Anlaßtat erfaßte P*** am 21.Juli 1987 in Mödling in einem im ersten Stock der Pension K*** gelegenen Zimmer die 65-jährige Margarete S*** zunächst am Hals, schlug ihr einen Holzstuhl "gegen den Kopf" und warf die Frau, die aufgrund dieses Schlages "zu Boden gegangen war", sodann aus dem etwa 4,6 m über dem Erdboden gelegenen Fenster. Margarete S*** erlitt eine Gehirnerschütterung, eine Rißquetschwunde über dem Scheitelbein, eine Rißquetschwunde am linken Unterschenkel sowie eine Prellung der Brustwirbelsäule, wobei die Heilungsdauer dieser Verletzungen zwar 3 Tage, nicht aber 24 Tage überschritten hat (S 412, 413). Davon ausgehend, daß die Tat auf eine solche Weise geschah, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, weil es keiner weiteren Erörterung bedürfe, daß der Sturz einer 65 Jahre alten Frau "aus einem Fenster mit dieser Höhe, wobei sie nur knapp die Steinplatten am Boden verfehlte, in der Regel eine Lebensgefahr herbeiführt" (S 413, 414), hielt das Erstgericht die Qualifikation des § 84 Abs. 2 Z 1 StGB für verwirklicht. Feststellungen darüber, mit welchem Vorsatz der Betroffene gehandelt hat, enthält das Urteil nicht, was offensichtlich darauf zurückzuführen ist, daß das Gericht das Erfordernis vorsätzlichen Handelns mit der Frage der Schuldfähigkeit vermengt (vgl. hiezu jedoch Mayerhofer-Rieder StGB3 ENr. 8 mit Anm.

sowie ENr. 9, jeweils zu § 21).

Die Urteilskonstatierungen zum Tathergang reichen schon in objektiver Hinsicht nicht aus, um die Tat dem § 84 Abs. 2 Z 1 StGB zu unterstellen. Denn für diese Qualifikation haftet, wer einen anderen mit einem solchen Mittel und auf eine solche Weise, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist, am Körper verletzt oder an der Gesundheit schädigt. Unabdingbare Voraussetzung für die Annahme der in Rede stehenden Deliktsqualifikation ist somit der Einsatz eines lebensgefährlichen Mittels und dessen Verwendung in lebensgefährlicher Weise; nur wenn beide Voraussetzungen kumulativ (arg "und") gegeben sind, kommt eine Tatbeurteilung nach § 84 Abs. 2 Z 1 StGB in Betracht (so schon SSt. 47/40 = EvBl. 1977/33 =

RZ 1976/109 = ÖJZ-LSK 1976/279; ebenso SSt. 48/41; SSt. 50/64 =

EvBl. 1980/79 sowie SSt. 50/26 = EvBl. 1979/222, zuletzt 14 Os 61/87

nv; Burgstaller WrK § 84 Rz 42 f; Foregger-Serini StGB MKK4 Anm. VI zu § 84; Kienapfel BT I2 § 84 Rz 60 f; Leukauf-Steininger Komm.2 § 84 Rz 9). Daraus folgt, daß die Qualifikation nicht nur dann nicht erfüllt ist, wenn ein abstrakt lebensgefährliches Mittel in einer nicht lebensgefährlichen Weise eingesetzt wird, sondern auch dann nicht, wenn eine konkret lebensgefährliche Begehungsweise ohne Verwendung eines abstrakt lebensgefährlichen Mittels erfolgt (so treffend Burgstaller aaO Rz 43 unter zutreffender Ablehnung der für die zuletzt angeführte Fallkonstellation angedeuteten abweichenden Meinung bei Kienapfel BT I1 Rz 352).

Als (abstrakt lebensgefährliche) Mittel kommen grundsätzlich nur (körperliche) Sachen in Betracht, die gegen das Tatopfer als Instrument einer Körperverletzung eingesetzt werden, mithin für einen solchen Einsatz geeignet sind (Burgstaller aaO Rz 44). Daß der Gesetzgeber in § 84 Abs. 2 Z 1 StGB anstelle des früher in § 155 a StG enthaltenen Begriffs "Werkzeug" den Begriff "Mittel" verwendet hat, ist lediglich darauf zurückzuführen, daß zB auch der Einsatz von Gift erfaßt werden sollte, der nach dem allgemeinen Sprachgebrauch durch den Ausdruck "Werkzeug" nicht erfaßt wäre (EBRV 1971, 215), was gleichermaßen auch für den Einsatz von Starkstrom gilt (abermals Burgstaller aaO Rz 44 aE; Kienapfel BT I2 § 84 Rz 61). Durch die Ersetzung des engeren Begriffs "Werkzeug" (worunter gemeiniglich ein Gerät, das jemand für seine Arbeit braucht, bzw. ein Gegenstand, mit dessen Hilfe etwas bearbeitet wird, verstanden wird; vgl. Duden, Bedeutungswörterbuch) durch den weiteren Begriff "Mittel" sollte somit nur sichergestellt werden, daß auch der Einsatz solcher Sachen, die nicht der Wortbedeutung "Werkzeug" entsprechen, aber als Instrument einer Körperverletzung einem solchen gleichwertig sind, von der in Rede stehenden Qualifikationsnorm erfaßt werden. Das bestätigen im übrigen auch die Bestimmungen der §§ 109 Abs. 3 Z 2 und 129 Z 4 StGB ("... eine Waffe oder ein anderes Mittel ...").

Nach dem Gesagten entspricht demnach weder die Anwendung bloßer Körperkraft (worauf die EB z ME 1964 ausdrücklich Bezug nehmen, indem ausgeführt wird, daß die Beschränkung auf die Fälle der Anwendung eines Werkzeugs oder anderen Mittels deshalb vorgenommen wird, "weil ein Angreifer, der bloß seine unmittelbaren Körperkräfte ins Spiel bringt, von vornherein minder gefährlich erscheint als jemand, der etwa zu einer Waffe oder zu Gift greift" !28 ) noch die bloße Ausnützung der Flieh- oder Schwerkraft (hier: das Fallenlassen eines Körpers aus einer Höhe von 4,6 m) dem Einsatz eines Mittels im Sinn des § 84 Abs. 2 Z 1 StGB.

Den eingangs wiedergegebenen Urteilsfeststellungen kann nicht entnommen werden, daß der Betroffene ein dem § 84 Abs. 2 Z 1 StGB entsprechendes (abstrakt lebensgefährliches) Mittel als Instrument der der Margarete S*** zugefügten Körperverletzung eingesetzt hat; mangelt es aber an einem solchen Einsatz, so scheidet eine Unterstellung der Tat unter die bezeichnete Qualifikationsnorm aus, sodaß sie nur als Vergehen der Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB zu beurteilen wäre, womit es aber an einer den rechtlichen Anforderungen genügenden Anlaßtat im Sinn des § 21 Abs. 1 StGB fehlte. Eine dennoch daran geknüpfte Anstaltsunterbringung ist nichtig (§ 281 Abs. 1 Z 11 iVm § 433 Abs. 1 StPO; vgl. RZ 1980/5).

Zwar wurde durch die Fällung des (nach dem oben Gesagten rechtsfehlerhaften) Einweisungserkenntnisses (formal) dem Begehren des öffentlichen Anklägers auf Anordnung der Unterbringung des Betroffenen in einer Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher entsprochen, worauf dessen Antrag letztlich abzielte. Dennoch wurde der öffentliche Ankläger durch die erreichte Sanktion (Anstaltseinweisung) allein nicht beschwerdefrei gestellt: kommt es doch entscheidend auch auf den im Urteilstenor dekretierten (und zu dekretierenden !) Tatvorwurf an (§§ 430 Abs. 2, 260 Abs. 1 Z 2 StPO; EvBl. 1978/209), der in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht verfehlt sein mag (EvBl. 1980/203 = LSK 1980/132). Dem öffentlichen Ankläger war dazu keineswegs die Möglichkeit genommen, das Urteil seinem Rechtsstandpunkt entsprechend, dem Betroffenen sei als Anlaßtat das Verbrechen der versuchten absichtlichen schweren Körperverletzung nach §§ 15, 87 Abs. 1 StGB zur Last zu legen, im Rechtsmittelverfahren zu bekämpfen. Mußte dem Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft doch die mündliche Verkündung des erkennbar inhaltlich nicht antragskonformen Urteils vor Augen führen, daß bei Fällung des Einweisungserkenntnisses allenfalls eine mit Nichtigkeit bedrohte, letztlich für die Zulässigkeit der Sanktion selbst entscheidende Gesetzesverletzung unterlaufen sein konnte. Dennoch hat er sogleich nach der Urteilsverkündung auf Rechtsmittel verzichtet (S 404) und damit eine zum Nachteil des Betroffenen mögliche Urteilsanfechtung aus der Hand gegeben.

Absatz 1 des § 290 StPO ordnet die strikte Beschränkung der zweitinstanzlichen Entscheidung auf die geltend gemachten Nichtigkeitsgründe an und gestattet eine Ausnahme davon nur, wenn das Strafgesetz zum Nachteil des Angeklagten (Betroffenen) unrichtig (§ 281 Abs. 1 Z 9 bis 11, !§ 430 Abs. 2 StPO) angewendet wurde. Das nötigt zu dem Umkehrschluß, daß eine zum Vorteil des Angeklagten (Betroffenen) ausgeschlagene materielle Nichtigkeit des Ersturteils ohne Relevierung durch den Ankläger in der zweitinstanzlichen Entscheidung nicht berücksichtigt, dort (oder nach Verfahrenserneuerung in einem zweiten Rechtsgang) eine in erster Instanz unterbliebene, den Angeklagten (Betroffenen) belastende rechtliche Unterstellung oder Qualifizierung der Tat nicht mehr nachgeholt werden darf (RZ 1989/36).

Da die hier durch den öffentlichen Ankläger unbekämpft gebliebenen, zum Nachteil des Betroffenen daher unkorrigierbaren tatsächlichen Urteilsfeststellungen keine Subsumtion unter § 84 Abs. 2 Z 1 StGB als Anlaßtat dulden, war der Einweisungsantrag des öffentlichen Anklägers (ON 59) mangels einer festgestellten und aus prozessualen Gründen auch nicht mehr feststellbaren tauglichen Anlaßtat (§ 21 Abs. 1 StGB) abzuweisen.

Der Betroffene war mit seinen Rechtsmitteln auf diese Entscheidung zu verweisen.

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