OGH 14Os61/87

OGH14Os61/8729.4.1987

Der Oberste Gerichtshof hat am 29.April 1987 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Faseth als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart des Richteramtsanwärters Dr. Cortella als Schriftführerin, in der Strafsache gegen Josef S*** wegen des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB und einer anderen strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten sowie die Berufung der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichtes Innsbruck als Schöffengericht vom 25. Februar 1987, GZ 22 Vr 4000/86-23, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Nichtigkeitsbeschwerde wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, welches im übrigen unberührt bleibt, im Ausspruch, die an Günther H*** begangene Körperverletzung sei mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen worden, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist und in der darauf beruhenden Beurteilung der (von Punkt I des Urteilssatzes erfaßten) Tat als schwere Körperverletzung nach § 84 Abs. 2 Z 1 StGB sowie im Strafausspruch aufgehoben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung im Umfang der Aufhebung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen. Mit ihren Berufungen werden der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf diese Entscheidung verwiesen. Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten auch die den erfolglos gebliebenen Teil seiner Nichtigkeitsbeschwerde betreffenden Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Text

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 17.Mai 1957 geborene Kraftfahrer Josef S*** (I.) des Vergehens der schweren Körperverletzung nach §§ 83 Abs. 1, 84 Abs. 2 Z 1 StGB und (II.) des Verbrechens der versuchten schweren Nötigung nach §§ 15, 105 Abs. 1, 106 Abs. 1 Z 1 StGB schuldig erkannt.

Darnach hat er am 23.November 1985 in St.Ulrich am Pillersee Günther H***

(zu I.) durch Versetzen mehrerer Stiche mit einem Messer gegen dessen Brust und Gesicht vorsätzlich am Körper (dem Grad nach leicht) verletzt ("Stichwunde an der rechten Stirnseite über der rechten Augenbraue, unterhalb des rechten äußeren Augenwinkels, unter der rechten Brustwarze, in der Herzgegend und im Hinterkopfbereich rechts"), wobei die Tat mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen worden ist, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist; und

(zu II.) nachdem er von ihm abgelassen hatte, durch die Äußerung: "Wenn du mich anzeigst, stech ich dich ganz ab", durch gefährliche Drohung mit dem Tod zur Unterlassung der Anzeigeerstattung zu nötigen versucht.

Rechtliche Beurteilung

Der auf § 281 Abs. 1 Z 5, 9 lit. a und 10 StPO gestützten Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten gegen diesen Schuldspruch - wobei jener wegen des Vergehens laut Punkt I des Urteilssatzes der Sache nach nur hinsichtlich der Qualifikation nach § 84 Abs. 2 Z 1 StGB bekämpft wird - kommt teilweise Berechtigung zu. Nicht stichhältig ist die Beschwerde, soweit sie in Ansehung des Schuldspruchs wegen (schwerer) Nötigung (Punkt II) im Rahmen der Mängelrüge (Z 5) unter dem Gesichtspunkt einer offenbar unzureichenden Begründung ins Treffen führt, das Schöffengericht habe die bezüglichen Feststellungen zwar unter Ablehnung der insoweit leugnenden Verantwortung des Angeklagten auf die für glaubwürdig erachtete Aussage des Zeugen H*** gestützt, jedoch "jegliche Begründung der besonderen Glaubwürdigkeit" dieses Zeugen unterlassen.

Dies trifft jedoch nicht zu, weil das Erstgericht die Richtigkeit der Angaben des genannten Zeugen (S 85, 136, 144) betreffend das Verletzungsdelikt aus einem sachlichen Argument ableitete (siehe hiezu S 155) und hinsichtlich des Verbrechens der schweren Nötigung zudem auf die "gegebene Situation" verwies, aus der heraus nach seinem Dafürhalten die Angabe des Zeugen, der Angeklagte habe die in Rede stehende Drohung geäußert - nämlich die Tatsache, daß er diese Äußerung machte, nachdem er von H***, dessen unmittelbar vorangegangene, von Punkt I des Urteilssatzes erfaßte Verletzung er in Ansehung des Grundtatbestandes (§ 83 Abs. 1 StGB) selbst in der Beschwerde nicht in Abrede stellt, "abgelassen hatte" - glaubwürdig ist (S 157). Hinzu kommt, daß sich die Umstände, auf denen die Beurteilung einer bestimmten Aussage als (völlig) glaubwürdig oder als nicht (vollkommen) glaubhaft beruht und die demgemäß dem Gericht entweder die Überzeugung vom Nachweis einer Tatsache vermittelten oder aber keine entsprechende Sicherheit verschafften, weder restlos analysieren noch erschöpfend in Worte fassen lassen, zumal die (jeweilige) Wertung einer Aussage weitgehend (auch) vom kaum rekonstruierbaren, noch weniger vollständig wiederzugebenden persönlichen Eindruck abhängt (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO 2 ENr. 5, 6 zu § 281 Z 5). Der Sache nach laufen die bezüglichen Ausführungen der Mängelrüge daher auf eine unzulässige Bekämpfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung hinaus und bringen den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund solcherart nicht zur gesetzmäßigen Darstellung.

Soweit der Beschwerdeführer aber - wenngleich verfehlt in der Rechtsrüge (Z 10) - in diesem Zusammenhang zum Ausdruck bringt, die in Rede stehende Urteilsbegründung stehe mit dem Grundsatz "in dubio pro reo" nicht im Einklang, genügt der Hinweis, daß dem österreichischen Strafprozeß jede Beweisregel fremd ist und demnach auch der zuvor bezeichnete Grundsatz keineswegs die Bedeutung einer "negativen" Beweisregel hat, der zufolge sich das Gericht bei Verfahrensergebnissen, die mehrere Deutungen und Schlußfolgerungen zulassen, grundsätzlich die für den Angeklagten günstigste der sich anbietenden Varianten zu eigen machen muß. Denn die Tatrichter haben darüber, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist, stets nach ihrer freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider den Angeklagten vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 258 Abs. 2 StPO), wobei sie sich jede Meinung bilden können, die den Denkgesetzen und der Lebenserfahrung nicht widerspricht (vgl. 9 Os 188/86, 9 Os 8,9/85, 11 Os 26/82 ua). Insoweit ist jedenfalls nicht erforderlich, daß Schlußfolgerungen aus (zweifelsfrei festgestellten) Prämissen zwingend sind; genug daran, daß sie den Denkgesetzen entsprechen (JBl. 1951/386 uva). Bei den im Rahmen sowohl der Rechtsrüge (Z 9 lit. a) als auch der (die Qualifikation nach § 106 Abs. 1 Z 1 StGB bekämpfenden) Subsumtionsrüge (Z 10) behaupteten Feststellungsmängeln zur subjektiven Tatseite übergeht die Beschwerde die ausdrückliche Urteilskonstatierung, daß es die "Absicht" des Angeklagten war, "durch diese Drohung, die als Todesdrohung aufgefaßt werden muß, Günther H*** zur Unterlassung der Anzeigeerstattung zu nötigen" (S 157). Damit hat das Erstgericht aber unmißverständlich seine Überzeugung zum Ausdruck gebracht, daß (auch) der in Rede stehende strafsatzerhöhende Umstand (Drohung mit dem Tod) sehr wohl vom Vorsatz des Angeklagten umfaßt gewesen ist.

Aber auch bei dem (hypothetischen) Einwand, Äußerungen der in Rede stehenden Art im Zuge tätlicher Auseinandersetzungen würden nicht mit jenem Bedacht und jener Ernstlichkeit ausgesprochen, welche einen entsprechenden Tatvorsatz belegen, sie könnten vielmehr auch als augenblicksbedingte oder milieubedingte Unmutsäußerung gesehen werden, entfernt sich die Beschwerde von den Urteilsfeststellungen, die den Tatablauf unter Einbeziehung der konkreten Umstände wiedergeben und mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck bringen, daß es sich bei der inkriminierten Äußerung nach Überzeugung der Tatrichter keineswegs um eine bloße (milieubedingte) Unmutsäußerung, sondern um eine durchaus ernstgemeinte Drohung - bei der es nicht darauf ankommt, ob der Bedrohte tatsächlich in Furcht und Unruhe versetzt wurde - gehandelt hat. Solcherart wird weder der geltend gemachte materiellrechtliche Nichtigkeitsgrund, dessen Vorliegen auch bei der Behauptung von Feststellungsmängel nur durch einen Vergleich des im Urteil tatsächlich als erwiesen angenommenen vollständigen Sachverhalts mit dem darauf angewendeten Strafgesetz dargetan werden kann, noch ein Begründungsmangel (Z 5) zu prozeßordnungsgemäßer Darstellung gebracht.

In diesem Umfang war demnach die Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur teils als offenbar unbegründet (§ 285 d Abs. 1 Z 2 StPO) und teils mangels prozeßordnungsgemäßer Ausführung (§§ 285 d Abs. 1 Z 1, 285 a Z 2 StPO) schon bei einer nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen.

Berechtigung kommt diesem Rechtsmittel jedoch insoweit zu, als zum Schuldspruckfaktum I die Qualifikation nach § 84 Abs. 2 Z 1 StGB bekämpft wird, der zufolge eine Körperverletzung (auch) dann als schwer zu beurteilen ist, wenn die Tat - mag auch die daraus resultierende Verletzung die Voraussetzungen des § 84 Abs. 1 StGB nicht erfüllen - mit einem solchen Mittel und auf solche Weise begangen worden ist, womit in der Regel Lebensgefahr verbunden ist. Zwar liegt der behauptete Begründungsmangel (Z 5) in Ansehung der Urteilskonstatierung, wonach der Angeklagte dem Zeugen H*** die eingangs bezeichneten Verletzungen mit einem Messer zugefügt hat, nicht vor. Findet doch diese Annahme nicht nur in der Aussage des Verletzten (vgl. S 83 f, 97 f, 136), sondern auch in der eigenen Verantwortung des Angeklagten eine ausreichende Stütze, der nicht nur im Vorverfahren (vgl. S 73, 120), wie dies die Beschwerde zum Ausdruck bringt, sondern auch in der Hauptverhandlung (vgl. S 143) zugegeben hat, "ein Taschenmesser, eine Art Jausenmesser" als Tatwerkzeug verwendet zu haben. Aus dieser Verantwortung konnten die Tatrichter - die insoweit nicht der Behauptung des Verletzten vor dem Untersuchungsrichter (vgl. S 98) folgten, wonach es sich um ein "Springmesser" gehandelt habe, dessen Klingenlänge vom medizinischen Sachverständigen (vgl. S 121, 137) sogar mit "ca. 20 cm" angegeben wurde - die Feststellung ableiten, daß es sich bei dem vom Angeklagten verwendeten Tatwerkzeug um ein "Jausenmesser in der (möglicherweise gemeint: Klingen-)Länge von 10 cm" gehandelt hat, welches an sich ein taugliches (abstrakt lebensgefährliches) Mittel im Sinn des § 84 Abs. 2 Z 1 StGB darstellen könnte. Zu Recht führt die Beschwerde jedoch ins Treffen, das Ersturteil lasse ausreichend begründete Feststellungen über die Art und Weise der Zufügung der von H*** erlittenen Verletzungen, insbesondere auch darüber vermissen, wie der Angeklagte das Messer bei der Tatbegehung gehalten und gegen (den wegen Körperverletzung nach § 83 Abs. 1 StGB abgesondert verfolgten) Günther H*** geführt hat. Für die Annahme der Qualifikation nach § 84 Abs. 2 Z 1 StGB genügt nämlich die Verwendung eines abstrakt lebensgefährlichen Mittels für sich allein noch nicht. Ein diesen Kriterien entsprechendes (im Urteil demnach näher zu beschreibendes) Mittel muß vielmehr auch konkret in lebensgefährdender Weise angewendet werden; beide Voraussetzungen müssen demnach kumulativ gegeben sein (vgl. SSt. 47/40, 48/41 ua; Leukauf-Steininger Kommentar 2 § 84 RN 9, 10).

Vorliegend wäre das Schöffengericht schon im Hinblick auf den Umstand, daß der Grad der wiewohl mehreren (nämlich fünf) Stichwunden (auch in ihrer Gesamtheit noch) als leicht gewertet werden mußte, jedenfalls gehalten gewesen, auch darüber abzusprechen, in welcher konkreten Situation mit welcher Zielrichtung und Intensität das Tatwerkzeug vom Angeklagten bei den jeweiligen Angriffshandlungen geführt wurde. Der substanzlose Gebrauch der verba legalia vermag dies jedenfalls nicht zu ersetzen. Zur Erörterung all dieser Umstände wäre das Erstgericht umso mehr verpflichtet gewesen, als der Verletzte Günther H*** am 23. November 1985 möglicherweise nur wegen seiner Alkoholbeeinträchtigung (vgl. S 121 b) im Bezirkskrankenhaus St.Johann in Tirol stationär aufgenommen wurde und das im Ersturteil als Grundlage (aus medizinischer Sicht) für die Beurteilung der Voraussetzungen der in Rede stehenden Qualifikation herangezogene Gutachten des amtsärztlichen Sachverständigen (vgl. S 121 f, 137) nur über die "Länge" der einzelnen Stichwunden, nicht aber über deren jeweilige Tiefe Aufschluß gibt (s. hiezu auch die Krankengeschichte S 121 a bis c).

Hinzu kommt, daß dem Ersturteil eindeutige Feststellungen zur subjektiven Tatseite gleichfalls nicht zu entnehmen sind. Insoweit muß der Täter im Fall des § 84 Abs. 2 Z 1 StGB neben dem Vorsatz, entweder am Körper zu verletzen oder an der Gesundheit zu schädigen oder am Körper zu mißhandeln (wobei bedingter Vorsatz genügt), außerdem gewußt oder es zumindest ernstlich für möglich gehalten und sich damit abgefunden haben, daß seine Tatausführung zufolge des angewendeten Mittels und der Art der Tatbegehung in der Regel Lebensgefahr bewirkt (vgl. Leukauf-Steininger aaO RN 19 und 22). Die bezüglichen Annahmen des Erstgerichts würden zwar nach ihrer Formulierung in der Urteilsbegründung: "Der Vorsatz des Angeklagten, einen Menschen schwer zu verletzen, ergibt sich aus seiner Handlungsweise." und "Das Zufügen von Stichwunden ... kann nur in der Absicht erfolgen, einen Menschen schwer verletzen zu wollen", bereits den subjektiven Tatbestand des Verbrechens der (versuchten) absichtlichen schweren Körperverletzung nach § 87 Abs. 1 StGB) erfüllen, sie werden allerdings den oben beschriebenen Vorsatzerfordernissen des § 84 Abs. 2 Z 1 StGB nicht gerecht. Die damit aufgezeigten, vom Beschwerdeführer zutreffend gerügten und entscheidungswesentlichen Begründungs- und Feststellungsmängel des Urteils machen im davon betroffenen Umfang eine Verfahrenserneuerung in erster Instanz unerläßlich, sodaß insoweit in Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde nach Anhörung der Generalprokuratur schon bei einer nichtöffentlichen Beratung wie im Spruch zu erkennen war (§ 285 e StPO), ohne daß es einer Erörterung des darauf bezogenen weiteren Beschwerdevorbringens bedurfte. Mit ihren Berufungen waren der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft auf die Aufhebung des Strafausspruchs zu verweisen.

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