OGH 1Ob565/89

OGH1Ob565/8926.4.1989

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert, Dr. Hofmann, Dr. Schlosser und Dr. Graf als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj. Rene M***, geboren am 17.Juni 1986, infolge von Revisionsrekursen der Bezirkshauptmannschaft Perg als Amtskurator und der Pflegeeltern Josef und Maria H***, Fleischhauermeister bzw. Stationsgehilfin, Rechberg 29, vertreten durch Dr. Maximilian Pollak, Rechtsanwalt in Linz, gegen den Beschluß des Landesgerichtes Linz als Rekursgerichtes vom 28. Februar 1989, GZ 18 R 64/89-132, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Perg vom 25.November 1988, GZ P 32/86-120, mit einer Maßgabe bestätigt wurde, folgenden

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Den beiden Revisionsrekursen wird teilweise Folge gegeben. Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, daß sie im Umfang des Punktes b) des erstinstanzlichen Beschlusses wie folgt zu lauten haben:

"Die Eltern sind berechtigt, von einem von ihnen festgesetzten Tag an das Kind für die Dauer von zwei Wochen in der Weise zu pflegen, daß sie sich in Rechberg aufhalten und das Kind von 9,00 bis 19,00 Uhr betreuen. Die Pflegeeltern sind von dem Termin von den Eltern mindestens drei Wochen vorher mittels eingeschriebenen Briefes zu verständigen."

Im übrigen Umfang werden die Revisionsrekurse zurückgewiesen.

Text

Begründung

Nachdem der Minderjährige bereits im Rahmen der freiwilligen Erziehungshilfe bei Pflegeeltern untergebracht worden war, ordnete das Erstgericht mit Beschluß vom 10.November 1987 die gerichtliche Erziehungshilfe durch Unterbringung des Kindes bei den bisherigen Pflegeeltern Josef und Maria H*** in Rechberg an und gewährte den Eltern des durch deren nachfolgende Eheschließung legitimierten Kindes ein Besuchsrecht.

Mit Beschluß vom 25.11.1988 dehnte das Erstgericht das bisher eingeräumte Besuchsrecht dahin aus, daß es den Eltern (unter Punkt b) zugestand, das Kind für die Dauer eines Monats von einem von ihnen festgesetzten Tag an wie folgt zu pflegen: Die Eltern sollten das Kind in Rechberg während der ersten beiden Wochen von 9 bis 19 Uhr und für die restliche Zeit des Monats zur Gänze auch über Nacht betreuen dürfen; tagsüber sollten die Eltern und die Pflegeeltern das Kind stundenweise noch gemeinsam betreuen. Die Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der gerichtlichen Erziehungshilfe behielt das Erstgericht einer weiteren Beschlußfassung vor. Das bisher gewährte Besuchsrecht habe sich als unzureichend herausgestellt; die nunmehr getroffene Regelung entspreche dem Kindeswohl und sei geeignet, den einer echten Eltern-Kind-Beziehung entsprechenden innigen Kontakt zu ermöglichen. Die nähere Regelung werde notfalls durch einstweilige Verfügung zu treffen sein. Auch ein Jugendpsychologe könne im Einverständnis der Beteiligten beigezogen werden; dessen Beiziehung könne bei Bedarf auch mittels einstweiliger Verfügung angeordnet werden. Der beabsichtigte Erfolg der Kontaktanbahnung durch die Ausweitung des persönlichen Verkehrs könne erst im nachhinein festgestellt werden. Das Gericht zweiter Instanz gab den von der Bezirkshauptmannschaft Perg als Amtskurator und den Pflegeeltern Josef und Maria H*** erhobenen Rekursen nicht Folge und bestätigte den erstinstanzlichen Beschluß mit der Maßgabe, daß dem Punkt b) der angefochtenen Entscheidung der Satz, die Pflegeeltern seien von den Eltern mit eingeschriebenem Brief mindestens drei Wochen vor dem festgesetzten Tag zu verständigen, angefügt werde. Es stellte fest, wenn auch die Mutter und die Schwester der Mutter gegen den Vater Vorwürfe wegen deren Mißhandlung durch ihn erhoben hätten, bestünden doch keine konkreten Anhaltspunkte dafür, daß die Eltern nicht geeignet wären, das Kind ausreichend zu pflegen und zu erziehen. Für dieses seien derzeit die Pflegeeltern primäre Bezugspersonen, die dessen Grundbedürfnis nach sozialer Absicherung und absoluter Geborgenheit erfüllten. Die sofortige Aufgabe dieser primären Bezugsgruppen führte zu einer psychischen Irritation und möglicherweise sogar zu neurotischen Verunsicherungen des Kindes. Auf eine Änderung der Pflegepersonen wirke sich die Beziehungsstörung zwischen Vater und Pflegemutter negativ, hingegen das Verständnis des Pflegevaters und die Bereitschaft der Mutter, ihr erstgeborenes Kind aufzunehmen, positiv aus. Die vom Vater vorgeschlagene und vom Erstgericht übernommene Art der Kontaktanbahnung in gewohnter Umgebung würde das Auftreten von Unsicherheitsgefühlen und Trennungsängsten minimieren, vor allem wenn auch die Pflegeeltern mit den für das Kind zunächst fremden Eltern intensiven Kontakt hielten und das Kind emotional auf den Wechsel einstellten. Schwierigkeiten könnten sich nur daraus ergeben, daß die Pflegemutter das Kind nur schwer "loslassen" könne. Rechtlich meinte das Rekursgericht, es bestünden zumindest derzeit keine Einwände gegen die Herstellung eines intensiven Kontaktes zwischen den Eltern und ihrem Kind in der vom Erstgericht vorgesehenen Art. Dem Vorbringen des Amtskurators, mit Rücksicht auf die Lebensverhältnisse der Eltern könne man die Rückführung des Kindes keineswegs bedenkenlos bejahen, sei entgegenzuhalten, daß die endgültige Entscheidung ohnedies erst nach kritischer Prüfung dieser Verhältnisse und nach dem Ergebnis der Kontaktanbahnung getroffen werden könnte. Auch die Unterbrechung der Besuchsrechtsausübung spreche angesichts der räumlichen Entfernung, eines Unfalls des Vaters und der Schwangerschaft der Mutter nicht eindeutig gegen die erstinstanzliche Regelung. Daß die Eltern das Besuchsrecht in letzter Zeit nicht unter intensiver Beschäftigung mit dem Kind ausgeübt hätten, erscheine damit erklärbar, daß im Hinblick auf die Dauer des bisher bewilligten Besuchsrechtes von jeweils nur drei Stunden eine solche intensive Beschäftigung geradezu ausgeschlossen gewesen sei; gerade auch deshalb habe das Erstgericht das Besuchsrecht entsprechend ausgedehnt. Der von den Pflegeeltern in ihrem Rekurs geforderten weiteren Beiziehung eines Psychologen vor seiner Beschlußfassung hätte es nicht bedurft, weil der vom Erstgericht vernommene Sachverständige ohnedies die Beiziehung eines Psychologen des Jugendamtes zur Begleitung der Kontaktanbahnung und der sich daran anschließenden Phase vorgeschlagen habe. Beachtlich sei der Einwand der Pflegeeltern, die gemeinsame Betreuung des Kindes bedürfe einer gewissen Terminplanung der Pflegeeltern. Es sei deshalb vorzusehen, daß die Eltern die Pflegeeltern rechtzeitig und nachweislich vom Beginn des intensiven Kontaktes verständigten, damit sich diese darauf zeitlich, psychologisch und zur Vorbereitung des Kindes einstellen könnten. Daß sich der Aufenthalt der Eltern in fremder Umgebung, etwa in einem Gasthaus, vollziehen müsse, sei eine Konzession der Eltern, denen damit ohnehin große Strapazen abverlangt würden. Die Kontaktanbahnung in Rechberg solle das Verbleiben des Kindes in der ihm bekannten Umgebung ermöglichen. Auch die behauptete Überforderung der Mutter durch Pflege dreier Kinder liege keineswegs auf der Hand. Das jüngste Kind müsse um den 15.11.1988 geboren sein, es wäre daher beim frühestmöglichen Beginn der Kontaktanbahnung bereits etwa fünf Monate alt, so daß es daher einer derart intensiven Zuwendung der Mutter wie in den ersten Lebensmonaten nicht mehr bedürfe. Abschließend sei festzuhalten, daß die endgültige Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Erziehungsmaßnahme nicht davon abhänge, ob die Pflegeeltern bereit seien, das Kind "loszulassen", und es keinesfalls in deren Belieben stehen könne, das ihnen zur Verhinderung einer Verwahrlosung übergebene Kind wieder herauszugeben.

Rechtliche Beurteilung

Die vom Amtskurator und von den Pflegeeltern erhobenen Revisionsrekurse sind teilweise berechtigt und im übrigen Umfang nicht zulässig.

Das Gericht zweiter Instanz hat die erstgerichtliche Entscheidung seinem Ausspruch nach zwar bestätigt, aber doch nur mit der "Maßnahme", daß es die Eltern zur Verständigung der Pflegeeltern mittels eingschriebenen Briefes binnen drei Wochen vom festgesetzten Tag an verpflichtete. Das Rekursgericht hat den erstinstanzlichen Beschluß in diesem Umfang nicht bestätigt, sondern inhaltlich ergänzt und damit abgeändert. Da aber das Jud.56 neu im Verfahren außer Streitsachen seit Inkrafttreten der Zivilverfahrens-Novelle 1983 nicht mehr analog anzuwenden ist und der bestätigende Teil der rekursgerichtlichen Entscheidung nur mit den Einschränkungen des § 16 Abs.1 AußStrG angefochten werden kann (EFSlg.52.736 ua), sind die Rechtsmittelwerber deshalb auf die dort genannten Anfechtungsgründe beschränkt, weil sie die rekursgerichtliche Entscheidung ihren Anfechtungsanträgen zufolge ausdrücklich nur insoweit bekämpfen, als das Gericht zweiter Instanz den erstgerichtlichen Beschluß in dessen Ausspruch b) (Übergabe des Kindes an die Eltern zwecks Kontaktanbahnung) bestätigte, auch wenn die Pflegeeltern, welchen an sich ein Rechtsmittelrecht nur insoweit zuzubilligen ist, als ihnen mit dem bekämpften Beschluß Aufträge erteilt wurden (SZ 25/185 uva), in ihren Rechtsmittelausführungen auch die vom Rekursgericht festgesetzte Frist als zu kurz bemängeln. Der Amtskurator beschränkt sich in seinem Revisionsrekurs auf den Hinweis, das derart ausgedehnte Recht der Eltern auf den persönlichen Verkehr mit ihrem Kind wahre nicht dessen Interessen. Die Pflegeeltern erblicken - soweit sie nicht in Überschreitung ihres Rekursrechtes Gesichtspunkte des Kindeswohls ins Treffen führen, die keiner sachlichen Erledigung zugeführt werden können - , in der vom Erstgericht angeordneten Kontaktanbahnung eine praxisfremde und deshalb nicht durchführbare Besuchsrechtsregelung. Welche tatsächlichen Umstände im Einzelfall Maßnahmen nach § 26 JWG rechtfertigen bzw. unter welchen Voraussetzungen solche Maßnahmen abgeändert oder aufgehoben werden dürfen, ist im Gesetz nicht näher geregelt. Welche Erziehungsmaßnahmen zu ergreifen sind, hat vielmehr das Gericht nach Prüfung der konkreten Umstände unter Bedachtnahme auf das Kindeswohl nach seinem Ermessen zu entscheiden. Die Behauptung des Amtskurators, die Entscheidung der Vorinstanzen über die Kontaktanbahnung zwischen den Eltern und ihren Kindern greife der Entscheidung über die Aufhebung der gerichtlichen Erziehungshilfe vor und sei deshalb keine die Kindesinteressen wahrende Maßnahme, reicht zur Darstellung des Anfechtungsgrundes der offenbaren Gesetzwidrigkeit nur dann aus, wenn der Rechtsmittelwerber dartut, daß das Rekursgericht die Entscheidung in Mißachtung des Grundprinzips des Kindeswohls oder unter Mißbrauch des ihm dabei eingeräumten Ermessens getroffen hätte (EFSlg.55.645 ua).

Diese - wenngleich kursorischen - Ausführungen sind insoweit berechtigt, als die einvernehmliche Betreuung des Kindes durch die Eltern und die Pflegeeltern den wohlverstandenen Interessen des Kindes unzweifelhaft nicht gerecht werden kann. Eine solche einvernehmliche Betreuung könnte nur dann in Betracht gezogen werden, wenn zwischen den Eltern und Pflegeeltern ein entsprechendes Einverständnis bestünde. Nun hat aber selbst der Sachverständige, auf dessen Vorschlag die vom Erstrichter gewählte Form der intensiven Kontaktanbahnung zur Vorbereitung der Übergabe des Kindes an seine Eltern zurückgeht, in seinem Gutachten festgehalten, daß das Konfliktpotential zwischen der Pflegemutter und dem Vater des Kindes hoch ist; dasselbe kommt nicht zuletzt auch im Vorbringen der Pflegeeltern in ihrem Rechtsmittel zum Ausdruck. Unter den gegebenen Umständen muß ernstlich befürchtet werden, daß es bei der gemeinsamen Betreuung des Kindes zu Auseinandersetzungen zwischen den Eltern und den Pflegeeltern vor dem Kind kommt; da die Pflegeeltern derzeit die primären Bezugspersonen des Kindes sind und ihm auch sein Grundbedürfnis nach sozialer Absicherung und Geborgenheit erfüllen, würden solche Auseinandersetzungen ganz gewiß zur gleichen psychischen Irritation führen, die möglicherweise auch zu neurotischen Störungen führen könnte, wie sie der Sachverständige für den Fall der sofortigen Aufgabe der Primärbezugsgruppe prognostiziert. Da diese gemeinsame Betreuung des Kindes durch Eltern und Pflegeeltern somit offenbar dem Kindeswohl widerspricht, ist die im Punkt b) des erstinstanzlichen Beschlusses enthaltene zusätzliche Anordnung und demnach auch die damit in untrennbarem Zusammenhang stehende Zulassung einer Betreuung des Kindes durch die Eltern auch bei Nacht in Wahrnehmung einer offenbaren Gesetzwidrigkeit auszuschalten.

Im übrigen Umfang berufen sich die Rechtsmittelwerber auf keinen tauglichen Anfechtungsgrund im Sinne des § 16 Abs.1 AußStrG, so daß ihre Rechtsmittel insoweit zurückzuweisen sind.

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