OGH 6Ob530/89

OGH6Ob530/8916.3.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Samsegger als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schobel, Dr.Melber, Dr.Schlosser und Dr.Redl als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Johanna B***, geboren am 28. Mai 1940 in Graz, im Haushalt, Graz, Göstingerstraße 53, vertreten durch Dr.Hans-Günther Medwed, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei Werner B***, geboren am 14.März 1941 in Graz, Elektriker, Graz, Göstingerstraße 53, vertreten durch Dr.Peter Böhm, Rechtsanwalt in Graz, wegen Ehescheidung (Revisionsgegenstand: Ausspruch nach § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG), infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz als Berufungsgerichtes vom 17.November 1988, GZ 2 R 382/88-28, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Bezirksgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 20.Juni 1988, GZ 28 C 36/87-19, im Verschuldensausspruch abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht stattgegeben.

Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit 3.706,20 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten an Umsatzsteuer 617,70 S) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 28.Juli 1964 die Ehe. Der Mann stand damals im 24., die Frau im 25.Lebensjahr. Die Frau war zuvor bereits einmal verheiratet. Sie hatte vor Vollendung ihres 18. Lebensjahres einen Sohn geboren. Einen Monat nach der Eheschließung gebar die Frau einen Sohn, drei Jahre später einen weiteren. Die Kinder der Streitteile wuchsen im elterlichen Haushalt heran. Sie sind inzwischen volljährig und selbsterhaltungsfähig. Am 1.April 1987 brachte die Ehefrau eine auf § 49 EheG gestützte Scheidungsklage an. Dabei lastete sie dem Mann völliges persönliches Desinteresse bis zur Verweigerung jedes Gespräches, getrennte Freizeitgestaltung mit regelmäßigem nächtlichen Fernbleiben, gepaart mit unleidlichem Verhalten gegen die übrigen im selben Haus wohnenden Familienangehörigen, insbesondere seiner Schwiegermutter und seinem jüngeren Sohn gegenüber als schwere Eheverfehlung an. Der Mann habe sie im Januar 1987 aus dem ehelichen Schlafzimmer gewiesen. Er habe auch noch während des Scheidungsverfahrens ehewidrige Beziehungen zu einer Arbeitskollegin und einer Kellnerin aufrechterhalten.

Der Ehemann stellte einen Mitschuldantrag. Diesen gründete er auf die Behauptungen, es sei die Ehefrau gewesen, die seit Ende des Jahres 1986 jedes eheliche Gespräch verweigert und sich nicht mehr um ihren Ehepartner gekümmert habe. Sie sei zu Beginn des Jahres 1987 aus der im Parterre gelegenen Ehewohnung in ein im ersten Stock gelegenes Zimmer gezogen. Sie pflege die Anwesenheit ihres Mannes im Haus gegenüber Telefonanrufern zu verleugnen. Sie unterhalte seit Dezember 1987 mit einem ihr gegenüber 11 Jahre jüngeren Mann ehewidrige Beziehungen.

Die Frau bestritt die ihr angelasteten Eheverfehlungen. Das Prozeßgericht erster Instanz gab sowohl dem Scheidungsbegehren als auch dem Mitschuldantrag statt und sprach die Scheidung der Ehe aus einem gleichteiligen Verschulden beider Ehegatten aus.

Der Beklagte ließ die Entscheidung unangefochten. Die Klägerin strebte mit ihrer Berufung eine Abänderung des Schuldausspruches an. Das Berufungsgericht änderte das erstinstanzliche Urteil in teilweiser Stattgebung der Berufung der Klägerin im Verschuldensausspruch dahin ab, daß es das überwiegende Verschulden des Beklagten aussprach.

Das Berufungsgericht stellte aufgrund seiner Wiederholung der Beweise unter anderem fest:

Ungeachtet wiederholter Streitigkeiten anläßlich der Heimkehr des Mannes im alkoholisierten Zustand verlief das eheliche Zusammenleben der Streitteile bis Frühjahr 1986 "einigermaßen harmonisch".

Im April oder Mai 1986 nahm der jüngere Sohn der Streitteile seine spätere Ehefrau samt ihrem Kleinkind bei sich im ersten Stock des Hauses der Streitteile auf. Die gesamte Familie hielt sich fortan abends häufig in der ebenerdig gelegenen Ehewohnung der Streitteile auf. Dies störte den Beklagten in seinem Wunsch, sich zur Ruhe zu legen.

Jeder der beiden Söhne zahlte dem Beklagten damals für die Gewährung der Unterkunft im Haus der Streitteile monatlich 750 S und an die Klägerin monatlich 1.000 S für die Verköstigung. Den Beklagten störte, daß die in das Haus aufgenommene Freundin seines jüngeren Sohnes keinen Beitrag zum Wirtschaftsgeld leistete, zu dem er selbst 3.000 S monatlich beisteuerte.

Im September 1986 verbrachten die Streitteile gemeinsam einen bereits im März gebuchten Auslandsurlaub. Während dieses Urlaubes kam es zum letzten ehelichen Verkehr.

Seit Herbst 1986 unterhält der Beklagte ehewidrige Beziehungen zu einer Arbeitskollegin, mit der er als solcher seit mehreren Jahren bekannt war.

Im November 1986 erklärte der Beklagte den übrigen Familienmitgliedern für diese überraschend, er brauche keine Familie mehr, er wolle allein ein Zimmer, er werde sich selbst versorgen. Er kürzte seine monatlichen Beiträge zum Wirtschaftsgeld auf 1.500 S mit der Begründung, daß die beiden Söhne (zusammen) auch nicht mehr zahlten.

Im November 1986 erregte sich der Beklagte darüber, daß sein jüngerer Sohn mit seiner Freundin ausgehe und das Kleinkind allein in dem von ihnen bewohnten Zimmer lassen wollte, in alkoholisiertem Zustand hängte er die Tür dieses Zimmers aus, um sie in den Keller zu tragen.

Wegen der ablehnenden Haltung des Beklagten zog die Freundin des jüngeren Sohnes der Streitteile noch im November 1987 wieder aus dem Haus.

Fortan kam der Beklagte häufig erst in den Nachtstunden nach Hause oder blieb gar die ganze Nacht über aus. Die Beziehungen des Beklagten zu seiner Arbeitskollegin verstärkten sich. Sein Personenkraftwagen war häufig in der Nähe ihrer Wohnung abgestellt. Im Verlaufe ehelicher Streitigkeiten äußerte der Beklagte wiederholt, die Klägerin möge (nach oben) verschwinden. In der Überzeugung, daß der Beklagte eine ehewidrige Beziehung unterhalte, und wegen der Störung im Falle nächtlicher Heimkehr verlegte die Klägerin zu Jahresende 1986 ihr Nachtlager aus dem ehelichen Schlafzimmer in ein Zimmer im ersten Stock des gemeinsamen Hauses. Daß der Beklagte die Klägerin aus dem gemeinsamen Schlafzimmer hinausgeworfen hätte, erklärte das Berufungsgericht nicht feststellen zu können.

Die Klägerin betreute nach wie vor die Ehewohnung.

Der Beklagte besorgte gemeinsam mit seiner Arbeitskollegin Einkäufe, ging mit ihr aus und nächtigte häufig bei ihr. Seit dem Jahre 1987 geht der Beklagte aber auch mit einer Kellnerin seines Stammlokales aus. An einem Sonntag im Sommer 1987 unternahm er beispielsweise mit ihr einen gemeinsamen Badeausflug. Er besucht sie auch an den Ruhetagen des Gastbetriebes und bleibt stundenlang bei ihr.

Der jüngere Sohn der Streitteile hat am 12.Dezember 1987 geheiratet. Sein Trauzeuge nahm neben zahlreichen weiteren Gästen an einer in der Wohnung des aus der ersten Ehe der Klägerin stammenden Sohnes veranstalteten Weihnachtsfeier teil. Für die Teilnehmer an dieser Feier war ein sehr vertrauliches Verhältnis zwischen der Klägerin und dem Trauzeugen ihres jüngeren Sohnes bemerkbar. So duldete die Klägerin etwa die Hand des neben ihr sitzenden Mannes auf ihrem Oberschenkel und verließ mit diesem Mann gegen 1 Uhr 45 die Wohnung der Gastgeber, nachdem ihr Begleiter einen Anwesenden aufgefordert hatte, "ruf ein Taxi, wir gehen schlafen". Dieser Mann stellte seiner Vermieterin gegenüber die Klägerin als seine Freundin vor. Seit dem Jahresbeginn 1988 nächtigt er häufig in einem Zimmer im ersten Stock des Hauses der Streitteile, in diesem Zimmer pflegt die Klägerin zu nächtigen, wenn aber der Trauzeuge ihres jüngeren Sohnes im Hause nächtigt, schläft sie in der ebenfalls im ersten Stock des Hauses gelegenen Wohnung ihrer Mutter. Die Klägerin unterhält seit Dezember 1987 zu diesem Trauzeugen ihres jüngeren Sohnes ehewidrige Beziehungen.

Das Berufungsgericht folgerte aus dem von ihm festgestellten Sachverhalt:

Die Ehe der Streitteile sei unheilbar zerrüttet. Daran träfe zwar beide Streitteile wegen ihrer schweren Eheverfehlungen ein Verschulden, das des Beklagten überwiege aber augenfällig, weil er die Zerrüttung dadurch eingeleitet habe, daß er die partnerschaftliche Lebensgestaltung mit der Klägerin nicht mehr gesucht, nur noch seinen eigenen Interessen gelebt und dabei die Freizeit meist außer Haus verbracht habe. Die Klägerin habe mit ihrem Auszug aus dem ehelichen Schlafgemach in verständlicher Weise auf das ehewidrige Verhalten des Beklagten reagiert. Sie habe sich während des anhängigen Verfahrens, als die Zerrüttung der Ehe schon weit fortgeschritten gewesen sei, ihrerseits in ein ehewidriges Verhältnis eingelassen. Das habe die Ehezerrüttung vertieft, könne deshalb nicht außer Acht gelassen werden, sei aber wegen der vorangegangenen beharrlichen Ablehnung jeder partnerschaftlichen Gemeinsamkeit unter schwerer Verletzung der ehelichen Treue durch den Beklagten gegenüber dessen Verschulden geringer zu gewichten. Der Beklagte ficht das im Verschuldensausspruch abändernde Berufungsurteil aus den Revisionsgründen nach § 503 Abs 1 Z 2 und 4 ZPO mit einem auf Wiederherstellung des auf Scheidung der Ehe aus gleichteiligem Verschulden lautenden Urteiles erster Instanz zielenden Abänderungsantrag und einem hilfsweise gestellten Aufhebungsantrag an.

Die Klägerin strebt die Bestätigung der angefochtenen Entscheidung an.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht gerechtfertigt.

Die gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Die Vorgangsweise des Berufungsgerichtes ist im § 281 a ZPO gedeckt. Die Beurteilung, ob zur Feststellung eines bereits im erstinstanzlichen Verfahren in Untersuchung gezogenen Tatumstandes die neuerliche Vernehmung eines Zeugen zur Gewinnung eines persönlichen Eindruckes für die Überzeugung der Rechtsmittelrichter erheblich sei, ist Teil der im Revisionsverfahren nicht überprüfbaren Beweiswürdigung.

Auch die Rechtsrüge ist nicht stichhältig:

Der Revisionswerber hat seinen Mitschuldantrag nicht darauf gestützt, daß die Klägerin - in sachlich unvertretbarer Weise - bei Meinungsverschiedenheiten zwischen Vater und Sohn stets für ihr Kind Partei ergriffen hätte. Zu den zur Stützung seines Mitschuldantrages geltend gemachten ehewidrigen Beziehungen der Klägerin hat der Beklagte selbst ausdrücklich den Dezember 1987 als Beginn der von ihm als ehestörend empfundenen Beziehungen behauptet. Der Revisionswerber kann sich nicht dadurch beschwert erachten, daß das Berufungsgericht nicht über die eigenen Behauptungen des Beklagten hinaus ("überschießend") schon einen früheren Beginn der ehewidrigen Beziehungen untersucht und festgestellt hat.

Soweit der Revisionswerber zur Frage der Verschuldensabwägung von nicht festgestellten Tatumständen ausgeht und in dieser Hinsicht zum Teil der Sache nach Feststellungsmängel rügt, ist er darauf hinzuweisen, daß im Falle eines Mitschuldantrages ehewidriges Verhalten der klagenden Partei nur so weit zu berücksichtigen ist, als es als solches von der beklagten Partei geltend gemacht wurde. Die berufungsgerichtliche Wertung des festgestellten Sachverhaltes und die gegenseitige Abwägung der beiderseitigen Fehlverhalten in ihrem zeitlichen Ablauf und ihrer wechselseitigen Bedingtheit ist entgegen der Rüge des Revisionswerbers in klarer und nachvollziehbarer Weise formuliert und inhaltlich zutreffend vorgenommen worden:

Der Revisionswerber geht in seiner Argumentation einfach darüber hinweg, daß er - wie er es sieht, durch das von ihm nun behauptete, aber nicht festgestellte schuldhafte Verhalten der Klägerin aus dem Haus getrieben - nicht nur jede gemeinschaftliche Lebensgestaltung mit der Klägerin beharrlich verweigerte, sondern sich in Verletzung der ehelichen Treue einer anderen Frau zuwandte und damit die ehelichen Beziehungen aus einer Situation einander teilweise gespannt gegenüberstehender Partner in einer Lage voneinander abgekehrter Partner überführte, also die Zerrüttung der Ehe einleitete. Der Revisionswerber verharrte auch nach Einleitung des Scheidungsverfahrens in seinem grob ehewidrigen Verhalten und vertiefte damit die eheliche Zerrüttung, die Klägerin ihrerseits setzte sich erst in einem weit fortgeschrittenen Zustand der Ehezerrüttung über ihre Pflicht zur ehelichen Treue hinweg. Die Beurteilung, daß nach dem festgestellten Sachverhalt das Verschulden des Revisionswerbers jenes der Klägerin augenfällig überwiege, trifft zu.

Der Revision war daher ein Erfolg zu versagen.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

Stichworte