Spruch:
Der Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft wird teilweise Folge gegeben, das angefochtene Urteil, das im übrigen unberührt bleibt, im Strafausspruch aufgehoben sowie unter gleichzeitiger Neufassung des Schuldspruchs Punkt 2 gemäß § 288 Abs 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst erkannt:
Benedikt G*** ist schuldig, von 1982 bis Anfang Juli 1988 in Telfs die Petra L*** wiederholt mit Gewalt, nämlich durch Versetzen von Schlägen, zur Unzucht genötigt zu haben.
Benedikt G*** hat hiedurch das Vergehen der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB begangen.
Er wird hiefür sowie für die unberührt gebliebenen Schuldsprüche (§§ 207 Abs 1; 212 Abs 1; 12, 15, 288 Abs 1 StGB) unter Anwendung des § 28 StGB nach § 207 Abs 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von 1 (einem) Jahr verurteilt.
Im übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft verworfen.
Mit ihren Berufungen werden die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Gemäß § 390 a StPO fallen dem Angeklagten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Text
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der am 16.Juli 1938 geborene Hilfsschlosser Benedikt G*** neben anderen strafbaren Handlungen des Verbrechens der Unzucht mit Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (Punkt 1 des Urteilssatzes) und des Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB (Punkt 2) schuldig erkannt. Vom Anklagevorwurf (Ausdehnung S. 97, 98), der Beschwerdeführer habe Ende September oder im Oktober 1988 in Telfs Susanne L*** durch die gefährliche Drohung, er werde sie bis an ihr Lebensende zahlen lassen, dazu genötigt, eine inhaltlich unrichtige Erklärung auszustellen und zu nötigen versucht, in der Hauptverhandlung gegen den Angeklagten ihre belastenden Angaben vor der Gendarmerie zu widerrufen (§§ 105 und 15 StGB), erging ein Freispruch nach § 259 Z. 3 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten wurde vom Obersten Gerichtshof bereits mit dem in nichtöffentlicher Sitzung gefaßten Beschluß vom 23.Februar 1989, 13 Os 6/89-6, zurückgewiesen. Gegenstand des Gerichtstags waren daher die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft und die beiderseitigen Berufungen. Gegen den Schuldspruch wegen Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB und den erwähnten Freispruch richtet sich die auf Z. 9 lit a des § 281 Abs 1 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft.
Nach den für den Schuldspruch Punkt 1 und 2 des Urteilssatzes wesentlichen Urteilsfeststellungen hat der Angeklagte seine am 29. Dezember 1970 geborene außereheliche Tochter Petra L*** in der Zeit von 1982 bis Juli 1988 "fast wöchentlich" an den Brüsten und "zwischen den Beinen gesreichelt"; auch führte er seine Finger in deren Scheide ein. Jedesmal, wenn Petra L*** schrie und nicht das tat, was der Angeklagte von ihr verlangte, wurde sie von ihm geschlagen; sie erhielt Ohrfeigen, was auch zu Blutergüssen führte (S. 113).
Das Erstgericht ging - im Sinn der Anklage (ON. 3, insbesonders S. 59) - davon aus, daß Unmündige aus dem Schutz des § 204 StGB herausgenommen sind und Nötigung zur Unzucht (§ 204 StGB) mit Unmündigen nur nach § 207 StGB strafbar ist, welche Bestimmung jedes, auch das gewaltsame Tatmittel erfasse. Im Sinn dieser Rechtsmeinung erachtete das Gericht den Tatbestand des Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB erst von dem Tag der Mündigkeit der Petra L*** (29.Dezember 1984) an als gegeben. Es trifft zwar zu, daß eine jahrelange Judikatur des Obersten Gerichtshofs (insbesonders SSt. 49/25) und ein Teil des Schrifttums (Pallin im WK § 203 Rz 2, § 207 Rz 14) diesen Standpunkt vertreten. Die Staatsanwaltschaft weist jedoch in ihrem Rechtsmittel - im Gegensatz zu der noch in der Anklage verfochtenen Ansicht - mit Recht darauf hin, daß sich die Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs in jüngerer Zeit (so schon EvBl 1979/28) entscheidend geändert hat. Darnach kann bei Abwägung aller Tatbestandsmerkmale des § 204 StGB einerseits und des § 207 StGB andererseits eine Spezialität der Strafnorm des § 207 StGB nicht angenommen werden. Es ist daher in Fällen, wo die Unzucht nicht nur unter Ausnützung der Minderjährigkeit des Opfers begangen, sondern darüber hinaus der Widerstand durch Drohung überwunden oder - wie hier - gar durch Gewalt gebrochen wurde, der Täter nach allen demnach idealkonkurrierenden Tatbeständen schuldig zu sprechen, um den Unrechtsgehalt dieser Taten in seinem ganzen kriminellen Spektrum zu erfassen (SSt. 55/81). Im vorliegenden Fall ist daher, weil der Angeklagte den Widerstand der Petra L*** mit Gewalt gebrochen hat, als sie noch unmündig war, in Idealkonkurrenz mit § 207 StGB der Tatbestand des § 204 Abs 1 StGB anzunehmen. Dies hat zur Folge, daß der Angeklagte auch für die Zeit von 1982 bis zum 28.Dezember 1984 des Vergehens der Nötigung zur Unzucht nach § 204 Abs 1 StGB schuldig zu sprechen war.
Eine Anklageüberschreitung liegt nicht vor. Das Gericht hat den Vorfall, den der Ankläger zum Anlaß seiner Anklage nimmt, nach allen Richtungen hin zu erforschen und dem Gesetz zu unterstellen, das darauf anzuwenden ist, wobei es sich ohne Rücksicht auf die in der Anklage vertretene Anschauung vom Ablauf des Geschehens ein Urteil darüber zu bilden hat, in welcher Art sich das als solches inkriminierte Ereignis abgespielt und in welcher Form der Angeklagte sich daran beteiligt hat (Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 25, 29 bei § 262). Dabei hat sich das Gericht zwar auf den unter Anklage gestellten Vorfall (als ganzes) zu beschränken, ihn aber mit allen seinen Begleitumständen zu beurteilen, selbst wenn diese in der Anklage nicht angeführt sind, aber doch zu dem Sachverhalt gehören, der der Anklage zugrundeliegt (Mayerhofer-Rieder aaO ENr. 26, 27 zu § 262; ENr. 10 zu § 281 Z. 8).
Insoweit war der Beschwerde der Staatsanwaltschaft Folge zu geben und gemäß § 288 Abs Abs 2 Z. 3 StPO in der Sache selbst erkennend, mittels Neufassung des Urteilssatzes in seinem kondemnierenden Punkt 2 der Zeitraum von 1982 bis 28.Dezember 1984 in diesen Schuldspruch einzubeziehen.
Soweit die Staatsanwaltschaft darüber hinaus den eingangs zitierten Freispruch bekämpft, kommt ihrem Rechtsmittel keine Berechtigung zu. Sie übersieht, daß der Schöffensenat den Angeklagten nicht deshalb vom Vergehen der teils versuchten, teils vollbrachten Nötigung freigesprochen hat, weil er die Äußerung des Angeklagten für ungeeignet hielt, eine gefährliche Drohung (§ 74 Z. 5 StGB) herzustellen (worauf die Nichtigkeitsbeschwerde abhebt), sondern weil das Gericht davon ausging, daß der Angeklagte die Zeugin Susanne L*** bloß "überreden", nicht aber nötigen wollte, eine von ihm diktierte (inhaltlich unrichtige) Erklärung abzugeben und ihn belastende Angaben vor der Gendarmerie in der Hauptverhandlung zu widerrufen (S. 115, 117). Im Ergebnis fällt sohin das dem Freispruch unterzogene Verhalten in den Rahmen des Schuldspruchs wegen versuchter Bestimmung zur falschen Beweisaussage (4). Der Freispruch erging sohin wegen Fehlens der subjektiven Tatseite, d.h. mangels der Annahme, daß der Angeklagte im Bewußtsein, einen anderen durch gefährliche Drohung zu einem Verhalten zu zwingen, gehandelt hat. Gehört das zu Pkt. 1 des Freispruchs gegenständliche Handeln allerdings in den Bereich der versuchten Überredung zur falschen Beweisaussage, so wurde in Wahrheit eine - teilweise - Idealkonkurrenz verneint und es wäre kein formeller Freispruch zu fällen gewesen.
In diesem Umfang verfehlt die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft jedenfalls ihr Ziel und war zu verwerfen. Bei der notwendig gewordenen Neubemessung der Freiheitsstrafe waren erschwerend das Zusammentreffen mehrerer strafbarer Handlungen und die Fortsetzung der an der außerehelichen Tochter des Angeklagten begangenen Straftaten durch längere Zeit, mildernd hingegen die Unbescholtenheit und daß die Tat in einem Fall beim Versuch geblieben ist.
Die aus dem Spruch ersichtliche Freiheitsstrafe trägt der erheblichen personalen Tatschuld des Angeklagten und dem objektiven Gewicht der Rechtsgutverletzung, wie sie Unzuchtshandlungen mit leiblichen Kindern unter den Umständen des vorliegenden Falls innewohnt, Rechnung, die verhängte Unrechtsfolge nimmt auch auf den sich aus der Art der Tatverübung und dem langen Zeitraum der Verfehlungen manifestierenden Mangel an Verbundenheit mit den rechtlich geschützten Werten angemessen Bedacht.
Im Hinblick auf diese in der Täterpersönlichkeit des Angeklagten liegenden Umstände und wegen des hohen Tatunwerts war weder die gänzliche bedingte Nachsicht noch die bedingte Nachsicht eines Teils der Strafe möglich, sondern der Vollzug der insgesamt ausgesprochenen Strafe erforderlich.
Mit ihren Berufungen waren die Staatsanwaltschaft und der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.
Die Verurteilung des Angeklagten zu 25 Vr 1003/82 des Landesgerichts Innsbruck ist offenbar schon getilgt (siehe § 3 Abs 1 Z. 1 TilgG, den Beschluß über die endgültige Strafnachsicht ON. 16 im angeführten Vorakt und die im gegenständlichen Verfahren eingeholten Strafregisterauskünfte). Sonach darf die Vorverurteilung gemäß der ratio des § 1 Abs 4 TilgG in keinem wie immer gearteten Zusammenhang, auch nicht zur Beurteilung der Täterpersönlichkeit, herangezogen werden (EvBl 1977/249 u.a.) und wurden die Akten 25 Vr 1003/82 überflüssigerweise vorgelegt.
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