OGH 2Ob18/89

OGH2Ob18/8928.2.1989

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kralik, Dr.Vogel, Dr.Melber und Dr.Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Isolde K***, Angestellte, JosefPosch-Straße 128, 8052 Graz, vertreten durch Dr.Rainer Schischka, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei G*** S*** AG, Andreas-Hofer-Platz 15, 8011 Graz, vertreten durch Dr.Alois Ruschitzger, Rechtsanwalt in Graz, wegen S 176.000 und Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 15. November 1988, GZ 1 R 204/88-12, womit infolge Berufung beider Parteien das Teil- und das Zwischenurteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Graz vom 10.August 1988, GZ 6 Cg 195/88-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Klägerin hat der beklagten Partei die mit S 9.887,40 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin S 1.647,90 Umsatzsteuer) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin lenkte am 1.Juli 1985 ihren PKW durch die Conrad von Hötzendorf-Straße in Graz und beabsichtigte, nach links in die Bockmanngasse einzubiegen. Dabei mußte sie die in der Mitte der Conrad von Hötzendorf-Straße befindlichen Straßenbahngeleise überqueren. Hiebei kam es zur Kollision mit einem in derselben Richtung fahrenden Straßenbahntriebwagen der beklagten Partei. Der Triebwagen stieß mit der 51,5 cm von der Begrenzung der vorderen Stoßstange hinausragenden lanzenförmigen Kupplung gegen die linke Tür des PKWs, durchdrang diese und fügte der Klägerin im Bereich der Hüfte und des linken Unterschenkels schwere Verletzungen zu. Den Straßenbahnfahrer trifft kein Verschulden am Unfall. Nach dem Unfall wurden die Kupplungen der Straßenbahntriebwagen von der am Unfall beteiligten Type ausgetauscht.

Gestützt auf die Betriebsgefahr des mit der gefährlichen Kupplung ausgestatteten Straßenbahntriebwagens, begehrt die Klägerin Schadenersatz und stellt überdies ein Feststellungsbegehren, wobei sie von einer Haftung der beklagten Partei für 80 % der Unfallsfolgen ausgeht.

Das Erstgericht sprach mit Teil- und Zwischenurteil aus, daß die beklagte Partei der Klägerin für alle künftigen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 1.Juli 1985 zu einem Drittel hafte, wobei die Haftung durch die Haftungshöchstbeträge gemäß § 15 EKHG begrenzt ist. Das Feststellungsmehrbegehren wurde abgewiesen. Außerdem erkannte das Erstgericht, daß die Ansprüche der Klägerin in ihrem Leistungsbegehren dem Grunde nach zu einem Drittel zu Recht, darüber hinaus nicht zu Recht bestehen. Das Gericht erster Instanz stellte auf Grund von Privatgutachten fest, daß die von der Klägerin erlittenen schweren Verletzungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit allein durch die lanzenförmige Kupplungsstange verursacht wurden. Wäre die Straßenbahn mit einer "Trompetenkupplung" oder einer versenkbaren Kupplung ausgestattet gewesen, hätte die Klägerin keine derartigen schweren Verletzungen erlitten. Die zur Zeit des Unfalls am Triebwagen angebrachte Kupplung war in dieser Form nicht erforderlich und entsprach nicht dem modernen Fahrzeugbau.

Rechtlich beurteilte das Erstgericht diesen Sachverhalt dahin, eine gänzliche Befreiung der beklagten Partei von einer Haftung wäre unbillig. § 11 EKHG sei auch anzuwenden, wenn nur auf einer Seite der am Unfall Beteiligten eine Verschuldenshaftung gegeben sei. Die Betriebsgefahr einer Straßenbahn sei wegen ihrer Masse und ihrer Gebundenheit an den Schienenweg schon an und für sich höher. Durch die Kupplungsstange sei diese Betriebsgefahr unnotwendigerweise weiter erhöht worden und könne nicht unberücksichtigt bleiben. Angesichts des Umstandes, daß die Straßenbahntriebwagen mit derartigen Kupplungen zum Verkehr zugelassen worden und schon längere Zeit in Verwendung gestanden seien und der Unfall auf ein gravierendes Fehlverhalten der Klägerin zurückzuführen sei, erscheine eine Schadensteilung im Verhältnis von 1 : 2 zu Lasten der Klägerin angemessen.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, daß das Klagebegehren abgewiesen wurde. Es sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Teil des Streitgegenstandes S 15.000 und der von der Bestätigung betroffene S 60.000, der Wert über den das Berufungsgericht entschieden habe, aber nicht S 300.000 übersteige und die Revision zulässig sei.

Das Gericht zweiter Instanz führte aus, die Privatgutachten seien als Grundlage verläßlicher Feststellungen nicht geeignet, die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen könnten daher, soweit sie von der beklagten Partei bekämpft würden, nicht übernommen werden. Diese Feststellungen seien jedoch aus rechtlichen Erwägungen nicht erforderlich. Gemäß § 11 EKHG sei in erster Linie das Verschulden, in der nächsten Rangstufe die außerordentliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG und schließlich die überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr maßgebend. In der Regel komme es auf das Verschulden der Beteiligten an und erst in Ermangelung eines solchen auf die nächste Rangstufe. Im Verhältnis der Beteiligten im Sinne des § 11 EKHG komme es bei eindeutigem Verschulden nicht auf die Erbringung eines Entlastungsbeweises an, sondern nur darauf, ob nach den Umständen des Falles Grund bestehe, den anderen zum Ausgleich heranzuziehen. Dabei werde die gewöhnliche Betriebsgefahr durch Verschulden in der Regel ganz zurückgedrängt. Die Klägerin habe den Unfall durch grobe Unaufmerksamkeit verschuldet. Zu einer Schadensteilung bestehe im vorliegenden Fall kein Anlaß. Die gefährliche Kupplung habe zwar möglicherweise im Sinne modernen Fahrzeugbaus nicht mehr den Gesichtspunkten umfassender Sicherheit im Verkehr entsprochen, jedenfalls sei die Art dieser Kupplung noch in Verwendung und erst durch das verkehrswidrige Verhalten der Klägerin zu einer besonderen Gefahrenquelle geworden. Von einer außergewöhnlichen Betriebsgefahr werde bei Einrichtungen, die nicht an sich, sondern erst durch das Hinzutreten eines Verschuldens auf seiten eines anderen Verkehrsteilnehmers zu einer besonderen Gefahrenquelle werden, nicht gesprochen.

Die Klägerin bekämpft das Urteil des Berufungsgerichtes mit Revision, macht den Anfechtungsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung geltend und beantragt, die angefochtene Entscheidung im Sinne der vollinhaltlichen Klagsstattgebung abzuändern. Hilfsweise stellt sie einen Aufhebungsantrag.

Die beklagte Partei beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist nicht berechtigt.

Die Klägerin vertritt die Ansicht, durch die Verwendung einer gefährlichen Kupplung sei die Betriebsgefahr erheblich erhöht worden, diese Kupplung stelle einen Fehler in der Beschaffenheit des Fahrzeuges im Sinne des § 9 Abs 1 EKHG dar, weshalb die Gefährdungshaftung der beklagten Partei neben der Verschuldenshaftung der Klägerin nicht vernachlässigt werden könne. Diese Ansicht kann nicht geteilt werden. Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführte, kommt es beim Ausgleich der gegenseitigen Ersatzpflicht in erster Linie auf das Verschulden der Beteiligten an, in der nächsten Rangstufe folgt die außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG und nach dieser die überwiegende gewöhnliche Betriebsgefahr (ZVR 1974/227 uva, zuletzt 2 Ob 20/88). Bei Verschulden nur eines der beiden Lenker hat grundsätzlich dieser, unabhängig vom Verschuldensgrad, den Schaden zu tragen (2 Ob 129/79, 2 Ob 191/82). Im vorliegenden Fall ist daher von Bedeutung, daß nur der Klägerin ein Verschulden anzulasten ist, welches überdies als schwerwiegend bezeichnet werden muß. Eine außergewöhnliche Betriebsgefahr im Sinne des § 9 Abs 2 EKHG lag nicht vor, was die Revisionswerberin selbst zugesteht. Es stehen einander daher das schwerwiegende Verschulden der Klägerin und die von der Straßenbahn (die einen von der Behörde genehmigten Zustand aufwies) ausgehende Betriebsgefahr gegenüber. Gewiß war die Betriebsgefahr des Straßenbahntriebwagens größer als jene des PKWs, doch kommt es darauf im Hinblick auf das Verschulden der Klägerin nicht an. Ein Fehler in der Beschaffenheit der Straßenbahn würde gemäß § 9 Abs 1 EKHG den Entlastungsbeweis eines unabwendbaren Ereignisses ausschließen, auf die Erbringung eines Entlastungsbeweises nach § 9 EKHG kommt es aber beim Ausgleich der gegenseitigen Ersatzansprüche der Beteiligten im Sinne des § 11 EKHG nicht an, sondern nur darauf, ob nach den Umständen Anlaß besteht, auch den anderen Beteiligten zum Ausgleich heranzuziehen (ZVR 1988/121 uva). Ein derartiger Anlaß besteht im vorliegenden Fall im Hinblick auf das schwerwiegende Verschulden der Klägerin nicht.

Aus diesen Gründen war der Revision ein Erfolg zu versagen. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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