OGH 14Os181/88 (14Os182/88)

OGH14Os181/88 (14Os182/88)21.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 21.Dezember 1988 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Kral als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter, in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Burianek als Schriftführerin, in den Strafsachen gegen Peter Anton D*** wegen des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB, AZ 5 U 220/88 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz, und wegen des Vergehens der Verletzung der Unterhaltspflicht nach § 198 Abs. 1 StGB, AZ 1 U 718/86 des Jugendgerichtes Graz, über die vom Generalprokurator erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen die Beschlüsse des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21. März 1988, GZ 5 U 220/88-20, und des Jugendgerichtes Graz vom 30. Juni 1988, GZ 1 U 718/86-21, sowie gegen darauf bezogene prozessuale Vorgänge nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Raunig, jedoch in Abwesenheit des Verurteilten und eines Verteidigers zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz wurde verletzt

I. Im Strafverfahren AZ 5 U 220/88 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz

1. durch den Beschluß vom 21.März 1988, ON 20, insoweit damit vom Widerruf der bedingten Strafnachsicht (auch) in Ansehung der Vorverurteilung des Peter Anton D*** zu AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz abgesehen wurde, in dem sich aus §§ 494 a Abs. 4, 498 StPO ergebenden Verbot, nach aufrechter (wenn auch noch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über den Widerruf der bedingten Strafnachsicht nochmals in dieser Sache zu entscheiden;

2. durch den Vorgang, daß eine Einsichtnahme in die Akten über die frühere Verurteilung des Peter Anton D*** zu AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz vor der zu I/1. erwähnten Beschlußfassung unterblieben ist, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO;

II. im Strafverfahren AZ 1 U 718/86 des Jugendgerichtes Graz

1. durch den Beschluß vom 30.Juni 1988, ON 21, insoweit damit ausgesprochen wurde, daß die dem Peter Anton D*** mit Urteil vom 26.August 1987, ON 10, gewährte bedingte Strafnachsicht nicht widerrufen werde, in dem sich aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung ergebenden Verbot, in derselben Sache nochmals zu erkennen;

2. durch den Vorgang, daß vor der zu II/1. erwähnten Beschlußfassung, insoweit damit auch die Probezeit verlängert worden ist, die Anhörung des Peter Anton D*** unterblieb, in der Bestimmung des § 495 Abs. 3 StPO.

Es werden aufgehoben

A. der Beschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21. März 1988, GZ 5 U 220/88-20, insoweit damit vom Widerruf der bedingten Nachsicht (auch) in Ansehung der Vorverurteilung des Peter Anton D*** zu AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz abgesehen wurde;

B. der Beschluß des Jugendgerichtes Graz vom 30.Juni 1988, GZ 1 U 718/86-21, zur Gänze.

Dem Jugendgericht Graz wird aufgetragen, im Verfahren AZ 1 U 718/86 über den Antrag der Staatsanwaltschaft vom 9.Juni 1988, insoweit er auf eine Verlängerung der Probezeit abzielt, unter Beachtung der verletzten Verfahrensvorschrift neuerlich zu entscheiden.

Text

Gründe:

Peter Anton D*** wurde mit dem Urteil des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.März 1988, GZ 5 U 220/88-20, des Vergehens des unbefugten Gebrauches von Fahrzeugen nach § 136 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich faßte das Bezirksgericht für Strafsachen Graz gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO den Beschluß, daß aus Anlaß der neuen Verurteilung vom Widerruf der dem Beschuldigten gewährten bedingten Nachsicht der über ihn mit den Urteilen des Jugendgerichtes Graz vom 29. Oktober 1986, GZ 1 U 497/86-6, und vom 26.August 1987, GZ 1 U 718/86-10, verhängten Freiheitsstrafen abgesehen werde. Im Verfahren AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz hatte allerdings bereits zuvor das Jugendgericht Graz (als dafür nach § 495 Abs. 1 StPO aF zuständig gewesenes Gericht) mit Beschluß vom 12. Februar 1988, ON 20, die in diesem Verfahren gewährte bedingte Strafnachsicht wegen der während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung, die Gegenstand der Verurteilung zu AZ 1 U 718/86 des Jugendgerichtes Graz war, widerrufen. Dieser Widerrufsbeschluß erwuchs erst mit der bestätigenden Rechtsmittelentscheidung des Landesgerichtes für Strafsachen Graz vom 19.April 1988 in Rechtskraft.

Im Verfahren AZ 1 U 718/86 hingegen hat das Jugendgericht Graz mit Beschluß vom 30.Juni 1988, ON 21, seinerseits davon abgesehen, die dem Peter Anton D*** in diesem Verfahren gewährte bedingte Strafnachsicht wegen der während der Probezeit begangenen strafbaren Handlung, die Gegenstand der Verurteilung zu AZ 5 U 220/88 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz war, zu widerrufen, obgleich dies bereits - wie eingangs erwähnt - das Bezirksgericht für Strafsachen Graz mit dem gemäß § 494 a Abs. 1 Z 2 StPO gefaßten Beschluß vom 21.März 1988, der schon aktenkundig war, getan hatte. Gleichzeitig verlängerte das Jugendgericht Graz die Probezeit auf fünf Jahre, ohne allerdings den Verurteilten vorher dazu zu hören.

Rechtliche Beurteilung

Den genannten Gerichten sind dabei folgende Gesetzesverletzungen unterlaufen:

I. In Ansehung des Beschlusses des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.März 1988, GZ 5 U 220/88-20, fehlte es an der begriffsessentiellen Voraussetzung für ein Absehen vom Widerruf der zu AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz gewährten bedingten Strafnachsicht, nämlich am bisherigen Unterbleiben dieses Widerrufs (§ 53 Abs. 1 StGB), weil im Zeitpunkt der Beschlußfassung durch das Bezirksgericht für Strafsachen Graz das vor dem Inkrafttreten des Strafrechtsänderungsgesetzes 1987 gemäß § 495 Abs. 1 StPO aF hiefür (ausschließlich) zuständig gewesene Jugendgericht Graz bereits auf einen derartigen Widerruf erkannt hatte.

Der (der materiellen Rechtskraft fähige) Widerrufsbeschluß vom 12. Februar 1988 war zwar am 21.März 1988 noch nicht rechtskräftig, unterlag aber nur mehr der Behebung oder Abänderung im Wege der in den Prozeßgesetzen vorgesehenen Rechtsmittel (oder Rechtsbehelfe) und war somit ab seiner Übergabe an die Geschäftsstelle insoweit mit einer Bindungswirkung ausgestattet, als weder das erkennende Gericht noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene Kassation dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte (vgl. SSt. 54/57). Eine solche (unzulässige) nochmalige Entscheidung ist jedoch mit dem Beschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz vom 21.März 1988 erfolgt, welcher eine mit dem vom Jugendgericht Graz bereits am 12.Februar 1988 wirksam erklärten Widerruf der bedingten Strafnachsicht unvereinbare Voraussetzung (Unterbleiben des Widerrufs) zum Ausdruck bringt.

Der Beschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz konnte weder den schon vorher durch das zuständige Jugendgericht Graz wirksam beschlossenen Widerruf der zu AZ 1 U 497/86 dieses Gerichtes dem Peter Anton D*** gewährten bedingten Strafnachsicht beseitigen noch sonst für den Genannten irgendwelche Rechtsfolgen erzeugen. Die konstitutive Wirkung des Widerrufsbeschlusses blieb vielmehr hievon unberührt. Da somit der Beschluß des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz im beschriebenen Umfang für Peter Anton D*** keinerlei Rechtswirkungen entfalten konnte, war er insoweit aufzuheben (14 Os 162,163/88, 14 Os 156/87; EvBl. 1964/236 und die dort weiters zit. Judikatur). Darüber hinaus hat das Bezirksgericht für Strafsachen Graz bei seiner Beschlußfassung auch gegen die Vorschrift des § 494 a Abs. 3 erster Satz StPO verstoßen, indem es vor seiner Entscheidung nicht in die Akten über die früheren Verurteilungen Einsicht genommen hat, sodaß es ihm an einer ausreichenden Entscheidungsgrundlage jedenfalls in Ansehung des Widerrufs der zu AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz gewährten bedingten Strafnachsicht mangelte (vgl. § 494 a Abs. 3 letzter Satz StPO), andernfalls die gesetzwidrige Beschlußfassung zu vermeiden gewesen wäre. II. Aber auch das Jugendgericht Graz hat mit seinem Beschluß vom 30. Juni 1988, GZ 1 U 718/86-21, durch Absehen vom Widerruf der in diesem Verfahren dem Peter Anton D*** gewährten bedingten Strafnachsicht eine Entscheidungskompetenz gesetzwidrig in Anspruch genommen, weil es über diesen Gegenstand, über den bereits das Bezirksgericht für Strafsachen Graz mit seinem Beschluß vom 21. März 1988 - rechtskräftig - abgesprochen hatte, wegen des sich aus dem XX.Hauptstück der Strafprozeßordnung ergebenden Verbots ("ne bis in idem") nicht neuerlich entscheiden durfte, zumal ihm eine Abschrift dieses Beschlusses bereits vorlag (ON 16). Gemäß § 494 a Abs. 7 StPO hätte sich das Jugendgericht Graz in seinem Beschluß auf den Ausspruch über die Verlängerung der Probezeit beschränken, davor jedoch den Verurteilten gemäß § 495 Abs. 3 StPO - welche Verfahrensvorschrift durch das Strafrechtsänderungsgesetz 1987 keine Änderung erfahren hat - hören müssen (11 Os 166/87, 12 Os 85/88), was im Hinblick auf dessen Strafhaft (vgl. ON 21 in 5 U 220/88 des Bezirksgerichtes für Strafsachen Graz sowie S 67 in 1 U 718/86 des Jugendgerichtes Graz) auch ohne unverhältnismäßigen Aufwand durchführbar gewesen wäre. Die längst überholte und zudem ein anderes Verfahren (AZ 1 U 497/86 des Jugendgerichtes Graz) betreffende Stellungnahme des Verurteilten vom 29.Dezember 1987 (ON 15) konnte seine neuerliche Anhörung zum konkreten Verlängerungsantrag der Staatsanwaltschaft vom 9.Juni 1988 nicht ersetzen. Durch diese Unterlassung ist daher das Gesetz auch in der Bestimmung des § 495 Abs. 3 StPO verletzt worden, die von den Gerichten im Rahmen des durch § 495 Abs. 1 StPO (nF) im Vergleich zur alten Rechtslage eingeschränkten Kompetenzbereich unverändert anzuwenden ist.

In Stattgebung der wegen der aufgezeigten Verstöße zur Wahrung des Gesetzes vom Generalprokurator erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde war somit spruchgemäß zu erkennen.

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