Spruch:
Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Prozeßkosten.
Text
Begründung
Die Streitteile sind österreichische Staatsbürger. Sie heirateten am 7. Juni 1967. Aus der Ehe stammt die am 26. Juni 1970 geborene Tochter Michaela.
Der Kläger begehrt die Scheidung der Ehe nach § 49 EheG. Die Beklagte spreche immer mehr dem Alkohol zu, sie sei häufig alkoholisiert, sie vernachlässige die Erziehung des Kindes und die Führung des Haushaltes. Sie weigere sich, den chronischen Alkoholmißbrauch ärztlich behandeln zu lassen. Der Kläger habe alles unternommen, damit die Beklagte ihre Alkoholprobleme ärztlich behandle oder weiteren Alkoholkonsum unterlasse. Am Verhalten der Beklagten habe sich auch nach Einbringung der Scheidungsklage nichts geändert.
Die Beklagte bestritt zunächst überhaupt, Eheverfehlungen begangen zu haben, später brachte sie vor, seit November 1984 liege kein übermäßiger Alkoholkonsum vor, sodaß allfällige frühere Eheverfehlungen verjährt seien. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens stellte sie die Behauptung auf, daß ihre Alkoholkrankheit auf drei Fehlgeburten und das Verhalten des Klägers zurückzuführen sei. Da auf Grund des Gutachtens der Eindruck entstehe, daß sie an einer schweren seelischen Erkrankung leide, werde seine Ergänzung beantragt. Den Kläger treffe eine gleichteilige Mitschuld, er habe nicht ausreichend dafür Sorge getragen, daß sie sich einer medizinischen Behandlung unterziehe oder eine Therapiestelle aufsuche.
Das Erstgericht schied die Ehe aus dem Alleinverschulden der Beklagten. Es stellte fest: Seit 1977 verlaufe die Ehe der Streitteile nicht mehr harmonisch. Die Beklagte habe begonnen, im Übermaß dem Alkohol zuzusprechen. Sie stehe ihrem eigenen Zustand kritiklos gegenüber und bagatellisiere alles, was mit ihrem Alkoholkonsum im Zusammenhang stehe. Über amtsärztliches Parere sei sie am 12. November 1984 wegen eines Prädeliriums in das Psychiatrische Krankenhaus der Stadt Wien eingewiesen worden. Ein solches Zustandsbild habe nach einem Sturz im Stiegenhaus im alkoholisierten Zustand auch ihr behandelnder Arzt am 13. Februar 1985 festgestellt. Die Beklagte trinke fallweise Wein, hauptsächlich aber Bier. Sie zeige sich nicht behandlungswillig oder therapiebereit. Sie sei krankheitsuneinsichtig; sie vernachlässige den Haushalt und auch die Erziehung der Tochter. Da der Kläger beruhigend auf sie einwirke, sei die Beklagte im alkoholisiertem Zustand meistens ruhig und nur selten aggressiv. Der Kläger habe die Beklagte zur Therapie, zu Behandlungen oder zu Besuchen von Beratungsstellen für Alkoholiker nicht bewegen können. Einen freiwilligen Aufenthalt im Genesungsheim Kalksburg habe die Beklagte grundsätzlich abgelehnt. Alles Zureden des Klägers sei völlig ohne Erfolg geblieben. Bei der Beklagten handle es sich um einen chronischen Alkoholismus vom Deltatyp, d.h. regelmäßig überhöhter Alkoholkonsum mit geringer Neigung zu Exzessen. Die Ursachen dieser zumindest zehn Jahre, wahrscheinlich schon länger zurückliegenden Entwicklung zur Alkoholkrankheit ließen sich nicht exakt abgrenzen. Zwangseinweisungen der Beklagten herbeizuführen, habe der Kläger mit Rücksicht auf den Familienfrieden unterlassen. Die Eheverfehlungen der Beklagten hätten eine unheilbare Zerrüttung der Ehe mit sich gebracht. Der Kläger habe jeden Ehewillen verloren, weil eine Änderung des Verhaltens der Beklagten bei ihr nicht zu erwarten sei. Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, daß die Beklagte schwere Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG gesetzt habe. Die Alkoholkrankheit der Beklagten könne nicht unter § 50 EheG subsumiert werden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge. Es übernahm die auf Grund eines mängelfreien Verfahrens getroffenen Feststellungen des Erstgerichtes. Aus den eingeholten Gutachten ergebe sich, daß die Beklagte seit Jahren intensiven Alkoholmißbrauch treibe, jedoch krankheitsuneinsichtig und behandlungsunwillig sei. Es lägen keine Anhaltspunkte vor, daß ihr Zustand als geistige Störung im Sinne des § 50 EheG zu werten wäre. Der Beklagten sei daher ihr als objektiv ehezerstörend zu unterstellendes Verhalten auch subjektiv vorwerfbar, weil sie jede Behandlung ihrer Trunksucht abgelehnt habe. Eine Mitschuld des Klägers liege nicht vor, er habe vielmehr durch Jahre freilich vergeblich durch gutes Zureden, Motivierung zur Inanspruchnahme ärztlicher Behandlung, aber auch durch Vorwürfe versucht, die Beklagte von ihrer Trunksucht abzubringen. Die Ehe sei unheilbar zerrüttet.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision der Beklagten ist berechtigt.
Soweit die Beklagte allerdings die eingetretene Zerrüttung bestreitet oder eine gleichteilige Mitschuld des Klägers behauptet, geht sie nicht vom festgestellten Sachverhalt aus. Alle Versuche des Klägers, die Beklagte dazu zu bringen, sich einer Behandlung zu unterziehen, schlugen fehl. Der Kläger hat wegen der Eheverfehlungen der Beklagten jeden Ehewillen verloren. Für die Frage der Zerrüttung ist es nur wesentlich, ob das Verhalten des schuldigen Ehegatten geeignet war, dem anderen die Fortsetzung der Ehe unerträglich zu machen und daß es diese Wirkung gehabt hat (EFSlg 51.603, 48.765 ua); die Bereitwilligkeit des schuldigen Ehegatten zur Fortsetzung der Ehe ist für die Beurteilung der Zerrüttung unerheblich (EFSlg 51.606, 48.767 ua).
Die Beklagte bestreitet nicht die zutreffende Rechtsansicht der Vorinstanzen, daß der Alkoholmißbrauch, der zum Verlust der Achtung des Ehepartners führen muß, eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG darstellt (EFSlg 51.581, 48.730, 43.610 uva). Zutreffend rügt die Revision aber, daß die Vorinstanzen, ohne darüber ein Beweisverfahren durchgeführt zu haben, das Vorliegen der Voraussetzungen nach § 50 EheG verneinten. Die Beklagte brachte in ihrem in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom 11. Juni 1987 vorgetragenen Beweisantrag (ON 20) vor, es entstehe auf Grund des eingeholten Sachverständigengutachtens der Eindruck, daß sie an einer schweren seelischen Erkrankung leide, so daß die Ergänzung des Gutachtens beantragt werde. Damit hat sie mit hinreichender Deutlichkeit die Behauptung aufgestellt, die ihr vorgeworfenen schweren Eheverfehlungen beruhten auf einer geistigen Störung im Sinne des § 50 EheG. Unter einer geistigen Störung nach § 50 EheG sind nicht nur Geisteskrankheiten minderen Grades, sondern auch nervöse Störungen (Psychoneurosen, Zwangsneurosen), geistige Anomalien und schwere Trunksucht zu verstehen (EFSlg 41.219; Pichler in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 50 EheG). Eine solche geistige Störung liegt nicht nur dann vor, wenn die Verantwortlichkeit zur Gänze ausgeschlossen, der Ehegatte geradezu unzurechnungsfähig ist, es genügt vielmehr eine erhebliche Beeinträchtigung der Willensbildung und Kontrolle (EFSlg 48.781, 41.219, 27.385 ua;
Pichler aaO). Trunksucht, die derart nicht mehr beherrscht werden kann, fällt unter die Bestimmung des § 50 EheG (7 Ob 518/88;
Schwind, Eherecht2 219; Pichler aaO).
Wurde aber das erheblich scheinende Vorbringen der Beklagten schon in erster Instanz nicht erörtert und darüber kein Beweisverfahren abgeführt, ist der Revision Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Rechtssache gemäß § 510 Abs 1 ZPO an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf den § 52 ZPO.
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