OGH 2Ob106/88

OGH2Ob106/886.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Scheiderbauer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kralik, Dr. Vogel, Dr. Melber und Dr. Kropfitsch als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Maria P***, Frühpensionistin, Millstätterstraße 63, 9500 Villach-Landskron, vertreten durch Dr. Franz Kleinszig und Dr. Christian Puswald, Rechtsanwälte in St. Veit an der Glan, wider die beklagten Parteien

  1. 1) Dr. Ortwin R***, Arzt, Vassacher-Straße 30, 9500 Villach, und
  2. 2) Z*** K*** Versicherungen AG, Direktion für Österreich, Schwarzenbergplatz 15, 1015 Wien, beide vertreten durch Dr. Hugo Schally und Dr. Anton Knees, Rechtsanwälte in Klagenfurt, wegen Zahlung von 455.100 S sA, Leistung einer monatlichen Rente von 5.900 S und Feststellung (100.000 S), Revisionsstreitwert 293.151 S, infolge Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom 9. Juni 1988, GZ 3 R 94/88-33, womit infolge Berufung der beklagten Parteien das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt vom 15. Februar 1988, GZ 27 Cg 15/87-25, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, der klagenden Partei die mit 11.218,51 S bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin Umsatzsteuer von 1.019,86 S, keine Barauslagen) binnen 14 Tagen bei Exekution zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Am 8. November 1983 ereignete sich gegen 0,20 Uhr in Villach im Bereich der Kreuzung Ossiacherzeile - Tafernerstraße ein Verkehrsunfall, an dem die Klägerin als Halterin und Lenkerin des Motorfahrrades mit dem Kennzeichen K 119.757 und der Erstbeklagte als Lenker des PKW mit dem Kennzeichen K 19.812 beteiligt waren. Die Zweitbeklagte ist der Haftpflichtversicherer des letztgenannten Kraftfahrzeuges. Der Erstbeklagte kollidierte bei dem Versuch, mit dem von ihm gelenkten PKW von der Ossiacherzeile nach links in die Tafernerstraße einzubiegen, mit dem ihm auf der Ossiacherzeile entgegenkommenden geradeaus fahrenden Fahrzeug der Klägerin. Dabei wurde die Klägerin verletzt; an beiden Fahrzeugen entstand Sachschaden. Wegen dieses Verkehrsunfalles wurde der Erstbeklagte mit rechtskräftiger Strafverfügung des Bezirksgerichtes Villach vom 7. Dezember 1983, 5 U 1656/83-3, des Vergehens der fahrlässigen schweren Körperverletzung nach § 88 Abs 1 und Abs 4 erster Fall StGB schuldig erkannt; es wurde ihm darin zur Last gelegt, daß er beim Linksabbiegen den Vorrangverkehr nicht beachtet habe. Im vorliegenden Rechtsstreit begehrte die Klägerin aus dem Rechtsgrund des Schadenersatzes aus diesem Verkehrsunfall die Verurteilung der Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 455.100 S sA und einer monatlichen Rente von 5.900 S vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1998; überdies stellte sie ein auf Feststellung der Haftung der Beklagten zur ungeteilten Hand für ihre künftigen Unfallschäden gerichtetes Feststellungsbegehren; die Haftung der Zweitbeklagten sei eingeschränkt "auf die Versicherungshöchstbeträge".

Dem Grunde nach stützte die Klägerin ihr Begehren auf die Behauptung, daß den Erstbeklagten das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil er beim Linksabbiegen den der Klägerin zukommenden Vorrang verletzt habe.

Das Kapitalbegehren der Klägerin setzt sich zusammen wie folgt:

Schmerzengeld 300.000,-- S

Verdienstentgang 1.1.1984 bis

31.12.1986, 36 Monate

a 5.900,-- S 212.400,-- S

Fahrzeugschaden 4.700,-- S

Kleiderschaden 8.000,-- S

525.100,-- S

abzüglich erhaltener

Akontozahlung 70.000,-- S

455.100,-- S

Zu dem der Höhe nach allein noch strittigen

Verdienstentgangsbegehren brachte die Klägerin im wesentlichen vor,

daß sie bei der Warmbader-Restaurations- und

Badebetriebsgesellschaft mbH in Villach als Serviererin beschäftigt

gewesen sei, wo sie einschließlich des ihr zugekommenen Trinkgeldes

ein durchschnittliches monatliches Einkommen von 13.000 S bezogen

habe. Infolge ihrer beim Unfall erlittenen Verletzungen könne sie

diese berufliche Tätigkeit nicht mehr ausüben; sie sei vorzeitig

pensioniert worden. Unter Berücksichtigung der ihr zukommenden

Sozialversicherungsleistungen erleide sie einen monatlichen

Verdienstentgang von 5.900 S. Den Ersatz dieses Verdienstentganges

verlangte die Klägerin für die Zeit vom 1. Jänner 1984 bis

31. Dezember 1986 in Form eines Kapitalbetrages, ab 1. Jänner 1987

in Form einer Rente.

Das Feststellungsinteresse der Klägerin ist nicht strittig. Die Beklagten wendeten dem Grunde nach im wesentlichen ein, daß die Klägerin ein mit 25 % zu bewertendes Mitverschulden an diesem Verkehrsunfall treffe, weil sie zum rechten Fahrbahnrand einen Seitenabstand von wenigstens 3 m eingehalten und damit das Rechtsfahrgebot des § 7 Abs 2 StVO verletzt habe. Die Höhe des von der Klägerin behaupteten Verdienstentganges wurde von den Beklagten bestritten.

Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand zur Zahlung von 275.666 S sA und einer monatlichen Rente von 5.558 S für die Zeit vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1993 an die Klägerin; dem Feststellungsbegehren der Klägerin gab es statt. Ihr auf Zahlung eines weiteren Betrages von 179.434 S sA und weiterer monatlicher Rentenbeträge von 342 S für die Zeit vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1993 und von 5.900 S für die Zeit vom 1. Jänner 1994 bis 31. Dezember 1998 gerichtetes Mehrbegehren wies es ab. Das Erstgericht stellte, soweit für die Beurteilung der im Revisionsverfahren allein noch strittigen Fragen eines Mitverschuldens der Klägerin und der Höhe ihres Ersatzanspruches aus dem Titel des Verdienstentganges von Interesse, im wesentlichen folgenden Sachverhalt fest:

Die Ossiacherzeile verläuft im Bereich der Unfallstelle annähernd in Nord-Süd-Richtung; die Kreuzung mit der Tafernerstraße ist ampelgeregelt. Die Ossiacherzeile ist in drei Fahrstreifen unterteilt. Die Klägerin stand mit ihrem Fahrzeug zunächst bei Rotlicht südlich der Kreuzung. Nach Umschalten der Verkehrslichtsignalanlage auf Grünlicht setzte sie ihr Fahrzeug in Bewegung, um die Kreuzung in nördlicher Richtung zu überqueren, wobei sie eine Geschwindigkeit von maximal 21 km/h erreichte. Dabei hielt sie vorerst zum rechten Fahrbahnrand einen Abstand von 85 cm (das sind 35 cm zur Begrenzungslinie) ein.

Zur selben Zeit wollte der Erstbeklagte auf der Ossiacherzeile von Norden kommend nach links in die Tafernerstraße abbiegen. Nördlich der Kreuzung standen am östlichen Fahrbahnrand (demnach in der Fahrspur der Klägerin) zwei Personenkraftwagen. Auf diese schaute der Erstbeklagte, als er in Annäherung an die Kreuzung bereits seit etwa 50 m auf der mittleren, für das Linksabbiegen vorgesehenen Fahrspur fuhr. Als er die Kreuzung erreichte, zeigte die Ampel für ihn bereits grün. Er bog in einem Zug in die Kreuzung ein, wobei er sich immer noch auf die beiden stehenden Fahrzeuge konzentrierte. Als er bereits beim Abbiegen war, erkannte er den Scheinwerfer am Fahrzeug der Klägerin und bremste abrupt ab. Der PKW gelangte 0,89 Sekunden vor der Kollision in einer Schrägstellung zum Stillstand, wobei die vordere linke Ecke rund 1 m von der östlichen Begrenzungslinie der Fahrbahn entfernt war. Der Unfallspunkt lag rund 2,1 m westlich dieser östlichen Begrenzungslinie. Die Klägerin erkannte die Gefahr rund 2,15 Sekunden vor der Kollision in einer Entfernung von 12,55 m von der Kollisionsstelle. Sie konnte das Abbiegemanöver des Erstbeklagten erst erkennen, als sich der PKW rund 4 m vor seiner Endlage befand. Daß der PKW abgebremst wurde, konnte die Klägerin erst rund 0,5 Sekunden nach ihrem Reaktionsentschluß erkennen. Die Klägerin lenkte ihr Fahrzeug bis zur Kollision um rund 1,75 m nach links aus. Hätte sie 12,55 m vor der Kollisionsstele voll gebremst, so hätte sie rund 3,9 m vor dem Kollisionspunkt anhalten können. Wenn der Erstbeklagte den PKW nicht abgebremst hätte, hätte er den Kreuzungsbereich bereits verlassen gehabt, als die Klägerin an der Unfallstelle eintraf. Die Klägerin war zum Zeitpunkt des Unfalles bei der Warmbader-Restaurations- und Badebetriebsgesellschaft mbH in Villach als Serviererin beschäftigt. Infolge ihrer bei diesem Verkehrsunfall erlittenen Verletzungen ist ihr vom medizinischen Standpunkt aus eine weitere berufliche Tätigkeit als Serviererin nicht mehr zumutbar. Sie machte im Jahr 1984 in diesem Betrieb noch einen längeren Arbeitsversuch, den sie aber aufgeben mußte, weil ihr die Ausübung des Berufes infolge der verletzungsbedingten Schmerzen nicht mehr möglich war. Seither geht sie keiner Erwerbstätigkeit mehr nach. Der Klägerin wäre auf Grund ihres Gesundheitszustandes eine Verweisung in ihrem bisherigen Arbeitsbereich etwa als Sitzkassierin in einem Selbstbedienungsrestaurant zuzumuten. Auf Grund der Arbeitsmarktsituation ist eine solche Zuweisung jedoch derzeit unmöglich. In der Praxis zeigte sich, daß Servierkräfte im Alter von 60 Jahren um die Pensionierung ansuchen.

Die Klägerin verdiente während ihrer beruflichen Tätigkeit im Jahr 1984 (also nach dem Unfall) aufgerundet monatlich 9.000 S netto; darüber hinaus nahm sie monatlich im Durchschnitt etwa 2.500 S an Trinkgeldern ein.

Der Verdienstentgang der Klägerin betrug im Jahr 1984 45.833 S; dem stehen Leistungen der Sozialversicherungsträger von 52.642 S gegenüber. Im Jahr 1985 betrug der Verdienstentgang der Klägerin 150.000 S; dem stehen Leistungen der Sozialversicherungsträger von 84.674,40 S gegenüber. Im Jahr 1986 betrug der Verdienstentgang der Klägerin gleichfalls 150.000 S; dem stehen Leistungen der Sozialversicherungsträger von 82.360,60 S gegenüber. Seit 1. Jänner 1987 bezieht die Klägerin Renten von der A*** und der PVA der Arbeiter von insgesamt 6.942 S monatlich. Ihr fiktives Arbeitseinkommen hätte monatlich 12.500 S betragen. Rechtlich beurteilte das Erstgericht den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, daß das Alleinverschulden an diesem Verkehrsunfall den Erstbeklagten treffe, der den der Klägerin zukommenden Vorrang verletzt habe. Die Klägerin hätte zwar durch eine Vollbremsung vor dem nach links abbiegenden PKW anhalten können, doch sei ihr Ausweichmanöver nach links fahrtechnisch nicht als falsch zu bewerten. Es sei ihr daher kein Mitverschulden anzulasten.

Der Klägerin gebühre ein Schmerzengeld von 200.000 S und der Ersatz des Fahrzeug- und Kleiderschadens von zusammen 12.700 S. Im Jahr 1984 habe die Klägerin im Hinblick auf die ihr zugekommenen Sozialversicherungsleistungen keinen Verdienstentgang erlitten. Für das Jahr 1985 stünden einem fiktiven Nettoeinkommen der Klägerin von 150.000 S Zahlungen der Sozialversicherungsträger von 84.674,40 S gegenüber, sodaß der Verdienstentgang der Klägerin in diesem Jahr aufgerundet 65.326 S betrage. Für das Jahr 1986 stünden einem fiktiven Nettoeinkommen der Klägerin von 150.000 S Leistungen der Sozialversicherungsträger von 82.360,60 S gegenüber, sodaß die Klägerin in diesem Jahr einen Verdienstentgang von aufgerundet 67.640 S erlitten habe. Ab 1. Jänner 1987 hätte das fiktive monatliche Nettoeinkommen der Klägerin 12.500 S betragen; dem stünden Rentenleistungen der Sozialversicherungsträger von monatlich 9.942 S gegenüber. Es gebühre ihr daher aus dem Titel des Verdienstentganges ab diesem Zeitpunkt eine monatliche Rente von

5.558 S, die allerdings mit 31. Dezember 1993 (Vollendung des 60. Lebensjahres der Klägerin) zu begrenzen sei.

Der gegen diese Entscheidung des Erstgerichtes gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht mit dem angefochtenen Urteil keine Folge. Es sprach aus, daß der Wert des Streitgegenstandes, über den es entschieden hat, zusammen mit dem in einem Geldbetrag bestehenden Teil 300.000 S übersteigt. Das Berufungsgericht stellte nach Beweisergänzung fest, daß die Klägerin im Jahr 1983 ab 7. Mai beschäftigt war. Sie verdiente von da an bis zum Unfall monatlich durchschnittlich 10.920 S netto (zuzüglich monatlicher Trinkgelder von 2.500 S). Im übrigen übernahm das Berufungsgericht die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich.

Rechtlich beurteilte es den festgestellten Sachverhalt im wesentlichen dahin, die Klägerin habe durchaus annehmen können, ein Auslenken nach links würde den Unfall vermeiden, weil sie zu dieser Zeit das Bremsmanöver des Erstbeklagten nicht erkennen habe können und ohne ein Bremsmanöver des Erstbeklagten der Unfall ebenfalls vermieden worden wäre. Eine gegen § 7 StVO verstoßende Fahrlinie der Klägerin sei nicht erwiesen. Ein Mitverschulden der Klägerin liege nicht vor.

Der Berechnung des Verdienstentganges der Klägerin sei jenes Einkommen zugrundezulegen, das sie ohne Unfall bei einem gewöhnlichen Verlauf der Dinge voraussichtlich hätte erzielen können. Das sei im vorliegenden Fall jenes Einkommen, das die Klägerin vor ihrem Unfall bezogen habe. Die Berechnung des Verdienstentganges der Klägerin auf Grund ihres im Jahr 1984 bezogenen Einkommens - in diesem Jahr habe die Klägerin lediglich einen Arbeitsversuch gemacht, den sie wegen der auftretenden Schmerzen abbrechen habe müssen - sei zwar unzutreffend gewesen; daraus sei aber zu Gunsten der Beklagten nichts abzuleiten, weil die Klägerin im Jahr 1983 - also vor dem Unfall - durchschnittlich einschließlich des ihr zugekommenen Trinkgeldes mehr als monatlich 12.500 S ins Verdienen gebracht habe. Im Ergebnis sei daher die Berechnung des Verdienstentganges durch das Erstgericht richtig. Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichtes richtet sich die Revision der Beklagten. Sie bekämpfen sie insoweit, als der Klägerin ein Kapitalbetrag von mehr als 149.445 S und eine Rente von mehr als 1.615,50 S monatlich zugesprochen und ihrem Feststellungsbegehren in Ansehung von mehr als drei Vierteln ihrer künftigen Unfallschäden stattgegeben wurde, aus den Revisionsgründen der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens, der Aktenwidrigkeit und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, das angefochtene Urteil dahin abzuändern, daß der Klägerin lediglich ein Betrag von 149.445 S und vom 1. Jänner 1987 bis 31. Dezember 1993 eine monatliche Rente von 1.615,50 S zugesprochen und ihrem Feststellungsbegehren nur in Ansehung von drei Vierteln ihrer künftigen Unfallschäden stattgegeben, ihr Mehrbegehren aber abgewiesen werde; hilfsweise stellen sie einen Aufhebungsantrag. Die Klägerin hat eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag erstattet, der Revision der Beklagten keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist im Hinblick auf die Höhe des Streitgegenstandes, über den das Berufungsgericht entschieden hat, ohne die im § 503 Abs 2 ZPO normierte Einschränkung der Revisionsgründe zulässig, sachlich aber nicht berechtigt. Die Revisionsgründe der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens und der Aktenwidrigkeit, in deren Ausführung die Beklagten in Wahrheit die Richtigkeit der ausschließlich dem Tatsachenbereich zuzuordnenden (8 Ob 116/83; 8 Ob 8/86; 2 Ob 6/87 uva) Feststellung des Berufungsgerichtes über die Höhe des fiktiven Arbeitseinkommens, das die Klägerin ohne den Unfall bezogen hätte, bekämpfen, liegen nicht vor, was nicht näher zu begründen ist (§ 510 Abs 3 ZPO). In ihrer Rechtsrüge versuchen die Beklagten im wesentlichen darzutun, daß der Klägerin ein mit einem Viertel zu bewertendes Mitverschulden anzulasten sei, weil sie auf das Abbiegemanöver des Erstbeklagten nicht mit einer zum rechtzeitigen Anhalten führenden Bremsung ihres Fahrzeuges, sondern mit einem Ausweichen nach links reagiert habe.

Dem ist nicht zu folgen.

Es bedarf keiner weiteren Begründung, daß das festgestellte Fahrverhalten des Erstbeklagten seiner aus § 38 Abs 4 StVO abzuleitenden Verpflichtung, beim Einbiegen nach links entgegenkommenden geradeaus fahrenden Fahrzeugen den Vorrang zu geben, in grober Weise widersprach. Daß ihn ein Verschulden an dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall trifft, steht im Sinne des § 268 ZPO auf Grund der gegen ihn ergangenen rechtskräftigen Strafverfügung für das Zivilgericht bindend fest und wird von den Beklagten auch gar nicht in Abrede gestellt.

Hingegen kann auf der Grundlage der von den Vorinstanzen getroffenen Feststellungen der Klägerin ein Mitverschulden nicht angelastet werden.

Es ist zunächst aus dem Gesichtspunkt der Bestimmungen des § 7 StVO nicht zu beanstanden, wenn die Klägerin beim Einfahren in die Kreuzung einen Abstand von 85 cm zum rechten Fahrbahnrand bzw. von 35 cm zur rechten Begrenzungslinie einhielt.

Im übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung des Obersten

Gerichtshofes, daß kein Mitverschulden anzunehmen ist, wenn ein

Verkehrsteilnehmer bei einer plötzlich auftretenden Gefahr, zu

schnellem Handeln gezwungen, rückblickend betrachtet in einer

solchen Situation eine unrichtige Maßnahme trifft (ZVR 1988/66

mwN uva).

Dies trifft im vorliegenden Fall uneingeschränkt auf die

Klägerin zu. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen erkannte die

Klägerin die von dem nach links abbiegenden entgegenkommenden PKW ausgehende Gefahr rund zwei Sekunden vor der Kollision; daß sie diese Gefahr bereits früher hätte erkennen können, ergibt sich aus den Feststellungen der Vorinstanzen nicht. Sie reagierte ohne Verzug auf diese erkannte Gefahr mit einem Auslenken ihres Fahrzeuges nach links, was schon deswegen nicht als erkennbare Fehlreaktion beurteilt werden kann, weil durch dieses Linksauslenken der Klägerin der Unfall vermieden worden wäre, wenn der Erstbeklagte seine Fahrt fortgesetzt hätte. Gewiß hätte die Klägerin nach den Feststellungen der Vorinstanzen den Unfall vermeiden können, wenn sie nach Erkennen des Fehlverhaltens des Erstbeklagten ihr Fahrzeug abgebremst und angehalten hätte. Im Sinne der dargestellten ständigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes begründet es aber gegenüber dem grob verkehrsordnungswidrigen Verhalten des Erstbeklagten kein Mitverschulden der Klägerin, wenn sie in der vom Erstbeklagten schuldhaft eingeleiteten Gefahrensituation durch das Auslenken ihres Fahrzeuges nach links eine andere (zunächst erfolgversprechende) Abwehrmaßnahme traf, die sich erst nachträglich als unrichtig herausstellte.

Mit Recht haben unter diesen Umständen die Vorinstanzen eine Kürzung der Schadenersatzansprüche der Klägerin wegen eines ihr anzulastenden Mitverschuldens abgelehnt.

Der Revision der Beklagten muß daher ein Erfolg versagt bleiben. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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