OGH 10ObS316/88

OGH10ObS316/886.12.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits- und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Resch als Vorsitzenden, durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Mag.Engelmaier und Dr.Angst als weitere Richter und durch die fachkundigen Laienrichter Dr.Josef Mandak (Arbeitgeber) und Reinhard Horner (Arbeitnehmer) in der Sozialrechtssache der klagenden Partei Bozidar D***, 5083 Gartenau, Weißkindstraße 4, vor dem Obersten Gerichtshof nicht vertreten, wider die beklagte Partei P***

DER A*** (Landesstelle Salzburg), 1092 Wien, Roßauer Lände 3, vertreten durch Dr.Anton Rosicky, Rechtsanwalt in Wien, wegen Invaliditätspension, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes in Arbeits- und Sozialrechtssachen vom 24.August 1988, GZ 12 Rs 113/88-30, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Salzburg als Arbeits- und Sozialgerichtes vom 26.Mai 1988, GZ 38 Cgs 1163/87-27, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben.

Die Sozialrechtssache wird zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückverwiesen.

Text

Begründung

Mit Bescheid vom 3.Juni 1987 wies die beklagte Partei den Antrag des am 7.Jänner 1952 geborenen Klägers vom 11.Februar 1987 auf Invaliditätspension mangels Invalidität ab.

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Klage behauptete der Kläger, in Österreich von 1970 bis 1975 als Elektriker und anschließend als angelernter Schlosser tätig gewesen zu sein und wegen zweimaligen Bandscheibenvorfalls im Juni 1986 und im Februar 1987 sowie rezidivierender Lumboischialgie links keiner geregelten Beschäftigung mehr nachgehen zu können. Deshalb begehrte er eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.März 1987. Die beklagte Partei beantragte die Abweisung der Klage, weil der nicht überwiegend als angelernter Schlosser tätig gewesene Kläger auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verwiesen werden könne. Er habe vom 1. März 1972 bis 28.Februar 1987 insgesamt 156 Beitragsmonate (nach dem ASVG) erworben und müßte daher für einen Berufsschutz mindestens 79 Beitragsmonate als angelernter Schlosser tätig gewesen sein. Da er erst seit 1.April 1977 im Fertigungsbereich eingesetzt worden und unter Bedachtnahme auf die im Lehrberuf des Schlossers erforderliche Lehrzeit von 3 1/2 Jahren auch eine ebensolche Anlernzeit zu berücksichtigen sei, könnte eine angelernte Tätigkeit frühestens ab 1. Oktober 1980 angenommen werden. Von diesem Tag bis zum 25. Jänner 1987 habe er aber nur 71 Beitragsmonate erworben. Wegen dieses Einwandes schränkte der Kläger mit der Begründung, daß er vom 26.Jänner bis 21.Juni 1987 Krankengeld bezogen und vom 22. Juni 1987 bis 11.März 1988 durch Krankenstand und Urlaub unterbrochene Arbeitsversuche unternommen habe, wodurch er vom Juni 1987 bis 11.März 1988 weitere 8 Beitragsmonate als angelernter Schlosser erworben habe, sein Begehren auf eine Invaliditätspension im gesetzlichen Ausmaß ab 1.März 1988 ein.

Das Erstgericht gab dem eingeschränkten Klagebegehren statt und trug der beklagten Partei auf, dem Kläger bis zur Erlassung des die Höhe der Leistung festsetzenden Bescheides eine vorläufige Zahlung von 5.000 S zu erbringen.

Nach den wesentlichen Feststellungen kann der Kläger wegen seines im einzelnen beschriebenen, seit Anfang 1987 bestehenden körperlichen und geistigen Zustandes in geschlossenen und trockenen Räumen bei einer täglichen Arbeitszeit von 8 Stunden ohne überdurchschnittliche Arbeitspausen während der gesamten Arbeitszeit leichte, bis zu einem Drittel der Arbeitszeit auch mittelschwere Arbeiten im Sitzen, jeweils bis zu einer halben Stunde auch im Stehen verrichten, wobei er anschließend eine Viertelstunde wieder im Sitzen arbeiten können muß. Er kann keine schweren Lasten heben und tragen, häufige Bückbelastungen, Arbeiten in ständig vorgebeugter Haltung, an exponierten absturzgefährdeten Stellen und an Maschinen mit mechanischem Fußantrieb sind nicht zuzumuten, Nässeund Kälteexposition zu vermeiden. Ein Anmarschweg zur Arbeitsstätte von einem Kilometer ist zumutbar.

Während der letzten 15 Jahre vor dem 1.März 1987 erwarb der Kläger 156 Beitragsmonate und von Juni 1987 bis 11.März 1988 weitere 8 durch Arbeitsversuche, unterbrochen durch Krankenstand und Urlaub. Der in Jugoslawien geborene Kläger brach eine Lehre als Elektroinstallateur im dritten Lehrjahr ohne Abschlußprüfung ab. Er kam 1970 nach Österreich und arbeitete hier zunächst ein Jahr als Montagearbeiter in der Elektroindustrie. Von 1971 bis 1975 war er Produktionsarbeiter in der Spielwarenindustrie und bediente dabei Metallbearbeitungsmaschinen wie Stanz- und Walzapparate. Seit (April) 1975 war er bis (20.November) 1975 als Wagenwäscher und Hilfsarbeiter, nach dem Militärdienst in Jugoslawien vom 1.April bis 31. Dezember 1977, vom 20.Jänner 1978 bis 31.Mai 1981 und seit 1. Juni 1981 bis 11.März 1988 bei der K*** A***,

Fahrzeugwerke GmbH, einem Aluminiumbearbeitungsbetrieb, im Fertigungsbereich eingesetzt und mit der Herstellung und der Montage von Aluminiumbordwänden und Bauteilen befaßt. Er hatte Aluminiumbordwände nach Zeichnungen und Plänen selbständig anzufertigen und zu montieren, mußte die rohen Platten zuschneiden, formen und schweißen, arbeitete an einer Spezialbohrmaschine, die er selbst einstellen und warten mußte. Kenntnisse im Aluschweißen erwarb er sich bei der Firma K***. Bei dieser Tätigkeit handelte es sich um eine sehr qualifizierte. Der Kläger arbeitete wie ein ausgebildeter Schlosser. Er eignete sich im Lauf der Zeit Fertigkeiten und Kenntnisse in der Aluminiumbearbeitung an und war ab 1980 selbständig mit einem oder zwei Mitarbeitern im Bereich der Aluminiumbearbeitung eingesetzt und nur dem Werkmeister unterstellt. Bei der Firma K*** sind überwiegend Metallfacharbeiter eingesetzt. Mit 1.Juni 1981 wurde der Kläger als Schlosser in der Lohngruppe III (Facharbeiter) des Kollektivvertrages Metallgewerbe eingesetzt, mit 1.November 1982 wurde er als qualifizierter Facharbeiter (Lohngruppe II) eingestuft. Überdurchschnittlich gut qualifizierte Arbeitnehmer werden bei der Firma K***, wenn sie den Teil der Tätigkeit ausüben, den auch ein Facharbeiter ausüben würde, auch ohne Berufsschulabschluß in der Lohngruppe III oder höher eingestuft. Der Kläger übte schon ab 1980 die Tätigkeit eines besonders qualifizierten Arbeitnehmers aus, die sonst nur von gelernten Schlossern ausgeübt wird. Beim Aluschweißen handelt es sich um eine gegenüber dem Elektroschweißen oder Schutzgasschweißen kompliziertere Form des Schweißens, für die eine Anlernzeit von zwei Jahren notwendig ist. Die Fertigkeiten und Kenntnisse des Klägers im Metallbereich sind auf einen spezifischen Bereich eingeschränkt. Das Berufsbild des Schlossers umfaßt verschiedene Fähigkeiten und Kenntnisse, die vom Kläger nicht beherrscht werden, zB spanabhebende Fertigung, Wärmebehandlung von Metallen, ua. Die innerbetriebliche Variabilität hinsichtlich anderer Produktionsbereiche der Firma K*** wäre beim Kläger geringer gewesen als bei einem gelernten Schlosser.

Unter diesen Umständen billigte das Erstgericht dem Kläger Berufsschutz zu und erachtete ihn als invalid im Sinne des § 255 Abs 1 ASVG. Deshalb komme eine Verweisung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, wo er eine Reihe von Tätigkeiten verrichten könnte, nicht in Betracht.

Das Berufungsgericht gab der wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung erhobenen Berufung der beklagten Partei nicht Folge. Die in der Praxis erworbenen qualifizierten Kenntnisse und Fähigkeiten müßten nicht die eines bestimmten Lehrberufes sein, sondern nur den in einem Lehrberuf erworbenen Kenntnissen und Fähigkeiten entsprechen. Es genüge, wenn Art und Ausmaß der erworbenen Fähigkeiten gleich hoch einzuschätzen seien wie die Ausbildung in einer Lehre. Da die Berufungswerberin selbst zugestehe, daß der Kläger im Aluschweißen, das eine kompliziertere Form des Schweißens sei, hervorragende Kenntnisse aufweise, und die Tätigkeit des Klägers als besonders verantwortliche und qualifizierte einzustufen sei, die sonst nur von gelernten Schlossern ausgeübt werde, sei das Erfordernis eines angelernten Berufes iS des § 255 Abs 2 ASVG als erfüllt anzusehen. Dagegen richtet sich die Revision der beklagten Partei wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung der Sache mit den Anträgen, das angefochtene Urteil im klageabweisenden Sinne abzuändern oder es allenfalls aufzuheben.

Der Kläger erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die nach § 46 Abs 4 ASGG ohne die Beschränkungen des Abs 2 dieser Gesetzesstelle zulässige Revision ist berechtigt. Nach § 255 Abs 2 ASVG liegt ein angelernter Beruf im Sinne des Abs 1 dieser Gesetzesstelle vor, wenn der Versicherte eine Tätigkeit ausübt, für die es erforderlich ist, durch praktische Arbeit qualifizierte Kenntnisse oder Fähigkeiten zu erwerben, welche jenen in einem erlernten Berufe gleichzuhalten sind.

In den Erläuterungen zum Initiativantrag der 9. ASVGNov, mit der die zitierte Bestimmung eingeführt wurde, wurde ua ausgeführt (517 BlgNR 9.GP 87):

"Die Prüfung, ob diese Voraussetzungen vorliegen, wird keine Schwierigkeiten bereiten, wenn es sich um eine Tätigkeit handelt, die ein Versicherter in einem üblicherweise erlernten Beruf ausübt, ohne daß er tatsächlich den Beruf erlernt hat. In solchen Fällen soll es für die Anspruchsberechtigung auf eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit gleichgültig sein, ob die Kenntnisse oder Fähigkeiten durch die Absolvierung eines Lehrverhältnisses oder durch praktische Arbeit erworben wurden. Handelt es sich um Fähigkeiten, für die eine Ausbildung in Form eines Lehrverhältnisses überhaupt nicht vorgesehen ist, wird die Feststellung notwendig sein, daß eine solche Tätigkeit nach den für sie in Betracht kommenden Voraussetzungen im allgemeinen eine ähnliche Summe besonderer Kenntnisse oder Fähigkeiten erfordert wie die Tätigkeit in einem erlernten Beruf. Es wird sich "- in diesem Fall! -" nicht um den Vergleich mit einem konkreten erlernten Beruf handeln dürfen."

Auch dann, wenn die Kenntnisse oder Fähigkeiten - wie im vorliegenden Fall - an einem bestimmten Lehrberuf zu messen sind, ist der Berufsschutz nicht erst dann zu bejahen, wenn der Versicherte alle Kenntnisse oder Fähigkeiten besitzt, die nach den Ausbildungsvorschriften zum Berufsbild dieses Lehrberufes zählen und daher einem Lehrling während der Lehrzeit zu vermitteln sind. Es kommt vielmehr darauf an, daß der Versicherte über die Kenntnisse oder Fähigkeiten verfügt, die üblicherweise von ausgelernten Facharbeitern des jeweiligen Berufes in dessen auf dem Arbeitsmarkt gefragten Varianten (Berufsgruppe) unter Berücksichtigung einer betriebsüblichen Einschulungszeit verlangt werden. Hingegen reicht es nicht aus, wenn sich die Kenntnisse oder Fähigkeiten nur auf ein Teilgebiet oder mehrere Teilgebiete eines Tätigkeitsbereiches beschränken, der von ausgelernten Facharbeitern allgemein in viel weiterem Umfang beherrscht wird (SSV-NF 1/48; 14.Juni 1988 10 Ob S 137/88; 6.September 1988 10 Ob S 41/88; 20.September 1988 10 Ob S 245/88; 8.November 1988 10 Ob S 294/88).

Ob ein angelernter Beruf vorliegt, ist eine Rechtsfrage, zu deren Beantwortung - im vorliegenden Fall detaillierte Feststellungen darüber erforderlich sind, welche Anforderungen an ausgelernte Facharbeiter der Berufsgruppe Schlosser üblicherweise - nicht nur im Fertigungsbereich eines aluminiumbearbeitenden Fahrzeugbetriebes - gestellt werden und welche qualifizierten Kenntnisse oder Fähigkeiten dieser Berufsgruppe der Kläger wann erworben hat (insb SSV-NF 1/48). Hingegen ist die kollektivvertragliche Einstufung als Facharbeiter nicht von wesentlicher Bedeutung (20.September 1988 10 Ob S 180/88). Die bisherigen Feststellungen reichen zu einer verläßlichen Beurteilung des Berufsschutzes des Klägers nicht aus. Im Hinblick auf die Feststellung, daß die Fertigkeiten und Kenntnisse des Klägers im Metallbereich auf einen spezifischen Bereich (wahrscheinlich Aluminium) eingeschränkt sind, daß er verschiedene zum Berufsbild des Schlossers gehörende Fähigkeiten und Kenntnisse nicht beherrscht und "die innerbetriebliche Variabilität hinsichtlich anderer Produktionsbereiche der Firma K*** beim Kläger geringer gewesen wäre als bei einem gelernten Schlosser", sind genauere Feststellungen einerseits über die von ausgelernten Facharbeitern der Berufsgruppe Schlosser üblicherweise verlangten und anderseits über die beim Kläger vorhandenen diesbezüglichen Kenntnisse oder Fähigkeiten sowie über die Zeit, seit der der Kläger darüber verfügte, erforderlich.

Nach dem gemäß § 513 ZPO auch im Revisionsverfahren anzuwendenden § 496 Abs 1 Z 3 leg cit waren die Urteile der Vorinstanzen wegen Feststellungsmängeln aufzuheben und war die Sozialrechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte