OGH 14Os162/88 (14Os163/88)

OGH14Os162/88 (14Os163/88)30.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat am 30.November 1988 durch den Präsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Melnizky als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Steininger, Dr. Horak, Dr. Lachner und Dr. Massauer als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Knob als Schriftführerin in der Strafsache gegen Karl B*** wegen des Vergehens der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 127, 129 Z 1; 229 Abs. 1 und § 15) StGB über die von der Generalprokuratur erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes gegen den Vorgang, daß der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien von seinem Beschluß vom 7.März 1988, GZ 1 c E Vr 12.457/87-26, auf Widerruf der bedingten Entlassung nicht unverzüglich das Landesgericht St. Pölten verständigte, sowie gegen den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 4.Mai 1988, GZ 22 BE 220/88-10, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters des Generalprokurators, Generalanwalt Dr. Presslauer, jedoch in Abwesenheit des Angeklagten, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Das Gesetz wurde verletzt

1. im Strafverfahren AZ 1 c E Vr 12.457/87 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien durch den Vorgang, daß der Einzelrichter von seinem Beschluß vom 7.März 1988, ON 26/S 115 a, auf Widerruf der bedingten Entlassung des Karl B*** aus Freiheitsstrafen nicht unverzüglich das Landesgericht St. Pölten zu 22 BE 220/86 verständigte, in der Bestimmung des § 494 a Abs. 7 StPO;

2. in der Vollzugssache AZ 22 BE 220/86 des Landesgerichtes St. Pölten durch den Beschluß dieses Gerichtshofes vom 4.Mai 1988, GZ 22 BE 220/86-10, in den Bestimmungen der §§ 48 Abs. 3 und 49 StGB sowie in dem sich aus den §§ 180 Abs. 1 und 17 Abs. 4 StVG und § 494 a Abs. 4 StPO ergebenden Verbot, nach aufrechter (wenn auch noch nicht rechtskräftiger) Beschlußfassung über den Widerruf einer bedingten Entlassung nochmals in dieser Sache zu entscheiden. Der zuletzt bezeichnete Beschluß wird aufgehoben.

Text

Gründe:

Mit dem Urteil des Einzelrichters des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7.März 1988, GZ 1 c E Vr 12.457/87-28, wurde Karl B*** der Vergehen der Begehung einer mit Strafe bedrohten Handlung im Zustand voller Berauschung nach § 287 Abs. 1 (§§ 127, 129 Z 1; 229 Abs. 1 und § 15) StGB und des versuchten Widerstands gegen die Staatsgewalt nach §§ 15, 269 Abs. 1 StGB schuldig erkannt und hiefür zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Zugleich faßte der gemäß § 494 a Abs. 1 Z 4 und Abs. 2 erster Satz StPO hiefür zuständige Einzelrichter den Beschluß auf Widerruf der mit Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 4.März 1987, GZ 22 BE 220/86-5, verfügten bedingten Entlassung des Karl B*** aus Freiheitsstrafen (ON 26/S 115 a) und den Beschluß auf Widerruf der dem Genannten im Urteil des Kreisgerichtes Wiener Neustadt vom 8.April 1983, AZ 11 a E Vr 2593/82, gewährten bedingten Strafnachsicht, deren Probezeit auf fünf Jahre verlängert worden war

Rechtliche Beurteilung

(ON 29). Soweit im Spruch des erstbezeichneten Beschlusses der aushaftende Strafrest, dessen Vollzug angeordnet wird, unrichtig wiedergegeben ist, so kann dieser Mangel im Hinblick auf die jederzeit mögliche Berichtigung (vgl. hiezu EvBl. 1983/88) auf sich beruhen. Daß die beiden Widerrufsbeschlüsse gemäß § 494 a Abs. 4 StPO gemeinsam mit dem Urteil verkündet wurden, kann zwar dem Hauptverhandlungsprotokoll ON 26 nicht entnommen werden, ergibt sich aber schlüssig aus der Rechtsmittelschrift ON 31. Die unverzügliche Verständigung des Landesgerichtes St. Pölten zu 22 BE 220/86 vom Beschluß auf Widerruf der bedingten Entlassung unterblieb. Mit Entscheidung vom 29.Juni 1988, 22 Bs 305,306/88 (erliegend unter ON 46 im Akt 1 c E Vr 12.457/87) hat das Oberlandesgericht Wien der Berufung des Karl B*** gegen seine Verurteilung sowie seiner Beschwerde gegen die Widerrufsbeschlüsse nicht Folge gegeben.

Inzwischen hatte das Landesgericht St. Pölten in der Vollzugssache AZ 22 BE 220/86 mit Beschluß vom 4.Mai 1988, ON 10, in Unkenntnis des Widerrufsbeschlusses des Landesgerichtes für Strafsachen Wien vom 7.März 1988 die bedingte Entlassung des Karl B*** für endgültig erklärt.

In ihrer gemäß § 33 Abs. 2 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde macht der Generalprokurator zum einen eine Verletzung der Vorschrift des § 494 a Abs. 7 StPO geltend, weil der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien das Landesgericht St. Pölten zu 22 BE 220/86 nicht unverzüglich von seinem Beschluß vom 7.März 1988 auf Widerruf der bedingten Entlassung verständigt hat; zum anderen erblickt er mit Beziehung auf den Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 4.Mai 1988, mit welchem die bedingte Entlassung des Karl B*** für endgültig erklärt wurde, eine Verletzung des Gesetzes im Verbot, nach aufrechter Beschlußfassung über den Widerruf nochmals in dieser Sache zu entscheiden.

Die Beschwerde ist in beiden Punkten im Recht.

§ 494 a Abs. 7 StPO ordnet (ua) an, daß das erkennende Gericht alle Gerichte unverzüglich zu verständigen hat, deren Vorentscheidungen von seiner Entscheidung nach § 494 a Abs. 1 StPO betroffen sind. Diese Pflicht zur Verständigung von Entscheidungen nach der eben zitierten Gesetzesstelle soll sicherstellen, daß das ohne Eingreifen der Regelung des § 494 a StPO zuständige Gericht von einer seine Vorentscheidung betreffenden Verfügung Kenntnis erhält und, bezogen auf den hier aktuellen Fall des Widerrufs einer bedingten Entlassung, keine Entscheidungskompetenz mehr in Anspruch nimmt. Dieser Zweck kann aber nur dann erreicht werden, wenn die vorgeschriebene Verständigung - wie der Generalprokurator zutreffend aufzeigt - sogleich nach der jeweiligen Entscheidung ohne Rücksicht darauf erfolgt, ob diese in Rechtskraft erwachsen ist oder nicht. Der Einzelrichter des Landesgerichtes für Strafsachen Wien hat daher, indem er es unterließ, unverzüglich das Landesgericht St. Pölten zu 22 BE 220/86 von seinem Beschluß auf Widerruf der bedingten Entlassung zu verständigen, das Gesetz in der Vorschrift des § 494 a Abs. 7 StPO verletzt.

Der Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 4.Mai 1988, GZ 22 BE 220/86-10, hinwieder steht in mehrfacher Beziehung mit dem Gesetz nicht im Einklang.

Zunächst war die am 7.April 1987 in Gang gesetzte einjährige Probezeit nach bedingter Entlassung noch nicht abgelaufen, weil sich Karl B*** seit 13.November 1987 in Verwahrungshaft und danach in Untersuchungshaft befand (Verfahren 1 c E Vr 12.457/87 des Landesgerichtes für Strafsachen Wien) und derartige Anhaltungszeiträume in die Probezeit nicht einzurechnen sind (§ 49 StGB). Daher konnte am 4.Mai 1988 eine Endgültigkeit der bedingten Entlassung schon mangels Ablaufs der Probezeit nicht angenommen werden. Ferner fehlte es an der begriffsessentiellen Voraussetzung für die Erklärung, daß die bedingte Entlassung endgültig sei, nämlich am Unterbleiben des Widerrufs (§ 48 Abs. 3 StGB), weil im Zeitpunkt der Beschlußfassung durch das Landesgericht St. Pölten das aus Anlaß einer neuen Verurteilung hiezu berufene (§ 179 Abs. 2 StVG idF des Art. III Z 36 StRÄG 1987) Landesgericht für Strafsachen Wien bereits auf einen derartigen Widerruf erkannt hatte.

Der (der materiellen Rechtskraft fähige) Widerrufsbeschluß vom 7. März 1988 war zwar am 4.Mai 1988 noch nicht rechtskräftig, unterlag aber nur mehr der Behebung oder Abänderung im Wege der in den Prozeßgesetzen vorgesehenen Rechtsmittel (oder Rechtsbehelfe) und war somit ab seiner Verkündung (§ 494 a Abs. 4 StPO) insoweit mit einer Bindungswirkung ausgestattet, als weder das erkennende Gericht noch ein anderes Gericht ohne vorangegangene Kassation dieses Beschlusses über den Entscheidungsgegenstand neuerlich absprechen durfte (vgl. hiezu SSt. 51/5 und SSt. 54/57). Eine solche (nach dem Gesagten unzulässige) nochmalige Entscheidung ist jedoch mit dem Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten vom 4.Mai 1988 erfolgt, welcher eine mit dem vom Landesgericht für Strafsachen Wien bereits am 7.März 1988 wirksam erklärten Widerruf der bedingten Entlassung unvereinbare Voraussetzung (Unterbleiben des Widerrufs) zum Ausdruck bringt.

Der (Feststellungs-)Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten konnte weder den schon vorher durch das zuständige Landesgericht für Strafsachen Wien wirksam beschlossenen Widerruf der bedingten Entlassung des Karl B*** beseitigen noch sonst für den Genannten irgendwelche Rechtsfolgen erzeugen. Die konstitutive Wirkung des Widerrufsbeschlusses blieb vielmehr hievon unberührt. Da somit der Beschluß des Landesgerichtes St. Pölten für Karl B*** keinerlei Rechtswirkungen entfalten konnte, war er durch Aufhebung zu beseitigen (14 Os 156/87; EvBl. 1964/236 und die dort weiters zit. Judikatur).

Beigefügt sei, daß auch Feststellungsbeschlüsse über die Endgültigkeit der bedingten Entlassung aus einer Freiheitsstrafe oder einer bedingten Strafnachsicht in materielle Rechtskraft erwachsen und ebenfalls ab ihrer Erlassung für die Gerichte Bindungswirkung entfalten. Die Wirkungslosigkeit des vorliegenden Beschlusses des Landesgerichtes St. Pölten ergab sich allein aus der zeitlichen Abfolge, weil der vorangegangene Widerrufsbeschluß des (zu dessen Erlassung zuständigen) Landesgerichtes für Strafsachen Wien durch einen solchen Ausspruch nicht behoben werden konnte. Bei einem umgekehrten zeitlichen Ablauf wäre von der (rechtskräftig festgestellten) Endgültigkeit der bedingten Entlassung auszugehen gewesen (vgl. Mayerhofer-Rieder StPO2 ENr. 21 zu § 495; ÖJZ-LSK 1979/137; 10 Os 52/81; SSt. 56/18).

Über die Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes war sohin spruchgemäß zu erkennen.

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