OGH 8Ob601/88

OGH8Ob601/8824.11.1988

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Hofrat des Obersten Gerichtshofes HonProf Dr. Griehsler als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Kropfitsch, Dr. Huber, Dr. Schwarz und Dr. Graf als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gerhard K***, geboren am 28. März 1943 in Wien, Angestellter, Mariahilfer Gürtel 8/31, 1060 Wien, vertreten durch Dr. Walter Mardetschläger und Dr. Peter Mardetschläger, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei Christa K***, geboren am 25.September 1947 in Wien, Hausfrau, Hackhofergasse 9 a/2, 1190 Wien, vertreten durch Dr. Johann Suppan, Rechtsanwalt in Wien, wegen Ehescheidung, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom 11.März 1988, GZ 13 R 242/87-27, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom 27.Mai 1987, GZ 29 Cg 267/85-23, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 3.397,35 (einschließlich S 308,35 Umsatzsteuer) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen am 20.9.1969 vor dem Standesamt Wien-Währing zu Nr.826/1969 die jeweils erste Ehe. Beide sind österreichische Staatsangehörige. Der Ehe entstammt die mj. Michaela K***, geboren am 30.5.1974. Ehepakte wurden nicht errichtet. Mit der Klage vom 15.10.1985 begehrte der Kläger die Scheidung der Ehe aus dem Verschulden der Beklagten (§ 49 EheG) und brachte vor, die Beklagte sei zu ihm schon seit langem lieblos und unleidlich gewesen, habe ständig an ihm herumgenörgelt und ihm dadurch das Leben verleidet. Dies habe dazu geführt, daß es am 4.2.1979 zu einer einvernehmlichen Trennung gekommen sei, wobei er im Einvernehmen mit der Beklagten aus der Ehewohnung weggezogen sei.

Schon vor dieser Trennung habe die Beklagte übermäßig Alkohol konsumiert, danach sei dies noch viel schlimmer geworden. Obwohl sie keiner Beschäftigung nachgehe, habe ihr übermäßiges Trinken so weit geführt, daß das eheliche Kind ihr abgenommen worden sei und sich nunmehr in Pflege und Erziehung des Klägers befinde. Für den Fall der Abweisung des auf § 49 EheG gestützten Klagebegehrens gründete der Kläger sein Begehren auf § 55 Abs.3 EheG, weil die häusliche Gemeinschaft schon seit mehr als sechs Jahren aufgelöst und eine Wiederherstellung der Ehe nicht mehr vorstellbar sei. Die Beklagte beantragte die Abweisung des auf § 49 EheG gestützten Klagebegehrens, allenfalls stellte sie einen Mitschuldantrag dahin, daß das überwiegende Verschulden des Klägers festgestellt werden wolle. Sie trug vor, der Kläger habe sie am 4.Februar 1979 grundlos verlassen. Dennoch habe sie ihm stets zu verstehen gegeben, daß er in die Ehewohnung zurückkehren solle. Vor seinem Auszug habe der Kläger zahlreiche schwere Eheverfehlungen gesetzt. So habe er nach der Geburt des Kindes begonnen, an ihrem Aussehen herumzunörgeln, was sich in einem unerträglich kränkenden Maß gesteigert habe. Im Jahr 1978 habe sie sich einer Unterleibsoperation unterziehen müssen, dennoch habe der Kläger von ihr Geschlechtsbeziehungen gefordert; als sie dies wegen eines ärztlichen Verbotes abgelehnt habe, habe er ihr erklärt, sie sei für ihn keine Frau mehr. Fortan habe er jegliche geschlechtliche Beziehung vermieden. Im Anschluß an den Spitalsaufenthalt nach dieser Operation habe sie sich drei Wochen auf Erholungsurlaub in Kärnten befunden. Bei ihrer Rückkehr habe sie der Kläger sogleich - wenn auch vorübergehend - verlassen. Danach habe sich das Verhalten des Klägers ihr gegenüber bis zur Grobheit gesteigert. In weiterer Folge habe sie der Kläger wiederholt grundlos geohrfeigt, gestoßen und geschlagen und durch Einschränkung der Freiheit verhindert, daß sie bei der Polizei oder bei Angehörigen um Hilfe ersuchen hätte können. Schließlich habe er am 4.Februar 1979 die Ehegemeinschaft eigenmächtig aufgehoben. Ein Einvernehmen habe es darüber nicht gegeben. In der Folge habe er weitaus unzureichend Unterhalt für die Beklagte und das Kind geleistet.

Die Abnahme des Kindes (durch einen Beschluß des Pflegschaftsgerichtes) sei auf einen Trick des Klägers zurückzuführen gewesen. Bis zum Februar 1979 habe die Beklagte kaum jemals Alkohol konsumiert, auch danach fallweise nicht über die Verträglichkeit hinaus und stets maßvoll. Bei der Anfang September 1985 erfolgten Abnahme des Kindes sei sie nicht etwa alkoholisiert gewesen, vielmehr habe sie an hohem Fieber gelitten. Der Kläger habe sie weiters ständig mit dem Verlangen unter Druck gesetzt, sie möge ein Wirtschaftsbuch führen. Habe sich dabei ein nicht aufklärbarer Fehlbetrag ergeben, habe sie das Manko aus ihrem Taschengeld ersetzen müssen. Trotz der schweren Eheverfehlungen des Klägers habe sie stets an der Ehe festgehalten.

Bei richtiger Würdigung des Wesens der Ehe sei daher das Scheidungsbegehren des Klägers sittlich nicht gerechtfertigt, allenfalls treffe diesen das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung (§ 61 Abs.3 EheG).

Das Erstgericht schied die Ehe der Streitteile (gemäß § 55 Abs.3 EheG) und wies das Begehren des Klägers, das Verschulden der Beklagten auszusprechen (§§ 49, 60 EheG), damit also auch das Scheidungsbegehren aus dem Grunde des § 49 EheG, sowie die Anträge der Beklagten, das überwiegende Verschulden des Klägers (§§ 49, 60 EheG) bzw das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe (§ 61 Abs.3 EheG) auszusprechen, ab. Die Verfahrenskosten hob es gemäß § 45 a ZPO gegeneinander auf. Das Erstgericht ging dabei von folgenden Feststellungen aus:

Der Kläger sei technischer Angestellter. Die Beklagte, welche 1966 maturiert habe, sei bis zur Geburt des Kindes als Sekretärin beschäftigt gewesen, seither habe sie den Haushalt geführt und keine Erwerbstätigkeit ausgeübt. Die Ehe sei bis etwa 1975/1976 gut gegangen. Ab diesem Zeitpunkt sei die partnerschaftliche Beziehung geschwunden, was sich darin geäußert habe, daß bei Problemen, die zur Diskussion gestanden seien, die Gesprächsbasis geschwunden sei. Vom August 1976 bis April 1977 hätten sich die Eheleute mit dem Kind in den Vereinigten Staaten von Amerika befunden. Nach der Rückkehr habe der Kläger bemerkt, daß die Beklagte - obwohl nicht berufstätig - mit der Führung des Haushalts überfordert erschienen sei. Im Jahr 1978 habe sich die Beklagte zwei schweren Unterleibsoperationen unterzogen, wobei die Gebärmutter und die Eierstöcke entfernt worden seien. Im Anschluß an diese Operationen habe sie sich drei Wochen lang in Kärnten zur Erholung befunden. Bei ihrer Rückkehr habe der Kläger sie vom Autobus abgeholt, jedoch gleich danach berufsbedingt einen Kurs in Herrnstein besuchen müssen. Nach seiner Rückkehr sei es zu Streitereien gekommen. Der Kläger habe der Beklagten vorgehalten, sie rieche stark nach Alkohol, worauf sie erwidert habe, daß sie Magentropfen genommen habe, die so stark röchen. Dies habe sich wiederholt, worauf es zu einem Streit gekommen sei. Wein und Spirituosen seien in der Ehewohnung im ausreichenden Maß vorhanden gewesen, die Menge habe sich allerdings verringert, wobei der Kläger nicht geglaubt habe, daß dies auf die Bewirtung von Besuchern zurückzuführen sei. Wenn der Kläger berufsbedingt erst später (zwischen 19 oder 21 Uhr) nach Hause gekommen sei, habe ihm die Beklagte Untreue vorgeworfen, etwa daß er "herumhure". Im Rahmen einer solchen Streitigkeit habe die Beklagte im Jänner 1979 geäußert, wenn dem Kläger etwas nicht passe, könne er ausziehen, die Wohnung gehöre ohnehin ihr (was auch stimme). Es könne jedoch nicht als erwiesen angenommen werden, daß dies eine ernsthafte Aufforderung an den Kläger gewesen sei, auszuziehen. Der Kläger habe daraufhin nach einer Wohnung zu suchen begonnen, habe Mitte Jänner 1979 eine Eigentumswohnung am Mariahilfer Gürtel erworben und sei am 4.2.1979 aus der Ehewohnung ausgezogen und dorthin übersiedelt. Nicht habe als erwiesen angenommen werden können, daß der Kläger stets unsachlich an der Beklagten, noch dazu überaus verletzend, Kritik geübt habe, daß er nach ihrer Unterleibsoperation von ihr geschlechtliche Beziehungen gefordert habe und nach deren Ablehnung erklärt habe, sie sei für ihn keine Frau mehr. Geschlechtliche Beziehungen habe es zwischen den Streitteilen schon vor dieser Operation nicht mehr gegeben, solche hätten auch während des Aufenthaltes in den Vereinigten Staaten von Amerika kaum noch stattgefunden. Weiters habe nicht als erwiesen angenommen werden können, daß der Kläger nach den Weihnachtsfeiertagen 1978 sein Verhalten gegenüber der Beklagten bis zur Grobheit gesteigert habe, ihr gegenüber tätlich geworden sei und sie in der Freiheit eingeschränkt habe. Vielmehr habe im Zuge einer Streitigkeit die Beklagte dem Kläger eine Ohrfeige versetzt und er sie mit dem Knie gestoßen.

Die Streitteile hätten schon seit 1969/70 ein Wirtschaftsbuch nach eigenem Konzept geführt, wobei meistens die Beklagte die Eintragungen abends, fallweise auch an Wochenenden, vorgenommen habe. Nicht erwiesen sei, daß der Kläger die Beklagte aufgefordert habe, für ein allfälliges Manko aus dem Taschengeld aufzukommen. Bei der Trennung (im Februar 1979) sei das gemeinsame Vermögen, das im wesentlichen aus Wertpapieren und Sparbüchern im Gesamtbetrag von rund S 630.000 bestanden habe, zwischen den Streitteilen halbiert worden.

Durch den Auszug des Klägers am 4.2.1979 sei der Kontakt zwischen den Streitteilen bzw. des Klägers zur Tochter nicht abgebrochen. Der Kläger sei ein Jahr lang regelmäßig an Samstagen Vormittag in die Ehewohnung gekommen, und sei dort auch über Nacht geblieben, die Streitteile hätten jedoch nicht mehr in einem gemeinsamen Zimmer übernachtet. Ab 1980 sei er dann nicht mehr über Nacht dort geblieben, habe allerdings die Tochter mindestens einmal wöchentlich besucht. Er habe durchgehend die Schlüssel zur Ehewohnung gehabt, die Beklagte habe umgekehrt seine Anschrift und Telefonnummer gekannt.

Nach seinem Auszug habe der Kläger für die Beklagte und das Kind Unterhalt so geleistet, daß er für Unkosten wie Wohnbauförderungskredit, Strom- und Gaskosten, Rundfunk und Fernsehen, Zusatzkrankenversicherung für die Klägerin, Kirchenbeitrag und anfänglich auch noch für die Kosten des PKWs im monatlichen Gesamtbetrag von rund S 2.600 aufgekommen und daneben einen Barbetrag von S 5.500 ohne Widmung geleistet habe. Dadurch, daß dieser Betrag aber durch mehrere Jahre gleichgeblieben sei, habe die Beklagte damit immer weniger das Auslangen gefunden. Dies habe sie zwar dem Kläger auch mitgeteilt, von ihm aber nicht ausdrücklich einen höheren Betrag (für sich und das Kind) gefordert. Der Kläger habe damit erreichen wollen, daß die Beklagte eine Erwerbstätigkeit aufnehme. Auf Grund einer Unterhaltsklage vom 29.11.1984 sei der Kläger zuletzt rechtskräftig verurteilt worden, der Beklagten einen monatlichen Unterhalt von S 8.900 zu zahlen. Für das Kind sei er auf Grund eines Beschlusses des Pflegschaftsgerichtes vom 29.7.1985 zu einer Unterhaltsleistung von S 4.500 verpflichtet worden. Die Beklagte habe schon vor der Trennung der Streitteile Alkoholmißbrauch betrieben, wobei der Kläger dies daran bemerkt habe, daß sie nach Alkohol gerochen habe, mehrmals apathisch gewesen sei und die Hausarbeit liegen lassen habe. Dies sei etwa einmal in der Woche der Fall gewesen. Den Nachbarn der Beklagten sei der Alkoholmißbrauch der Beklagten etwa 1982 aufgefallen. In der Folge hätten diese Nachbarn der Beklagten wiederholt Hilfe geleistet, ihr auch dazu geraten, sich einer Therapie zu unterziehen. Am 2.9.1985 sei die Beklagte infolge Alkoholisierung nicht ansprechbar gewesen. Daraufhin habe sich der Kläger am 6.9.1985 an das Pflegschaftsgericht gewandt und beantragt, ihm die Elternrechte für die Tochter zu übertragen. Am gleichen Tag habe er in Gegenwart einer Sozialarbeiterin, welche den Alkoholisierungszustand der Beklagten ebenfalls wahrgenommen habe, die Tochter mitgenommen. In der Folge seien ihm vom Pflegschaftsgericht rechtskräftig die Elternrechte zugewiesen worden.

Auf Grund des Ergebnisses einer psychiatrischen Begutachtung sei festzustellen, daß bei der Beklagten eine Persönlichkeitsentwicklungsstörung bestehe, die ihr in Belastungssituationen nicht immer ein angepaßtes Verhalten ermögliche. Sie reagiere in Belastungssituationen, bei innerer Unruhe und innerer Anspannung allenfalls mit Ausbildung von Angst und Panik und sei in solchen Zuständen auf pharmakologische Hilfe angewiesen. Dabei habe sie auf Alkohol zurückgegriffen. Diese Reaktion auf Belastungssituationen sei aber noch nicht als Krankheit zu werten, sondern als neurotische Reaktion zu bezeichnen. Der Alkoholkonsum sei dabei nicht als "primäres Geschehen" anzusehen, sondern als sekundäre Folge dieser Persönlichkeitsvariante. Diese Feststellungen beurteilte der Erstrichter dahin, daß er das auf Verschulden der Beklagten gestützte Scheidungsbegehren des Klägers nach § 49 EheG abwies und dem Scheidungsbegehren nach § 55 Abs.3 EheG unter gleichzeitiger Abweisung des von der Beklagten gestellten Schuldantrages nach § 61 Abs.3 EheG stattgab. Den Kläger treffe nicht etwa das alleinige Verschulden an der Zerrüttung der Ehe, sondern beide Ehegatten trügen solche Schuld. Betrachte man das Gesamtverhalten beider Streitteile während der gesamten Zeit ihrer Ehe, dann könne nicht gesagt werden, daß das Verschulden des Klägers dabei jenes der Beklagten erheblich überwiege.

Lediglich die Beklagte bekämpfte dieses Urteil mit Berufung und dem erkennbaren Antrag, im Rahmen des Scheidungsausspruchs gemäß § 55 Abs.3 EheG das alleinige oder überwiegende Verschulden des Klägers im Sinne des § 61 Abs.3 EheG auszusprechen und diesen zum Kostenersatz zu verpflichten. Hilfsweise beantragte die Beklagte noch, mit Teilurteil das Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe gemäß § 61 Abs.3 EheG auszusprechen und den Ausspruch über die Scheidung der Ehe einem Endurteil vorzubehalten. Das Berufungsgericht übernahm die Feststellungen des Erstgerichtes als unbedenklich, bestätigte das Ersturteil und ging dabei von folgenden Erwägungen aus:

Zunächst sei die Rechtsmeinung der Beklagten verfehlt, es könne zunächst mit Teilurteil über den Verschuldensantrag gemäß § 61 Abs.3 EheG entschieden werden, ohne daß gleichzeitig über das Scheidungsbegehren nach § 55 Abs.3 EheG abzusprechen sei. Ein solcher Ausspruch über den Schuldantrag nach § 61 Abs.3 EheG sei nämlich nur gleichzeitig mit dem Scheidungsausspruch möglich, habe diesen sogar zur Voraussetzung.

Für einen Ausspruch gemäß § 61 Abs.3 EheG komme es nicht auf die Verwirklichung eines Scheidungsgrundes nach § 49 EheG durch den klagenden Ehegatten an. Entscheidend sei vielmehr das Gesamtverhalten der Ehegatten während der Ehe, ob daher danach dem klagenden Ehegatten eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe anzulasten und - falls beiden Ehegatten ein Verschulden an der Zerrüttung vorzuwerfen sei - sein Verschulden deutlich über dem des beklagten Ehegatten anzusetzen sei. Nach den Feststellungen habe nun zwar der Kläger die Beklagte, die erst kurz vorher zwei schwere Operationen durchgemacht habe und dem Alkohol zugetan gewesen sei, verlassen, anstatt zu versuchen, ihr in dieser Situation zu helfen. Es dürfe andererseits aber nicht übersehen werden, daß sich schon vor diesen Umständen ein Auseinanderleben der Ehegatten ergeben habe und die Streitigkeiten insbesondere auf den Alkoholkonsum der Beklagten zurückzuführen gewesen seien. Weiters sei von Bedeutung, daß der Kläger mit seinem Auszug nicht etwa sofort jeden Kontakt mit der Beklagten oder dem Kind aufgegeben habe oder zu einer anderen Frau gezogen wäre, sondern zunächst noch lange Zeit die Wochenenden mit der Familie verbracht habe. Diese räumliche Trennung hätte durchaus auch günstige Auswirkungen auf die Ehe haben und zu einer Versöhnung oder einem Zusammenfinden der Ehegatten führen können, wozu es aber nicht gekommen sei. Der Auszug des Klägers, der vom vorangegangenen Auseinanderleben, den Streitigkeiten und dem Alkoholkonsum der Beklagten verursacht gewesen sei, habe daher keinen besonders starken Stellenwert für die Zerrüttung der Ehe gehabt. Die vom Kläger danach erbrachten Unterhaltsleistungen für die Beklagte und das Kind seien zunächst angemessen gewesen; sei doch das Kind damals erst fünf Jahre alt gewesen. Erst im Laufe der Jahre seien diese Unterhaltsleistungen unzureichend geworden, weil ihre Höhe beibehalten, das Einkommen des Klägers jedoch gestiegen und auch das Kind älter geworden sei. Die Beklagte hätte aber durchaus die Möglichkeit gehabt, Schritte zur Festsetzung eines angemessenen Unterhalts für sich und das Kind zu unternehmen. Daß die (zu geringe) Höhe der Unterhaltsleistungen - zumal einige Zeit nach der Trennung - erhebliche Auswirkungen auf die Zerrüttung der Ehe gehabt hätte, habe sich aus dem Sachverhalt nicht ergeben, sei auch nach der ganzen Sachlage nicht anzunehmen. Ebenso habe aber der weitere Alkoholmißbrauch der Beklagten, der schließlich sogar zu Unzukömmlichkeiten bei der Betreuung der Tochter und letztlich zur Abnahme des Kindes aus ihrer Pflege und Erziehung geführt habe, zumindest in den letzten Jahren keine wesentliche Bedeutung mehr für die Ehezerrüttung gehabt, weil die Ehe schon zerrüttet gewesen sei und die Aussichten für eine Wiederherstellung der Ehe nur mehr sehr gering gewesen seien.

Das Erstgericht habe daher ohne Rechtsirrtum den Antrag der Beklagten gemäß § 61 Abs.3 EheG abgewiesen, weil von einem alleinigen Verschulden des Klägers oder einem deutlich überwiegenden graduell weit schwerer wiegenden Verschulden des Klägers an der Zerrüttung der Ehe nicht die Rede sein könne.

Rechtliche Beurteilung

Die von der Beklagten gegen das Urteil des Berufungsgerichtes erhobene Revision ist nicht gerechtfertigt.

Soweit in der Anfechtungserklärung auch die Kostenentscheidung des Erstgerichtes (wohl gemeint die Bestätigung dieser Kostenentscheidung durch das Berufungsgericht) sowie die Abweisung des Antrags der Beklagten, das überwiegende Verschulden des Klägers im Sinne der §§ 49, 60 EheG auszusprechen, angeführt werden, muß darauf hingewiesen werden, daß die Bekämpfung dieser beiden Aussprüche nicht zulässig ist: Die Kostenentscheidung für sich allein kann schon gemäß § 528 Abs.1 Z 2 ZPO nicht weiter angefochten werden und der auf das Scheidungsbegehren nach § 49 EheG bezogene Antrag, das überwiegende Verschulden des Klägers auszusprechen, muß schon daran scheitern, daß dieses Begehren - vom Kläger nicht angefochten - schon vom Erstgericht abgewiesen wurde. In ihrem Revisionsantrag kommt die Beklagte auf diese beiden Anfechtungserklärungen auch nicht mehr zurück, so daß es mit diesem Hinweis sein Bewenden haben kann.

Im Revisionsverfahren steht nur mehr das auf § 55 Abs.3 EheG gerichtete (seinerzeitige Eventual-)Scheidungsbegehren des Klägers sowie der Schuldantrag der Beklagten gemäß § 61 Abs.3 EheG zur Entscheidung, weil - wie bereits erwähnt - das auf § 49 EheG gegründete Scheidungsbegehren (zumindest inhaltlich) vom Erstgericht als nicht berechtigt erkannt wurde und vom Kläger nicht bekämpft worden ist.

Die in der Revision gerügte Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor (§ 510 Abs.3 ZPO). Es betraf nicht eine Feststellung des Berufungsgerichtes, sondern dessen rechtliche Beurteilung, wenn das Berufungsgericht in seinem Urteil davon ausging, daß die Höhe der Unterhaltsleistungen des Klägers im Zeitpunkt seines Auszuges angemessen gewesen sei. Über den vom Kläger geleisteten Betrag besteht nämlich zwischen Erst- und Berufungsurteil keine Feststellungsdivergenz.

Bei der Darstellung der Rechtsrüge verläßt die Beklagte in weiten Bereichen den Boden der von den Tatsacheninstanzen getroffenen Feststellungen (insbesondere der negativen Feststellungen) und geht weiterhin nur von ihren im Verfahren erster Instanz vorgebrachten, aber nicht festgestellten Behauptungen aus.

Insoweit gelangt die Rechtsrüge nicht zur gesetzmäßigen Darstellung, so daß darauf nicht weiter eingegangen werden kann. Den Vorinstanzen ist bei der Darstellung der Erfordernisse und Beurteilungsgrundlagen für das Zerrüttungsverschulden gemäß § 61 Abs.3 EheG zu folgen. Es kommt nicht so sehr darauf an, wie viele Eheverfehlungen (im Sinne des § 49 EheG) jeder der beiden Ehegatten zu vertreten hat, sondern welche Eheverfehlungen sich primär und kausal auf die Ehezerrüttung ausgewirkt haben. Es muß den Vorinstanzen beigepflichtet werden, daß zwischen den Streitteilen schon längere Zeit vor der häuslichen Trennung im Februar 1979 eine allmähliche Entfremdung eingetreten ist, die durch das Verhalten beider Teile bedingt war. In diesem Zusammenhang kann der sich allmählich steigernde Alkoholmißbrauch der Beklagten nicht völlig vernachlässigt werden, weil er mit seinen direkten Auswirkungen (Vernachlässigung des Haushalts im weitesten Sinn) Hauptanlaß für Streitigkeiten zwischen den Eheleuten war, und auch letztlich den Kläger dazu veranlaßt hat, die häusliche Gemeinschaft aufzuheben. Zutreffend haben beide Vorinstanzen die nach diesem Trennungszeitpunkt liegenden Verfehlungen beider Teile nicht mehr als so schwerwiegend bewertet, daß sie (etwa die allmählich sich steigernde Unterhaltsverletzung des Klägers oder der sich weiterhin steigernde Alkoholmißbrauch der Beklagten mit seinen Auswirkungen) noch erheblichen Einfluß auf die Zerrüttung der Ehe gehabt hätte. Selbst wenn nämlich bei der Entscheidung nach § 61 Abs.3 EheG Eheverfehlungen, die nach Eintritt der Zerrüttung gesetzt wurden, nicht völlig bedeutungslos sind (vgl. EFSlg.51.669 uam), kann doch für diese beiden hauptsächlich ins Treffen geführten Verfehlungstatbestände nicht mehr davon ausgegangen werden, daß sie etwa einen entscheidenden Beitrag zur Zerrüttung der Ehe geleistet hätten. Der Zerrüttungszeitpunkt liegt nach der ganzen Sachlage im zeitlichen Bereich der häuslichen Trennung der Ehegatten, so daß die Ursachen, die zeitlich davor gesetzt wurden, höherwertige Beiträge zur Verschuldensbeurteilung liefern, als die danach liegenden Umstände.

Zutreffend haben die Vorinstanzen das Zerrüttungsverschulden beider Parteien derart beurteilt, daß der Anteil des Klägers jenen der Beklagten nicht in auffälliger Weise überwiege, so daß die Abweisung des Schuldantrages der Beklagten gemäß § 61 Abs.3 EheG frei von Rechtsirrtum ist.

Die von der Beklagten auch in der Revision angestellten Erwägungen, allein über den Schuldantrag gemäß § 61 Abs.3 EheG ein Teilurteil zu fällen, können angesichts dieses Sachausganges unerörtert bleiben. Die Beklagte ist hier auf § 69 EheG zu verweisen, der für die Fälle des Schuldausspruches, aber auch des Fehlens eines solchen die gesetzlichen Regelungen enthält.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens beruht auf den §§ 41 und 50 ZPO.

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